Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.09.1999, Az.: 2 U 111/99

Anspruch des Betreibers einer chemischen Reinigung auf Versicherungsleistungen aus der Gewässerschadenhaftpflichtversicherung wegen einer Grundwasserverunreinigung; Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls; Begründung von Versicherungsschutz bezüglich der öffentlich-rechtlichen Ansprüche aus der Ersatzvornahme

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
15.09.1999
Aktenzeichen
2 U 111/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 31317
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0915.2U111.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 03.03.1999 - AZ: 4 HO 142/95

Fundstellen

  • NVersZ 2000, 536-537
  • OLGReport Gerichtsort 2000, 308-309
  • VersR 2001, 229-230 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 1999
durch
die Richter ..., ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. März 1999 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Osnabrück geändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 17.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit leistet. Der Wert der Beschwer und der Streitwert für den zweiten Rechtszug betragen 250.000,-- DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht einen Anspruch aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Gewässerschadenhaftpflichtversicherung geltend.

2

Die Klägerin betreibt seit 1973 auf dem Grundstück M.,M. eine chemische Reinigung. Auf ihren Antrag gewährte die Beklagte durch Versicherungspolice vom 8.11.1985 Versicherungsschutz für eine Gewässerschadenhaftpflichtversicherung. Der Versicherungsvertrag löste eine Betriebsversicherung aus dem Jahr 1978 ab. Der Gewässerschadenhaftpflichtversicherung liegen die AHB sowie Zusatzbedingungen zur Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung zugrunde. Auf die von der Beklagten vorgelegten Versicherungsbedingungen wird verwiesen.

3

Im Jahr 1988 ergab sich anläßlich einer privaten Grundwasseruntersuchung infolge eines Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück M. der Verdacht einer Grundwasserbelastung mit Perchloräthylen. Im Rahmen weiterer vom Landkreis Osnabrück veranlaßter Untersuchungen wurde dieser Verdacht bestätigt. Mit Ordnungsverfügung vom 15.12.1993 gab der Landkreis der Klägerin auf, das Grundstück M. zu sanieren. In der Begründung der Verfügung heißt es u.a.: "Aufgrund der Anzeige einer Grundwasserverunreinigung habe ich ermittelt, daß jahrelang Perchloräthylen über eine installierte Abwasserrohreinleitung aus Ihrer Chemischen Reinigung an der Mühlenstraße auf das Nachbargrundstück Nr. 14 abgeleitet worden und von dort in das Grundwasser abgesickert ist." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.

4

Da die Klägerin der Verpflichtung zur Sanierung nicht selbst nachkam, verlangte der Landkreis mit Bescheiden vom 17.7.1997 und 13.8.1998 insgesamt 105.811,15 DM Ersatzvornahmekosten. Die Klägerin hat diesen Betrag bezahlt.

5

Sie hat vorgetragen, entgegen der Annahme des Landkreises Osnabrück habe sie keinerlei Perchloräthylen in das Grundwasser eingeleitet.

6

Sie hat beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an sie 105.811,15 DM nebst 14,75% Zinsen seit dem 14.8.1998 zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, sie von weiteren Aufwendungen und Kosten der Ersatzvornahme durch den Landkreis Osnabrück sowie eventuellen Schadensersatzansprüchen von Grundstücksnachbarn freizustellen, die durch die weitere Sanierung des Grundstückes M. in Melle aufgrund der Kontamination mit Chlorwasserstoffen wie insbesondere Perchloräthylen (PER) und/oder Fluorchlorwasserstoffen (F) entstanden seien.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat vorgetragen: Die Klägerin habe die Schadstoffe über eine Abwasserrohrleitung eingeleitet. Im Fall einer derartigen Einleitung bestehe - was unstreitig ist - aufgrund der vereinbarten Zusatzbedingungen kein Anspruch auf Versicherungsleistungen. Der Versicherungsfall sei nicht während des versicherten Zeitraums eingetreten. Die Klägerin werde auch nicht gem. § 1 Nr. 1 AHB aufgrund einer gesetzlichen Haftpflicht privatrechtlichen Inhalts in Anspruch genommen. Jedenfalls sei der geltend gemachte Anspruch verjährt.

