Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.10.2008, Az.: L 1 R 152/08
Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der Technischen Intelligenz (AVIntech) nach dem Anspruchs- und Anwartschafts-Überführungsgesetz (AAÜG) als Rechts- und Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten; Fehlen der erforderlichen betrieblichen Voraussetzungen zum maßgeblichen Stichtag für den Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVIntech
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.10.2008
- Aktenzeichen
- L 1 R 152/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 33581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:1028.L1R152.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 10.12.2007 - AZ: S 9 RA 2/03
Rechtsgrundlage
- § 160 Abs. 2 SGG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt als Rechts- und Sonderrechtsnachfolgerin nach ihrem verstorbenen Ehegatten die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der Technischen Intelligenz (AVIntech) nach dem Anspruchs- und Anwartschafts-Überführungsgesetz (AAÜG).
Der am 21.07.2004 verstorbene Ehegatte der Klägerin, Herr G. (Verstorbener), wurde im Jahre 1933 in der ehemaligen DDR geboren und verbrachte dort sein Berufsleben. Er hatte 1958 ein Studium in der Fachrichtung Bergbau an der Bergakademie H. in I. mit dem akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurs abgeschlossen und war danach in unterschiedlichen Funktionen jeweils in einem volkseigenen Betrieb (VEB) tätig, zuletzt VEB Braunkohlenkombinat "J.". Danach war er vom 01.01.1984 bis zum 28.02.1991 als Leiter der Analysegruppe bei der "Bergsicherung des Bezirks Halle" sowie ab 01.03.1991 bis Ende 1993 als Leiter der Analysegruppe beim Bergamt K. beschäftigt. Ausweislich des Sozialversicherungsausweises war er dabei seit 1980 bis zum 30.06.1990 zusätzlich in der freiwilligen Zusatzversicherung (FZR) zusätzlich altersversichert.
Nachdem der Verstorbene bereits seit 1994 im Rente bezogen hatte, beantragte er im November 2000 die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum AVIntech nach dem AAÜG, und zwar unter Bezugnahme auf ein Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), nach dem auch solche Versicherte die Feststellung - nachträglich - beanspruchen könnten, die zu Zeiten der ehemaligen DDR nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen worden seien.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 07.06.2002, mit dem die Beklagte die begehrte Feststellung mit der Begründung ablehnte, dass der Verstorbene am Stichtag des 30.06.1990 keine zur Feststellung berechtigende Beschäftigung ausgeübt habe, erhob der Verstorbene mit der Begründung Widerspruch, dass seine am 30.06.1990 ausgeübte Beschäftigung sehr wohl in den Anwendungsbereich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG falle. Zur Glaubhaftmachung legte er zahlreiche Unterlagen vor.
Die Beklagte holte eine Auskunft der L. GmbH (Archiv- und Dokumentationszentrum M.) über das vom Verstorbenen erzielte sozialversicherungspflichtige Entgelt ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2002 mit der Begründung zurück, dass der Verstorbene im Juni 1990 als Ingenieur weder in einem VEB noch in einem einem VEB gleichgestellten Betrieb tätig gewesen sei.
Mit seiner hiergegen am 07.01.2003 vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhobenen Klage haben zunächst der Verstorbene und später die Klägerin, ergänzend geltend gemacht, dass der frühere Vorgesetzte des Verstorbenen, Herr N., in einem privatschriftlichen Schreiben ausdrücklich bestätigt habe, dass die von den Mitarbeitern der Bergsicherung zurückgelegten Versicherungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVIntech festzustellen seien. Die Begründung ergäbe sich daraus, dass es sich bei der Bergsicherung zwar um eine Art Behörde, jedoch ohne hoheitliche Aufgaben gehandelt habe, die vielmehr in den VEB Braunkohlenkombinat integriert gewesen sei. Denn das Braunkohlenkombinat habe sich zwar einerseits mit der Förderung der Braunkohle beschäftigt, andererseits habe jedoch auch eine Pflicht zur Verkehrssicherung bzw. Renaturierung der in Anspruch genommenen Flächen bestanden. Dafür habe jedes Kombinat ein so genanntes wissenschaftlich technisches Zentrum betrieben, in das auch die Bergsicherung des Bezirks K. integriert gewesen sei. Hierfür würden Zeugenaussagen früherer Mitarbeiter der Bergsicherung angeboten. Damit aber sei der Kläger als Diplom-Ingenieur in einem VEB, mindestens jedoch in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen. Seine Bestätigung finde diese Beschäftigung darin, dass der Verstorbene ausweislich der vorgelegten Arbeitsverträge einem Rahmenkollektivvertrag unterworfen gewesen sei, wie er gerade für die Arbeitnehmerschaft in einem VEB gegolten habe. Zur Glaubhaftmachung haben der Verstorbene bzw. die Klägerin weitere Unterlagen vorgelegt.
