Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 19.01.2015, Az.: 10 A 5465/11

Einbürgerung; Einbürgerungszusicherung; Leistungsbezug

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
19.01.2015
Aktenzeichen
10 A 5465/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45242
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Kein Vertretenmüssen des Leistungsbezugs, wenn sozialhilferechtliche Erwerbsobliegenheit nicht besteht (Betreuung eines unter dreijährigen Kindes).
2. Kein Vertretenmüssen aufgrund rückwirkender Zurechnung früheren Fehlverhaltens bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
3. Zur Aussagekraft und Auslegung von formularmäßigen Auskünften des Jobcenters.

Tenor:

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. November 2011 verpflichtet, der Klägerin eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen, sofern sich aus § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 11 StAG keine Einbürgerungshindernisse ergeben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Sie wurde am H. im Bundesgebiet geboren und ist serbische Staatsangehörige. Seit 1995 war sie im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis i. S. d. § 9 AufenthG fortgilt.

Die Klägerin hat bis zum Realschulabschluss eine deutsche Regelschule besucht und dann zwei Berufsausbildungen zur Zahnarzthelferin und (anschließend) im Einzelhandel begonnen, die sie beide nicht beendet hat. Seit 1995 hat sie drei Jahre als Ungelernte in der Gastronomie gearbeitet und 1998 als Selbständige einen Campingplatz bewirtschaftet. Als ihre 1995 geschlossene Ehe geschieden wurde, gab sie die Bewirtschaftung auf. Von 2003 bis 2006 war sie in verschiedenen Restaurants als Servicekraft tätig. Im Johanniterhaus im Kloster Wennigsen war sie vorübergehend als Restaurantleiterin festangestellt. Von 2009 bis 2010 war die Klägerin als Gastronomin selbständig, fiel dabei allerdings in Privatinsolvenz und suchte danach wieder Arbeit.

Seit dem 16. Juli 2009 ist die Klägerin mit dem serbischen Staatsangehörigen I. verheiratet. Herr J. ist seit dem 1. April 2014 im Besitz einer auf drei Jahre befristeten Aufenthaltsgenehmigung. Er ist gem. § 44 a AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet.

Am 8. März 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten ihre Einbürgerung. Die Beklagte stellte den Einbürgerungsantrag mit Schreiben vom 27. Juli 2011 zurück, weil sie die wirtschaftlichen Einbürgerungsvoraussetzungen als nicht gegeben ansah.

Das JobCenter Region Hannover erstattete der Beklagten unter dem 23. März 2011 Auskunft über die Mitarbeit der Klägerin. Darin war vermerkt, dass sich die Klägerin „auf Einladung“ melde. An Maßnahmen zur beruflichen Bildung habe sie nicht teilgenommen. Ob diese für möglich gehalten würden, ist verneint; die Klägerin habe angegeben, über genügend Kenntnisse in ihrem beruflichen Bereich zu verfügen und eher überqualifiziert zu sein.

Die Frage nach etwaigen Anzeichen auf Arbeitsunwilligkeit ist in der Auskunft vermerkt „Kinderwunsch scheint momentan vordergründig“. Weiter ist ausgeführt, dass sich die Klägerin auf Vermittlungsvorschläge bewerbe und dies auch nachweise. Ihr seien seit Dezember 2010 34, insgesamt 42 Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden, ohne dass sie eingestellt worden sei. Ein Arbeitgeber habe mitgeteilt, dass die Klägerin im Einstellungsgespräch erklärt habe, sie wolle bald Kinder bekommen.

Mit Bescheid vom 14. November 2011 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag ab und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Einbürgerung immer noch nicht erfülle. Die Klägerin beziehe seit dem 1. Januar 2005 – mit zum Teil mehrmonatigen Unterbrechungen – Leistungen nach dem SGB II. Daneben übe sie geringfügige sozialversicherungsfreie Beschäftigungen aus, die aber nicht zur langfristigen Sicherung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln geführt hätten.

Die Klägerin zeige zwar gewisse Bemühungen um eine Arbeitsstelle, die aber insgesamt nicht hinreichend seien. Sie habe sich beim JobCenter nur auf Einladung gemeldet und nicht an Maßnahmen der beruflichen Bildung teilgenommen. Sie halte sich im Bereich der Gastronomie für hinreichend, wenn nicht gar überqualifiziert. Die Klägerin müsse, insbesondere nachdem sie auch mit einer selbständigen Tätigkeit im Bereich der Gastronomie gescheitert sei, auch eine berufliche Umorientierung in Erwägung ziehen.

