Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.09.1999, Az.: 2 U 132/99

Unvollständige Besetzung des Spruchkörpers bei der Beratung; Ausscheiden eines Richters vor Schriftsatzeingang; Bescheidung des Schriftsatzes durch die verbliebenen Richter; Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
22.09.1999
Aktenzeichen
2 U 132/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29307
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0922.2U132.99.0A

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2000, 123-124

Amtlicher Leitsatz

Kollegialgericht: Unvollständige Besetzung bei Erklärungsfrist nach § 283 ZPO, Ausscheiden eines Richters vor Schriftsatzeingang und Bescheidung des Schriftsatzes durch die verbliebenen Richter.

Gründe

1

Das landgerichtliche Urteil beruht zum einen wegen unvollständiger Besetzung des Spruchkörpers bei der Beratung auf einem schweren Verfahrensmangel, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.

2

Nach § 309 ZPO kann das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zu Grunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben. Nach § 315 ZPO Abs. 1 ZPO ist ein Urteil von den Richtern zu unterschreiben, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrunds von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Das alles ist vorliegend nicht eingehalten:

3

An der mündlichen Verhandlung vom 20.04.1999, auf die das Landgericht entschieden hat, hat als Beisitzerin die Richterin W mitgewirkt. Im Termin ist dem Kläger nachgelassen worden, auf den Schriftsatz des Beklagten vom 29.03.1999 binnen zwei Wochen, also bis zum 04.05.1999 zu erwidern. Der Kläger hat die Schriftsatzfrist ausgenutzt. Am 04.05.1999 ist sein umfangreicher Schriftsatz von diesem Tag eingegangen. Am 04.05.1999 war die Richterin W indessen nicht mehr am Landgericht tätig; sie war vielmehr laut Auskunft der Personalverwaltungsabteilung des OLG Oldenburg vom 20.09.1999, die im Senatstermin erörtert worden ist, schon mit Wirkung ab dem 03.05.1999 an das AG Nordenham versetzt. Gleichwohl hat das Landgericht sich mit dem nachgelassenen Schriftsatz beschäftigt und ausgeführt, das neue Vorbringen darin könne nicht mehr berücksichtigt werden, weil es über die nachgelassene Erwiderung hinausgehe, und es gebe auch keinen Anlass, die Verhandlung wieder zu eröffnen, weil nicht erkennbar sei, dass der Kläger zu rechtzeitigem Vortrag außer Stande gewesen sei. Sodann hat der Vorsitzende unter dem Urteil vermerkt, Richterin W sei versetzt und könne deswegen nicht unterschreiben.

4

Das alles war in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zulässig. Durch die nach § 283 ZPO dem Kläger gewährte Erklärungsfrist war für ihn die an sich geschlossene mündliche Verhandlung im Ergebnis verlängert (Zöller-Greger, ZPO, 21. Aufl., § 283 Rdnr. 1). Über die Behandlung des fristgemäß eingegangenen nachgelassenen Schriftsatzes und insbesondere auch darüber, ob er inhaltlich Beachtliches im Rahmen des Schriftsatznachlasses enthielt, hatten deshalb alle drei am Termin vom 20.04.1999 beteiligten Richter zu befinden, §§ 192 - 197 GVG. Nichts anderes galt für die weitere Frage, ob auf Grund etwa im Schriftsatz enthaltenen neuen Vorbringens die geschlossene mündliche Verhandlung nach § 156 ZPO wiederzueröffnen war. Weil die Richterin W indessen dem Landgericht seit dem 03.05.1999 nicht mehr angehörte, war das alles nicht mehr möglich mit der zwingenden Folge, dass wegen unvollständiger Besetzung des Spruchkörpers zum maßgeblichen Zeitpunkt, der hier nach dem Eingang des Schriftsatzes vom 04.05.1999 lag, die Verhandlung wiederzueröffnen war (vergl. Zöller-Greger, a.a.O.., § 156 Rdnr. 3).

5

Ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil auch beruht, ist darin begründet, dass das Landgericht über die - im Stufenverhältnis zu verstehenden - Hauptanträge des Klägers zu Ziff. 1 und 2 auf Auskunftserteilung und Herausgabe eines erzielten Gewinns an die Liquidationsgesellschaft und damit über den vom Kläger in erster Linie zur gerichtlichen Entscheidung gestellten Streitgegenstand zum Nachteil des Klägers befunden hat, ohne das mit einem Wort zu begründen, § 313 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO. Das ist ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG: Die Entscheidungsgründe verhalten sich lediglich über einen aus § 723 Abs. 2 S. 2 BGB herzuleitenden Schadensersatzanspruch wegen einer zur Unzeit erfolgten Kündigung der Gesellschaft und über den höchst hilfsweise gestellten Freistellungsantrag des Klägers gegenüber dem Beklagten hinsichtlich der dem früheren Mitgesellschafter B zustehenden Schadensersatzansprüche. Dagegen hat sich das Landgericht nicht in hinreichender Weise - nämlich gar nicht - mit dem Auskunftsanspruch befasst, mit dem der Kläger zwecks umfassender Auseinandersetzung der Gesellschaft u.a. - mit schlüssigem Sachvortrag - Auskunft auch über Honorarzahlungen der D im Zeitraum bis zur Kündigung vom 14.07.1993 erstrebte. Das Landgericht hat damit den Klageantrag zu Ziff. 1 nicht hinreichend beschieden und Parteivorbringen fehlerhaft übergangen (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1981, 978 ff.; Zöller-Gummer, a.a.O.., § 539 Rdnr. 8 m.w.N.). zu entscheiden.