Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.08.2003, Az.: 6 B 3150/03

Aufnahmeanspruch ; Aufnahmebeschränkung ; Aufnahmekapazität; Bildungsauftrag; Erschöpfung; Erziehungsgrundrecht; Gesamtschule; Rücknahme; Wiederaufgreifen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.08.2003
Aktenzeichen
6 B 3150/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48147
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die zum 1. August 2003 erfolgende Aufnahme von Schülerinnen und Schülern in eine Gesamtschule, für die ein Schulbezirk festgelegt worden ist, kann nicht beschränkt werden; die am 1. August 2003 außer Kraft tretende Aufnahme VO zu § 178 NSchG a.F. ist insoweit nicht anwendbar.

2. Das Wahlrecht der Erziehungsberechtigten aus § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG verdichtet sich zum Anspruch auf Besuch einer bestimmten Schule, wenn für diese Schule ein Schulbezirk festgelegt worden ist und das Kind nach § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG - innerhalb der getroffenen Wahl des Bildungsganges und der Schulform - rechtlich verpflichtet ist, diese Schule zu besuchen.

3. Der Anspruch ist erst dann nicht (mehr) durchsetzbar, wenn die Aufnahmekapazität der Schule im Sinne von § 59 a Abs. 4 NSchG tatsächlich erschöpft ist.

4. Beruft sich die Schule im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz auf die tatsächliche Erschöpfung ihrer Aufnahmekapazität, muss sie glaubhaft machen, dass die (vorläufige) Aufnahme eines weiteren Schülers zur Gefährdung des Bildungsauftrags der Schule führt.

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren im Wege eines Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die vorläufige Aufnahme des Antragstellers zu 2) bei der Antragsgegnerin.

2

Die Antragsgegnerin ist eine vierzügige Integrierte Gesamtschule (IGS) und damit eine Gesamtschule im Sinne von § 12 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG). Dieses Gesetz galt bis zum 31.07.2003 in der Fassung vom 03.03.1998 (Nds. GVBl. S. 137), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 28.08.2002 (Nds. GVBl. S. 366), im Folgenden als alte Fassung (a.F.) bezeichnet. Seit dem 01.08.2003 gilt es in der Fassung nach Art. 1 des Gesetzes zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten vom 02.07.2003 (Nds. GVBl. S. 244), im Folgenden als neue Fassung (n.F.) bezeichnet (Art. 9 Abs. 1 des vorstehend bezeichneten Gesetzes).

3

Schulträgerin der Antragsgegnerin ist die Landeshauptstadt Hannover. Diese hatte in § 8 Abs. 2 ihrer Satzung über die Festlegung von Schulbezirken für die allgemeinbildenden Schulen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Hannover (Schulbezirkssatzung) vom 27.03.1997 (Abl. RBHan. S. 740) als Schulbezirk der Antragsgegnerin ursprünglich die Stadtteile List, Vahrenwald und Oststadt festgelegt. Am 20.03.2003 beschloss der Rat der Landeshauptstadt Hannover, diesen Schulbezirk zu verkleinern, und zwar auf die Schulbezirke der Grundschulen Comeniusschule und Mengendamm. Dies geschah dann durch Nr. I. 5. der am 31.07.2003 in Kraft getretenen 4. Änderungssatzung zur Schulbezirkssatzung vom 23.06.2003 (Abl. RBHan. S. 450). Danach ist der Schulbezirk der Antragsgegnerin seit dem 01.08.2003 auf die "Einzugsbereiche" der Grundschule Comeniusschule und der Grundschule Mengendamm beschränkt.

4

Für die Aufnahme in den 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004 bei der Antragsgegnerin wurde - offenbar von der Antragsgegnerin selbst - eine Anmeldefrist bis zum 28.03.2003 festgesetzt und ein Aufnahmeausschuss gebildet.

5

Die Eltern des minderjährigen Antragstellers zu 2), der Antragsteller zu 1) und Frau D., leben getrennt, sind jedoch nach eigenen Angaben gemeinsam für ihn personensorgeberechtigt. Nach Angaben der Antragsteller besteht Einverständnis zwischen den Eltern, dass sich der Antragsteller zu 1) "um die Belange der Einschulung kümmert". Die Vollmachtserklärung vom 21.07.2003, durch welche die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hinsichtlich der Aufnahme des Antragstellers zu 2) bei der Antragsgegnerin zur Prozessführung bevollmächtigt wurde, wurde von beiden Eltern unterzeichnet.

6

Der Antragsteller zu 2) lebt nach Angaben der Antragsteller seit 1999 bei dem Antragsteller zu 1) und jedenfalls seit dem 18.07.2003 unter der im Rubrum genannten Anschrift in Hannover auch in einem gemeinsamen Haushalt mit der jetzigen Lebensgefährtin des Antragstellers zu 1), Frau P.. Bis dahin wohnten die Antragsteller in Bremen, wo der Antragsteller zu 2) im Schuljahr 2002/2003 den 4. Schuljahrgang einer Grundschule besuchte.

7

Mit Schreiben vom 12.02.2003 meldete der Antragsteller zu 1) den Antragsteller zu 2) bei der Antragsgegnerin an und beantragte die Aufnahme des Kindes in den 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004. Dabei wies er darauf hin, dass er und der Antragsteller zu 2) im Juli 2003 nach Hannover in den Stadtteil List umziehen würden.

