Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.11.2011, Az.: 4 U 52/11

Anspruch des Meistbietenden im Zwangsversteigerungsverfahren auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung bei Unfähigkeit zur Zahlung der Zuschlagssumme

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.11.2011
Aktenzeichen
4 U 52/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 29837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:1130.4U52.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 05.04.2011 - AZ: 2 O 392/10

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2012, 99
  • ZfIR 2012, 40

Amtlicher Leitsatz

Ein nach Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren Berechtigter ist wegen unzulässiger Rechtsausübung und Sittenwidrigkeit gehindert, von dem Besitzer Nutzungsentschädigung zu verlangen, wenn der Zuschlag in dem Wissen bzw. der Absicht erwirkt wurde, die Zuschlagssumme nicht leisten zu können bzw. zu wollen.

In dem Rechtsstreit

N. P., ...,

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...,

gegen

1. H. S., ...,

2. R. S., ...,

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte zu 1., 2.:

Rechtsanwälte ...,

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2011 durch die Richter am Oberlandesgericht ... und ... sowie die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 5. April 2011 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und der Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

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II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

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Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Denn die Beklagten haben nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme i. V. m. den sonstigen unstreitigen Fallumständen zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass der Zeuge S. P. das Grundstück A. S. in der von vornherein gefassten Absicht ersteigert hat, die Zuschlagssumme nicht zu entrichten, sodass sich das Verlangen der Klägerin und Zessionarin auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung seitens der Beklagten als unzulässige Rechtsausübung darstellt.

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1. Mit Erteilung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren AG Z. 6 K 28/08 am 30. Juli 2009 ist der Zedent und Zeuge P. zwar Eigentümer des ersteigerten Grundbesitzes geworden. Dem Grunde nach konnten auf der Grundlage dieser formalen Eigentümerposition Ansprüche des Erstehers auf Nutzungsentschädigung nach § 987 BGB i. V. m. § 56 Satz 2 ZVG gegen die Beklagten als Nutzer des Grundstücks bestehen. Entsprechende Forderungen konnten auch Gegenstand der Abtretung an die Klägerin sein.

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Die formale Stellung des Zeugen S. P. als Grundstückseigentümer wegen Erwerbs durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung gemäß § 90 ZVG ist allerdings wie jede Rechtsposition in ihrem Gebrauch den Grenzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unterworfen und nur bei mit den guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) vereinbarer Ausübung gegeben. Auch im Zwangsversteigerungsrecht ist anerkannt, dass nicht nur das Gebrauchmachen von einem erteilten Zuschlag unzulässige Rechtsausübung darstellen kann (Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 71 Anm. 2.10, § 81 Anm. 9.6. § 93 Anm. 4. Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 71 Rn. 45 m. w. N.). Auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können im Zwangsversteigerungsverfahren Gebote, die von vornherein in der Absicht abgegeben werden, im Falle des Meistgebots darauf keine Zahlung leisten zu wollen, sittenwidriges Verhalten darstellen (BGH NJW 1979, 162, 163 [BGH 24.10.1978 - VI ZR 67/77] l. Sp.. NJW 2007, 3279, 3283 [BGH 10.05.2007 - V ZB 83/06]). Der Verstoß gegen Treu und Glauben bewirkt in einem solchen Fall in analoger Anwendung von § 138 BGB auch nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass das entsprechende Gebot unwirksam und deshalb zurückzuweisen ist (OLG Hamm Rpfleger 1995, 34, 35 r. Sp.. OLG Nürnberg Rpfleger 1999, 87 [OLG Nürnberg 23.09.1998 - 4 W 1810/98]. AG Dortmund Rpfleger 1994, 119 mit Anmerkung Stumpe. OLG Bremen Rpfleger 1999, 88. OLG Koblenz Rpfleger 1999, 407. LG Lüneburg Rpfleger 2007, 419 [LG Lüneburg 23.04.2007 - 4 T 131/06]).