Die Klägerin hat am 16. Dezember 2011 Klage erhoben. Sie hält die Versagung der Einbürgerung für rechtswidrig. Sie habe den Leistungsbezug nicht zu vertreten, die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Einbürgerung seien daher erfüllt. Sie habe seit 1995 fast durchgehend in der Gastronomie gearbeitet – auch während des Leistungsbezugs. Sie habe sich stets intensiv um Arbeitsstellen bemüht, was sich schon daran zeige, dass sie bis auf wenige Zeiträume fast durchgehend einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen sei. Sie habe sich auch eigeninitiativ beworben, zwischen April und Juni 2012 bei insgesamt 28 Unternehmen. Allerdings sei die Situation in der Gastronomie schwierig. Sie habe sich deshalb beim JobCenter mehrfach um Umschulungen oder Qualifizierungsmaßnahmen bemüht, die aber wegen ausreichender Stellen in der Gastronomie nicht bewilligt worden seien. Vollzeittätigkeiten seien dort gleichwohl nur für ausgebildete Kräfte zu finden, sie sei jedoch ungelernt. Sie habe deshalb eine Tätigkeit als Vertreterin für Printlexika aufgenommen, diese aber wegen Erfolglosigkeit und der Umstände der Tätigkeit nach drei Monaten wieder eingestellt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. November 2011 zu verpflichten, die Klägerin in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Einem Einbürgerungsanspruch der Klägerin stehe ihr Bezug von Leistungen nach dem SGB II entgegen. Sie habe zwar gelegentlich – auch während des Einbürgerungs- und des gerichtlichen Verfahrens – geringfügige Beschäftigungen ausgeübt. Sie habe aber insgesamt keine nachhaltige Sicherung ihres Lebensunterhalts an den Tag gelegt und insbesondere versäumt, sich hinreichend um eine Anstellung in Vollzeit zu bemühen. Dieses frühere Versäumnis setze eine prägende Ursache für den Leistungsbezug insgesamt.

Am 20. Juli 2012 erhielt die Klägerin eine bis 5. Januar 2013 befristete sozialversicherungspflichtige Anstellung bei einem Modehaus. Die Beklagte hielt auch danach die Einbürgerungsvoraussetzungen nicht für erfüllt und meinte, die befristete Beschäftigung sei nicht nachhaltig. Nach Ablauf der Befristung wurde das Beschäftigungsverhältnis nicht verlängert und die Klägerin erhielt wieder Leistungen nach dem SGB II.

Die Klägerin macht nunmehr geltend, das JobCenter habe eine Umschulung daran geknüpft, dass sie mehr als sechs Monate arbeitslos sei. Infolge ihrer Bemühungen finde sie aber meist eher wieder Arbeit, so dass ihr die Umschulung weiter verwehrt werde. Die Beklagte hält der Klägerin entgegen, dass sie sich erst im Dezember 2012, nicht aber schon während ihrer Anstellung bei der Modekette um eine Anschlussbeschäftigung bemüht habe.

Auf Anfrage des Gerichts hat das JobCenter unter Bezugnahme auf die Auskunft vom 23. März 2011 mitgeteilt, die Klägerin zeige ein hohes Maß an Motivation und Zuverlässigkeit. Sie habe bei Beratungsgesprächen im Februar und März 2013 umfangreiche Eigenbemühungen nachgewiesen und auch viele – abschlägige – Antworten auf ihre Bewerbungen vorgelegt. Ein Kinderwunsch bestehe nicht mehr, die Klägerin habe ihre Kinderlosigkeit akzeptiert und konzentriere sich jetzt auf eine Umschulung; derzeit warte sie auf einen Platz.

Die Beklagte wendet nach Durchsicht von 28 Bewerbungsschreiben der Klägerin aus dem Zeitraum April bis Juni 2012 ein, dass sich die Bewerbungen überwiegend auf Stellen im Bereich Gastronomie bezögen und die Klägerin sich „blind“, also nicht auf offene Stellen beworben habe. Die letzte Auskunft des JobCenters sei von einer Mitarbeiterin, die die Klägerin nur wenige Monate betreut habe. Die von dort gemachten Angaben zu einer beabsichtigten Umschulung seien unsubstantiiert. Die der Klägerin unterbreiteten 120 Vermittlungsvorschläge ließen keine Rückschlüsse auf deren eigenen Bemühungen zu. Es sei nicht bekannt, ob die Klägerin auf die Vermittlungsvorschläge ergebnisoffen und motiviert reagiert habe.

