Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.08.2003, Az.: 6 B 3510/03
Andere Schule; Gestattung; Schulbesuch; Schulweg; unzumutbare Härte; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.08.2003
- Aktenzeichen
- 6 B 3510/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48305
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 114 SchulG ND
- § 114 Abs 1 S 1 SchulG ND
- § 63 Abs 3 S 4 SchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Begriff der unzumutbaren Härte in § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG dient nicht dazu, mit der Gestattung des Besuchs einer anderen Schule Umstände zu berücksichtigen, für die der Träger der Schülerbeförderung aus § 114 Abs. 1 und 2 NSchG zuständig ist und die dieser zu regeln hat.
2. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Verpflichtung des Trägers der Schülerbeförderung, die Schülerinnen und Schüler des Primarbereichs unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern (§ 114 Abs. 1 Satz 1 NSchG), kann die Erreichbarkeit der zuständigen Schule nur dann eine Bedeutung bei der Auslegung des Begriffs der unzumutbaren Härte in § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG gewinnen, wenn sich ein nach seiner zeitlichen Länge und seinem Gesamtumständen zumutbarer Schulweg auch durch die Möglichkeiten der Schülerbeförderung (z.B. Individualbeförderung) nicht herstellen lässt.
Gründe
I. Die Antragsteller sind die Eltern der am 22. Februar 1997 geborenen Schulanfängerin M. B.. Sie wohnen mit ihrer Tochter in der C. straße im Stadtteil E. der Landeshauptstadt Hannover und damit im Schulbezirk der im Stadtteil F. gelegenen Grundschule G. straße , einer Vollen Halbtagsschule.
Im Hinblick auf die anstehende Einschulung ihrer Tochter beantragten die Antragsteller am 31. März 2003 bei der zuständigen Grundschule G. straße , ihrer Tochter den Besuch der im Stadtteil E. gelegenen Grundschule H., einer Verlässlichen Grundschule, zu gestatten. Ihren Antrag begründeten die Antragsteller damit, dass die Antragstellerin zu 1. mit einer Teilzeitbeschäftigung berufstätig sei und dass sich ihre Arbeitszeit Montags und Donnerstags auf die Zeit von 8.15 bis 12.30 Uhr erstrecke. An diesen Tagen übernehme die ebenfalls teilzeitbeschäftigte Frau I., für deren Sohn J. sie, die Antragstellerin zu 1., Tagesmutter sei, ab 13.15 Uhr die Betreuung, während die Betreuung an der übrigen Tagen ab 13.00 Uhr von ihr selbst übernommen werde. J. werde ebenfalls die Grundschule H. besuchen. Die Grundschule G. straße biete aber nur eine Betreuung bis 12.00 Uhr an, während die Grundschule H. die Kinder bis 13.00 Uhr betreue.
Außerdem sei der Schulweg von ihrer Wohnung zur Grundschule H. mit 18 Minuten deutlich kürzer als der 34-minütige Schulweg zur Grundschule G. straße und den Kindern bekannt. Auch sei die Lebensplanung und die Teilung der Betreuung mit Frau I. auf einen Schulbesuch in E. ausgerichtet. Schließlich sei der Schulweg zur Grundschule G. straße wegen der zu überquerenden Straßen auch nicht sicher; er stelle selbst für Erwachsene eine Herausforderung dar.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit einem Bescheid vom 15. Juli 2003 ab. Dagegen erhoben die Antragsteller Widerspruch. Zur Widerspruchsbegründung machten sie geltend, dass die mit der Familie I. organisierte Betreuung für die vier Kinder der beiden Familien ohne die Gestattung des Besuchs der Grundschule H. nicht möglich sein werde. Außerdem habe die Antragsgegnerin die tatsächlichen Arbeitszeiten der Antragstellerin zu 1. nicht berücksichtigt; insoweit seien Zeiten einer fehlenden Betreuung ihrer Tochter zu befürchten. Der Schulweg zur Grundschule G. straße sei bei seiner praktischen Erprobung bereits durchgefallen, da an der gefährlichen Auffahrt zum Südschnellweg ein Autofahrer nur mit Mühe sein Fahrzeug auf dem Zebrastreifen zum Stehen gebracht habe. Das Rotlicht der Ampel für Abbieger auf den Südschnellweg werde häufig übersehen. Mit Fußgängern werde unter der verdunkelten Brücke nicht gerechnet. Weiter sei die dreifache Verkettung der Fahrbahn eine den Schulweg für Kinder erschwerende Situation.