Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.01.2008, Az.: 11 ME 277/07

Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen; Übertragbarkeit des europarechtlich gewährten Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige; Prüfungsumfang in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; Kriterien für die Bestimmung des Beurteilungszeitraums; Bedingungen für eine angemessene Abwägung der öffentlichen Belange mit den privaten Belangen des Betroffenen; Einordnung einer Inhaftierung wegen Gewalttaten als Kriterium für eine Ausweisung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.01.2008
Aktenzeichen
11 ME 277/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 11580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:0108.11ME277.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 18.06.2007 - AZ: 1 B 1013/07

Fundstellen

  • AUAS 2008, 120
  • ZAR 2008, 240-241 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Es ist gegenwärtig ungeklärt, ob sich der Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 derRichtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen lässt. Die auf die Anwendbarkeit der Richtlinie bezogenen Fragen lassen sich nicht in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren beantworten, sondern sind der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

  2. 2.

    Im Rahmen der von der Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisung losgelösten reinen Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu prüfen, ob ein sofort vollstreckbarer Entzug des Aufenthaltsrechts des Assoziationsberechtigten gemessen an Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt. Die Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

3

Der Antragsteller wurde 1979 im Bundesgebiet als Kind türkischer Arbeitnehmer geboren. Seine Eltern gehörten dem regulären Arbeitsmarkt an. Der Antragsteller ist deshalb assoziationsberechtigt. Der Antragsteller trat seit 1995 kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung. Einer Verurteilung zu einem einwöchigen Jugendarrest im Jahr 1996 folgten die Verurteilung zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs im Jahr 1998 und drei weitere Verurteilungen zu Geldstrafen. Am 24. November 2004 verurteilte das Landgericht B. den Antragsteller wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Zur Verbüßung der zuletzt genannten Strafe befindet sich der Antragsteller zurzeit in Haft. Mit Verfügung vom 25. Januar 2007 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und kündigte seine Abschiebung aus der Haft heraus an. Das Verwaltungsgericht lehnte mit dem angegriffenen Beschluss die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.

4

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung der widerstreitenden Vollzugsinteressen zu Lasten des Antragstellers ausfällt. Zwar lässt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass die Verfügung der Antragsgegnerin offensichtlich rechtmäßig ist und schon deshalb die privaten Interessen des Antragstellers zurückzutreten haben. Trotz der offenen Erfolgsaussichten überwiegt aber das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug der Ausweisung die privaten Belange des Antragstellers, vorläufig von den Folgen der Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland verschont zu bleiben.

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Ob sich die Ausweisung des Antragstellers im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird, ist im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren offen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt es für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorliegen, nicht auf den Zeitpunkt an, der für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich ist. In der Hauptsache ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (Urt. v. 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 = NVwZ 2005, 224) und nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, vgl. hierzu die Pressemitteilung d. BVerwG Nr. 71/2007 v. 15.11.2007) auch in allen sonstigen Fällen einer Ausweisung eines Ausländers auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen. Der Senat teilt diese Auffassung hinsichtlich beider Fallvarianten (Urt. v. 16.10.2007 - 11 LB 82/07 -, V.n.b.). Dieser Zeitpunkt ist jedoch für die Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ungeeignet, weil sich zum Zeitpunkt der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch nicht absehen lässt, wie sich die Sach- und Rechtslage bei der Entscheidung in der Hauptsache, die regelmäßig erst nach der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergeht, darstellen wird. Deshalb ist für die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgeblich, wie sich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (Beschwerde-)Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren darbietet (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 80 Rn. 147 m.w.N. a. d. Rspr.).

6

Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist gegenwärtig zweifelhaft, weil offen ist, ob sich der Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen lässt. Die auf die Anwendbarkeit der Richtlinie bezogenen Fragen lassen sich nicht in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren beantworten, sondern sind der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten (OVG NRW, Beschl. v. 26.2.2007 - 17 B 140/06 -, veröffentl. in [...]).