Die Beklagte bot der Klägerin sodann im Juni 2013 einen Vergleich an, wonach die Einbürgerung erfolgen solle, wenn die Klägerin über neun Monate monatlich 10 Bewerbungen vorweise, darunter 5 Bewerbungen auf offene Stellen. Die Stellensuche müsse kontinuierlich und nicht nur an wenigen Tagen im Monat erfolgen. Die Klägerin lehnte einen solchen Vergleich ab und erklärte, sie sei bereit, ihre Bemühungen in der Vergangenheit zu dokumentieren.

In der Folgezeit hat die Klägerin weder für die Vergangenheit noch für den Zeitraum ab Juni 2013 Bewerbungen vorgelegt oder ihre Bemühungen anderweitig dokumentiert. Im März 2014 teilte sie mit, dass sie Ende April 2013 schwanger geworden sei und am 1. Februar 2014 entbunden habe. Es habe sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt, die eine Arbeitssuche ebenso wie eine Beschäftigung unmöglich gemacht habe.

Die Beklagte erwiderte, dass die Geburt des Kindes nichts daran ändere, dass die Klägerin ihren Leistungsbezug zu vertreten habe. Sie habe in der Vergangenheit keine Bemühungen um eine Arbeitsstelle gezeigt und lebe nun mit ihrem Partner in häuslicher und familiärer Lebensgemeinschaft. Der Kindesvater könne sie bei der Betreuung unterstützen und ihr eine Beschäftigung in Teilzeit möglich machen.

Die Klägerin erwidert, ihr Ehegatte halte sich erst seit dem 1. April 2014 dauerhaft rechtmäßig in der Bundesrepublik auf. Eine Erwerbstätigkeit sei ihm davor nicht gestattet gewesen. Er habe von der Ausländerbehörde die Auflage erhalten, zuerst einen Deutschkurs zu machen und sei verpflichtet, einen Integrationskurs zu besuchen. Daher sei er gehindert, die Kindesbetreuung zu übernehmen. Außerdem stille die Klägerin ihr Kind, was ihr Ehegatte ihr nicht abnehmen könne.

Die Beklagte erwidert, die Klägerin könne bei einem zukünftigen Arbeitgeber Stillpausen beanspruchen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kindesvater durch den halbtätigen Integrationskurs vollständig an der Arbeitsaufnahme gehindert sei.

Unter dem 8. Januar 2015 hat die Beklagte mitgeteilt, die Polizeidirektion Hannover habe Bedenken gegen die Einbürgerung erhoben. Gegen die Klägerin sei ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingeleitet worden. Das Verfahren ist nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Hannover durch Verweisung auf den Privatklageweg beendet worden.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 12. April 2013 zur Entscheidung übertragen hat.

I. Soweit die Klägerin die ursprünglich auf die Verpflichtung der Beklagten zur Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gerichtete Klage in der mündlichen Verhandlung dahingehend abgeändert hat, dass sie (nur noch) eine Einbürgerungszusicherung begehrt, hat sie die Klage teilweise zurückgenommen. Insoweit ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

II. Mit dem noch zur Entscheidung des Gerichts gestellten Klagebegehren ist die Klage als Versagungsgegenklage zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung; der diesem Anspruch entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 14. November 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Klägerin erfüllt die in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG an erster Stelle genannte Voraussetzung eines Einbürgerungsanspruchs, da sie seit mehr als acht Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Sie ist auch im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG und hat das in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangte Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben und der Einbürgerungsbehörde gegenüber erklärt, dass sie weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart Bestrebungen verfolgt oder unterstützt (habe), die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. die anderen in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG genannten Rechtsgüter gerichtet sind. Hinreichende Sprachkenntnisse und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. Abs. 4 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG hat sie durch den Besuch einer deutschsprachigen Schule und den dort erworbenen Realschulabschluss nachgewiesen.

2. Dem Einbürgerungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht. Zwar setzt die Einbürgerung gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG grundsätzlich voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann; dies gilt jedoch nicht, wenn er die Inanspruchnahme dieser Leistungen nicht zu vertreten hat. Letzteres ist hier der Fall.

