Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.08.2003, Az.: 11 B 2429/03
Bundeszentralregister; Einziehung; Ermessen; Jagdschein; Jägerprüfung; rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt; Rücknahme; Sicherheitsrisiko; Sofortvollzug; Strafmaß; Unzuverlässigkeit; Zuverlässigkeit; Zwangsgeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.08.2003
- Aktenzeichen
- 11 B 2429/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48097
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 17 Abs 1 Nr 2 BJagdG
- § 18 BJagdG
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 48 Abs 1 VwVfG
- § 48 Abs 3 VwVfG
- § 5 Abs 2 Nr 1a WaffG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 18 BJagdG findet keine Anwendung, wenn der Jagdschein von der zuständigen Behörde in Kenntnis eines zwingenden Versagungsgrundes erteilt worden ist. Im Falle der jagdrechtlichen Unzuverlässigkeit werden die Vorschriften über die Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten nicht verdrängt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Einziehung des Jagdscheines durch die Antragsgegnerin.
Der 1969 geborene Antragsteller war ausweislich der von der Antragsgegnerin angeforderten Auskunft des Bundeszentralregisters vom 27.01.2003 vom Amtsgericht Neustadt am Rübenberge mit rechtskräftigem Urteil vom 01.03.2001 wegen räuberischen Diebstahls in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Nach vorheriger Anhörung erklärte die Antragsgegnerin den dem Antragsteller von ihr am 16.04.2003 erteilten Jahresjagdschein Nr. 5746 mit Verfügung vom 02.06.2003 unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit für ungültig; sie zog ihn ein und setzte für die Wiedererteilung des Jagdscheins eine Sperrfrist bis zum 28.02.2006 fest. Zugleich drohte die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR für den Fall an, dass der Antragsteller den Jagdschein nicht bis zum 13.06.2003 abgibt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, sie sei verpflichtetet, den Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen, weil dem Antragsteller die erforderliche jagdrechtliche Zuverlässigkeit fehle. Gründe für ein Abweichen von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a Waffengesetz (WaffG) ergäben sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge vom 01.03.2001 nicht. Erst aufgrund der Gesetzesänderung zum 01.04.2003 sei der Antragsteller als unzuverlässig im Sinne des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) anzusehen. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich im Prüfungsverfahren befunden und man hätte ihn wegen der umfangreichen Vorbereitungen die Jägerprüfung abschließen lassen. Als er am 16.04.2003 unter Vorlage des Prüfungszeugnisses die Ausstellung des Jagdscheines beantragt habe, habe für den Sachbearbeiter keine Veranlassung bestanden, die Zuverlässigkeit erneut zu überprüfen, da nach den Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Jagdgesetz ( AB-NJagdG ) eine solche Überprüfung innerhalb von drei Monaten nach einer in Niedersachsen bestandenen Jägerprüfung unterbliebe. Wegen der fehlenden Benachrichtigung zwischen den beteiligten Sachbearbeitern sei der Jagdschein dann versehentlich erteilt worden. Der rechtswidrig erteilte Jagdschein könne auch nach § 48 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ohne Einschränkungen zurückgenommen werden. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller auf den Jagdschein nicht angewiesen sei; insbesondere der Erwerb von Waffen oder Munition müsse zum Schutz der Allgemeinheit verhindert werden. Die Auswahl des Zwangsmittels sei angemessen. Die Festsetzung der Sperrfrist orientiere sich an § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG.
Über den Widerspruch des Antragstellers vom 10.06.2003 ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Der Antragsteller hat am 11.06.2003 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und macht geltend, die Antragsgegnerin habe das ihr zustehende Ermessen nicht richtig ausgeübt. Unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit und der Natur der Straftat habe sie eine andere Beurteilung vornehmen müssen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 10.06.2003 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 02.06.2003 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen,
und führt ergänzend aus, nach den Vorschriften des BJagdG stehe ihr kein Ermessen zu. Unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers, das mit dem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten, habe sie sich bei der Ausübung ihres Ermessens bei der Anwendung des § 48 Abs. 1 VwVfG von der Erwägung leiten lassen, dass der Schutz der Allgemeinheit vor waffenrechtlichen Sicherheitsrisiken den Wunsch des Antragstellers die Jagd auszuüben überwiege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist unbegründet.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung der Antragsgegnerin vom 02.06.2003 überwiegt das besondere Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 10.06.2003. Das private Interesse des Antragstellers, vorläufig in den Besitz einer Waffe zu gelangen um die Jagd auszuüben, muss in Anbetracht seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit hinter dem öffentlichen Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor waffenrechtlichen Sicherheitsrisiken zurücktreten. Die angefochtene Verfügung ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Vielmehr dürfte sie sich im Hauptsacheverfahren auch aufgrund der von der Antragsgegnerin nachgeschobenen Ermessenserwägungen als rechtmäßig erweisen.