Die Beklagte hat vor dem SG erwidert, dass es sich bei der Bergsicherung K. um eine nachgeordnete Einrichtung des Rates des Bezirkes K. gehandelt habe, die als staatliche Einrichtung nach dem Wortlaut der für die beantragte Einbeziehung maßgeblichen 2. Durchführungsbestimmung gerade nicht zu den einem VEB gleichgestellten Betrieben gehört habe. Dies sei inzwischen von mehreren Landessozialgerichten entschieden worden. Zur Glaubhaftmachung hat die Beklagte mehrere Urteile von Landessozialgerichten (LSG) vorgelegt.
Das SG hat eine Auskunft des Landesamtes für Geologie und Bergwesen des Landes Sachsen-Anhalt eingeholt, das unter dem 03.04.2003 im Einzelnen erklärte, bei der Bergsicherung habe es sich um eine nachgeordnete Einrichtung des Rates des Bezirkes K. und somit um eine "staatliche Institution" gehandelt. Hier sei der Verstorbene bis zum 28.02.1991 beschäftigt gewesen, im Anschluss sei er vom Bergamt K. (jetzt: Landesamt für Geologie und Bergwesen) übernommen worden.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.12.2007 abgewiesen und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt, dass der Verstorbene zum maßgeblichen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Stichtag des 30.06.1990 nicht in den Anwendungsbereich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG gefallen sei. Denn am Stichtag habe er weder über eine Versorgungszusage verfügt noch sei eine nachträgliche Einbeziehung, etwa durch das Rehabilitierungsgesetz, erfolgt und auch nicht ersichtlich, dass zu Zeiten der ehemaligen DDR eine Versorgungszusage zu Gunsten des Verstorbenen bestanden habe, die wieder erloschen wäre. Schließlich handele es sich bei der Bergsicherung K. auch nicht um einen VEB oder einen einem VEB gleichgestellten Betrieb. Denn die Bergsicherung sei in der maßgeblichen 2. DB zur AVIntech nicht aufgeführt. Es habe sich ausweislich der Auskunft des Landes Sachsen-Anhalt vielmehr um eine staatliche Einrichtung gehandelt.
Gegen das ihr am 14.02.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.02.2008 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der diese ergänzend geltend macht, dass der Verstorbene am 30.06.1990 nicht bei der Bergsicherung des Bezirks K., sondern bei dem VEB Braunkohlenkombinat beschäftigt gewesen, da die Bergsicherung integraler Bestandteil des VEB gewesen sei. Dies sei durch Einholung von Auskünften, Vernehmung von Zeugen sowie Einholung von Sachverständigengutachten zu ermitteln. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob die Beschäftigung bei einem "VEB" erfolgt sei. Maßgeblich sei vielmehr, dass die Beschäftigungsstelle im sozialistischen Eigentum gestanden habe. Dies gelte sowohl für den VEB als auch für die Bergsicherung.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. Dezember 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zur verurteilen, die Zeit vom 1. Juli 1958 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend, bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG und macht geltend, dass nach der Rechtsprechung des BSG ausschließlich auf den Wortlaut der 2. DB zur AVIntech abzustellen sei, nach dem die Bergsicherung gerade nicht zu den einem VEB gleichgestellten Betrieben gehöre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet, eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten vorher hierzu angehört worden sind.
Die Berufung ist entsprechend § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft und im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Zeiten als Zeiten der Zugehörigkeit ihres verstorbenen Ehegatten zur Altersversorgung der technischen Intelligenz und der Feststellung der in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte. Weder das Urteil des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, die vorliegenden Unterlagen zutreffend gewürdigt und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass es im Fall des Verstorbenen zum maßgeblichen Stichtag des 30. Juni 1990 - unabhängig vom Vorliegen der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen - jedenfalls an den betrieblichen Voraussetzungen fehlte, die nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG für den Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVIntech erforderlich sind. Insbesondere hat das SG die Stichtagsregelung des 30. Juni 1990 zutreffend für verfassungsmäßig erachtet (vgl. Senat , z.B. Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juni 2008 - L 1 R 370/05 -). Ebenso zutreffend hat das SG bei der Anwendung der 2. DB vom 24.05.1951 (Gesetzesblatt der DDR Nr. 62, S. 487) ausschließlich den Wortlaut angewendet, auf den es nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG allein ankommt (vgl. nur: BSG, Urteil vom 07.09.2006, B 4 RA 39/05 R). Schließlich hat das SG auch richtig entschieden, dass die Bergsicherung des Bezirks K., bei der der Verstorbene am 30.06.1990 beschäftigt war, nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 der 2. DB nicht zu dem den VEB gleichgestellten Betrieben gehörte. Dies wird mit der Berufung auch nicht angegriffen.