7

Nach Art. 28 Abs. 3 a der Richtlinie 2004/38/EG darf gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt haben, eine Ausweisung (nur) aus "zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden" erfolgen. Der Antragsteller hat sich zwar in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten, doch ist in der Rechtsprechung bislang nicht endgültig geklärt, ob sich auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auf diese ausdrücklich nur für Unionsbürger geltende Regelung berufen können (verneinend OVG NRW, Beschl. v. 15.5.2007 - 18 B 2389/06 -, [...]; bejahend Hess.VGH, Beschl. v. 12.7.2006 - 12 TG 494/06 -, InfAuslR 2006, 393; OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 5.12.2006 - 7 A 10924/06 -, [...]; zweifelnd Beschl. d. erk. Sen. v. 5.10.2005 - 11 ME 247/05 -, InfAuslR 2005, 453). Weder der Europäische Gerichtshof (vgl. Urt. v. 4.10.2007 - C-349/06 - "Polat" zum Vorabentscheidungsersuchen des VG Darmstadt, Beschl. v. 16.8.2006 - 8 E 1364/05 -, [...]) noch das Bundesverwaltungsgericht haben zu dieser Frage bisher Stellung bezogen.

8

Gegen eine Übertragung insbesondere der Maßstäbe von Art. 28 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige spricht sich Hailbronner aus (Komm. z. AuslR, Stand: Oktober 2007, ARB 1/80 Art. 14 Rn. 11 ff.). Er weist u.a. darauf hin, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 lediglich von einer einheitlichen Beschränkungsregelung ausgehe, die grundsätzlich keine Verfestigung im Sinne einer über die ordre public-Klausel hinausgehenden Erschwerung der Ausweisungsgründe kenne. Nach Hailbronner haben assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige auch nicht einen Status inne, der mit dem Aufenthaltsrecht von Unionsbürger vergleichbar ist (in diesem Sinne auch Stellungnahme des BMI v. 4.4.2007 an den Deutschen Städtetag). Während die abgestuften Ausweisungsregeln der Richtlinie 2004/38/EG mit den verfestigten Aufenthaltsrechten der Unionsbürgern nach fünf- bzw. zehnjährigem Aufenthalt in untrennbarem Zusammenhang stünden, sehe das Assoziationsrecht einen Daueraufenthalt türkischer Staatsangehöriger nicht vor, sondern mache das Aufenthaltsrecht dieses Personenkreises von der fortbestehenden Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt abhängig (Hailbronner, a.a.O., Rn. 14).

9

Ließe sich der Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen, ist weiter ungeklärt, wann zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Vorschrift vorliegen (offen gelassen in den Entscheidungen des Hess.VGH und des OVG Rhl.-Pf., a.a.O.). Zwar sieht § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügGEU in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) vor, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vorliegen können, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht. Der Antragsteller ist zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Selbst wenn man jedoch das in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügGEU für Unionsbürger enthaltene Strafmaß sinngemäß über Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG auch auf Assoziationsberechtigte anwenden würde, stellte sich die Frage, ob der in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG genannte Begriff der "öffentlichen Sicherheit" möglicherweise enger zu fassen und darunter nur die innere Sicherheit des Staates zu verstehen ist (so Gutmann, InfAuslR 2005, 401) mit der Folge, dass eine Verurteilung zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe nicht zwingend die innere Sicherheit gefährdet.

10

Nach den vorstehenden Ausführungen sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen anzusehen. Es ist deshalb eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Sie führt unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage, wie sie sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung darstellt, zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug der Ausweisung des Antragstellers dessen private Belange überwiegt, vorläufig in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu dürfen. Im Rahmen einer von der Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung losgelösten reinen Interessenabwägung ist auch zu prüfen, ob ein sofort vollstreckbarer Entzug des Aufenthaltsrechts des Ausländers gemessen an Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung gegeneinander. Dabei sind die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Ausländers von Amts wegen sorgfältig zu ermitteln und eingehend zu würdigen (BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 536/06 -, Asylmagazin 2007, Heft 10, S. 27). Daran gemessen erweist es sich nicht als unverhältnismäßig, dass die Antragsgegnerin und auch das Verwaltungsgericht dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung des Antragstellers den Vorzug gegeben haben.

