Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.10.2000, Az.: 4 K 567/99 Ki

Berücksichtigung der Entreicherung bei Kingdergeldrückforderung; Rückforderung überzahlten Kindergeldes vom Erben

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.10.2000
Aktenzeichen
4 K 567/99 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 14434
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:1027.4K567.99KI.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 197 (Volltext mit red. LS)

Tatbestand

1

Die Klägerin ist zusammen mit ihren drei Kindern ... Erbin des Nachlasses nach ihrem am 4. Januar 1999 gestorbenen Ehemann Y. Diesem war unter anderem für den Zeitraum Januar 1996 bis Januar 1999 aufgrund eines Büroversehens des Beklagten zu Unrecht Kindergeld in der Höhe von X DM ausgezahlt worden. Die Überzahlung beruhte auf einem bürotechnischen Versehen, weil offenbar der Beklagte den Wechsel in der Berechtigtenbestimmung den die Ehegatten erklärt hatten nicht berücksichtigt hatte.

2

Mit Bescheid vom 10. August 1999 (Bl. 360 der Verwaltungsakte) nahm der Beklagte die Klägerin als Erbin des Nachlasses des verstorbenen Ehegatten gemäß § 1932 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Rückzahlung von X DM in Anspruch. Die Klägerin machte unter anderem geltend, es sei kein Barvermögen vorhanden gewesen. Mit dem rechtzeiti-gen Einspruch trugen die Prozessbevollmächtigten dieses Verfahrens vor, die Klägerin genieße Vertrauensschutz. Sie habe zwar die Erbschaft angetreten, jedoch keine Einkünfte daraus erzielt. Darüber hinaus liege der Grund für die Doppelzahlung in der Sphäre des Arbeitsamtes. Von der doppelten Zahlung habe die Klägerin keine Kenntnis gehabt. Sie habe davon ausgehen können, dass die bei ihr eingegangenen Zahlungen rechtmäßig seien.

3

Mit Bescheid vom 24. November 1999 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Auf den Bescheid wird im Einzelnen Bezug genommen. Als Gesamtrechtsnachfolgerin müsse die Klägerin die Steuerschulden ihres Ehegatten begleichen. Aufgrund des gegenüber dem Ehegatten ergangenen Aufhebungsbescheides vom 26. November 1995 sei das Kindergeld zu Unrecht gezahlt worden und nach §§ 218, 45 Abgabenordnung (AO) von der Einspruchsführerin zurückzufordern. Die Erstattungspflicht resultiere aus § 37 AO. Die von der Einspruchsführerin in Bezug genommenen Vertrauensschutzgrundsätze der §§ 48, 50 Sozialgesetzbuch (SGB) X seien im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses ohne Bedeutung. Das Vertrauen auf die an sie direkt geleisteten Kindergeldzahlungen sei unerheblich, weil es sich hier um die gegen den Ehemann gerichtete Erstattungsforderung handele. In das Steuerschuldverhältnis ihres Ehegatten sei sie aufgrund der Erbschaft eingetreten. Auch das Mitverschulden der Familienkasse am Eintritt der Überzahlung berühre den Bestand der Erstattungsforderung nicht. Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses sei im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen.

4

Dagegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Aufhebung des Rückforderungsbescheides begehrt. Sie hält im Wesentlichen an ihrem Vorbringen fest. Der Beklagte habe sein Rücknahmeermessen nicht rechtmäßig ausgeübt. Er habe die Doppelzahlung zu vertreten. Für die Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, dass Kindergeld doppelt gezahlt worden sei. Es sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kindergeld um eine Sozialleistung handele.

5

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 10. August 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24. November 1999 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

7

Er verweist im Wesentlichen auf den Einspruchsbescheid. Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO müsse zu einem gebundenen Verwaltungshandeln führen (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1995 VII S 15/95, BFH/NV 1996, 238). Im Übrigen fänden die Vorschriften des Sozialgesetzbuches keine Anwendung. Dass die Klägerin erst am 22. Januar 1999 die Doppelzahlung festgestellt habe (vgl. den Kontoauszug der Klägerin 123 der Gerichtsakte), sei unerheblich.

8

Ergänzend wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

9

Die Klage ist nicht begründet.