9

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf das am 3.3.1999 verkündete Urteil wird Bezug genommenen. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten.

10

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Wegen des Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Berufung hat Erfolg. Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistungen aus der bei der Beklagten unterhaltenen Gewässerschadenhaftpflichtversicherung.

14

Die Klägerin hat nicht ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, daß ein Versicherungsfall innerhalb des versicherten Zeitraums eingetreten ist. Selbst wenn der Versicherungsfall jedoch während der Versicherungsdauer eingetreten sein sollte, bestünde kein Anspruch gegen die Beklagte, da die Klägerin nicht gem. § 1 Nr. 1 AHB aufgrund einer gesetzlichen Haftpflicht mit privatrechtlichem Inhalt in Anspruch genommen wird und eine solche Inanspruchnahme auch in Zukunft nicht ernsthaft in Betracht kommt. Schließlich besteht auch kein Anspruch der Klägerin aus dem Gesichtspunkt der Rettungskosten gem. § 3 der Zusatzbedingungen i.V.m. § 63 VVG.

15

I.

Es läßt sich nicht feststellen, daß der Versicherungsfall im versicherten Zeitraum eingetreten ist.

16

Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls trifft auch in der Haftpflichtversicherung entsprechend dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, daß eine Partei die Anspruchsvoraussetzungen beweisen muß, aus denen sie ihr Recht herleitet, den Versicherungsnehmer; zu den haftungsgründenden Voraussetzungen gehört - entgegen der Auffassung des Landgerichts - auch die Tatsache, daß der Versicherungsfall während der Versicherungszeit eingetreten ist (BGH VersR 1981, 173; Senat VersR 1997, 732; OLG Koblenz r + s 1998, 408 0 VersR 1999, 573; Späte, AHB, Vorbem. Rn. 55; BK-Schauer vor §§ 49 - 68 a Rn. 66; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 1 Betriebshaftpfl. Rn. 4).

17

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin nicht. Versicherungsbeginn war ausweislich der Police zur Haftpflichtversicherung vom 8.11.1985 der 1.11.1985. Der Versicherungsfall wird nach § 1 Nr. 1 und § 5 Nr. 1 AHB bestimmt durch das sogenannte Folgeereignis, d.h. durch den äußeren Vorgang, der die Schädigung des Dritten unmittelbar herbeiführt (Senat a.a.O.; Späte § 1 Rn. 19 und 22; BK-Baumann § 149, Rn. 167; Prölss/Martin § 149 Rn. 13 und § 1 Betriebshaftpfl Rn. 7). Daraus folgt, daß der Versicherungsnehmer in der Gewässerschadenhaftpflichtversicherung darlegen und beweisen muß, daß die maßgebliche Verunreinigung des Gewässers während des versicherten Zeitraums erfolgt ist (Prölss/Martin § 1 Betriebshaftpfl. Rn. 10).

18

Vorliegend ist dieser Zeitpunkt ungewiß. Die Beklagte betreibt ihre Reinigung auf dem versicherten Grundstück seit 1973. Es kommt mithin immerhin ein nicht versicherter Zeitraum von rund 12 Jahren in Betracht, in welchem die schadensbegründende Gewässerbeeinträchtigung eingetreten sein könnte. Nach den gesamten Umständen ist nicht auszuschließen, daß der Versicherungsfall schon vor Versicherungsbeginn durch ständige Verunreinigungen, nämlich sogenannte Verkleckerungen (vgl. dazu Prölss/Martin a.a.O.), eingetreten ist. Daß diese Möglichkeit jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt, folgt auch aus der Tatsache, daß nach dem insoweit zugrundezulegenden Prozeßvortrag der Klägerin die Schadensursache völlig ungewiß ist und der Eigentümer des Nachbargrundstücks M. durch seine Bevollmächtigten mit Schreiben vom 20.6.1988 unter Bezugnahme auf ein Gutachten vom 16.5.1988 des Ingenieurbüros S. bzw. ein Gutachten des Hygienisch-Bakteriologischen Instituts Bielefeld vom 11.5.1988 eine Bodenverunreinigung gerügt hat und letzteres Institut aufgrund einer Wasseruntersuchung vom 21.2.1989 (vgl. dazu den entsprechenden Bericht vom 6.3.1989) eine erhebliche Grundwasserbeeinträchtigung mit Perchloräthylen festgestellt hat. Dementsprechend wird in dem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gefertigten Bericht der IFEP vom 10.12.1992 (dort Seite 7) die Vermutung geäußert, daß die Kontaminierung nicht aufgrund eines einmaligen Ereignisses, sondern höchstwahrscheinlich durch einen kontaminierenden Prozeß über einen längeren Zeitraum erfolgt sei.