11

Zugunsten des ledigen Antragstellers ist in die Abwägung einzustellen, dass er sich seit seiner Geburt im Jahr 1979 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und vor seiner Inhaftierung mit seiner Mutter gemeinsam in einer Wohnung gelebt hat. In die Betrachtung ist ferner einzubeziehen, dass der Antragsteller einen gemeinsamen Sohn mit seiner polnischen Lebensgefährtin hat. Daneben ist zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller möglicherweise auf den ausweisungsrechtlichen Schutz des Art. 28 Abs. 3 a der Richtlinie 2004/38/EG berufen kann. Das sich aus diesen Fakten abzuleitende Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet muss aber zurückstehen gegenüber dem gewichtigeren öffentlichen Interesse an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner Ausreiseverpflichtung.

12

Der Antragsteller führt mit seiner Beschwerdebegründung zunächst vergeblich an, es bedürfe nicht der Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil er sich gegenwärtig in Haft befinde und aus der Justizvollzugsanstalt auch nicht entlassen werde, solange in der verwaltungsrechtlichen Angelegenheit keine abschließende Entscheidung getroffen sei. Sitzt der Ausländer in Haft, kommt die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Betracht, wenn er aus der Haft heraus abgeschoben werden soll (BVerwG, Urt. v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, BVerwGE 124, 217 = NVwZ 2006, 472). Ein solcher Fall liegt hier vor. Nach dem Tenor der Verfügung vom 25. Januar 2007 soll der Antragsteller aus der Haft bzw. dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben werden. Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ist auch deshalb zu bejahen, weil die zuständige Staatsanwaltschaft nach den Ausführungen in der Verfügung der Antragsgegnerin (S. 10) beabsichtigt, eine Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO zu treffen, mit der bei Ausweisung des Verurteilten von der weiteren Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abgesehen werden kann. In einem solchen Fall wird das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung, mit welcher der Gefahr erneuter schwerwiegender Straftaten des Ausländers begegnet werden soll, nicht im Hinblick auf die Strafhaft des Ausländers ausgeschlossen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.1.1999 - 11 S 46/99 -, InfAuslR 1999, 127 [VG Wiesbaden 27.07.1998 - 4 G 546/98 (3)]).

13

Der Antragsteller macht auch erfolglos geltend, die Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts, von ihm gehe eine Wiederholungsgefahr aus, sei unzutreffend. Es besteht die begründete Besorgnis, dass neue strafrechtliche Verfehlungen des Antragstellers ernsthaft drohen. Wie vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, hat der Antragsteller in der Vergangenheit eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt. Ausdruck dieser Eigenschaft des Antragstellers sind zahlreiche Straftaten. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die in der Art und Begehung der Straftaten zum Ausdruck kommende erhebliche Gewaltbereitschaft sich erneut in Gewaltdelikten niederschlägt. Der Antragsteller hat sich am 15. Oktober 2003 wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht und ist deshalb vom Landgericht Hannover am 24. November 2004 zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers stützt das Verwaltungsgericht seine Prognose, es bestehe die Gefahr, dass der Antragsteller erneut straffällig werde, nicht nur auf das hohe Strafmaß dieser gerichtlichen Entscheidung. Es folgt mit seiner Einschätzung, die Verurteilung wegen versuchten Totschlags belege die erhebliche kriminelle Energie des Antragstellers, vielmehr der Begründung der Ausweisungsverfügung, in der sich die Antragsgegnerin ausführlich mit den der Verurteilung zugrunde liegenden Tatumständen auseinandersetzt (vgl. S. 3 u. 6 des Bescheides) und daraus folgert, dass wegen des hohen Ranges des von dem Antragsteller bedrohten Rechtsgutes, hier des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit anderer Menschen, mit künftigen Verfehlungen des Antragstellers zu rechnen sei.

14

Es ist nicht fehlerhaft, allein aus der hier vorliegenden besonders schwerwiegenden Gewalttat auf eine Wiederholungsgefahr zu schließen. Atypische Umstände, die eine solche Annahme ausschließen könnten (z.B. eine einmalige Gewalttat im Affekt), liegen nicht vor.

