Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.06.2007, Az.: 1 A 302/04
Polizeidienst; Polizeivollzugsdienst; Wiederverwendung; Ruhestand; Dienstunfähigkeit; Polizeidienstfähigkeit; Polizeidienstunfähigkeit; Prognoseentscheidung; Einstellung (öffentlicher Dienst); Eignung (gesundheitlich); Amtsarzt; amtsärztliche Untersuchung; Diagnose; Hörvermögen; Nervensystem; Defizite, körperliche; Vorrang amtsärztlicher Gutachten
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.06.2007
- Aktenzeichen
- 1 A 302/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 62404
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2007:0620.1A302.04.0A
Rechtsgrundlagen
- NBG §54 Abs. 1
- § 226 NBG
- § 300 PDV
- § 300 Pkt. 6.3 PDV
- § 300 Pkt. 11 PDV
- Runderlass Nds. MI v. 29.9.1998
Tatbestand
Der Kläger erstrebt seine Wiederverwendung aus dem Ruhestand und Wiedereinstellung in den Polizeivollzugsdienst.
Er wurde mit Ablauf des Mon ats November 1995 wegen Dienstunfähigkeit - Herzmuskelentzündung - in den Ruhestand versetzt. Nach Abheilung beantragte er mit Schreiben vom 10. August 1998 seine Wiederverwendung aus dem Ruhestand, was durch Bescheid vom 4. September 2001 mit der Begründung abgelehnt wurde, zwingende dienstliche Gründe stünden dem entgegen. Auf seine Klage wurde die Beklagte durch Urteil der Kammer vom 10. September 2002 (1 A 314/01 ) verpflichtet, dem Antrag des Klägers auf Wiederverwendung zu entsprechen. Die zugelassene Berufung wurde mit Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. Januar 2004 (5 LB 357/03 ) verworfen.
Danach wurde sein Antrag auf Wiederverwendung erneut durch Bescheid vom 14. Juni 2004 abgelehnt, u.zw. unter Bezug auf ein Formblatt des Medizinischen Dienstes der Polizei bei der Bezirksregierung L. vom 7. Juni 2004 mit der Begründung, der Kläger sei "polizeidienstuntauglich".
Zur Begründung seiner - nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren - dagegen gerichteten, am 6. August 2004 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, die Stellungnahme des Medizin. Dienstes der Polizei bei der Bezirksregierung L. vom 7. Juni 2004 enthalte keinerlei nachprüfbare Begründung, so dass der angefochtene Bescheid nicht § 39 Abs. 1 VwVfG entspreche. Die Überwindung seiner Krankheit sei schon im Juli 1998 vom Medizin. Dienst in S. bestätigt worden. Er sei polizeidiensttauglich. Alterstypische gesundheitliche Einschränkungen hinderten nicht die Reaktivierung eines Ruhestandsbeamten. Der Auffassung, er sei hinsichtlich seines Gesundheitszustandes so zu behandeln, als ginge es um seine erstmalige Verbeamtung, sei unter Bezug auf das Urteil der Kammer vom 10. September 2002 entgegenzutreten: Entscheidend könne nur sein, ob er heute gesundheitlich den Anforderungen entspreche, die an aktive Polizeibeamte seines Alters gestellt werden. Schon die bislang in seinem Fall durchgeführten Untersuchungen gingen weit über das hinaus, was bei jungen Bewerbern für deren Einstellungen gefordert werde.
Der in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2007 widerruflich geschlossene Vergleich ist vom Kläger im April 2007 widerrufen worden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 14.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 zu verpflichten, den Kläger auf seinen Antrag vom 10. August 1998 wieder in den Polizeivollzugsdienst einzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist unter Bezug auf die PDV 300 der Ansicht, der Kläger sei polizeidienstuntauglich. Nach dem Rd.Erlass des MI v. 29.9.1998 sei die PDV 300 bei der Überprüfung der Polizeidienstfähigkeit anzuwenden. Polizeidienstunfähigkeit liege danach vor, wenn auch die Anforderungen der eingeschränkten Polizeidienstfähigkeit nicht mehr erfüllt würden und damit die Verwendungsfähigkeit entweder auf Dauer ausgeschlossen sei oder aber nicht zu erwarten sei, dass die erforderliche Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt werde. Der zuständige Amtsarzt habe hier in Anwendung der Bestimmungen des Hauptabschnittes 3 der PDV 300 festgestellt, dass der Kläger polizeidienstunfähig sei. Somit erfülle der Kläger auch die - im Vergleich zu einer Einstellung - geringeren Anforderungen der Polizeidienstfähigkeit nicht. Ggf. müsse hierzu ein Gutachten eingeholt werden.