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Hat der Ersteher bei Erwirken des Zuschlags für das Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren rechtsmissbräuchlich und sittenwidrig gehandelt, weil er das Grundstück von vornherein in der Absicht erwarb, die Zuschlagssumme nicht zu bezahlen, führt dies dazu, dass auch nach § 56 Satz 2 ZVG verpflichtete Besitzer das Verlangen des Erstehers nach Zahlung einer Nutzungsentschädigung als rechtsmissbräuchlich zurückweisen können. Denn mit einem solchen planmäßigen Vorgehen des Erstehers ist zwar möglicherweise in erster Linie eine Schädigung der die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger verbunden und auch beabsichtigt. Das ändert aber nichts daran, dass die in einem solchen Fall sittenwidrig erlangte Eigentümerstellung auch die Ausübung von Ansprüchen auf Nutzungsentschädigung gemäß § 56 Satz 2 ZVG hindert. Wer sittenwidrig handelt, der handelt nämlich, wie es der Bundesgerichtshof (NJW 79, 163 [BGH 24.10.1978 - VI ZR 67/77]) formuliert hat, "ohne Recht". Deshalb muss es auch den Beklagten als "an sich" zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegenüber dem Ersteher Verpflichteten erlaubt sein, dem Nutzungsbegehren den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen zu halten. Ob überdies rechtsmissbräuchliches Verhalten im Verhältnis zu den Beklagten auch deshalb anzunehmen ist, weil zumindest der Beklagte zu 1. aus den Gründen des Schriftsatzes der Beklagten vom 10. November 2011 Zinsschäden erleidet, kann offen bleiben.

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2. Die genannten Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Beklagten die tatsächlichen Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Zeugen P. darzulegen und zu beweisen haben. An die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Zwangsversteigerungsverfahren sind als Ausnahmefall auch strenge Anforderungen zu stellen. Der Senat ist jedoch nach Vernehmung des Zeugen S. P. und Anhörung der Klägerin im Senatstermin i. V. m. den sonstigen unstreitigen Fallumständen der Überzeugung, dass der Zeuge P. nie vorhatte, für das erworbene Grundstück die Zuschlagssumme zu entrichten und er hierzu auch damals bis heute nicht in der Lage war und ist.

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Denn unstreitig hat der Zeuge P. unter dem 23. Juni 2009 vor dem Amtsgericht Z. (6 M 385/09), also knapp einen Monat vor Erteilung des Zuschlags, die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Wie der Zeuge, der noch wenige Wochen vor Erteilung des Zuschlags ganz erhebliche - im nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten erster Instanz vom 1. April 2011 auf S. 3 (Bl. 66 d. A.) mit über 11 Mio. bezifferte - Schulden hatte, am 30. Juli 2009 wie geschehen eine Bietsicherheit von 11.000 € in bar und 82.000 € als Zuschlagssumme aufbringen will, ist aus sich heraus nicht verständlich und legt es eher nahe, dass trotz erbrachter Bietsicherheit die Zuschlagssumme von Anfang an nicht bezahlt werden sollte. Denn es fällt auf, dass es auch im vorangegangenen Zwangsversteigerungsverfahren L. trotz Leisten der Bietsicherheit schließlich zur Wiederversteigerung kam, sich die Abläufe also insoweit gleichen. Für die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, dass der Zeuge P. die Bezahlung der Zuschlagssumme von Anfang an nicht vorhatte, spricht auch der weitere unstreitige Umstand, dass diese Summe seit nunmehr immerhin über zwei Jahren bis heute nicht bezahlt ist. Eine nachvollziehbare Erklärung hierfür fehlt. Auch der Zeuge P. konnte im Rahmen seiner Vernehmung hierzu nur angeben, dass er gegen den Teilungsplan Einspruch eingelegt habe, woraus sich entsprechende Zeitverschiebungen ergäben.