19

Zwar behauptet die Klägerin pauschal - ohne anzugeben, auf welche Art und Weise der Schaden von ihr überhaupt verursacht worden ist - die möglicherweise von ihr ausgegangene Belastung des Grundwassers sei im versicherten Zeitraum eingetreten; sie stellt diese Behauptung auch unter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Diesem Beweisantritt ist jedoch nicht nachzugehen. Der Beweisantritt ist ungeeignet, denn nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sind sichere Feststellungen diesbezüglich ohnehin nicht sachverständigerseits zu treffen. Die Klägerin hat nämlich in der Berufungserwiderung (vgl. dort Seite 4 und 5) behauptet, daß gar nicht mehr durch einen Sachverständigen feststellbar sei, daß sie - die Klägerin - für die angeblichen Schäden überhaupt verantwortlich sei, und sich für die Richtigkeit dieser Behauptung wiederum auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen. Wenn aber nicht mehr feststellbar ist, daß die Klägerin den Schaden überhaupt verursacht hat, kann logischerweise auch der Zeitpunkt des von der Klägerin verursachten Schadens nicht ermittelbar sein.

20

Daß gutachterliche Feststellungen insoweit nicht mehr möglich sind, folgt zudem auch aus der Tatsache, daß die Klägerin jeglichen plausiblen Vortrag zu einer möglichen durch sie erfolgten Schadensverursachung schuldig bleibt. Die einzig nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ernsthaft in Betracht kommende schadensverursachende Handlungsweise wäre vielmehr die, die die Beklagte gestützt auf den an die Klägerin gerichteten Bescheid des Landkreises Osnabrück vom 15.12.1993 behauptet, wonach eine bewußte Einleitung des Perchloräthylens durch die Klägerin mittels einer Abwasserrohrleitung erfolgt sei. Eine derartige - von der Klägerin bestrittene - Handlungsweise würde gem. § 1 Abs. 1 der vereinbarten Zusatzbedingungen jedoch keinen Versicherungsanspruch begründen, da eine bedingungsgemäß ausgeschlossene Einleitung vorläge. Zu einer anderen möglichen Schadensverursachung hat die Klägerin lediglich dargelegt, es sei möglich, daß Perchloräthylen durch den Boden des Geschäftslokals diffundiert sei, ohne jedoch dazu weiter konkret vorzutragen, insbesondere ohne eine zeitliche Eingrenzung einer derartigen Schadensverursachung vorzunehmen.

21

II.

Selbst wenn der Schadenseintritt in die versicherte Zeit fiele, fehlte es an einer Schadensersatzpflicht der Klägerin mit privatrechtlichem Inhalt gem. § 1 Nr. 1 AHB. Eine Ersatzpflicht der Beklagten kommt auch nicht aus dem Gesichtspunkt der sogenannten Rettungskosten gem. § 3 der Zusatzbedingungen i.V.m. § 63 VVG in Betracht.

22

1.