8

Mit Schreiben vom 21.03.2003 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 1) mit, der Rat der Landeshauptstadt Hannover habe am 20.03.2003 beschlossen, den Schulbezirk der Antragsgegnerin auf die Schulbezirke der Grundschulen Mengendamm und Comeniusschule zu verkleinern, weil nach der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Änderung des NSchG alle angemeldeten Kinder aus dem Schulbezirk einer Schule aufgenommen werden müssten. Nach Berücksichtigung der bereits vorliegenden Anmeldungen dieser Kinder könnten voraussichtlich nur noch etwa 20 Plätze an Kinder vergeben werden, die nicht im Schulbezirk wohnten; zu diesen gehöre auch der Antragsteller zu 2).  Für diese noch zu vergebenden Plätze werde ein Losverfahren durchgeführt. Falls für den Antragsteller zu 2) auch eine andere Gesamtschule in Betracht komme, müsse der Antragsteller zu 1) ihn dort spätestens bis zum Freitag, den 28.03.2003, 13.00 Uhr anmelden. Über den Ausgang des bei ihr, der Antragsgegnerin, durchgeführten Losverfahrens werde er, der Antragsteller zu 1), Anfang April gesondert informiert.

9

Bis zum 28.03.2003 gingen 228 Anmeldungen für den 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004 bei der Antragsgegnerin ein. Von den angemeldeten Schülerinnen und Schülern wohnten 103 im Schulbezirk der Antragsgegnerin. Am 28.03.2003 führte der Aufnahmeausschuss der Antragsgegnerin ein Aufnahmeverfahren durch. Dabei ging die Antragsgegnerin von einer Ausnahmekapazität von 112 Schulplätzen (4 Klassen zu je 28 Schülerinnen und Schülern) aus. Hiervon erhielten zunächst alle 103 Schülerinnen und Schüler, die zu diesem Zeitpunkt im Schulbezirk wohnten, einen Platz. Die übrigen 9 Plätze wurden unter den 125 zu diesem Zeitpunkt nicht im Schulbezirk der Antragsgegnerin wohnenden Schülerinnen und Schülern verlost. Für die danach nicht ausgelosten 116 Schülerinnen und Schüler, zu denen auch der Antragsteller zu 2) gehörte, wurde eine Rangliste erstellt.

10

Mit Bescheid vom 03.04.2003 erklärte die Antragsgegnerin sodann gegenüber dem Antragsteller zu 1), der Antragsteller zu 2) könne dort nicht in den 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004 aufgenommen werden, weil er nicht im dortigen Schulbezirk wohne und das durchgeführte Losverfahren für ihn negativ ausgegangen sei. Auf der angelegten Warteliste stehe er auf Platz 116. Diesem Bescheid war folgende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt:

11

"Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Integrierten Gesamtschule List, Röntgenstr. 6, 30163 Hannover einzulegen.

12

Hinweis: Erfolglose Widersprüche werden in der Regel kostenpflichtig zurückgewiesen. Auch für zurückgenommene Widersprüche kann eine Gebühr erhoben werden."

13

Ausweislich der von den Antragstellern vorgelegten Ablichtung schlossen der Antragsteller zu 1) und seine jetzige Lebensgefährtin am 17.06.2003 für die Zeit ab dem 15.07.2003 einen Mietvertrag zur Anmietung der unter der im Rubrum genannten Anschrift gelegenen Wohnung in Hannover. Diese Wohnung liegt im Stadtteil List und nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 der Schulbezirkssatzung der Landeshauptstadt Hannover im Schulbezirk der Grundschule Mengendamm und somit nach wie vor im Schulbezirk der Antragsgegnerin.

14

Mit Schreiben vom 18.06.2003 erhob der Antragsteller zu 1) bei der Bezirksregierung Hannover Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003. Im Rahmen der Begründung teilte er u.a. mit, ab dem 15.07.2003 würden er und der Antragsteller zu 2) unter der im Rubrum genannten Anschrift in Hannover wohnen.

15

Nachdem ihn die Bezirksregierung Hannover telefonisch darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch offensichtlich nicht innerhalb der Widerspruchsfrist und damit verspätet erhoben worden sei, nahm der Antragsteller zu 1) den Widerspruch mit Schreiben vom 23.06.2003 zurück. Die Bezirksregierung Hannover stellte das Widerspruchsverfahren daraufhin ein und erlegte dem Antragsteller zu 1) mit Bescheid vom 01.07.2003 die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf.

16

Mit Schreiben vom 25.06.2003 beantragte der Antragsteller zu 1) bei der Antragsgegnerin erneut die Aufnahme des Antragsteller zu 2) in den dortigen 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004. Dabei wies er darauf hin, dass er und der Antragsteller zu 2) ab dem 27.06.2003 unter der im Rubrum genannten Anschrift in Hannover gemeldet seien und dort ab dem 18.07.2003 wohnen würden. Hierzu legte er jeweils eine Ablichtung der Meldebescheinigung und des für den Zeitraum ab dem 15.07.2003 geschlossenen Mietvertrages vor.

17

Hierzu erklärte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 02.07.2003, er, der Antragsteller zu 1), solle zunächst die Entscheidung der Bezirksregierung Hannover über den Widerspruch vom 18.06.2003 gegen den Ablehnungsbescheid vom 03.04.2003 abwarten.

18

Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.07.2003 wies der Antragsteller zu 1) gegenüber der Antragsgegnerin darauf hin, dass das Widerspruchsverfahren auf Anraten der Bezirksregierung Hannover durch Rücknahme des Widerspruchs beendet worden sei und es sich bei dem Antrag vom 25.06.2003 um einen neuen Antrag handele. Gleichzeitig setzte er der Antragsgegnerin für die Bescheidung dieses Antrages eine Frist bis zum 23.07.2003, 12.00 Uhr.