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2003 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben am 20. August 2003 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Sie weisen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren zur mangelnden Sicherheit des Schulweges zur Grundschule G. straße hin. Im Übrigen machen sie geltend, dass die mit ihrer Tochter befreundeten Kinder ebenfalls die Grundschule H. besuchen werden, ebenso der von der Antragstellerin zu 1. betreute Freund J. I., der die Grundschule H. aufgrund einer Gestattung der zuständigen Grundschule Beuthener Straße besuchen werde. Ihnen sei nur bekannt, dass ein weiteres Kind aus der Nachbarschaft zur Grundschule G. straße gehen werde. Ein Schulbesuch an der Grundschule G. straße sei nicht möglich, weil die Antragstellerin es nicht schaffe, ihren Sohn in die Kindertagesstätte und unmittelbar daran anschließend um 08.00 Uhr zur Grundschule G. straße zu bringen, denn beide Einrichtungen lägen zu weit auseinander. Auch bei dem Antragsteller zu 2. sei nicht sicher gestellt, dass er dieses erledigen könne. Die Antragstellerin zu 2. müsse bis 13.00 Uhr arbeiten, manchmal auch bis 13.30 Uhr, so dass sie nicht um 12.35 Uhr zur Abholung ihrer Tochter an der Grundschule G. straße sein könne. Schließlich hätten sie einen Antrag auf Aufnahme ihrer Tochter in die Nachmittagsbetreuung im Hort in E. gestellt, damit die Antragstellerin zu 1. an weiteren Tagen arbeiten könne.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihnen eine Ausnahmegenehmigung zum Schulbesuch ihrer Tochter Mira Sophie in der Grundschule H. zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, dass der Besuch einer anderen Schule nicht gestattet werde, um eine Begleitung auf dem Schulweg zu ermöglichen. Der Antragsteller zu 2. könne seine Tochter morgens zur zuständigen Schule bringen, da seine Kernzeit erst um 09.00 Uhr beginne. Außerdem sei eine Begleitung des Kindes nur in der Übergangszeit zu Beginn der 1. Klasse erforderlich. Nach Auskunft der Grundschule G. straße werde diese Schule allein aus der C. straße fünf weitere Kinder einschulen. Die Sicherheit des Schulweges sei bei der Festlegung der Schulbezirke berücksichtigt worden. Die Betreuung der Tochter der Antragsteller sei ebenfalls gewährleistet, denn bei einem Ende der Betreuung in der Grundschule G. straße um 12.35 Uhr und einem 30-minütigen Schulweg treffe sie an den Arbeitstagen ihrer Mutter in etwa zur selben Zeit wie diese zuhause ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Beiakte A) verwiesen.
II. Der Antrag ist nicht begründet.
Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet wird, den Antragstellern zu gestatten, dass ihre Tochter die Grundschule H. besucht, haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 VwGO) nicht glaubhaft gemacht.
Soweit für Schulen Schulbezirke festgelegt worden sind, haben die Schülerinnen und Schüler gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG diejenige Schule der von ihnen gewählten Schulform zu besuchen, in deren Schulbezirk sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Danach hat die Tochter der Antragsteller die Grundschule G. straße zu besuchen, denn nach § 2 Abs. 1 der Satzung über die Festlegung von Schulbezirken für die allgemein bildenden Schulen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Hannover erstreckt sich der Schulbezirk dieser Grundschule auf den Bereich der Grundstücke an der C. straße , in dem die Antragsteller wohnen. Davon abweichend kann nach § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG der Besuch einer anderen Schule, hier der näher gelegenen Grundschule H. nur gestattet werden, wenn
1. der Besuch der zuständigen Schule für die betreffenden Schülerinnen oder Schüler oder deren Familien eine unzumutbare Härte darstellen würde oder
2. der Besuch der anderen Schule aus pädagogischen Gründen geboten erscheint.
Es ist nichts dafür ersichtlich und von den Beteiligten auch nicht vorgetragen, dass zwingende pädagogische Gründe für den Besuch der Grundschule H. vorliegen könnten. Die Antragsteller haben auch keine Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Besuch der zuständigen Grundschule G. straße für sie oder ihre Tochter eine unzumutbare Härte darstellen würde. Der Begriff der unzumutbaren Härte kennzeichnet eine Situation, die sich von den typischen Härten, die mit der Festlegung von Schulbezirken verbunden ist, deutlich unterscheidet und das private Interesse der Schülerin oder des Schülers oder der Familie an dem Besuch einer anderen Schule so dringend erscheinen lässt, dass es das nach § 63 Abs. 2 und 3 NSchG grundsätzlich vorrangige Interesse an der Steuerung der Schülerströme durch die Einhaltung von Schulbezirksgrenzen zurückdrängt. Eine solche besondere, durch den Begriff der Unzumutbarkeit gekennzeichnete Situation ist im Fall der Tochter der Antragsteller nicht erkennbar.
Dass Schulanfänger mit der Einschulung persönliche Bindungen verlieren können, die während der Besuchs des Kindergartens oder in ihrer Nachbarschaft entstanden sind, ist für ihre Situation nach der Einschulung gerade in einer Großstadt mit einer Vielzahl von Kindertagesstätten, Grundschulen und Schulbezirksgrenzen typisch und keine allein durch die Lage der Wohnung der Antragsteller im Stadtteil E. vorgegebene Besonderheit. Dieser Umstand allein kann eine unzumutbare Härte nicht begründen.
