Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.10.2000, Az.: 7 K 99/99

Krankenpflegerische Tätigkeit als Ausübung einer den Heilhilfsberufen ähnlichen freiberuflichen Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
10.10.2000
Aktenzeichen
7 K 99/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 14405
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:1010.7K99.99.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 22.01.2004 - AZ: IV R 51/01

Fundstellen

  • DStRE 2001, 190-191 (Volltext mit amtl. LS)
  • KÖSDI 2001, 12796 (Kurzinformation)
  • NZS 2001, 641-642

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als gewerbliche Tätigkeit zu beurteilen ist und damit der Gewerbesteuer unterliegt.

2

Der Kläger ist seit 1982 staatlich anerkannter Altenpfleger. Zum 1. Dezember 1983 meldete er ein Gewerbe an. Er bezeichnete die angemeldete Tätigkeit als "Ambulante Altenpflegestation". Tatsächlich wurde er fortan in der ambulanten Krankenpflege tätig. Grundlage hierfür war die Vereinbarung des Klägers mit der AOK vom November 1984. Im Jahre 1984 erhielt der Kläger die amtsärztliche Erlaubnis subcutane Injektionen selbst durchzuführen.

3

In den Streitjahren beschäftigte der Kläger zwischen 3 und maximal 8 pflegerische Hilfskräfte. Diese wurden überwiegend auf der Basis geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse beschäftigt und entlohnt. Bis zum Jahre 1992 betrugen die Gehalts-/Lohnaufwendungen des Klägers jährlich weniger als 30.000,00 DM. Erst mit Beginn der Pflegeversicherung stiegen im Jahre 1993 sowohl die Erlöse als auch die Löhne und Gehälter stark an. Wegen Einzelheiten wird Bezug genommen auf die in der Bilanzakte enthaltenen Gewinnermittlungen für die Streitjahre.

4

Der Kläger schloss mit dem Verband der Angestellten-Krankenkassen sowie dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband in 1992 einen Vertrag nach § 132 Abs. 1 SGB V über die Durchführung der häuslichen Pflegehilfe gemäß § 55 SGB V. Dieser Vertrag trat zum 1. April 1992 in Kraft. Der Kläger verpflichtete sich hiernach die Versorgung der Versicherten mit häuslicher Pflegehilfe gemäß § 55 SGB V zu übernehmen. Mit Wirkung vom 1. März 1994 vereinbarte der Kläger mit dem Verband der Angestellten-Krankenkassen, dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband, der Innungskrankenkasse, der Arbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen sowie der Hannoverschen Landwirtschaftlichen Krankenkasse eine Regelung über häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V. Auch hiernach verpflichtete sich der Kläger zur häuslichen Krankenpflege, bestehend aus Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftlicher Versorgung. Wegen der Einzelheiten des Vertrags wird Bezug genommen auf die zur Gerichtsakte genommene Vertragskopie .

5

Der Kläger betreut nach eigenen Angaben in den Streitjahren monatlich maximal bis zu 20 Patienten.

6

Der Beklagte nahm an, dass der Kläger eine gewerbliche Tätigkeit ausübe. Er setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre 1989 bis 1993 dementsprechend fest. Der Kläger legte hiergegen Einspruch ein. Der Beklagte erließ am 23. Juli 1998 einen Einspruchsbescheid, durch den er die Einsprüche als unbegründet zurückwies. Der Einspruchsbescheid wurde mit einfachem Brief zur Post gegeben. Zustellungsadressat war der Prozessbevollmächtigte. Nachdem gegenüber dem Kläger durch die Gemeinde die Ankündigung der Vollstreckung erfolgt war, fragte der Prozessbevollmächtigte am 8. Februar 1999 nach dem Stand des Einspruchsverfahrens nach. Der Beklagte übersandte daraufhin dem Prozessbevollmächtigten Kopie der Einspruchsentscheidung mit Schriftsatz vom 12. Februar 1999.

7

Hiergegen richtet sich die bei Gericht am 15. März 1999 eingegangene Klage. Der Kläger trägt vor, er übe keine gewerbliche Tätigkeit aus. Zwar sei er von seiner ursprünglichen Ausbildung her Altenpfleger. Tatsächlich habe er in den Streitjahren eine vom Gesundheitsamt überwachte häusliche Krankenpflege erbracht. Hierzu habe er beim Gesundheitsamt erscheinen müssen und dort die Unterlagen über seine Tätigkeit vorlegen müssen. Die Überprüfung durch das Gesundheitsamt sei dann Voraussetzung für den Abschluss der Verträge über häusliche Krankenpflege mit den Krankenkassen gewesen. Diese Sachverhalte seien bereits Gegenstand einer finanzamtlichen Überprüfung in den Jahren 1986 und 1987 gewesen. Seither habe sich im Kern nichts verändert. Zur Überprüfung seien dem Finanzamt sämtliche Kontoauszüge ab Streitjahr 1989 zugeleitet worden, um zu dokumentieren, dass mindestens 40 v. H. der vom Kläger betreuten Pflegefälle von den Trägern der Sozialversicherung übernommen worden seien.

