Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.11.2011, Az.: 15 WF 230/11
Versagung der Verfahrenskostenhilfe für das auf Feststellung der Vaterschaft ihrer Kinder gerichtetes Abstammungsverfahren wegen einer Verfahrensbeistandschaft der Kinder seitens des Jugendamts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.11.2011
- Aktenzeichen
- 15 WF 230/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 33815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:1117.15WF230.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Cuxhaven - 05.09.2011 - AZ: 11 F 1268/11
Rechtsgrundlagen
- § 114 ZPO
- § 640e Abs. 1 ZPO a.F.
Fundstellen
- FamFR 2012, 47
- FamRZ 2012, 467
- FuR 2012, 147-148
- JAmt 2012, 165-167
- NJW 2012, 466-468
- ZKJ 2012, 78-79
Redaktioneller Leitsatz
1.
Im Statusverfahren kommt den Erfolgsaussichten der eigenen Rechtsverfolgung eines weiteren Verfahrensbeteiligten keine entscheidende Bedeutung zu, weil über die Abstammung grundsätzlich nur im gerichtlichen Verfahren entschieden werden kann.
2.
Hinsichtlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auf eine am konkreten Einzelfall orientierte Notwendigkeitsprüfung abzustellen, die den Umfang und die Schwierigkeit der konkreten Sache und die Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken, berücksichtigt und den nicht mehr geregelten Grundsatz der Waffengleichheit einbezieht.
3.
Die Rechte der Mutter des Kindes sind unmittelbar betroffen, wenn der als Vater in Anspruch genommene Mann seine Vaterschaft bestreitet, sodass bei widerstreitenden Interessen im Vaterschaftsfeststellungsverfahren die Beiordnung eines Rechtsanwalts regelmäßig geboten ist.
In der Familiensache
betreffend die Abstammung (hier: Feststellung der Vaterschaft)
Beteiligte:
1. C. H., geb. am ..., vertreten durch den Landkreis C, Amt für Jugend und Soziales, ... , als Beistand, Geschäftszeichen: ...
2. D.H., geb. am ..., vertreten durch den Landkreis C, Amt für Jugend und Soziales, ..., als Beistand Geschäftszeichen: ...
3. D.H., ...
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. in C, Geschäftszeichen: ...
4. C. K., zuletzt wohnhaft..., derzeit unbekannten Aufenthalts,
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3 vom 14. September 2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Cuxhaven vom 5. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B. sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und Dr. M. am 17. November 2011
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Beteiligten zu 3 wird ratenlose Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., C., bewilligt.
Gründe
1. Das Amtsgericht hat der Beteiligten zu 3 im angefochtenen Beschluss Verfahrenskostenhilfe für das auf Feststellung der Vaterschaft ihrer Kinder gerichtete Abstammungsverfahren mit der Begründung versagt, dass das Jugendamt das Verfahren als Beistand der Kinder betreibe und daher der Antrag mutwillig sei, weil ein nicht auf Verfahrenskostenhilfe angewiesener Beteiligter nicht diesen "doppelgleisigen Weg wählen" würde, neben der kostenfreien Beistandschaft die kostenpflichtige Vertretung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. In dem von Amts wegen geführten Verfahren würden nach der Anhörung der Beteiligten zu 3 von ihr keine weiteren Aktivitäten abgefordert. Da keinerlei schwierige Sach- und Rechtslage bestehe, komme auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Betracht.
2. Die gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts hinsichtlich eines mutwilligen Verhaltens der Beteiligten zu 3 nicht und geht für das Abstammungsverfahren grundsätzlich nicht von einer einfachen Sach- und Rechtslage aus.
Nach dem bis zum August 2009 geltenden Verfahrensrecht war in dem vom Kind betriebenen Vaterschaftsfeststellungsverfahren die Mutter des Kindes gemäß § 640e Abs. 1 ZPO a.F. beizuladen und konnte dem Verfahren aus Seiten des Kindes oder des als Vater in Anspruch genommenen Beklagten zur jeweiligen Unterstützung beitreten. Ob in einer solchen Situation der beitretenden Kindesmutter Prozesskostenhilfe für das kontradiktorische Verfahren zu bewilligen war, wurde unterschiedlich beurteilt und teilweise danach differenziert, ob die Beitretende selbständig sachdienliche Beiträge zur Durchsetzung der Kindesinteressen leisten will (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1506; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., Rn. 54 zu § 114 ZPO m.w.Nw.; ohne Beschränkung OLG Düsseldorf FamRZ 2001, 1467).