19

Nach offenbar ergebnislosem Ablauf dieser Frist haben die Antragsteller am 25.07.2003 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

20

Zur Begründung machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, die Antragsgegnerin sei zur antragsgemäßen Aufnahme des Antragstellers zu 2) verpflichtet, weil dieser nunmehr im dortigen Schulbezirk wohne.

21

Dass er, der Antragsteller zu 1), erst mit Schreiben vom 18.06.2003 Widerspruch gegen den ersten Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 erhoben habe, sei damit zu erklären, dass er und seine Lebensgefährtin zunächst beabsichtigt hätten, eine Wohnung am Vahrenwalder Platz anzumieten, die zwar im ursprünglichen Schulbezirk der Antragsgegnerin, nicht jedoch in dem auf Grund des Ratsbeschlusses vom 20.03.2003 verkleinerten Schulbezirk gelegen hätte. Erst nachdem er durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 21.03.2003 und anlässlich einer diesbezüglichen Rückfrage beim Schulamt der Landeshauptstadt Hannover im Mai 2003 darauf hingewiesen worden sei, dass diese Wohnung nicht mehr im verkleinerten Schulbezirk der Antragsgegnerin liege und ein Aufnahmeanspruch deshalb wahrscheinlich nicht gegeben sei, habe er sich dazu entschlossen, eine andere Wohnung im neuen Schulbezirk der Antragsgegnerin zu suchen. Nachdem er dann die jetzige Wohnung gefunden und gemietet, ihm die Antragsgegnerin jedoch mitgeteilt habe, nunmehr sei die Anmeldefrist verstrichen, habe er noch einmal Rücksprache mit dem Schulamt der Landeshauptstadt Hannover gehalten und auf dortiges Anraten hin mit Schreiben vom 18.06.2003 Widerspruch gegen die Ablehnung der Aufnahme des Antragstellers zu 2) erhoben. Dieser sei auch erfolgversprechend gewesen, weil er, der Antragsteller zu 1), beim Abfassen des Widerspruchsschreibens bereits den Mietvertrag über die jetzige Wohnung im Schulbezirk der Antragsgegnerin unterzeichnet gehabt habe. Bei dieser Sachlage sei das Anraten der Bezirksregierung Hannover, den Widerspruch wegen Verfristung zurückzunehmen, rechtlich falsch gewesen, was dazu führen müsse, dass ihm die Rücknahme des Widerspruches nicht entgegen gehalten werden dürfe.

22

Die Antragsteller beantragen

23

"im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO", den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 aufzuheben,

24

die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller zu 2) im Schuljahr 2003/2004 vorläufig in die 5. Klasse bei ihr "einzuschulen" sowie

25

"erforderlichenfalls" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003.

26

Die Antragsgegnerin beantragt,

27

den Antrag abzulehnen.

28

Zur Begründung macht die Antragsgegnerin im Wesentlichen geltend, das Aufnahmeverfahren für den Antragsteller zu 2) sei durch den Ablehnungsbescheid vom 03.04.2003 bestandskräftig abgeschlossen worden. Trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung sei innerhalb der Widerspruchsfrist kein Widerspruch erhoben worden, und Gründe, insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, seien nicht ersichtlich. Schließlich sei der Antragsteller zu 1) auch an die Rücknahme seines Widerspruches "gebunden".

29

Des Weiteren sei er, der Antragsteller zu 1), überhaupt nicht berechtigt gewesen, den Aufnahmeantrag für den Antragsteller zu 2) allein zu stellen. Vielmehr sei insoweit die Mitwirkung der Mutter des Antragstellers zu 2) erforderlich gewesen, da diese gemeinsam mit dem Antragsteller zu 1) personensorgeberechtigt für den Antragsteller zu 2) sei.

30

Schließlich bestehe aber auch der Sache nach kein Aufnahmeanspruch. Es sei ein Aufnahmeverfahren nach § 178 NSchG i.V.m. den Vorschriften der hierzu vom Niedersächsischen Kultusministerium (MK) erlassenen Verordnung über die Aufnahme der Schülerinnen und Schüler in den Sekundarbereich I der Gesamtschule (Aufnahmeverordnung) vom 22.11.1994 (Nds. GVBl. S. 503), geändert durch Verordnung vom 02.03.1998 (Nds. GVBl. S. 136), durchgeführt worden. Diesbezüglich sei es nicht zu beanstanden, dass sie, die Antragsgegnerin, von einer Aufnahmekapazität von 112 Schulplätzen ausgegangen sei, hiervon 103 Plätze an die bei Ablauf der festgesetzten Anmeldefrist im Schulbezirk wohnenden Schülerinnen und Schüler vergeben und für die übrigen 9 Plätze ein Losverfahren für die zu diesem Zeitpunkt auswärtigen 125 Schülerinnen und Schüler durchgeführt habe. Hierbei sei der Antragsteller zu 2) nicht ausgelost worden. Außerdem habe es sich um einen auswärtigen Schüler gehandelt, für dessen Aufnahme die nach § 6 Abs. 6 der Aufnahmeverordnung erforderliche Zustimmung des Schulträgers nicht vorgelegen habe. Schließlich sei er auch nicht nach § 5 der Aufnahmeverordnung vorrangig aufzunehmen gewesen, weil er zuvor auch keine Gesamtschule, sondern im Bremen nur eine bis zum 4. Schuljahrgang geführte Grundschule besucht habe.

31

Dass der Antragsteller zu 1) nach Zuzug in ihren Schulbezirk einen weiteren Aufnahmeantrag für den Antragsteller zu 2) gestellt habe, bestreite sie im Übrigen mit Nichtwissen.