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Bei alledem ist der Klägerin zuzugeben, dass - wie sie vor allem mit der Berufungsbegründung geltend macht - auch die spätere Entrichtung des Zuschlags rechtlich möglich sein mag. Es trifft auch zu, dass der Ersteher eines Grundstücks auch Eigentümer wird, ohne dass die Zuschlagssumme bereits entrichtet ist. Die Problematik des vorliegenden Falles besteht jedoch darin, dass aufgrund der vorstehend zusammengefassten Gründe erhebliche Verdachtsmomente dahin bestehen, dass der Zeuge P. die Zuschlagssumme von vornherein nicht bezahlen wollte, sodass sich wegen dieses arglistigen Planes die Ausübung seiner Rechte sich als rechtsmissbräuchlich darstellt. Dieser Verdacht erhärtet sich weiter dadurch, dass nach dem Ergebnis der Anhörung der Klägerin als Partei i. V. m. der Aussage ihres Ehemannes S. P. als Zeugen zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Klägerin und ihr Ehemann weder im Jahre 2009 noch heute finanziell überhaupt in der Lage sind, die Zuschlagssumme aufzubringen.

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Denn der Zeuge S. P. hat im Senatstermin vom 1. November 2011 zwar eine schriftliche Zusage seines Arbeitgebers vom 24. Oktober 2011 (Kopie Bl. 144 d. A.) vorgelegt. Diese Bestätigung betrifft aber schon nicht etwa ein dem Zeugen S. P. seit längerem gewährtes Darlehen, sondern die Bestätigung der Bereitschaft seines Arbeitgebers, ihm künftig ein solches zu gewähren. Es liegt nahe, dass die Bestätigung vom 24. Oktober 2011 erst zur Vorbereitung der Aussage des Zeugen vor dem Senat am 1. November 2011 angefertigt wurde. Selbst wenn ihr Inhalt jedoch der Wahrheit entspricht und die N. GmbH tatsächlich fest beabsichtigt, dem Zeugen P. demnächst ein Darlehen über 80.000 € zu gewähren, müsste der Zeuge darauf nach der Bestätigung monatlich künftig 750 € bei einem eigenen Arbeitseinkommen von nur 800 € abzahlen, sodass dem Zeugen wegen der Ratenzahlungsverpflichtung für dieses Darlehen kein eigenes wesentliches Einkommen mehr verbliebe. Die Klägerin hat zwar im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung ausgesagt, dass sie ebenfalls als Arbeitnehmerin der N. GmbH weitere ca. 1.500 € netto monatlich verdiene, und außerdem von ihrer Familie unterstützt werde sowie noch über weiteres Eigenkapital verfüge. Dass es der Klägerin und ihrem Ehemann mit zwei kleinen Kindern deshalb möglich sein soll, entsprechend ihren Ausführungen "ohne Probleme" auch größere Beträge noch aufzubringen, ist gleichwohl nicht nachvollziehbar. Der Senat kann dies weder der Klägerin noch dem Zeugen glauben, da beide immerhin auch noch nach eigenem Vorbringen in der Vergangenheit Wohnungsmiete gezahlt haben und zumindest derzeit noch zahlen müssen.

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Deshalb kann dem Zeugen und der Klägerin nicht abgenommen werden, dass beide auch bei finanzieller Mithilfe durch Angehörige wirtschaftlich in der Lage und willens waren und sind, bei Aufnahme eines Darlehens zu den Bedingungen in der vorgelegten Bescheinigung überhaupt noch eine wirtschaftliche Lebensgrundlage hätten. Vielmehr ist der Senat aufgrund der aufgezeigten Umstände und nach dem Ergebnis der durchgeführten Vernehmung des Zeugen P. der Überzeugung, dass die Zahlung der Zuschlagssumme des ersteigerten Grundstücks von ihm entsprechend einem vorgefassten Plan nie beabsichtigt war. Dass die Bietsicherheit über 11.000 € in bar entrichtet wurde, steht dem nicht entgegen, sondern wäre eben wie im Vorverfahren L. gerade Teil dieses Planes, weil ohne diese Bietsicherheit der Zuschlag erst gar nicht hätte erwirkt werden könnten. Es kann deshalb auch unterstellt werden, dass entsprechend den Ausführungen des Zeugen P. diese 11.000 € von einem Gesellschafter des Arbeitgebers dem Zeugen ebenfalls darlehensweise zur Verfügung gestellt und die Rückzahlung bis heute gestundet ist, wenngleich auch diese Angaben des Zeugen im Übrigen unbestimmt geblieben sind.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache i. S. v. § 543 Abs. 2 ZPO keine grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.