Nach Auffassung der Kammer kann die Antragstellerin die Entziehung des Jagdscheins allerdings nicht auf §§ 18, 17 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG vom 11.10.2002 (BGBl. I S. 3970) stützen. Nach § 18 BJagdG ist die Behörde in den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheines begründen, erst nach Erteilung des Jagdscheines eintreten oder der Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, bekannt werden. Der Tatbestand ist nicht erfüllt, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen der Antragsgegnerin bereits vor Erteilung des Jagdscheines vom 16.04.2003 bekannt waren. Die Auskunft des Bundeszentralregisters vom 27.01.2003, aus der sich die Verurteilung des Antragstellers zu sechs Monaten Freiheitsstrafe ergibt, lag der Antragsgegnerin bereits Ende Januar 2003 vor. Ihr war auch bekannt, dass das zum 01.04.2003 in Kraft getretene neue Waffengesetz bei strafrechtlich relevantem Verhalten die waffenrechtliche und damit auch die jagdrechtliche Zuverlässigkeit im wesentlichen an das Strafmaß und nicht mehr wie zuvor an bestimmte Delikte knüpft. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG besitzen die erforderlich Zuverlässigkeit in der Regel nicht Personen, die rechtskräftig wegen einer vorsätzlichen Straftat u.a. zu einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden sind. Danach hätte die Antragsgegnerin eine erneute Prüfung der jagdrechtlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers vornehmen müssen.
Die Antragsgegnerin kann sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Ausführungsbestimmungen zum Niedersächsischen Jagdgesetz ( AB-NJagdG ) berufen. Nach Ziff. 22.1.3 des RdErl. d. ML vom 22.03.2001 (Nds. MBl. S. 305) hat die Jagdbehörde bei der Ausstellung eines Jagdscheines die Zuverlässigkeit des Antragstellers zu prüfen. Hierzu hat sie bei erstmaliger Beantragung des Jagdscheines eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister einzuholen, es sei denn, dass dieses innerhalb von drei Monaten nach einer in Niedersachsen bestandenen Jägerprüfung geschieht. Diese Verwaltungsvorschrift entbindet die Antragstellerin unter den gegeben Voraussetzungen schon nach ihrem Wortlaut nicht von der erneuten Prüfung der Zuverlässigkeit des Antragstellers sondern lediglich von der Einholung einer (weiteren) aktualisierten Auskunft aus dem Bundeszentralregister. Dieser bedurfte es vorliegend nicht. Die entscheidungserheblichen Tatsachen gehen aus der Auskunft des Bundeszentralregisters vom 27.01.2003 hervor.
Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung hingegen zutreffend auf § 48 VwVfG gestützt.
Die Kammer teilt insofern nicht die Auffassung des VG Sigmaringen (Beschluss vom 06.10.1998 - 4 K 2217/98 -), nach der § 18 BJagdG für die tatbestandlich geregelten Fälle - wie die der Unzuverlässigkeit - als speziellere Norm die Vorschriften über die Rücknahme von rechtwidrigen begünstigenden Verwaltungsakten verdrängt. Diese Rechtsprechung würde in dem von § 18 BJagdG nicht erfassten Fall, in dem der Jagdschein in Kenntnis eines zwingenden Versagungsgrundes erteilt worden ist, wegen des Fehlens einer Ermächtigungsgrundlage unter keinem Gesichtspunkt zur Einziehung des Jagdscheins gelangen. Sie widerspricht nach Auffassung der Kammer dem Willen des Gesetzgebers, bei waffen- und jagdrechtlicher Unzuverlässigkeit das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten. Demgegenüber muss das vom Inhaber eines rechtswidrig erteilten Jagdschein getätigte Vertrauen zurückstehen. Diesem ist durch die Regelung des § 48 Abs. 3 VwVfG ausreichend Genüge getan.
Nach § 48 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Antragsgegnerin ist in der angefochtenen Verfügung vom 02.06.2003 zutreffend von der Rechtswidrigkeit des dem Antragsteller am 16.04.2003 erteilten Jagdscheins ausgegangen. Dieser hätte nach § 17 Abs. Abs. 1 Nr. 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG vom 11.10.2002 ohne erneute Überprüfung der jagdrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht erteilt werden dürfen. Diese Überprüfung ist versehentlich oder wegen rechtlich falscher Beurteilung durch den Sachbearbeiter der Antragsgegnerin unterblieben. Auch die von der Antragsgegnerin im Antragsverfahren nachgeschobenen Ermessenserwägungen bei der Ausübung des Rücknahmerechts sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat sich bei ihrer Entscheidung von der Erwägung leiten lassen, dass der Schutz der Allgemeinheit vor waffenrechtlichen Sicherheitsrisiken den Wunsch des Antragstellers die Jagd auszuüben überwiegt.
Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung, die Androhung des Zwangsmittels und die Festsetzung der Sperrfrist entspricht den gesetzlichen Voraussetzungen und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat auch insofern die maßgeblichen Interessen der Beteiligten zutreffend abgewogen. Auf die Gründe der angefochtenen Verfügung kann soweit Bezug genommen werden.
Der Antrag ist mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.