8

Der Kläger beantragt,

die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1989 bis 1993 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Zwar könne der Zugang des Einspruchsbescheids vom 23. Juli 1998 nicht nachgewiesen werden. Deshalb gehe der Beklagte nunmehr in Übereinstimmung mit dem Gericht davon aus, dass die Bekanntgabe des Einspruchsbescheids erst mit der Übersendung der Kopie erfolgte und demzufolge die Klage fristgerecht erhoben sei. Die Klage sei aber unbegründet. Der Beruf eines staatlich anerkannten Altenpflegers sei nicht als Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit anzusehen. Insoweit werde auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verwiesen, wie sie in den Urteilen vom 21. Juli 1994, V R 1333/92, BFH/NV 1995, 497, vom 21. Juli 1994 V R 134/92, BFH/NV 1995, 549, und vom 17. Oktober 1996 XI B 214/95, BFH/NV, 297, 293, zum Ausdruck komme. Der Kläger habe nicht den Nachweis einer Zusatzqualifikation erbracht, wonach er im Bereich der häuslichen Krankenpflege tätig werden dürfe. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob der Kläger eigenverantwortlich tätig gewesen sei. Die erforderlichen Nachweise habe er jedenfalls nicht erbracht.

11

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.

12

Dem Gericht haben die beim Beklagten geführten Gewerbesteuer- und Gewinnermittlungsakten vorgelegen.

Gründe

13

Die Klage ist begründet.

14

Der Kläger unterliegt mit seinen erzielten Tätigkeitsvergütungen nicht der Gewerbesteuer. Nach § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen i.S.d. Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Die vom Kläger ausgeübte krankenpflegerische Tätigkeit ist einkommensteuerrechtlich unter § 18 Abs. 1 EStG einzuordnen.

15

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG kann ein den dort genannten Katalogberufen ähnlicher Beruf eine freiberufliche Tätigkeit sein. Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dann vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Dazu ist erforderlich, dass die für den vergleichbaren Katalogberuf erforderlichen Kenntnisse nachgewiesen sind und die entsprechend qualifizierte Arbeit den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit ausmacht und damit dem ähnlichen Beruf das Gepräge gibt (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 18. Mai 2000 IV R 89/99, Der Betrieb 2000, 1796).

16

Im Streitfall übt der Kläger eine einem Krankengymnasten oder Heilpraktiker ähnliche berufliche Tätigkeit vor. Denn sowohl den Katalogberufen als auch der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit ist gemeinsam, dass eine unmittelbare Arbeit am oder mit dem Patienten erfolgt und damit Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder sonstigen Körperschäden beim Menschen erfolgen soll.

17

Zwar ist der Kläger von seiner Ausbildung her Altenpfleger. Für die Ausübung des Berufs eines Altenpflegers hat die Rechtsprechung bisher angenommen, dass es an den prägenden Merkmalen einer staatlichen Erlaubnis für die Berufsausübung und einer Überwachung der Berufsausübung durch das Gesundheitsamt fehle (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 1996 XI B 214/95, BFH/NV 1997, 293). Der Senat setzt diese Rechtsprechung unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 - 2 BvR 1264/90, BStBl II 2000, 155 - ausdrücklich nicht fort. Das Bundesverfassungsgericht hat für die umsatzsteuerliche Behandlung eines Heileurythmisten entschieden, dass die berufsrechtliche Regelung keinen eigenständigen Differenzierungsgrund abgibt, von dem die Ähnlichkeit mit einer heilberuflichen Tätigkeit abhängig gemacht werden könnte. Der Senat ist der Auffassung, dass dieser Rechtsgrundsatz auch für die Ertragsteuer Geltung haben muss. Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seine krankenpflegerischen Leistungen auf der gesetzlichen Grundlage des § 37 SGB V erbracht hat und hierfür mit den Sozialversicherungsträgern Rahmenverträge abgeschlossen hat. Damit ergibt sich, dass der Kläger berechtigt war, häusliche Krankenpflege zu leisten und diese entsprechend der Rahmenverträge mit den Krankenkassen abzurechnen. Dies ersetzt nach Auffassung des Senats die früher geforderte staatliche Berufsausübungserlaubnis und deren Überwachung durch die Gesundheitsämter. Denn entscheidend kommt es auch für die ertragsteuerliche Beurteilung auf die tatsächliche Tätigkeit an, die ausgeübt wird.

18

Im Streitfall hat der Senat nicht feststellen können, dass die hauswirtschaftliche Versorgung, die aufgrund der Rahmenverträge Teil der häuslichen Krankenpflege war, vom zeitlichen Umfang oder von der Bezahlung her die tatsächliche Grund- und Behandlungspflege, die der Kläger erbrachte, überwogen hat. Deshalb kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass die hauswirtschaftliche Versorgung der Gesamtleistung das Gepräge geben würde.

19

Aufgrund der im Tatbestand wiedergegebenen Mitarbeiterzahlen und der Anzahl der behandelten Patienten ist im Streitfall davon auszugehen, dass der Kläger die pflegerischen Leistungen leitend und eigenverantwortlich erbracht hat. Damit ergibt sich, dass der Kläger mit seinen erzielten Einkünften nicht der Gewerbesteuer unterliegt. Die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide waren demzufolge aufzuheben.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.