10

Zutreffend hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin als Erbin ihres Mannes gemäß § 45 Abs. 2 AO für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen hat (§§ 1922, 1967 BGB). Ebenso, dass die beschränkte Erbenhaftung (§§ 1973, 1975 BGB) wegen übergegangener Steuerschulden des Erblassers nicht im Steuerfestsetzungsverfahren bzw. Rückforderungsverfahren, sondern allein im Zwangsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 24.06.1981 I B 18/81, BStBl 1981 Teil II Seite 729).

11

Gegenüber dem Ehemann der Klägerin bestand ein Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 AO, weil an ihn das streitige Kindergeld nach bestandskräftiger Aufhebung der Kindergeldfestsetzung - ohne rechtlichen Grund gezahlt worden war. Das ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Demgegenüber sind keine Einwendungen ersichtlich, mit denen sich der Ehemann der Klägerin gegen den Rückforderungsanspruch hätte wenden können.

12

Auf die Vertrauensgrundsätze der §§ 48, 50 SGB X konnte sich der Ehemann der Klägerin nicht berufen, weil das Sozialgesetzbuch für die ab 01.01.1996 erbrachten Leistungen nicht mehr gilt. Im Zeitpunkt der Leistungen galten vielmehr die Bestimmungen der§§ 70 Abs. 2, 75 EStG, die die Aufhebung von Verwaltungsakten und die Aufrechnung mit Kindergeld regeln.

13

Auf die Einrede der Entreicherung des § 818 Abs. 3 BGB konnte sich der Ehemann der Klägerin nicht berufen, weil diese Vorschrift auf öffentlich-rechtliche Erstattungs- bzw. Rückforderungsansprüche des § 37 Abs. 2 AO 1977 keine Anwendung findet (vgl. BFH-Beschluss VII B 296/97 vom 27.04.1998, BFHE 185, 364 sowie BFH vom 09.04.1991 VII B 168/90, BFH/NV 1992, 148).§ 818 Abs. 3 BGB enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundgedanken, der bei einer Rückforderung zu berücksichtigen wäre.

14

Ebensowenig konnte sich der Ehemann der Klägerin mit Erfolg nach Treu und Glauben auf ein Mitverschulden des Beklagten wegen Verletzung von Organisations- und Aufsichtspflichten hinsichtlich der rechtsgrundlosen Weiterzahlung des Kindergeldes an ihn berufen. Denn der Ehemann war gegenüber einem möglichen Organisationsverschulden des Beklagten nicht schutzlos. Er konnte erkennen, dass die Leistungen ihm zu Unrecht erbracht wurden; denn ihm gegenüber war der Leistungsbescheid aufgehoben worden und er wusste, dass er nicht mehr Kindergeldberechtigter war (vgl. zum Gesichtspunkt der Verletzung von Organisations- und Aufsichtspflichten unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens BFH-Beschluss vom 27.04.1998, a.a.O.). Soweit der Beklagte deshalb möglicherweise ein Rückforderungsermessen hatte, hat er dies jedenfalls zutreffend im Einspruchsbescheid berücksichtigt.

15

Soweit der sozialrechtliche Vertrauensschutzgedanke möglicherweise im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Klägerin zu berücksichtigen wäre, ist insoweit auf den Aufrechnungsschutz des § 75 EStG zu verweisen. Im Übrigen finden die sozialrechtlichen Vorschriften der §§ 48, 50 SGB X abgesehen von ihrem beschränkten zeitlichen Geltungsbereich und dem Umstand, dass sie von §§ 70 Abs. 2, 75 EStG und§ 37 AO abgelöst wurden im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten auch deshalb hier keine Anwendung, weil hier nicht vom Beklagten an sie geleistete Zahlungen zurückgefordert werden, sondern sie die ihrem Ehemann zu Unrecht gezahlten Beträge erstatten soll.

16

Soweit § 37 Abs. 2 AO im Verhältnis des Beklagten zu der Klägerin ein Rückforderungsermessen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs eröffnen würde (dagegen offenbar BFH-Beschluss vom 26.10.1995 VII S 15/95, BFH/NV 1996, 238), kann dies dahinstehen. Denn auch gegenüber der Klägerin würde der Grundsatz gelten, dass die Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Steuervergütungen die logische, grundsätzlich durch dasöffentliche Interesse an der gesetzmäßigen Verwaltungöffentlicher Abgaben gebotene Folge der Feststellung ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht wurde. Dass hier Interessen der Klägerin und Rückforderungsschuldnerin dieses öffentliche Interesseüberwiegt, ist nicht ersichtlich.

17

Danach war die Klage abzuweisen.

18

Die Kostenfolge beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung.