Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.02.1997, Az.: 2 U 133/96
Berücksichtigung von Reserveursachen in Anlagefällen; Einsturz einer Lagerhalle durch Überfüllung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 05.02.1997
- Aktenzeichen
- 2 U 133/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0205.2U133.96.0A
Fundstellen
- BauR 1999, 781-782 (Volltext mit amtl. LS)
- IBR 1999, 256 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- NJW-RR 1999, 312 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1999, 21-22
Entscheidungsgründe
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist nicht bewiesen, dass der Einsturz der südlichen Giebelwand der Halle auf ein Zusammenwirken von drei Ursachen zurückzuführen ist, nämlich einer fehlerhaften Konstruktionszeichnung, einer zu geringen Eindringtiefe der Schrauben in die Hakenkopf-Gewindeplatten und einer zu hohen Aufschüttung des Getreides. Zwar hat sich der Sachverständige E im Gutachten vom 11.08.1993 in diesem Sinn ausgesprochen. Bei seiner Anhörung vor dem Landgericht hat er jedoch seine Beurteilung modifiziert. Er hat dort ausgeführt: Bei der tatsächlichen Konstruktion und der von ihm ermittelten mangelhaften Ausführung wäre schon bei planmäßiger Aufschüttung bis 6 m mit einem Versagen der Konstruktion "zu rechnen" gewesen; bei einer Schütthöhe von 8 m wäre der Giebel "mit Sicherheit " eingestürzt; bei einer Aufschüttung des Getreides bis zu einer Höhe von 11 m wäre auch bei ordnungsgemäßer Konstruktion und ordnungsgemäßer Ausführung alles zusammengestürzt. Unter diesen Umständen kann nicht ohne weiteres von einer Gesamtkausalität (vgl. MüKo-Grunsky, 3. Aufl., Vor § 249 Rdnr. 50; Palandt/Heinrichs, 56. Aufl., Vorbemerkung vor § 249 Rdnr. 86) der in Betracht kommenden Fehler ausgegangen werden, wie das Landgericht es angenommen hat. Vielmehr steht danach zur Diskussion, ob überhaupt die Mängel der Konstruktionszeichnung, die die Beklagten zu 1) und 2) - wie der Senat unterstellt - zu vertreten haben, bei einer planmäßigen Aufschüttung auf 6 m den konkreten Schaden, den Einsturz der südlichen Giebelwand, verursacht haben und ob dieser Schaden infolge des Ausmaßes der vom Kläger veranlassten Füllung der Halle nicht ohnehin, d. h. auch bei ordnungsgemäßer Planung und Ausführung, eingetreten wäre.
Die erste Alternative hält der Senat nicht für bewiesen: Nach den Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung war bei Annahme der genannten Fehler und planmäßiger Auffüllung der Halle bis 6 m Höhe lediglich mit einem Versagen der Konstruktion "zu rechnen", während der Giebel bei einer Schütthöhe von 8 m "mit Sicherheit" eingestürzt wäre. Aus dieser Abstufung folgt, dass der Sachverständige den Eintritt des Schadens auch bei einer Füllhöhe von 6 m nicht mit Sicherheit feststellen konnte.
Aber auch wenn die Kausalität zwischen der mangelhaften Planung und Ausführung und dem Eintritt des Schadens bei einer Schütthöhe von 6 m unterstellt wird, ist die Klage nicht begründet, weil der Kläger nicht die zu seiner Darlegungs- und Beweislast stehende konkrete Möglichkeit ausgeschlossen hat, dass der Schaden auch bei ordnungsgemäßer Konstruktion und sachgerechter Ausführung infolge zu hoher Anschüttung des Getreides eingetreten wäre.
In Rechtsprechung und Literatur besteht Übereinstimmung darin, dass derartige Reserveursachen in den so genannten "Anlagefällen" zu berücksichtigen sind. Bestand bei Eintritt des schädigenden Ereignisses eine der geschädigten Sache innewohnende Schadensanlage, die zu dem gleichen Schaden geführt hätte, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf die durch den früheren Schadenseintritt bedingten Nachteile (vgl. BGHZ 29, 207, 215 [BGH 22.01.1959 - III ZR 148/57]; BGHZ 20, 280 [BGH 19.04.1956 - III ZR 26/55]; Palandt/Heinrichs, a.a.O. Rdnr. 99; Staudinger-Medicus, 13. Bearbeitung, § 249 Rdnr. 103; Grunsky a.a.O. Rdnr. 80). So ist es auch hier. Die Halle war bestimmungsgemäß nur für eine Befüllung bis 6 m Höhe geeignet, wobei dahinstehen kann, ob zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) vereinbart war, dass die Schütthöhe an der Wand 6 m und nach einem waagerechten Streifen von 4 m in der Mitte bis zu 8 m betragen sollte. Jedenfalls war die Halle nach ihrer Konstruktion und Anlage nicht geeignet, eine Aufschüttung bis zu einer Höhe von 11 m aufzunehmen; bei dieser Höhe wäre es nach den Ausführungen des Sachverständigen auch bei ordnungsgemäßer Konstruktion und sachgerechter Ausführung zum Einsturz gekommen.