32

Die für auswärtige Schüler bestehende Möglichkeit, sich auch an anderen Gesamtschulen in Hannover anzumelden, auf die die Antragsteller auch rechtzeitig hingewiesen worden seien, hätten die Antragsteller hingegen offensichtlich nicht genutzt. Jetzt bestehe nur noch die Möglichkeit der Aufnahme bei der IGS Q., wo noch ein Platz zur Verfügung stehe.  

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung Hannover (Beiakte A) verwiesen.

34

II. Die Kammer sieht zunächst davon ab, die Mutter des Antragstellers zu 2) als weitere Beteiligte am Verfahren auf der Antragstellerseite zu behandeln (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 29.06.1981 - 13 B 27/81 - NVwZ 1982, 321). Denn dies ist im vorliegenden Verfahren nicht angezeigt.

35

Soweit der Antragsteller zu 1) den Prozess im eigenen Namen führt und damit eigene Rechte geltend macht, bedarf er hierfür nicht der unmittelbaren prozessualen Mitwirkung der Mutter des Antragstellers zu 2). Denn insoweit macht der Antragsteller zu 1) letztlich Rechte geltend, die ihm auf Grund seines Erziehungsrechtes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zustehen. Dieses Grundrecht steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber jedem Elternteil jeweils einzeln für sich und gleichwertig neben dem Recht des anderen Elternteils zu (BVerfG, Beschlüsse vom 21.12.1977 - 1 BvR 1/75 und 1 BvR 147/75 - BVerfGE 47, 46 [76] und vom 29.10.1998 - 2 BvR 1206/98 - BVerfGE 99, 145 [164]). Insoweit spricht einiges dafür, dass jeder Elternteil die sich für ihn daraus ergebenden Rechte ohnehin auch ohne Mitwirkung des anderen Elternteils gerichtlich geltend machen kann. Jedenfalls aber muss es genügen, wenn tatsächlich Einvernehmen zwischen den Eltern herrscht, dass ein bestimmtes Recht, das möglicherweise im Prozess grundsätzlich nur gemeinschaftlich von beiden geltend gemacht werden könnte, von einem der Elternteile allein geltend gemacht werden soll, sich der eine Elternteil also mit der Prozessführung durch den anderen Elternteil einverstanden erklärt. Denn nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB können getrennt lebende, aber weiterhin gemeinsam personensorgeberechtigte Eltern sogar in Angelegenheiten, deren Regelung von erheblicher Bedeutung für das Kind ist - wie etwa die Aufnahme an einer bestimmten Schule -, einvernehmlich bestimmen, dass insoweit nur ein Elternteil die Personensorge ausüben soll; soweit ein entsprechendes Einvernehmen zwischen den Eltern erzielt worden ist, ist der danach insoweit allein zur Ausübung der Personensorge berechtigte Elternteil dann aber auch allein zur rechtlichen Vertretung des Kindes befugt (§ 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB; Diederichsen in: Palandt, BGB, Kommentar, 61. Aufl., § 1687 Rn. 5 ff. [8]). Dementsprechend muss ein Elternteil erst recht auch zur alleinigen Prozessführung befugt sein, wenn er mit Einverständnis des anderen Elternteils sein Erziehungsgrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in einer bestimmten Art und Weise durchsetzen will. Dies ist hier der Fall. Denn die Mutter des Antragsteller zu 2) hat jedenfalls durch die Unterzeichnung der Prozessvollmacht für die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zu 1) unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem prozessualen Vorgehen des Antragstellers zu 1) einverstanden ist, und auch sonst sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es an einem solchen Einverständnis, wie es die Antragsteller behaupten, fehlen könnte.

36

Soweit der Antragsteller zu 2) den Prozess im eigenen Namen führt und eigene Rechte geltend macht, ist die unmittelbare förmliche Mitwirkung seiner Mutter als Beteiligte im Prozess ebenfalls nicht erforderlich. Insoweit genügt es, dass der Antragsteller zu 2) wirksam gesetzlich vertreten wird. Auch dies ist hier anzunehmen. Dabei kann letztlich offen bleiben, ob der Antragsteller zu 2), soweit es um seine Aufnahme bei der Antragsgegnerin geht, von dem Antragsteller zu 1) und seiner Mutter nach § 1629 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BGB gemeinschaftlich oder auf Grund eines dahingehenden Einvernehmens zwischen seinen Eltern im Sinne von § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB von dem Antragsteller zu 1) allein vertreten wird, wofür nach den obigen Ausführungen einiges sprechen dürfte. Denn selbst wenn man annehmen würde, die Mutter des Antragstellers zu 2) müsse insoweit gemeinschaftlich mit dem Antragsteller zu 1) handeln, so läge eine solche gemeinschaftliche Vertretung doch in jedem Fall vor. Denn sowohl der Antragsteller zu 1) als auch die Mutter des Antragstellers zu 2) haben die Vollmacht zu Gunsten der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu 2) unterzeichnet und vertreten diesen daher in jedem Fall insoweit auch gemeinschaftlich.

37

Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der Antragsteller als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der sog. Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verstehen. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung insbesondere zur Abwendung wesentlicher und durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wiedergutzumachender Nachteile für den Antragsteller nötig erscheint. Das vorläufig zu sichernde materielle Recht des Antragstellers (der Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung (der Anordnungsgrund) sind hierfür vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Ist dies geschehen, entscheidet das Gericht im Rahmen des Antragsbegehrens (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO). Zulässig ist danach aber grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung, welche die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnimmt, es sei denn, auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls könnte ausnahmsweise effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG nur durch eine solche endgültige Regelung gewährt werden.