15

Abgesehen davon stützt sich die Prognose des Verwaltungsgerichts nicht nur auf die Verurteilung vom 24. November 2004 und die der Straftat zugrunde liegenden Tatumstände, sondern auch darauf, dass die Verurteilung am Ende einer Kette von mehreren Gewaltdelikten steht. Dem Antragsteller wurde bereits am 11. August 1995 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung eine richterliche Weisung auferlegt. Es folgten weitere Verurteilungen, u.a. wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung, wegen Körperverletzung und wegen Bedrohung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die jeweils verhängten Strafen haben den Antragsteller nicht davon abgehalten, erneut Gewaltdelikte zu begehen. Am Ende dieser Entwicklung steht der Versuch des Antragstellers, einen oder mehrere andere Menschen zu töten.

16

Es liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass sich an dieser Gewaltneigung des Antragstellers etwas geändert haben könnte. Der Antragsteller beruft sich für seine gegenläufige Einschätzung auf eine Bescheinigung der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel vom 21. Februar 2007, in der die noch andauernde Teilnahme des Antragstellers an einem Programmtraining für Gewalttäter dokumentiert und am Ende ausgeführt wird, der Antragsteller sei von seiner Haftverbüßung erheblich beeindruckt, es werde deshalb die Zuschreibung einer "Gewaltneigung" mittlerweile so generell nicht mehr für angemessen gehalten. Diese Bescheinigung ist nicht geeignet, die Prognose des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Zum einen wird dem Antragsteller nicht bescheinigt, dass bei ihm eine Gewaltneigung nicht mehr bestehe. Zum anderen enthält das Schreiben vom 21. Februar 2007 keine Begründung, warum inzwischen die Bereitschaft des Antragstellers zum Einsatz von Gewalt abgeschwächt sein soll. Die Beschreibung der Mitarbeit des Antragstellers in dem Programmtraining erweckt eher den Eindruck, dass bei dem Antragsteller weiterhin erhebliche Defizite in Bezug auf die Aufarbeitung seiner Straftaten bestehen. Obwohl der Antragsteller bereits seit dem 21. Juni 2006 an der Trainingsmaßnahme teilnimmt, war er lediglich in der Lage, wichtige Aspekte seiner Gewaltproblematik angemessen in die Gruppe einzubringen und "auch in Ansätzen zu bearbeiten".

17

Zusammenfassend vermittelt der Antragsteller den Eindruck eines Menschen, der seit Jahren den Weg einer kriminellen Karriere eingeschlagen und Rechtsgüter so nachhaltig und rücksichtslos verletzt hat, dass ein hochrangiges öffentliches Interesse an seiner Entfernung aus dem Bundesgebiet zur Bekämpfung der von ihm ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Angesichts der stetigen und fortdauernden Begehung von Straftaten ist ernsthaft damit zu rechnen, dass der Antragsteller nach Verbüßung der ihm auferlegten Haftstrafe erneut straffällig wird. Vor dieser Gefahr ist die Allgemeinheit unter Hintanstellung der Interessen des Antragstellers zu schützen.

18

Die mit einer vorläufigen Beendigung seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland entstehenden Nachteile sind dem Antragsteller zuzumuten. Es lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass der Entzug des Aufenthaltsrechts des Antragstellers unverhältnismäßig ist. Die Antragsgegnerin (S. 6 bis 9 des Bescheides) und das Verwaltungsgericht (S. 7 d. BA) haben die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in die Abwägung eingestellt und ihrem Gewicht entsprechend bewertet. Hierauf verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen. Soweit mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, der Ausweisung stehe entgegen, dass der Antragsteller mit seiner polnischen Lebensgefährtin einen gemeinsamen Sohn habe, welcher in Deutschland geboren worden sei, rechtfertigt dieses Vorbringen nicht eine andere rechtliche Beurteilung. Der Antragsteller hat weder in der Beschwerdebegründung noch zu einem früheren Zeitpunkt geltend gemacht, dass zwischen ihm und seinem Sohn eine verfassungsrechtlich oder europarechtlich schützenswerte Vater-Sohn-Beziehung besteht bzw. vor der Inhaftierung bestanden hat.