Soweit in der Berufung geltend macht wird, es komme im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Voraussetzung nach dem AAÜG nicht auf die Unternehmensform des "VEB", sondern allein darauf an, dass der in Rede stehende Betrieb im sozialistischen Eigentum stehe (was sowohl für das VEB Braunkohlekombinat als auch für die Bergsicherung gelte), ist diese Auffassung nach der zitierten Rechtsprechung des BSG unzutreffend. Maßgeblich ist der Wortlaut der genannten Vorschriften und damit die Unternehmensform gerade des VEB.
Sofern außerdem geltend gemacht wird, der Verstorbene sei am 30.06.1990 nicht bei der Bergsicherung des Bezirks K., sondern bei dem VEB Braunkohlenkombinat beschäftigt gewesen, da die Bergsicherung integraler Bestandteil des VEB gewesen sei, steht diese Auffassung zu den vorliegenden, konkret den Verstorbenen betreffenden Unterlagen und zur Volkswirtschaftssystematik der ehemaligen DDR in Widerspruch.
Maßgeblicher Betrieb für die Beurteilung der Einbeziehung in die AVIntech (betriebliche Voraussetzung) ist der jeweilige konkrete Beschäftigungsbetrieb (Nachweise bei: LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 24.04.2008, L 1 R 42/06). Als Beschäftigungsbetrieb des Verstorbenen wurde sowohl vom Landesamt für Geologie und Bergwesen des Landes Sachsen-Anhalt in seiner Auskunft als auch durch die vom Verstorbenen bzw. der Klägerin vorgelegten Arbeitsverträge des Verstorbenen im Jahre 1990 ausschließlich die Bergsicherung des Bezirks K. angegeben, nicht aber ein/das VEB Braunkohlenkombinat. So heißt es in der Auskunft des Landesamtes für Geologie und Bergwesen ausdrücklich, dass der Verstorbene "vom 01.10.1984 bis 28.02.1991 bei der Bergsicherung K. beschäftigt" gewesen sei. Im Anschluss sei er "als Bediensteter vom Bergamt K. übernommen" worden. Der Arbeitsvertrag, der am 30.06.1990 für den Verstorbenen maßgeblich war, datiert vom 01.10.1984 und wurde geschlossen zwischen dem Verstorbenen und der "Bergsicherung des Bezirkes K.". Einen Arbeitsvertrag mit einem VEB hatte der Verstorbene lediglich für die vorliegend nicht maßgebliche Zeit bis 1984 geschlossen, nämlich am 09.09.1968 mit dem VEB Braunkohlenkombinat "J.".
Auch war die Bergsicherung K. nicht (integrierter) Bestandteil des VEB Braunkohlenkombinats, da bei beiden Betrieben unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten und unterschiedliche betriebliche Gegenstände vorlagen, die nach der Volkswirtschaftssystematik der ehemaligen DDR auch in unterschiedlichen Kategorien eingeordnet waren. Während es sich bei einem VEB um ein Wirtschaftsunternehmen handelte, war die Bergsicherung des Bezirks K. eine (Berg-)Behörde. Nach der Auskunft des Landesamtes für Geologie und Bergwesen handelte es sich bei der Bergsicherung um eine nachgeordnete Einrichtung des Rates des Bezirkes K. "und somit um eine staatliche Institution". Nach dem "ökonomischen Lexikon" der ehemaligen DDR (Verlag Die Wirtschaft Berlin) waren die Bergbehörden von den Bergbaubetrieben zu unterscheiden. Während die Bergbaubetriebe zum betrieblichen Gegenstand die Gewinnung und Aufbereitung nutzbarer Mineralien hatten, waren die Bergbehörden zur unmittelbaren Ausübung der staatlichen Bergaufsicht in den jeweils festgelegten territorialen Aufsichtsbereichen bestimmt. Folgerichtig waren die Bergsicherungen bzw. Bergbehörden in der "Systematik der Volkswirtschaftszweige der Deutschen Demokratischen Republik" nicht aufgeführt, wohingegen die Betriebe des Steinkohlenbergbaus und des Braunkohlenbergbaus unter den Schlüsselnummern "10121" bzw. "10131" geführt wurden. - Dass die von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Urteile mehrerer LSG bei vergleichbaren Sachverhalten zu identischen Ergebnissen gelangen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Liegen damit die sog betrieblichen Voraussetzungen der Einbeziehung des Verstorbenen in die AVIntech bereits aus rechtlichen Gründen nicht vor, kam es auf die im Verlaufe des Ausgangs- und Berufungsverfahrens ergangenen Beweisanregungen der Klägerin zum tatsächlichen Sachverhalt nicht mehr an. - Dass daneben das vom Verstorbenen anlässlich der Klagerhebung vor dem SG vorgelegte privatschriftliche Schreiben des ehemaligen Vorgesetzten O. unklare Darstellungen zur AVIntech und zur FZR beinhaltet, ist nur am Rande zu erwähnen. Im Übrigen weisen die vorliegenden Unterlagen FZR-Zeiten des Verstorbenen jedenfalls zwischen 1980 und dem 30.06.1990 aus.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 193 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Es hat kein gesetzlicher Grund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.