38

Danach ist der Antrag in jedem Fall unzulässig und deshalb abzuweisen, soweit die Antragsteller beantragen, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 bereits im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aufzuheben. Denn die Aufhebung eines Bescheides kann nur im Wege einer Klage nach § 42 Abs. 1 VwGO erreicht werden und stellt keine "vorläufige" Regelung in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis dar, und eine Abweichung von dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung ist hier zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht geboten.

39

Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet.

40

Jedenfalls hinsichtlich des Antragstellers zu 1) ergibt sich der erforderliche Anordnungsanspruch aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG:

41

Das Erziehungsgrundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst die grundsätzlich freie Wahl zwischen den verschiedenen vom Staat in der Schule zur Verfügung gestellten Bildungswegen (BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. - BVerfGE 34, 165 [BVerfG 06.12.1972 - 1 BvR 95/71]). Dieses Recht wird in Niedersachsen auf einfachgesetzlicher Ebene in § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG näher ausgestaltet, indem danach die Erziehungsberechtigten (§ 55 Abs. 1 NSchG n.F.) im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den zur Verfügung stehenden Schulformen und Bildungsgängen haben. Aus diesem Recht folgt grundsätzlich zwar noch kein unmittelbarer Anspruch der Eltern darauf, dass ihr Kind eine bestimmte Schule besuchen darf (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.06.2001 - 2 M 337/00 - Leitsätze und Fundstelle in juris Web). Das Wahlrecht verdichtet sich jedoch dann zu einem Anspruch der Erziehungsberechtigten auf Aufnahme des Kindes an einer bestimmten Schule, wenn innerhalb der gewählten Schulform und des gewählten Bildungsganges nur diese eine Schule besucht werden kann. Dies ist in Niedersachsen etwa dann der Fall, wenn nach § 63 Abs. 2 NSchG Schulbezirke festgelegt worden sind und das Kind gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG verpflichtet ist, diejenige Schule der gewählten Schulform (und des gewählten Bildungsganges) zu besuchen, in deren Schulbezirk es seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. In einem solchen Fall - wie er auch hier vorliegt - besteht grundsätzlich ein Anspruch der Erziehungsberechtigten auf Aufnahme des Kindes an der zu besuchenden Schule der gewählten Schulform und des gewählten Bildungsganges. Dieser Aufnahmeanspruch kann schließlich nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, insbesondere für die Fälle, in denen die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität der einzelnen Schule übersteigt. Indes ist einem Aufnahmeantrag regelmäßig zu entsprechen, wenn eine solche Regelung über eine Aufnahmebeschränkung nicht besteht, eine bestehende Regelung - etwa wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht - unwirksam ist oder das auf Grundlage einer solchen Regelung durchgeführte Aufnahmeverfahren an einem anderweitigen durchgreifenden Rechtsfehler leidet (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 04.10.2001 - OVG 1 B 363/01 - NVwZ 2003, 122 m.w.N.). So liegt es hier.

42

Der Antragsteller zu 1) als Erziehungsberechtigter des Antragstellers zu 2) hat für diesen als Schulform die Gesamtschule (§§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f), 12 NSchG a.F. bzw. §§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e), 12 NSchG n.F.) und innerhalb dieser Schulform als Bildungsgang die IGS (§ 12 Abs. 2 NSchG a.F.) gewählt. Da der Antragsteller zu 2) zu Beginn des Schuljahres 2003/2004 am 01.08.2003 seinen Wohnsitz unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift in Hannover und damit in jedem Fall im Schulbezirk der Antragsgegnerin hatte und dort auch offensichtlich weiterhin wohnt, ist er gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG verpflichtet, die Antragsgegnerin zu besuchen. Diese ist dementsprechend auf der anderen Seite verpflichtet, den Antragsteller zu 2) antragsgemäß aufzunehmen.

43

Diesem Aufnahmeanspruch steht nicht entgegen, dass er gegenüber der Antragsgegnerin außergerichtlich nur von dem Antragsteller zu 1) geltend gemacht wurde. Denn insoweit war der Antragsteller zu 1), wie bereits ausgeführt, wenn nicht schon zum alleinigen Vorgehen, so doch wenigstens zur Handlung auch für die Mutter des Antragstellers zu 2) von dieser ermächtigt. Jedenfalls bestanden und bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu 1) diesbezüglich gegen den Willen der Kindesmutter gehandelt hat.

44

Im Übrigen besteht auch keine wirksame Aufnahmebeschränkung, die dem Aufnahmeanspruch entgegen gehalten werden könnte.

45

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 178 NSchG, auf den sich die Antragsgegnerin bei ihrer Antragserwiderung beruft, durch Art. 1 Nr. 42 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schulwesens vom 25.06.2002 (Nds. GVBl. S. 312) aufgehoben und gem. Art. 1 Nr. 24 dieses Gesetzes durch § 59a Abs. 1 NSchG a.F. ersetzt wurde. Hierauf hat das MK die Integrativen und Kooperativen Gesamtschulen in seinem Zuständigkeitsbereich - und damit wohl auch die Antragsgegnerin - in ihrem Erlass vom 28.01.2003, Az. 304/306-81 070, ebenfalls schon hingewiesen.

46

Wie das MK in seinem soeben zitierten Erlass weiterhin zutreffend ausgeführt hat, enthält die für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern zum 01.08.2003 anzuwendende Vorschrift des § 59a NSchG a.F. jedoch keine ausreichende gesetzliche Ermächtigung für die Beschränkung der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern an Gesamtschulen, für die ein Schulbezirk festgelegt worden ist. An solchen Gesamtschulen, zu denen auch die Antragsgegnerin gehört, sind vielmehr jedenfalls alle Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, die in dem dortigen Schulbezirk ihren Wohnsitz haben, und auch im Übrigen besteht nach der anzuwendenden Rechtslage für die Aufnahme zum 01.08.2003 keine Möglichkeit einer Aufnahmebeschränkung, sei es durch Losverfahren oder materielle Ausschlussfristen.