Soweit die Beklagte geltend macht, dass die Erwerbsbiographie der Klägerin insgesamt Zweifel an einer nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts aufwerfe, trifft dies in tatsächlicher Hinsicht zu, denn alle Bemühungen der Klägerin haben nicht dazu geführt, dass sie eine langfristige abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit gefunden hat, die es ihr ermöglicht haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne immer wieder Leistungen nach dem SGB II in Anspruch zu nehmen. Insofern folgt die fehlende Nachhaltigkeit bereits aus dem Umstand des Leistungsbezugs; für die Beurteilung des Vertretenmüssens sagt sie dagegen nichts aus, weil sonst in einem logischen Zirkelschluss jeder Leistungsbezug zu vertreten wäre.

Der Begriff des "Vertretenmüssens" ist vielmehr normativer Natur. Er setzt kein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln voraus, sondern kann schon dadurch erfüllt sein, dass der Einbürgerungsbewerber durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den – fortdauernden – Leistungsbezug gesetzt hat. Sinn und Regelungszweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, einer Einwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, werden bei einer nur unwesentlichen Erhöhung nicht berührt, wenn ein Leistungsbezug nur anteilig auf ein dem Einbürgerungsbewerber zuzurechnendes Verhalten zurückzuführen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.2.2009 – BVerwG 5 C 22.08 –, Rn. 24).

Nach diesem Maßstab hat die Klägerin den Leistungsbezug nicht zu vertreten. Sie hat zwar seit zwei Jahren keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und im gerichtlichen Verfahren nur wenige Nachweise ihrer Bemühungen um eine Arbeitsstelle vorgelegt. Das Gericht geht aber davon aus, dass die Klägerin seit April 2013 aufgrund der Umstände ihrer Schwangerschaft und seit der Geburt ihres Kindes schon aufgrund von § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB II keine Erwerbsobliegenheit getroffen hat. Auch gegenwärtig kann es ihr aufgrund von § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht einbürgerungshinderlich vorgehalten werden, dass sie keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und auch keine Bemühungen nachweist, in allernächster Zukunft eine Arbeitsstelle zu finden.

Zwar kommt dem Maßstab des § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB II zur Bestimmung der Grenzen einer zumutbaren Arbeitsaufnahme aus der Perspektive des Einbürgerungsrechts nur Hilfsfunktion zu, ohne dass eine strikte Bindung bei der Beurteilung des Einbürgerungsbegehrens bestünde. Ein Gleichlauf der Maßstäbe wird allerdings insoweit angenommen, als bei fehlender sozial(hilfe)rechtlicher Erwerbsobliegenheiten der Leistungsbezug unter dem Blickwinkel der Einbürgerungsvorschriften in aller Regel nicht zu vertreten ist (BayVGH, Beschluss vom 12.8.2003 – 5 C 03.1622 –, juris Rn. 7; Berlit in: GK-StAR 29, § 10 StAG Rn. 268).

Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe den Leistungsbezug zu vertreten, weil ihr Ehegatte ebenfalls Leistungen nach dem SGB II beziehe und jedenfalls einer der Elternteile den anderen von der Kindesbetreuung freistellen könne, greift nicht durch. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Befreiung von der Leistungspflicht nach § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht unter der pauschalen Voraussetzung, dass kein anderer Verwandter die Kindesbetreuung übernehmen kann. Lediglich nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes ist nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift die Erziehung des Kindes in der Regel nicht gefährdet, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Betreuung durch die Kindesmutter bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres der gesetzlich erwartete Regelfall ist.

Daneben sind die sozialhilferechtlichen Wertungen – wie vorstehend ausgeführt – nicht vollumfänglich auf das Einbürgerungsrecht übertragbar. Der Einwand der Beklagten stützt sich auf den Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehegatte in einer sozialhilferechtlichen Bedarfsgemeinschaft leben. Diese personenübergreifende Zurechnungskonstruktion des Sozialhilferechts findet im Einbürgerungsrecht aber keine Entsprechung (vgl. BayVGH, Beschluss vom  12.5.2004 – 5 ZB 03.3033 –, juris Rn. 10). Vielmehr besteht in der Rechtsprechung und der Literatur weitgehende Einigkeit darüber, dass dem einbürgerungswilligen Ausländer das Verhalten unterhaltsberechtigter Familienangehöriger nicht einbürgerungshindernd zugerechnet werden kann (vgl. Berlit, a. a. O., § 10 StAG Rn. 265). Auf die Frage, ob der Ehegatte der Klägerin schon durch die Teilnahme an einem halbtags stattfindenden Integrationskurs an einer Arbeitsaufnahme gehindert (gewesen) ist, kommt es deshalb nicht an.

Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Beklagten, die bisherige Erwerbsbiographie der Klägerin lasse nicht erwarten, dass sie sich nach dem Ende ihrer Elternzeit wieder in das Erwerbsleben integrieren werde. Schon systematisch sind Ansatzpunkte dafür, dass abseits der besonderen Konstellation eines absehbar nicht mehr endenden Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19.2.2009 – BVerwG 5 C 22.08 –, juris) ein früheres Verhalten zum Vertretenmüssen eines gegenwärtigen Leistungsbezugs führt, nicht ohne weiteres ersichtlich.

Auch einwanderungspolitische Gesichtspunkte sprechen nicht zwingend dafür, dass die Klägerin den Leistungsbezug infolge früheren Verhaltens zu vertreten hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19.2.2009 – a. a. O. –, Rn. 24) entspricht es durchaus der Zielsetzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, dementsprechend für den Anspruch auf Einbürgerung auch eine gewisse wirtschaftliche Integration zu verlangen und hiervon grundsätzlich abzusehen, wenn der Bezug der bezeichneten steuerfinanzierten Sozialleistungen nicht zu vertreten ist. Diese Zielsetzung wird regelmäßig indes bereits dadurch gefördert, dass bei zurechenbar unzureichender wirtschaftlicher Integration die erforderliche Voraufenthaltszeit eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts oder der für den Einbürgerungsanspruch erforderliche Aufenthaltsstatuts (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht erreicht werden kann, weil regelmäßig bereits das Aufenthaltsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) einen gesicherten Lebensunterhalt verlangt. Kann oder soll indes aufenthaltsrechtlich diesem Umstand nicht (mehr) Rechnung getragen werden, verliert auch für das Staatsangehörigkeitsrecht der Gesichtspunkt an Gewicht, dass einer "Zuwanderung in die Sozialsysteme" vorgebeugt werden soll. Bei einem für den Einbürgerungsanspruch hinreichenden, verfestigten Aufenthaltsstatus ist der Bezug der Sozial(hilfe)leistung unabhängig von der Staatsangehörigkeit. So ist es im Fall der Klägerin, die zudem in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist und zwei Ausbildungen begonnen hat. An ihrer Integration besteht insoweit kein ernstlicher Zweifel.

Daneben teilt das Gericht auch materiell nicht die Einschätzung der Beklagten, dass die Klägerin einen zukünftigen Leistungsbezug auf jeden Fall aufgrund früheren Verhaltens zu vertreten haben würde. Anzeichen für eine Arbeitsunwilligkeit der Klägerin sind nicht erkennbar. Gegen diese Annahme sprechen schon ihre insgesamt drei Versuche, sich selbständig zu machen und der Umstand, dass sie auch während des Leistungsbezugs fast durchgehend geringfügig beschäftigt war. Es ist dabei keinerlei Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass die Klägerin lediglich aufgrund unzureichender Bemühungen „nur“ geringfügige Beschäftigungen gefunden hat. Vielmehr spricht die Kontinuität dieser Beschäftigungen für eine ebenso kontinuierliche Arbeitssuche und die Bereitschaft der Klägerin, bei Verlust einer Stelle kurzfristig eine neue Anstellung zu suchen und zu finden. Dass sie sich aus Selbstzufriedenheit oder Leistungsunwillen mit geringfügigen Beschäftigungen zufriedengegeben hat, obwohl sie Möglichkeiten zur Vollbeschäftigung gehabt hätte, ist für das Gericht nicht im Ansatz erkennbar.