Die Höhe des eingefüllten Getreides hat vorliegend der Kläger darzutun und zu beweisen, und dazu fehlt - trotz eines entsprechenden Hinweises im Senatstermin am 30.10.1995 - jeder Vortrag. Zwar hat grundsätzlich der "Erstschädiger" den Eintritt einer ihn entlastenden Reserveursache zu beweisen (BGHZ 29, 207, 215 [BGH 22.01.1959 - III ZR 148/57]; Staudinger- Medicus, a.a.O. Rdnr. 102 m.w.N.). Diesen Beweis haben indes die Beklagten zu 1) und 2) geführt, soweit er von ihnen verlangt werden kann. Denn - wie ausgeführt - ist durch die Feststellungen des Sachverständigen bewiesen, dass die Halle bei einer Auffüllung mit Getreide ab einer Höhe von 11 m auf jeden Fall eingestürzt wäre. Über die tatsächliche Füllhöhe können die Beklagten nach Lage der Dinge keine Angaben machen; vielmehr greift insofern der Grundsatz, dass denjenigen die Darlegungs- und Beweislast trifft, in dessen Verantwortungsbereich das entsprechende Geschehen fällt (vgl. Palandt/Heinrichs a.a.O., § 282 Rdnr. 10 ff, m.w.N.). Das ist der Bereich des Klägers. Nur er kann wissen, welche Mengen Getreide tatsächlich vor dem Einsturz in der Halle eingelagert waren.
Der Senat hat diese Frage im Termin angesprochen und den Kläger insofern zu ergänzendem Vortrag aufgefordert; denn eine Reihe von Umständen bietet Anlass zu der Annahme, dass die Halle erheblich überfüllt war. Der Sachverständige hat bereits in seinem Gutachten vom 11.08.1993 darauf hingewiesen, dass das Getreide mit sehr großer Wahrscheinlichkeit höher angefüllt war, als der Sicherheitsnachweis der Halle zuließ. Ferner hat der Zeuge M vor dem Landgericht bekundet, er habe - zu einem derzeit nicht feststehenden Zeitpunkt - vom Förderband aus das Dach überprüft; er habe von dem ca. 14 m hohen Förderband aus das Getreide betreten können und umgekehrt. Zudem soll nach der Aussage dieses Zeugen die Ehefrau des Klägers erklärt haben, "alles rein, was rein geht, jede Fuhre bringt Geld". Schließlich lassen die im ersten Rechtszug überreichten Fotografien (Band 2 hinter Bl. 134 d.A.) von der Halle mit der eingestürzten Giebelwand und dem ausgelaufenen Getreide auch für einen technischen Laien den Eindruck aufkommen, dass die Halle erheblich überfüllt war.
Unter diesen Umständen stand es zur Darlegungslast des Klägers, die tatsächliche Füllhöhe oder jedenfalls Menge des eingelagerten Getreides anzugeben, da nur er dazu in der Lage war. Der Senat hat den Klägervertreter dazu im Termin - im Zusammenhang mit dem aus anderen Gründen nachgelassenen Schriftsatz - aufgefordert, und zwar mit der auch angesprochenen Absicht, bei entsprechendem Vorbringen die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Gleichwohl hat der Kläger nichts in dieser Richtung vorgetragen, sondern, wie sich aus Abschnitt I des Schriftsatzes vom 27.11.1996 ergibt, insoweit jede - ihm mögliche (!) -Aufklärung letztlich ausdrücklich verweigert.
Die Klage ist daher abzuweisen, denn der Kläger verlangt (nur) Ersatz für die Umlagerung des Getreides, für den Verderb eines Teils des Getreides und die Wiedererrichtung der eingestürzten Giebelwand. Eine Ersatzpflicht für einen eventuellen früheren Schadenseintritt steht nicht zur Diskussion. Auch das ist angesprochen worden. - Ferner macht der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit keinen Anspruch wegen der Kosten für die Nachbesserung der falsch konstruierten unteren Verankerung der Zugstangen geltend.