47

Eine solche Möglichkeit ergibt sich auch nicht aus der zu § 178 NSchG erlassenen Aufnahmeverordnung. Diese ist zwar formal erst durch Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes vom 02.07.2003 (Nds. GVBl. S. 244 [250]) zum 01.08.2003 aufgehoben worden und war daher - entgegen der in dem zitierten Erlass des MK vom 28.01.2003 vertretenen Auffassung - bis zum 31.07.2003 grundsätzlich noch anwendbar. Dies gilt jedoch nicht für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern an Gesamtschulen, für die ein Schulbezirk festgelegt worden ist. Denn insoweit sah § 59a NSchG a.F., wie dargelegt, keine Aufnahmebeschränkungen vor, so dass etwaige sich aus der Aufnahmeverordnung ergebende Aufnahmebeschränkungen mit dem höherrangigen Recht des NSchG unvereinbar deshalb jedenfalls insoweit unwirksam sind.

48

Dementsprechend fehlt es auch an einer hinreichenden normativen Ermächtigung für die Festsetzung einer Anmeldefrist und die Durchführung eines Losverfahrens, wie sie hier von der Antragsgegnerin offensichtlich in Anwendung der Aufnahmeverordnung und der hierzu vom MK erlassenen Ergänzenden Bestimmungen (Erg.Best.) vom 22.11.1994 (SVBl. S. 333), geändert durch Erlass vom 25.03.1998 (SVBl. S. 113), vorgenommen worden sind. Die sich hieraus ergebenden Aufnahmebeschränkungen verstoßen vielmehr, wie dargelegt, gegen § 59a NSchG a.F. und sind daher unwirksam.

49

An diesem Ergebnis würde sich hier im Übrigen auch nichts ändern, wenn man maßgeblich auf die nunmehr geltende Fassung des § 59a NSchG n.F. abstellen würde. Denn seit dem 01.08.2003 sieht § 59a Abs. 1 NSchG n.F. zwar unabhängig von der Festlegung eines Schulbezirks grundsätzlich die Möglichkeit vor, die Aufnahme an Gesamtschulen zu beschränken, wenn die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität der Schule überschreitet, und ggf. ein Losverfahren durchzuführen. Eine entsprechende Aufnahmebeschränkung könnte jedoch nur dann wirksam werden, wenn die betreffende Schule eine wirksame Entscheidung darüber getroffen hat, ob und ggf. wie sie von der ihr nach dem Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen will. Ohne eine solche Entscheidung der Schule läuft die Regelung des § 59a Abs. 1 NSchG n.F. leer mit der Folge, dass weiterhin keine wirksame Aufnahmebeschränkung vorliegt. Hiervon wäre im vorliegenden Fall auszugehen, da nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin eine dahingehende Entscheidung getroffen hat. Eine fehlende Entscheidung der Schule könnte schließlich auch nicht durch die (teilweise) Anwendung der Aufnahmeverordnung ersetzt werden, da diese - wie dargelegt - jedenfalls gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des § 59a NSchG n.F. endgültig außer Kraft getreten ist.

50

Die Antragsgegnerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre Aufnahmekapazität nach Aufnahme von 112 Schülerinnen und Schülern tatsächlich erschöpft und ihr die Aufnahme des Antragstellers zu 2) deswegen mittlerweile auch tatsächlich unmöglich sei. Richtig ist zwar, dass sich die Aufnahmekapazität einer Schule i.S.v. § 59a NSchG grundsätzlich aus der vom Schulträger zu bestimmenden Zügigkeit der Schule und der Obergrenze der jeweiligen Klassenbandbreite nach dem Erlass des MK über Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemeinbildenden Schulen vom 28.02.1995 (SVBl. S. 95) (im Folgenden kurz: Klassenbildungserlass) ergibt (Kammer, Urteil vom 25.06.2003 - 6 A 1136/03 - m.w.N.). Bei einer vierzügigen Gesamtschule wie der Antragsgegnerin ergäbe sich danach in der Tat im 5. Schuljahrgang eine Aufnahmekapazität von 4 x 28 = 112 Schulplätzen. Diese Obergrenze kann einem ansonsten gegebenen Aufnahmeanspruch aber nicht schematisch entgegen gehalten werden. Vielmehr ist ein Aufnahmeanspruch erst dann endgültig nicht mehr durchsetzbar, wenn die Aufnahmekapazität i.S.v. § 59a Abs. 4 NSchG n.F. (= § 59a Abs. 5 NSchG a.F.) überschritten ist, also erst dann, wenn nach Ausschöpfung der verfügbaren Mittel unter den gegebenen personellen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten die Erfüllung des Bildungsauftrages der Schule nicht mehr gesichert ist. Hieraus folgt jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass die Schule als Antragsgegnerin, wenn sie sich auf eine Erschöpfung der Aufnahmekapazität berufen will, glaubhaft machen muss, dass mit der sich aus dem Klassenbildungserlass ergebenden rechnerischen Aufnahmekapazität gleichzeitig auch die tatsächliche Aufnahmekapazität i.S.v. § 59a Abs. 4 NSchG n.F. ausgeschöpft ist, also die (vorläufige) Aufnahme eines weiteren Schülers zu einer Gefährdung des Bildungsauftrages der Schule führen würde. Dies ist hier jedoch nicht einmal ansatzweise ersichtlich.