Während des gerichtlichen Verfahrens hatte die Klägerin mit ihren Bemühungen um eine Arbeitsstelle insoweit Erfolg, als sie eine befristete Stelle bei einem Bekleidungshaus erhalten hat. Dass diese Stelle lediglich befristet war, trägt eine normative Zurechnung des Leistungsbezugs ebenso wenig wie der Umstand, dass die Klägerin nicht bereits während der befristeten Anstellung in erheblichem Umfang weitere Bewerbungen geschrieben hat. Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Klägerin bei fortbestehender Arbeitsunwilligkeit diese oder andere Arbeitsstellen nur deshalb angenommen hat, um kurzfristig den Einbürgerungsanforderungen zu genügen. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die dahingehenden Einwände der Beklagten beschränken sich auf Hypothesen und pauschale Vermutungen. Dagegen belegen die von der Klägerin vorgelegten Nachweise über ihren Rentenversicherungsverlauf, dass sie über einen langen Zeitraum immer wieder immer wieder Beschäftigungsverhältnisse begründen konnte. Auch dafür, dass die Klägerin aufgrund ihr zurechenbarer Gründe und nicht aus naheliegenden konjunkturellen oder arbeitsmarktbedingten Gründen nur befristet und in Teilzeit eingestellt worden ist, sind – wie ausgeführt – keinerlei Anhaltspunkte erkennbar.

Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Klägerin schon bei Beginn des Arbeitsverhältnisses dessen absehbares Ende bewusst sein musste. Daraus folgt allerdings nicht, dass sie schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an weitere Bewerbungen schreiben musste, bei deren Erfolg sie möglicherweise Schwierigkeiten gehabt haben würde, die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch anzunehmen. Dass die Klägerin im Dezember neue Bewerbungen geschrieben hat, bevor das Arbeitsverhältnis im Januar endete, erachtet das Gericht insofern als ausreichend.

Gegen eine Zurechnung des Leistungsbezugs spricht sodann die Beurteilung ihrer Bemühungen durch das JobCenter Region Hannover in der Auskunft an das Gericht aus dem März 2013. Danach zeigte die Klägerin stets ein hohes Maß an Motivation und Zuverlässigkeit. Sie verfüge über fundierte Kenntnisse in ihrem Arbeitsbereich und sei flexibel. Sie habe dem JobCenter bei beiden Beratungsgesprächen umfangreiche Eigenbemühungen nachgewiesen und zahlreiche Absagen zur Beratung vorgelegt. Sie habe für 13 ihrer Bewerbungen Kostenerstattung erhalten und insgesamt zwölf Vermittlungsvorschläge erhalten. Seit 2011 seien ihr 120 Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden. Die Stelle bei dem Bekleidungshaus habe sie in Eigeninitiative gesucht; die Kündigung sei keine Reaktion auf ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin.

Soweit die Beklagte dieser Auskunft einen nur geringen Erkenntniswert beimisst, weil sie von einer Mitarbeiterin des JobCenter erteilt worden sei, die die Klägerin nur wenige Monate betreut habe, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Das Gericht hat dem JobCenter unter Bezugnahme auf eine frühere Auskunft vom 23. März 2011 konkrete Fragen vorgelegt, auf die die Mitarbeiterin klar und ausführlich geantwortet hat. Durch die Bezugnahme auf die frühere Auskunft aus dem März 2011 hatte die Mitarbeiterin zugleich einen Überblick über frühere Einschätzungen über das Verhalten der Klägerin, die in ihre Beurteilung mittelbar eingeflossen sind. Anhaltspunkte oder auch nur ein Anlass dafür, dass der beurteilte Zeitraum nicht repräsentativ sein könnte, sind nicht erkennbar. So hatte die Klägerin keine Möglichkeit, ihr Verhalten im Beurteilungszeitraum vom 18. Januar bis 4. März 2013 auf die gerichtliche Anfrage abzustimmen, die erst am 27. März 2013 gestellt worden ist. Die Auskunft deckt sich auch widerspruchsfrei mit dem Umstand, dass die Klägerin langfristig immer wieder geringfügige Beschäftigungen gefunden hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird die Auskunft von März 2013 auch durch die Auskunft des JobCenters vom 23. März 2011 nicht wesentlich in Zweifel gezogen. Dies folgt zum einen daraus, dass das Gericht die frühere Auskunft gerade mit der Bitte um Berücksichtigung übersandt hatte. Zum anderen ist die frühere Auskunft zwar hinsichtlich einiger darin enthaltener Einschätzungen deutlich negativ, bleibt darin aber pauschal, stichwortartig und unbestimmt. So wird die Frage „Bestehen Hinweise auf Arbeitsunwilligkeit?“ trotz der vorgesehenen Formularfelder „nein/wenn ja, welche?“ nicht klar beantwortet. Gleiches gilt für die Frage, ob sich die Klägerin für Maßnahmen der beruflichen Fortbildung interessiert habe. (Verneinend) beantwortet wird nur die Frage, ob seitens des JobCenters solche Maßnahmen für sinnvoll erachtet würden. Daneben wird nur festgestellt, dass Maßnahmen der beruflichen Bildung tatsächlich nicht stattgefunden haben.

