Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.01.2008, Az.: 12 ME 23/08
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallfallregelung in § 104a Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. dem Runderlass des Nidersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 6. Dezember 2006 (Nds. Bleiberechtsregelung); Voraussetzungen und Auswirkungen eines Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung; Beharrliche Verweigerung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung als Ausschlussgrund für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.01.2008
- Aktenzeichen
- 12 ME 23/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 11571
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0128.12ME23.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 22.01.2008 - AZ: 11 B 117/08
Rechtsgrundlagen
- § 23 AufenthG
- § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallfallregelung in § 104a AufenthG bzw. dem Runderlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 6. Dezember 2006 (Nds. MBl. 2007, S. 43) - Nds. Bleiberechtsregelung -.
Gründe
I.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt, mit dem der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, seine beabsichtigte Abschiebung nach D. auszusetzen und seinen Aufenthalt im Bundesgebiet weiterhin zu dulden. In dem weiter anhängigen Klageverfahren begehrt der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß der Altfallregelung in § 104 a AufenthG bzw. auf der Grundlage des § 23 AufenthG i.V.m. dem Runderlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 6. Dezember 2006 (Nds. MBl. 2007, S. 43) - im Folgenden: Nds. Bleiberechtsregelung -. Das Verwaltungsgericht hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch, d. h. ein materielles Recht des Antragstellers, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, für nicht gegeben erachtet. Dem Antragsteller stehe der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aller Voraussicht nach nicht zu. Er habe in gravierender Weise gegen seine Pflicht, an der Beschaffung von Rückreisepapieren zur Vorbereitung der Beendigung seines Aufenthalts mitzuwirken, verstoßen. Bei seiner Anhörung in seinem Asylverfahren habe er am 5. Februar 1996 angegeben, seine gültige Identitätskarte in D. zurückgelassen zu haben. Es sei ihm ohne weiteres möglich gewesen, sich dieses Dokument nachschicken zu lassen. Im Übrigen habe er sich im April 2000 während einer geplanten Reise nach Spanien kurzfristig in Frankreich aufgehalten, so dass er die in § 104 a AufenthG bzw. der Nds. Bleiberechtsregelung im einzelnen gestellten Anforderungen an einen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht erfülle.
II.
Mit seinen dagegen erhobenen Einwendungen, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, dringt der Antragsteller nicht durch.
Der Antragsteller macht geltend, er habe behördliche Maßnahmen nicht vorsätzlich hinausgezögert. Der Ausschluss von den Vergünstigungen der Altfallregelung in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG und der Nds. Bleiberechtsregelung setze ein aktives Tun des Ausländers voraus, ein lediglich passives Verhalten reiche nicht aus. Dafür sprächen auch - vom Antragsteller jeweils auszugsweise zitiert - die Durchführungsanweisung des BMI zu § 104 a AufenthG (gemeint: Hinweise des Bundesministeriums des Innern zu dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19.8.2007 - Stand: 2. Oktober 2007 -, im Folgenden: Hinweise) und die Runderlasse des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 zum IMK-Beschluss vom 17. November 2006 (vgl. hierzu Wiefelspütz, ZAR 2007, 41; Marx, ZAR 2007, 43) sowie vom 16. Oktober 2007 zu § 104 a AufenthG.
Der Senat vermag sich einer restriktiven Auslegung der Ausschlusstatbestände im Sinne der Beschwerde jedoch nicht anzuschließen. Der Wortlaut der Bestimmungen stellt auf ein - im Falle des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vorsätzliches - Hinauszögern oder Behindern behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ab. Das schließt neben einem aktiven Tun auch andere Verhaltensweisen wie ein beharrliches Untätigbleiben oder die Nichterfüllung von Mitwirkungspflichten mit ein (vgl. Marx, a.a.O., S. 50 f mit Hinweisen auf entsprechende Regelungen in den Bleiberechtsregelungen verschiedener Bundesländer). In den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern unter Nr. 6 zu § 104 a AufenthG heißt es zwar - und wird vom Senat nicht in Zweifel gezogen -, im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers, an das großzügige Verständnis der IMK-Bleiberechtsregelung vom 17. November 2006 anknüpfen und das Problem der langjährig Geduldeten lösen zu wollen, sei ein großzügiger Maßstab hinsichtlich der in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG genannten Ausschlussgründe anzulegen. Soweit zu dem Hinauszögern oder Behindern behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung weiterhin ausgeführt wird, der Ausschlussgrund liege ausschließlich dann vor, wenn ein Ausländer u.a. nachweislich Identitätsnachweise oder Personaldokumente vernichtet und unterdrückt hat, um seine Abschiebung zu verhindern, findet diese einengende Auslegung des Ausschlussgrundes im Wortlaut des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG jedoch keine Stütze. So liegt es auf der Hand, dass nicht nur ein Vernichten und Unterdrücken von Personalpapieren, sondern beispielsweise auch eine dauerhafte und für die Vorbereitung der Aufenthaltsbeendigung nicht nur unwesentliche Weigerung, sich Personal- und Ausreisedokumente in schriftlicher Form oder auf andere Weise als durch die in den Hinweisen ausdrücklich genannte Vorsprache bei der Vertretung eines ausländischen Staates zu beschaffen, als Hinauszögern oder Behindern von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angesehen werden kann. Im Übrigen sind die Hinweise zu diesem Ausschlussgrund in ihrer aktualisierten Fassung (nunmehr: Hinweise zu den wesentlichen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Stand: 18.12.2007 -) inzwischen mit einer Fußnote (1) versehen, in der zu den in Randnummer 333 genannten Ausschlussgründen relativierend angemerkt wird, diese könnten auch als Beispiele verstanden werden, in denen der Ausschlussgrund des vorsätzlichen Hinauszögerns oder Behinderns vorliegen kann, nicht aber muss. Die vom Antragsteller zitierten Passagen aus den Runderlassen des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 und vom 16. Oktober 2007 - denen eine Verbindlichkeit für die Verwaltungspraxis in Niedersachsen allerdings nicht zukommen kann - sind ebenfalls weitaus offener formuliert als die vom Antragsteller in Bezug genommene Fassung der Hinweise. Sie schließen neben dem Vernichten und Unterdrücken von Urkunden u. a. auch die beharrliche Verweigerung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung als Ausschlussgrund mit ein. Mit Blick auf diese (zum Teil aktualisierten) Auslegungshilfen und angesichts des - wie dargelegt - weitergehenden Wortlauts der gesetzlichen Regelung in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG sowie des Regelungszwecks (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 201 f.) neigt der Senat dazu, dass der Ausschlussgrund des Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht von vornherein, wie von der Beschwerde favorisiert, auf die in den Hinweisen ausdrücklich angesprochenen Anwendungs- und Beispielsfälle beschränkt werden kann.
Eine der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehende Verzögerungshandlung im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG und auch der Nds. Bleiberechtsregelung (Nr. 5.1.1) ist hier darin zu sehen, dass der Antragsteller sich trotz konkreter und wiederholter Aufforderungen des Antragsgegners nicht unverzüglich und mit dem gebotenen Einsatz bei der E. Botschaft in Berlin um die Ausstellung eines Personaldokumentes bemüht hat und im Hinblick auf den Erhalt eines Dokuments im Jahr 2007 auch davon auszugehen ist, dass ihm dies bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten auch schon wesentlich früher gelungen wäre. Der Antragsgegner hat in dem ablehnenden Bescheid vom 12. Dezember 2007 und ergänzend hierzu in der Antragserwiderung vom 16. Januar 2008 in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, der Antragsteller sei wiederholt dazu aufgefordert worden, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen und Nachweise über seine Identität vorzulegen. Er - der Antragsgegner - weise bei jeder Vorsprache eines Ausländers zur Duldungsverlängerung auf die entsprechenden Mitwirkungspflichten hin. Im Falle des Antragstellers befänden sich hierzu z. B. Vermerke vom 8. August 2006, 6. November 2006 und 6. Februar 2007 in den Verwaltungsvorgängen. Der Antragsteller sei seinen Pflichten in keiner Weise nachgekommen. Er habe zu seiner in Pakistan lebenden Mutter noch bis zu deren Tod im Jahre 2007 Kontakt gehabt und sie finanziell unterstützt. Es sei offensichtlich, dass der Antragsteller sich jederzeit einen Identitätsnachweis - gegebenenfalls in Kopie - aus D. habe beschaffen können, der dann zur Beschaffung von Passersatzpapieren bei der E. Botschaft in Berlin hätte vorgelegt werden können. Er habe sich erst dann, als ihm die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Nds. Bleiberechtsregelung in Aussicht gestellt worden sei, um die Ausstellung von Personaldokumenten bemüht und habe schließlich mit Schreiben vom 14. August 2007 einen E. Nationalpass vorgelegt. Weiterhin hat der Antragsgegner den Vortrag des Antragstellers, er habe erst nach dem Hinweis der E. Botschaft, als Nachweis könne auch eine Kopie eines E. Dokuments vorgelegt werden, sich eine solche Kopie seines nicht mehr existenten Reisepasses über seinen Bruder besorgt, aller Voraussicht nach zu Recht als reine Schutzbehauptung angesehen. Der Antragsteller ist dieser Bewertung, der auch das Verwaltungsgericht gefolgt ist, in seiner Beschwerde nicht mit überzeugenden Gründen entgegengetreten. Dass die F. Botschaft ihm bei seiner Vorsprache am 29. Mai 2001 erklärt haben soll, die Erteilung eines E. Passes oder Passersatzpapiers sei der damaligen Praxis entsprechend von der Vorlage eines E. Personalausweises oder Reisepasses im Original abhängig, entlastet den Antragsteller nicht. Denn der Antragsgegner hält ihm entgegen, dass er sich auch in den folgenden Jahren bis 2006/Anfang 2007 nicht um die Vorlage von entsprechenden Nachweisen bemüht hat. Der Verweis des Antragstellers auf den Lagebericht D. des Auswärtigen Amtes vom 18. Mai 2007 führt insoweit nicht weiter. Denn darin wird nur allgemein darauf hingewiesen (vgl. S. 28), die Ausstellung von Reisedokumenten durch die E. Auslandsvertretungen verlaufe in vielen Fällen sehr schleppend.