Die vom Landkreis Osnabrück der Klägerin in Rechnung gestellten Kosten der Ersatzvornahme sind nicht privatrechtlich i.S.d. § 1 Nr. 1 AHB. Derartige Ansprüche sind vielmehr öffentlich-rechtlicher Natur und aufgrund der Regelung des § 1 Nr. 1 AHB nicht vom Versicherungsschutz umfaßt (BGH NJW 1966, 738; OLG Stuttgart VersR 1997, 822[OLG Stuttgart 26.09.1996 - 7 U 86/96]; OLG Hamburg VersR 1997, 1391[OLG Hamburg 15.10.1996 - 9 U 187/93]; OLG Hamburg VersR 1998, 968[OLG Hamburg 04.03.1998 - 5 U 134/97]; Späte § 1 Rn. 180; Prölss/Martin § 1 AHB Rn. 8).

23

Nichts anderes gilt hier für den geltend gemachten Feststellungsanspruch, der sich auf eine Ersatzpflicht hinsichtlich weiterer Ansprüche des Landkreises als auch des Grundstücksnachbarn bezieht. Privatrechtliche Ansprüche des Grundstücksnachbarn gem. § 823 Abs. 1 BGB kommen nicht in Betracht, da das Grundwasser nicht am Grundstückseigentumsrecht teilnimmt (BVerfG NJW 1982, 745 [BVerfG 15.07.1981 - 1 BvL 77/78]; OLG Hamburg a.a.O.). Allenfalls in Betracht zu ziehen wäre eine Haftung nach § 22 WHG. Dies würde jedoch voraussetzen, daß zumindest Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Eigentümer des in Mitleidenschaft gezogenen Nachbargrundstücks berechtigter Nutzer des Grundwassers i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 6 WHG und dadurch potentiell nach § 22 Abs. 2 WHG Ersatzberechtigter ist (OLG Hamburg VersR 1997, 1391, 1392) [OLG Hamburg 15.10.1996 - 9 U 187/93]. Daran fehlt es hier.

24

Soweit der Grundstücksnachbar privatrechtliche Ansprüche geltend machen sollte, weil insbesondere durch die notwendigen Sanierungsarbeiten die Bebaubarkeit seines Grundstücks zeitweilig beeinträchtigt gewesen ist, fällt dieser Vermögensschaden nicht unter das allein versicherter Risiko des Sachschadens durch eine Gewässerbeeinträchtigung (vgl. dazu Prölss/Martin § 1 AHB Rn. 17).

25

2.

Es besteht auch kein Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Rettungskosten i.S.v. § 3 der Zusatzbedingungen i.V.m. § 63 VVG.

26

a.

Hinsichtlich der mit dem Zahlungsanspruch geltend gemachten Kosten der Ersatzvornahme scheidet ein solcher Anspruch auf Rettungskosten schon begrifflich aus. Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch den Landkreis Osnabrück mit Bescheid vom 15.12.1993 bzw. den darauf aufbauenden Zahlungsbescheiden war die Beeinträchtigung des Gewässers bereits erfolgt. Die Sanierungsmaßnahmen können deshalb nicht mehr dazu gedient haben, eine Grundwasserbeeinträchtigung abzuwenden oder zu mindern.

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b.

Selbst wenn man aber die Sanierung noch unter den Begriff der Rettungskosten fassen würde, ließe sich ein Anspruch auf Versicherungsleistungen - und zwar weder hinsichtlich des geltend gemachten Zahlungsanspruchs noch hinsichtlich des Feststellungsanspruchs - nicht begründen. Denn auch der Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen zur Rettung vor einem dadurch drohenden Versicherungsfall setzt voraus, daß ein Schaden droht, der geeignet ist, privatrechtliche Ansprüche auszulösen, die vom versicherten Risiko umfaßt sind. Die bloße Beeinträchtigung des Grundwassers allein reicht dazu vorliegend - wie oben dargelegt - jedoch nicht aus, denn gerettet werden soll ja nicht vor jeglichem Schaden, sondern nur vor einem solchen, der einen Versicherungsfall darstellen könnte (OLG Stuttgart a.a.O.; Hinsch VersR 1991, 1221, 1225).

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III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 546 ZPO.