Durch das seit September 2009 geltende FamFG wurden die Abstammungssachen vom kontradiktorischen Verfahren der ZPO in ein einseitiges Antragsverfahren ohne formalen Gegner überführt (BT-Drs 16/6308, S. 243). An diesem Verfahren sind gemäß § 172 Abs. 1 FamFG das Kind, die Mutter sowie der rechtliche oder potentielle Vater zwingend zu beteiligen. Bereits vor dem Hintergrund dieser verfahrensrechtlichen Neukonzeption kann die bisher (teilweise) restriktiv erfolgte Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter dem Gesichtspunkt "eigener sachdienlicher Beiträge" nicht fortgeführt werden (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/ Schwonberg, FamFG, 2. Aufl., Rn. 26 zu § 171 FamFG). Die Beteiligte zu 3 wählt daher auch nicht einen doppelgleisigen Weg, weil neben der eigenen Verfahrensbeteiligung die Kinder (Beteiligte zu 1 und 2) vorliegend im Verfahren durch das Jugendamt als Beistand gemäß §§ 1712 BGB, 173 FamFG vertreten werden.
Im Statusverfahren kommt den Erfolgsaussichten der eigenen Rechtsverfolgung eines weiteren Verfahrensbeteiligten, die mit der des Antragstellers übereinstimmen kann, keine entscheidende Bedeutung zu, weil über die Abstammung grundsätzlich nur im gerichtlichen Verfahren entschieden werden kann (vgl. BGH FamRZ 2005, 1477, 1478 [zur Aufhebung einer Scheinehe]). Nach ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist die Beteiligte zu 3 verfahrenskostenhilfebedürftig i.S.v. § 115 ZPO, sodass ihr für das Verfahren auch bei gleichgerichtetem Feststellungsinteresse Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist.
Hiervon zu unterscheiden ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Nach § 78 Abs. 2 FamFG wird dem Beteiligten ein Rechtsanwalt beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FuR 2010, 568 = FamRZ 2010,1427) ist hierzu auf eine am konkreten Einzelfall orientierte Notwendigkeitsprüfung abzustellen, die den Umfang und die Schwierigkeit der konkreten Sache und die Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken, berücksichtigt und den nicht mehr geregelten Grundsatz der Waffengleichheit (vgl. OLG Bremen FamRZ 2010, 1362) einbezieht. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass den Beteiligten im Abstammungsverfahren bereits wegen dessen existentieller Bedeutung (Beschluss vom 8.9.2010 - 15 WF 228/10; OLG Dresden FamRZ 2010, 2007 f) und der Verfahrensausgestaltung ein Rechtsanwalt beizuordnen ist (vgl. Helms/Kienin-ger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis, Rn 264; Grün, Vaterschaftsfeststellung und -anfechtung, 2. Aufl., Rn 162 f.; Prütting/Helms/Stößer, FamFG, 2. Aufl., Rn. 6 zu § 78 FamFG [für den Antragsgegner]; Übersicht bei Büte FPR 2011, 356, 359 f.; a.A. Musielak/Borth, FamFG, 2. Aufl. Rn. 10 zu § 78). Darüber hinaus sind die Rechte der Mutter des Kindes unmittelbar betroffen, wenn der als Vater in Anspruch genommene Mann seine Vaterschaft bestreitet sodass bei widerstreitenden Interessen im Vaterschaftsfeststellungsverfahren die Beiordnung eines Rechtsanwalts regelmäßig geboten ist (vgl. OLG Hamm FamRZ 2010, 1363 f; OLG Schleswig FamRZ 2011, 388).
