Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 29.09.1999, Az.: 2 U 157/99

KfZ-Versicherungsschutz im asiatischen Teil der Türkei; Übergabe der grünen Versicherungskarte ohne Belehrung über die Beschränkung der Fahrzeugversicherung auf den europäischen Teil

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
29.09.1999
Aktenzeichen
2 U 157/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0929.2U157.99.0A

Fundstellen

  • MDR 2000, 450-451 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 2000, 245-246 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVersZ 2000, 388-389
  • OLGReport Gerichtsort 2000, 4-5
  • VersR 2000, 1010 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Kraftfahrtversicherung: Versicherungsschutz im asiatischen Teil der Türkei bei Übergabe der grünen Versicherungskarte ohne Belehrung über die Beschränkung der Fahrzeugversicherung auf den europäischen Teil.

Tatbestand

1

Dem Kläger steht wegen schuldhafter Aufklärungspflichtverletzung durch Mitarbeiter der Beklagten, für die diese nach § 278 BGB einzustehen hat, ein Anspruch aus positiver Vertragsverletzung zu. Die Beklagte hat den Kläger darum so zu stellen, als sei aus der abgeschlossenen Fahrzeugversicherung Versicherungsschutz für das gesamte Staatsgebiet der Türkei zu leisten.

2

Es kann dahinstehen, ob der Kläger dem Vermittler der Beklagten erklärt hat, dass er seinen relativ neuwertigen Pkw auch im Bereich der asiatischen Türkei versichert wissen wollte. Angesichts der Umstände des Falls musste der Kläger aufgrund des bereits bestehenden Versicherungsvertrages unmissverständlich darauf hingewiesen werden, dass der Versicherungsschutz in der Fahrzeugversicherung für die Türkei örtlich begrenzt sein sollte. Daran fehlt es.

3

Händigt - wie hier - der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine grüne Versicherungskarte aus, in der die Türkei nicht gestrichen ist, so erklärt er damit, den Versicherungsschutz im Umfang der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme auf die gesamte Türkei, also auch auf den asiatischen Teil, ausdehnen zu wollen. Das gilt nur dann nicht, wenn der Versicherer gleichzeitig erklärt, den Versicherungsschutz für die Türkei örtlich oder seinem Umfang nach begrenzen zu wollen (BGHZ 120, 87 = VersR 1993, 88 = NJW 1993, 1007). dass die Beklagte letzteres getan hat, ist weder dargetan noch ersichtlich.

Entscheidungsgründe

4

Der Senat verkennt nicht, dass die grüne Versicherungskarte an sich nur für die Haftpflichtversicherung gilt, es hier aber um Ansprüche aus der Fahrzeugversicherung geht. Die Sach- und Interessenlage ist indes vergleichbar mit der bei Aushändigung der sogenannten Versicherungs-Doppelkarte, die nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. Nr. 3 AKB n.F. vorläufige Deckung nur für die Haftpflichtversicherung, nicht auch für die Fahrzeugversicherung bedeutet. Gleichwohl entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH VersR 1986, 541, 542 = MDR 1986, 739; BGH VersR 1969, 1088; BGH VersR 1964, 840; ebenso OLG Hamm VersR 1990, 82, 84) [OLG Hamm 26.04.1989 - 20 U 252/88], dass die Aushändigung der Versicherungsbestätigung gemäß § 29 a StVZO an einen Versicherungsnehmer, der einen einheitlichen Antrag auf Abschluss einer Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung gestellt hat, sofern sie ohne den Hinweis erfolgt, es werde ihm nur vorläufige Deckung in der Haftpflichtversicherung gewährt, dazu führt, dass der Versicherer regelmäßig auch zur Gewährung vorläufigen Deckungsschutzes in der Fahrzeugversicherung verpflichtet ist. Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass ein derartiges Vorgehen des Versicherers in dem Versicherungsnehmer regelmäßig die Vorstellung erweckt, der Versicherer behandele die kombinierten Versicherungen im Stadium vorläufigen Deckungsschutzes einheitlich, solange dem Versicherungsnehmer nichts Gegenteiliges erklärt wird. Die Rechtsprechung hat hiermit für den Tatbestand, dass ein Versicherungsnehmer Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeughaftpflicht- und in der Fahrzeugversicherung beantragt hat und ihm daraufhin ohne einschränkenden Hinweis die sog. Doppelkarte ausgestellt worden ist, eine Auslegungsregel für ein individuelles Verhalten der Vertragsparteien entwickelt.