51

Schließlich kann dem Aufnahmeanspruch für den Antragsteller zu 2) nicht die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 entgegen gehalten werden.

52

Zwar steht es einer Sachentscheidung der Behörde über einen wiederholten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes grundsätzlich entgegen, wenn ein erster Antrag auf Vornahme dieses Verwaltungsaktes bereits durch einen Verwaltungsakt, der auch für die Zeit nach seinem Erlass Geltung beansprucht, also mit "Dauerwirkung", abgelehnt worden und dieser Bescheid unanfechtbar geworden ist. Denn in einem solchen Fall steht die Bestandskraft des ersten Ablehnungsbescheides einer weiteren Sachentscheidung der Behörde über den wiederholten Antrag zunächst entgegen mit der Folge, dass vor einer solchen weiteren Sachentscheidung durch sog. Zweitbescheid der erste Ablehnungsbescheid aufgehoben werden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1986 - 6 C 63.84 - juris Web m.w.N.). So liegt es hier.

53

Denn die Antragsgegnerin hat mit ihrem Bescheid vom 03.04.2003 die Aufnahme des Antragstellers zu 2) in den 5. Schuljahrgang des Schuljahres 2003/2004 nicht nur bezogen auf die von ihr als maßgeblich angesehene Sach- und Rechtslage bei Ablauf der Anmeldefrist am 28.03.2003, sondern ein für alle mal, also mit "Dauerwirkung" abgelehnt.

54

Diese Entscheidung ist auch unanfechtbar geworden. Unanfechtbar wird ein Verwaltungsakt, wenn keine ordentlichen Rechtsbehelfe mehr gegen ihn gegeben sind, weil entweder alle in Betracht kommenden ordentlichen Rechtsbehelfe erfolglos ausgeschöpft worden sind oder innerhalb der vorgeschriebenen Frist kein formgerechter Rechtsbehelf eingelegt worden ist. Im Anwendungsbereich der §§ 68 ff. VwGO sind hierfür die Form- und Fristvorschriften in § 70 VwGO maßgeblich. Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO muss der Beschwerte grundsätzlich innerhalb eines Monats, nachdem ihm der Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, oder bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, Widerspruch i.S.v. § 69 VwGO erheben. Ist eine Belehrung über diesen Rechtsbehelf i.S.v. § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO unterblieben oder unrichtig erteilt, gilt grundsätzlich die Jahresfrist nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO. Schließlich kommt bei unverschuldetem Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO in Betracht. Greift dies alles nicht ein, wird der Verwaltungsakt mit erfolglosem Fristablauf unanfechtbar. So liegt es hier.

55

Maßgeblich war zunächst die Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 VwGO und nicht die Jahresfrist nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO. Denn die Antragsgegnerin hatte ihrem  Ablehnungsbescheid vom 03.04.2003 eine den Anforderungen nach §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 1 VwGO genügende Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich der Möglichkeit einer Widerspruchserhebung nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO beigefügt. Dass in dieser Rechtsbehelfsbelehrung kein Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs bei der Widerspruchsbehörde nach § 70 Abs. 1 Satz 2 VwGO beigefügt war, macht sie ebenso wenig unrichtig im Sinne von § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO wie der zusätzliche Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenerhebung im Falle der Erfolglosigkeit oder der Rücknahme des Widerspruchs; dieser Hinweis ist nicht geeignet, die Erhebung des Widerspruches unzulässig zu erschweren.

56

Danach wäre der Antragsteller zu 1) gehalten gewesen, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 nach § 69 VwGO Widerspruch zu erheben. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Der mit Schreiben vom 18.06.2003 erhobene Widerspruch des Antragstellers zu 1) war vielmehr in der Tat offensichtlich verspätet und damit unzulässig, so dass auch der dahingehende Hinweis der Bezirksregierung Hannover zutreffend gewesen ist und der Widerspruch tatsächlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

57

Gründe dafür, dem Antragsteller zu 1) gem. § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu gewähren, sind nicht ersichtlich. Denn dies würde voraussetzen, dass der Antragsteller zu 1) ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, diese Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO). Warum dies der Fall gewesen sein sollte, ist indes nicht erfindlich. Vielmehr war der Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 - wie dargelegt - mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, und auch dem juristischen Laien ist es bei einer solchen Sachlage grundsätzlich zuzumuten, sich bei etwaigen Zweifeln über die Frist für einen Rechtsbehelf binnen eines Monats entsprechenden Rechtsrat einzuholen und notfalls zumindest fristwahrend Widerspruch zu erheben. Dass der Antragsteller zu 1) hiervon seitens der Antragsgegnerin, der Bezirksregierung Hannover oder der Landeshauptstadt Hannover in unzulässiger Weise abgehalten worden wäre, lässt sich dem Vorbringen der Antragsteller und auch dem sonst erkennbaren Sachverhalt nicht entnehmen. Vielmehr macht der Antragsteller zu 1) lediglich geltend, er habe sich zunächst mit Freunden beraten und sich dann eine neue Wohnung im Schulbezirk der Antragsgegnerin gesucht. Dies begründet jedoch nicht einmal ansatzweise, warum sich der Antragsteller zu 1) gehindert gesehen haben will, den erforderlichen Widerspruch rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu erheben. Bei einer solchen Sachlage scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

58

Indes besteht ein Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 und auf eine neue, seinem wiederholten Antrag vom 25.06.2003 stattgebende Sachentscheidung der Antragsgegnerin.

59

Der Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Aufhebung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 ergibt sich zunächst aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 3 Nr. 3 des Niedersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (NVwVfG). Danach hat die Behörde - hier die Antragsgegnerin - auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sachlage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Dies ist hier der Fall.