Die Voraussetzungen einer durch die Notwendigkeit der Organisation einer Betreuung der Tochter der Antragsteller bedingte unzumutbare Härte sind ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Zum einen haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass sie ihre Tochter während der Eingangsphase nach der Einschulung auf dem morgendlichen Schulweg nicht begleiten und diesen mit ihr einüben können. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass der Beginn der täglichen Arbeitszeit des Antragstellers zu 2. nach seinen eigenen Angaben in der Zeit bis 09.00 Uhr variabel ist. Der Antragsteller kann daher, da er in Hannover berufstätig ist, seine Tochter bis zum Unterrichtsbeginn um 08.00 Uhr zur Grundschule G. straße begleiten. Auch hinsichtlich der Situation im Anschluss an die Betreuungszeit der Grundschule G. straße ist eine unzumutbare Härte nicht glaubhaft gemacht. Insoweit stellt sich auch aus der Sicht der Antragsteller die Frage der ausreichenden Betreuung offensichtlich nur an den Tagen, an denen die Antragstellerin zu 2. arbeitet, nämlich Montags und Donnerstags. An diesen Tagen wird die Tochter der Antragsteller tatsächlich in etwa zur selben Zeit in der C. straße eintreffen wie ihre in der Regel bis 12.50 bzw. 13.00 Uhr (s. Ausschnitt aus dem Lohnzettel) in E. arbeitende Mutter. Sollte sich die Arbeitszeit der Mutter ausnahmsweise bis 13.30 Uhr verlängern, wäre an diesen Tagen nach dem vorgelegten Betreuungsplan die Betreuung durch Frau I. sicher gestellt.
Soweit die Antragsteller geltend machen, dass ihrer Tochter der Besuch der Grundschule G. straße wegen der fehlenden Sicherheit des dorthin führenden Schulweges nicht zugemutet werden könne, tragen sie ebenfalls keine unzumutbare Härte vor. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Verpflichtung des Trägers der Schülerbeförderung, die Schülerinnen und Schüler des Primarbereichs unter zumutbaren Bindungen zur Schule zu befördern (§ 114 Abs. 1 Satz 1 NSchG), kann die Erreichbarkeit der zuständigen Schule nur dann eine Bedeutung bei der Auslegung des Begriffs der unzumutbaren Härte in § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 NSchG gewinnen, wenn sich ein nach seiner zeitlichen Länge und seinem Gesamtumständen zumutbarer Schulweg auch durch die Möglichkeiten der Schülerbeförderung (z.B. Individualbeförderung) nicht herstellen lässt. Eine solche Ausnahmesituation, die bei langen, auch durch Einzelbeförderung nicht auf zumutbare Zeiten zu reduzierenden Schulfahrten denkbar ist, liegt hier nicht vor. Wenn es tatsächlich zutrifft, dass der Fußweg entlang der Brabeckstraße für die Schülerinnen und Schüler aus der C. straße der einzig mögliche Schulweg zur Grundschule G. straße ist, hätten die Antragsteller angesichts der gerichtsbekannten Verkehrssituation an den Ab- und Zufahrten zur Bundesstraße 65 (Südschnellweg) aus § 114 Abs. 1 Satz 1 NSchG gegen die Region Hannover als Trägerin der Schülerbeförderung möglicherweise einen Anspruch auf Schülerbeförderung oder Kostenerstattung für die Beförderung zur Grundschule G. straße , und zwar unabhängig von dem Umstand, dass der Schulweg die festgesetzte Mindestentfernung von 2 km nicht erreicht. Denn aus § 114 Abs. 2 Satz 2 NSchG folgt, dass die Festsetzung einer Mindestentfernung durch den Träger der Schülerbeförderung auch den altersbedingten Einschränkungen der Belastbarkeit von Schulkindern Rechnung tragen und abweichenden Entscheidungen in besonderen Einzelfällen zugänglich sein muss, wenn zum Beispiel der Schulweg besonders gefährlich ist. Dem dürfte im vorliegenden Fall aber schon entgegen stehen, dass zum einen nach dem vorliegenden Ausschnitt aus dem Stadtplan von Hannover ein weiterer Schulweg mit Unterführung der Bundesstraße 65 durch die Anecampstraße und die Straße An der Trift möglich ist und dass zum anderen der Weg von E. nach F. auch mit den die Brabeckstraße zwischen den Haltestellen C. straße und Kleiner Hillen befahrenden Buslinien 123 und 124 bewältigt werden kann (s. Busnetz Hannover unter http://www.efa.de; vgl. auch Stellungnahme des Schulamtes der Landeshauptstadt Hannover vom 2.7.2003; Bl. 24, 25 Beiakte A). Jedenfalls dient der Begriff der unzumutbaren Härte in § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG nicht dazu, mit der Gestattung des Besuchs einer anderen Schule Umstände zu berücksichtigen, für die der Träger der Schülerbeförderung aus § 114 Abs. 1 und 2 NSchG zuständig ist und die dieser zu regeln hat.