5

An der Vorstellung eines Versicherungsnehmers von der einheitlichen Behandlung seines Antrags auf Versicherungsschutz in den beiden dem Versicherer benannten Versicherungen ändert das bloße Vorhandensein des § 1 Nr. 3 AKB n.F. noch nichts. Mit der Einführung dieser Bestimmung in die AKB haben die Versicherer die von ihnen spätestens bei Aushändigung der Versicherungsbestätigung zu schaffenden klaren Verhältnisse nicht hergestellt. Derjenige, dem diese Klausel bei seinen Verhandlungen mit dem Versicherer unbekannt oder nicht mehr gegenwärtig ist, bleibt unverändert schutz- und aufklärungsbedürftig und versteht die Aushändigung der Versicherungsbestätigung weiterhin als vorläufige Deckungszusage in der gewünschten Kaskoversicherung. Die damit zustande gekommene Individualvereinbarung geht Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor (BGH VersR 1986, 541, 542).

6

Diese Grundsätze sind angesichts der Parallelität der Sach- und Interessenlage unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls entsprechend anzuwenden: Es bestand bereits ein Versicherungsvertrag über beide Versicherungssparten, und die Beklagte hatte dem Kläger mit dem Versicherungsschein eine grüne Versicherungskarte übersandt. Dem Kläger war aufgefallen, dass die Türkei in dieser Karte gestrichen war, und er hatte die Karte ausdrücklich deshalb zurückgegeben; daraufhin ist ihm eine neue Karte übersandt worden, in der die Buchstabenkombination TR für Türkei nicht gestrichen war, ohne dass damit ein Hinweis verbunden war, dass er zwar Haftpflichtversicherungsschutz, nicht aber Versicherungsschutz in der Fahrzeugversicherung in (dem asiatischen Teil) der Türkei genieße. Dieses Vorgehen der Beklagten musste (und durfte) bei ihm - nicht anders als regelmäßig in den Fällen der Aushändigung einer Doppelkarte - die Vorstellung erwecken, die Beklagte behandele die in einem einheitlichen Versicherungsschein dokumentierten kombinierten Versicherungen einheitlich, solange ihm nichts Gegenteiliges erklärt wurde.

7

In welcher Weise die Aufklärung im einzelnen erfolgen musste, braucht hier nicht näher erörtert zu werden. Denn die insoweit darlegungspflichtige Beklagte hat nicht vorgetragen, überhaupt in irgendeiner Weise hinreichend darauf hingewiesen zu haben, dass sie in der Fahrzeugversicherung den Versicherungsschutz auf den europäischen Teil der Türkei beschränken wollte. Der formularmäßig der grünen Karte beigefügte Rat, das Gespräch über eine mögliche Erweiterung des Versicherungsschutzes "z.B. durch eine kurzfristige Vollkaskoversicherung, eine Insassen-Unfallversicherung, eine Auslandskrankenversicherung" zu suchen, weil bei Schäden im Ausland aufgrund der dortigen Rechtsprechung mit teilweise erheblich niedrigeren Ersatzleistungen zu rechnen sei, genügte jedenfalls nicht in einem Fall, in dem der Versicherungsnehmer deutlich gemacht hatte, dass er das versicherte Fahrzeug auch im asiatischen Teil der Türkei benutzen wollte.