Der Einwand des Antragstellers, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts habe er nicht einen E. Ausweis oder Reisepass im Original, sondern nur die Kopie seines Reisepasses aus einer Behördenakte vorlegen können, greift ebenfalls nicht durch. Wie sich bei einer Nachfrage bei der E. Botschaft herausgestellt hat, soll der Antragsteller dort zwar tatsächlich eine Kopie seines Reisepasses vorgelegt haben. Das befreit ihn aber nicht von dem Vorwurf, sich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht hinreichend um die Vorlage von geeigneten Personaldokumenten (im Original oder als Kopie) bemüht zu haben, obwohl dies möglich und auch erfolgversprechend war.
Soweit der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht die Schilderung des Antragstellers, wie er in den Besitz der Kopien seines Reisepasses gelangt sei, für nicht überzeugend gehalten haben, rechtfertigt das Beschwerdevorbringen keine andere Beurteilung. Vielmehr hält auch der Senat den diesbezüglichen Vortrag des Antragstellers für unglaubhaft. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller nicht über seine in D. lebende Mutter, zu der er offenbar bis zu deren Tod Anfang 2007 noch Kontakt hatte, die Beschaffung von Personaldokumenten hat veranlassen können. Der pauschale Verweis darauf, seine Mutter sei alt und gebrechlich gewesen, überzeugt insoweit nicht, zumal er nach den mit der Beschwerde nicht durchgreifend in Zweifel gezogenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts seine Personaldokumente in D. zurückgelassen hat. Ebenso wenig überzeugt es, wenn der Antragsteller geltend macht, letztlich sei es erst im April 2007 durch seinen Bruder, der in G. lebe und sich nur besuchsweise in D. aufgehalten habe, und unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts gelungen, Kopien seines Reisepasses aus einer Behördenakte zu fertigen. Denn aus dem Vortrag des Antragstellers erschließt sich nicht, weshalb vergleichbare Bemühungen nicht schon vorher unternommen werden konnten. Jedenfalls ist nicht davon auszugehen und wird mit der Beschwerde auch nicht geltend gemacht, dass der Bruder des Antragstellers sich in den letzten Jahren abgesehen von seinem Besuchsaufenthalt im Frühjahr 2007 nicht in D. aufgehalten hat. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die schriftliche Erklärung seines Bruders (vom 24.1.2008), die der Antragsteller seiner Beschwerdebegründung beigefügt hat, mit E. Stempeln versehen ist, auf denen als Ausstellungsort H. angegeben ist. Die vom Antragsteller vorgelegte Erklärung des von seinem Bruder beauftragten Rechtsanwalts (vom 25.1.2008) führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts. Die Erklärung beschränkt sich auf eine Bestätigung, dass der Rechtsanwalt aus der Akte der zuständigen Passbehörde in H. die Fotokopie des auf den Antragsteller ausgestellten Reisepasses erhalten und weitergeleitet habe. Zu anderen, insbesondere auch früheren Möglichkeiten der Beschaffung von Personaldokumenten verhält sich die Erklärung nicht.
Ob der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ferner entgegensteht, dass der Antragsteller sich im Februar 2000 für einige Tage außerhalb des Bundesgebietes aufgehalten hat, kann im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen dahinstehen.