Die Formulierung „Kinderwunsch scheint momentan vordergründig“ gibt allenfalls zu Nachfragen Anlass, zumal auf die nächste Frage nach Eigenbemühungen geantwortet wird „Frau S. bewirbt sich auf Vermittlungsvorschläge und kann das nachweisen.“ Diese Antwort geht einerseits an der Frage vorbei, andererseits wirft sie hinsichtlich der Einschätzung nach dem Kinderwunsch weitere Fragen auf. Soweit die Auskunft dann auf eine konkrete Rückmeldung eines Arbeitgebers abstellt, der die Klägerin nicht habe einstellen wollen, weil diese im Bewerbungsgespräch erklärt habe, dass sie „in nächster Zeit Kinder plane“, gibt auch dies durchaus Anlass zu Rückfragen. Aus einer singulären, vom Hörensagen übermittelten Äußerung bei einem Bewerbungsgespräch kann allerdings auch im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen kein gesicherter Gesamteindruck über das langfristige Verhalten der Klägerin gebildet werden, zumal zugleich mit der Selbständigkeit der Klägerin und ihrer Bewerbungstätigkeit auch Feststellungen getroffen worden sind, die gegen ein Vertretenmüssen des Leistungsbezugs sprechen.

Soweit die Beklagte aufgrund der Auskunft vom 23. März 2011 den Eindruck erhalten hat, dass die Klägerin möglicherweise keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen gezeigt hat, hätte es ihr angesichts der uneinheitlichen Äußerung im Rahmen der Amtsermittlung oblegen, diesen Bedenken nachzugehen und eine ergänzende Auskunft einzuholen. Der Amtsermittlung genügt es dagegen nicht, lediglich einbürgerungshinderliche Informationen heranzuziehen und neutrale oder gegen ein Vertretenmüssen des Leistungsbezugs sprechende Informationen in derselben Auskunft außer Acht zu lassen. Diesen Eindruck erweckt allerdings die Hervorhebung einzelner Textpassagen in der Auskunft vom 23. März 2011. Wie erwähnt bleibt darin offen, ob die Klägerin Interesse an beruflicher Bildung habe. Verneint ist die Frage, ob das JobCenter solche Maßnahmen für möglich halte, mit der Ergänzung „gibt an, über genügend Kenntnisse zu verfügen und eher überqualifiziert zu sein“. Die Hervorhebung der Beklagten verbindet dagegen die Worte „Fortbildung“, „interessiert“, „Frau S. gibt an“, „genügend Kenntnisse“, „eher überqualifiziert“ zu sein und suggeriert so einen Zusammenhang, der der Auskunft nicht ausdrücklich zu entnehmen ist.

3. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin (weiterhin) weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen sie auf Grund seiner Schuld-unfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) und gegen sie auch nicht wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird (§ 12 a Abs. 3 StAG). Das von der Beklagten angeführte Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ist nach dessen Einstellung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einbürgerungshinderlich. Auf der gleichwohl fortbestehenden Möglichkeit einer Änderung der Sachlage beruht die Einschränkung des Verpflichtungsausspruchs.

III. Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, trägt sie nach § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens. Soweit das Gericht über die Klage streitig entschieden hat, trägt die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kosten sind daher aufgrund von § 155 Abs. 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen. Dabei hält es das Gericht geboten, die Kosten in vollem Umfang der Beklagten aufzuerlegen, weil sich die Differenzierung zwischen Einbürgerung und Einbürgerungszusicherung quantitativ kaum abbilden lässt und darüber hinaus die zwischen den Beteiligten einzig streitige Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG sowohl für die Einbürgerung als auch für die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung ein wesentliches Hindernis gewesen wäre, hinsichtlich dessen die Beklagte vollumfänglich unterlegen ist.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, § 124 a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Weder hat der Rechtsstreit über den konkreten Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch weicht das Gericht von der Rechtsprechung der dort genannten Obergerichte ab.