Soweit das OLG Oldenburg (FamRZ 2011, 914 f.) den gegenteiligen Standpunkt vertritt, folgt der Senat dem nicht. Wie sich die Sachlage im Laufe des Verfahrens entwickelt, lässt sich bei dessen Beginn bzw. im Zeitpunkt der jeweiligen Bewilligungsreife häufig nicht absehen. Daher kommt es nicht nur darauf an, dass - wie das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss und das OLG Oldenburg meinen -durch die Anhörung der Kindesmutter festzustellen ist, ob es zwischen dieser und dem beteiligten Mann in der gesetzlichen Empfängniszeit zum Geschlechtsverkehr gekommen ist. Diese im Rahmen des Erörterungstermins nach § 175 Abs. 1 FamFG zu klärende Frage ist zwar für die Anordnung bzw. Durchführung der Beweisaufnahme durch ein Abstammungsgutachten von wesentlicher Bedeutung. Wie das vorliegende Verfahren zeigt, kann sich die Sachlage dadurch unerwartet entwickeln, dass der als Vater in Anspruch genommene Beteiligte zu 4, nachdem ihm die Anträge beider Kinder sowie die Ladung zum Erörterungstermin noch am 3. und 6. August 2011 zugestellt werden konnten, weder zum Erörterungstermin am 7. September 2011 erschienen ist noch für den Sachverständigen unter seiner bekannten Anschrift zu erreichen war, obwohl er auf die Anfragen des Jugendamtes noch geantwortet hatte. Auch wenn das Abstammungsverfahren von der Amtsermittlung geprägt ist, kann es den Verfahrensbeteiligten nicht verwehrt werden, auf die Verfahrensführung durch Anregungen und Hinweise Einfluss zu nehmen. Dies ist der Beteiligten zu 3 ohne anwaltliche Beratung und Vertretung indes nicht möglich. So könnte vorliegend der Hinweis in Betracht kommen, dass anstelle des Beteiligten zu 4, sofern dessen Aufenthalt auf längere Zeit trotz der insoweit gebotenen Ermittlungen nicht festgestellt werden kann, dessen nahe Verwandte in die Begutachtung gemäß § 178 Abs. 1 FamFG einbezogen werden können (vgl. Schulte-Bunert/Wein-reich/Schwonberg, FamFG, 2. Aufl., Rn. 8 zu § 177 FamFG).
Dass die Abstammungsgutachten sowohl vom Aufbau wie von der Formulierung ihres Ergebnisses her auch für einen juristischen Laien ohne Vorkenntnisse verständlich und nachvollziehbar sind (so OLG Oldenburg FamRZ 2011, 914, 195), trifft für den Regelfall nach den Erfahrungen des Senats zu. Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife lässt sich dies jedoch nicht zuverlässig beurteilen. Stehen die Angaben der Mutter des Kindes und das Ergebnis des Gutachtens in Widerspruch, ist eine kritische Überprüfung des Sachverständigengutachtens nebst den zu dokumentierenden Identitätsfeststellungen, die den Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten (FamRZ 2002, 1159 ff.) entsprechen müssen, erforderlich. Auch hieraus kann sich eine nicht einfache Rechtslage ergeben, die die Beiordnung eines Rechtsanwalts rechtfertigt. Dabei kann der betreffende Verfahrensbeteiligte nicht darauf verwiesen werden, einen Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts erst zu dem Zeitpunkt zu stellen, in dem mögliche Schwierigkeiten im konkreten Verfahren zutage treten.
Unter Berücksichtigung der existentiellen Bedeutung und der verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten erscheint daher im Regelfall die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich i.S.v. § 78 Abs. 1 FamFG.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die mit Beschluss vom 3. August 2011 erfolgte Verbindung der Verfahren 11 F 1268/11 (bezogen auf die Beteiligte zu 1) und 11 F 1269/11 (bezogen auf den Beteiligten zu 2) mit der Regelung des § 179 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht in Einklang steht. Danach können Abstammungssachen, die dasselbe Kind betreffen, miteinander verbunden werden. Abgesehen von einer Unterhaltssache nach § 237 FamFG ist im Übrigen eine Verbindung von Abstammungssachen miteinander oder mit anderen Verfahren nicht zulässig (§ 179 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 FamFG). Hieraus folgt, dass über die Abstammung von Geschwistern nicht in einem, sondern in jeweils gesonderten Verfahren zu entscheiden ist (vgl. Prütting/Helms/Stößer, FamFG, 2. Aufl., Rn. 1 zu § 179 FamFG; MünchKommZPO/ Coester-Waltjen/Hilbig, Rn. 6 zu § 179 FamFG; Keidel/Engelhardt, FamFG, 17. Aufl. Rn. 2 zu § 179; Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, FamFG, 3. Aufl., Rn. 6 zu § 179 FamFG).