60

Der hierfür erforderliche Antrag ist in dem von dem Antragsteller zu 1) mit seinem Schreiben vom 25.06.2003 gestellten erneuten Antrag auf Aufnahme des Antragstellers zu 2) zu sehen.

61

Dass dieser Antrag der Antragsgegnerin auch zugegangen ist, was diese nunmehr "mit Nichtwissen" bestreitet, steht für die Kammer außer Zweifel. Denn zum einen haben die Antragsteller mit ihrer Antragsschrift sowohl eine Abschrift dieses Antragsschreibens vom 25.06.2003 als auch eine Abschrift der diesbezüglichen Eingangsbestätigung der Antragsgegnerin vom 02.07.2003 vorgelegt (Anlagen K 6 und K 7, Bl. 25 und 26 der Gerichtsakte). Zum anderen nimmt auch das Schulamt der Landeshauptstadt Hannover in seiner Mitteilung an die Antragsgegnerin vom 23.07.2003 offensichtlich Bezug auf das Schreiben des Antragstellers zu 1) vom 25.06.2003 (Beiakte A, Bl. A 10). Vor diesem Hintergrund ist das Bestreiten der Antragsgegnerin offenkundig unzulässig.

62

Der Zulässigkeit dieses Antrages steht auch nicht § 51 Abs. 2 VwVfG entgegen. Danach ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Dies ist hier der Fall. Denn dem Antragsteller zu 1) wäre es zwar, wie dargelegt, durchaus möglich und zumutbar gewesen, in dem ersten Verfahren rechtzeitig Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 zu erheben. Den von ihm mit seinem Antrag vom 25.06.2003 sinngemäß geltend gemachten Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens, nämlich den tatsächlichen Umzug des Antragstellers zu 2) in den Schulbezirk der Antragsgegnerin, hätte er jedoch nicht innerhalb der einzuhaltenden Rechtsbehelfsfrist geltend machen können, da der entsprechende Wohnungsmietvertrag erst am 17.06.2003 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist geschlossen wurde.

63

Die Antragsfrist nach § 51 Abs. 3 VwVfG ist ebenfalls gewahrt.

64

Es liegt auch ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor. Denn die dem Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin zu Grunde liegende Sachlage, nämlich der Umstand, dass der Antragsteller zu 2) bei Erlass dieses Bescheides noch nicht im Schulbezirk der Antragsgegnerin wohnte, hat sich nachträglich zu Gunsten des Antragstellers zu 1) - und des Antragstellers zu 2) - geändert, indem der Antragsteller zu 2) spätestens am 18.07.2003 seinen Wohnsitz im Schulbezirk der Antragsgegnerin genommen hat und dort auch weiterhin wohnt, was, wie dargelegt, zu einem zwingenden Aufnahmeanspruch führt.

65

Darüber hinaus wäre die Antragsgegnerin aber auch nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verpflichtet, ihren Ablehnungsbescheid vom 03.04.2003 zurückzunehmen. Denn dieser Ablehnungsbescheid ist, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ganz offensichtlich rechtswidrig i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, und es ist nicht ersichtlich, wie die Rücknahme ermessensfehlerfrei abgelehnt werden könnte. Vielmehr verdichtet sich der zunächst nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme gerichtete Anspruch des Betroffenen jedenfalls dann zu einem Anspruch auf Rücknahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheides unerträglich wäre (so bereits BVerwG, Urteil vom 28.07.1976 - VIII C 90.75 - juris Web m.w.N.; siehe auch Kammer, Urteil vom 22.02.2002 - 6 A 2078/01 - m.w.N. zur diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerwG). So liegt es hier. Denn der Antragsteller zu 2) hat, wie dargelegt, nicht nur einen Anspruch auf Aufnahme bei der Antragsgegnerin, sondern ist gem. § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG auch verpflichtet, die Antragsgegnerin zu besuchen, und hat rechtlich keine andere Möglichkeit, seiner Schulpflicht nachzukommen. Bliebe der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 03.04.2003 wirksam, käme es mithin zu der widersprüchlichen Situation, dass der Antragsteller zu 2) zwar zum Besuch der Antragsgegnerin verpflichtet wäre, um seiner Schulpflicht nachzukommen, ihm dies aber andererseits auf Grund einer offensichtlich rechtswidrigen Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin verwehrt würde. Dies ist ihm nicht zumutbar und führt zu einem Anspruch auf Aufhebung der ersten Ablehnungsentscheidung.

66

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller zu 1) sei an die Rücknahme seines Widerspruchs "gebunden", er habe damit also auf eine weitere Verfolgung des geltend gemachten Anspruchs verzichtet, nicht haltbar ist. Vielmehr liegt in der Rücknahme eines Widerspruchs keinesfalls ein Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch. So bleibt es dem Betroffenen etwa auch unbenommen, nach Rücknahme seines Widerspruchs erneut Widerspruch einzulegen, solange die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, was hier allerdings bereits bei der ersten Widerspruchserhebung der Fall war.

67

Danach ist die Antragsgegnerin verpflichtet, ihren Bescheid vom 03.04.2003 aufzuheben, das Verwaltungsverfahren zur Aufnahme des Antragstellers zu 2) wiederaufzugreifen und durch eine erneute Sachentscheidung (Zweitbescheid) nach Maßgabe des anzuwendenden materiellen Rechts abzuschließen. Diese Sachentscheidung muss dann aber auch mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der Antragsteller ausgehen, weil, wie dargelegt, jedenfalls auf Grund des zweiten Aufnahmeantrages des Antragstellers zu 1) vom 25.06.2003 ein zwingender Anspruch auf Aufnahme des Antragstellers zu 2) besteht.