Auf Anforderung des Gerichts ergänzte der Med. Dienst der Polizei seine Stellungnahme vom 7. Juni 2004 auf der Grundlage einer erneuten Untersuchung des Klägers vom 6. Oktober 2004 dahingehend, dass der Kläger an einer Erkrankung seiner Verdauungsorgange sowie an einer psychopathologischen Entwicklung leide und schließlich nach dem audiometrischen Befund auch eine Hochtonschwerhörigkeit und ein rechtsseitiger Tinnitus vorliege (so Stellungnahme v. 16. November 2004).
Aufgrund des Beschlusses der Kammer vom 10. August 2005 ist Beweis erhoben worden über die Dienstfähigkeit des Klägers, u.zw. durch Einholung von drei Sachverständigengutachten der Medizin. Hochschule Hannover, u.zw. (1.) zu den Erkrankungen der Verdauungsorgane des Klägers, (2.) zu etwaigen psychopathologischen Entwicklungen und (3.) zur Hochtonschwerhörigkeit des Klägers. Nach diesen Gutachten liegen beim Kläger keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die seine Polizeidienstfähigkeit einschränken könnten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Gutachten von Prof. Dr. med. A. der Medizinischen Hochschule Hannover vom 12. Januar 2006 (Bl. 44 f. GA), das Gutachten von Prof. Dr. med. B. der Med. Hochsch. Hannover vom 5. Juni 2006 (Bl. 70 f. GA) und schließlich das Gutachten der Professoren Dr. med. C. und Dr. med. D. vom Januar 2007 Bezug genommen. Weiterhin wird Bezug genommen auf das Ergänzungsgutachten von Prof. Dr. med. E. vom 16. Mai 2007.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger ist von der Beklagten antragsgemäß wieder in den Polizeivollzugsdienst einzustellen, da er die besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst erfüllt.
1. Gemäß § 226 Abs. 1 NBG ist ein Polizeivollzugsbeamter dann iSv § 54 Abs. 1 NBG dienstunfähig, wenn er den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst zum einen nicht mehr genügt und zum andern auch nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt. Die gesundheitlichen Anforderungen beziehen sich dabei auf medizinisch diagnostizierbare körperliche Gebrechen oder Schwächen des Polizeivollzugsbeamten. Bloße Befürchtungen oder Vorbehalte reichen nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht aus.
Durch den Runderlass d. MI v. 29.9.1998 (Nds. MBl. 1998 S. 1322) ist für den Niedersächsischen Polizeidienst die PDV 300 (Ausgabe 1998) für anwendbar erklärt worden, durch welche die genannten Normen des NBG ausgefächert und näher konkretisiert werden. Diese PDV 300 gilt bundesweit und wird in allen Bundesländern angewandt. Die PDV 300 stellt eine norminterpretierende und -ausfüllende Vorschrift dar. Vgl. VGH Baden-Württ.V. 31.5.1994 - 4 S 533/93 - :
"...Polizeidienstvorschrift stellt eine rechtsnormausfüllende, auch Fürsorgegesichtspunkten Rechnung tragende, allgemeine Entscheidung des Dienstherrn dazu dar, welche gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen von den Polizeibeamten erfüllt sein müssen, um den besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit zu genügen (vgl. Nr. 1.1 PDV 300). Nach Nr. 3.1.1 der PDV 300 ist bei der Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit unter anderem von den Tauglichkeitsanforderungen der Anlage 1 auszugehen."
Trotz dieser Konkretisierung durch die PDV 300 ist die gerichtliche Kontrollbefugnis im Regelfall eingeschränkt. Vgl. Urt. des VG München v. 4.7.2006 - M 5 K 05.1936 - :
"Bei Beamten des Polizeivollzugsdienstes bestimmen sich diese Anforderungen im Wesentlichen nach den in Art. 134 BayBG genannten Kriterien für die Polizeidienstfähigkeit, die in der PDV 300 näher spezifiziert werden. Als Akt wertender Erkenntnis ist die Prognoseentscheidung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar und zwar lediglich dahingehend, ob der Begriff der mangelnden Bewährung/Eignung oder die gesetzliche Grenze des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Tatbestand zu Grunde liegt oder ob allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet bzw. sachwidrige Erwägungen angestellt wurden (vgl. BayVGH v. 16.5.2002, Az. 3 CS 02 629; BVerwG v. 18.7.2001, ZBR 2002, 184 [BVerwG 03.07.2001 - BVerwG 1 WB 24.01]).
Diese Einschränkungen verwaltungsgerichtlicher Kontrolle für die verwaltungsseitig getroffene Prognoseentscheidung gelten auf dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG jedoch nicht in jedem Falle, vor allem dann nicht, wenn aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 VwGO) medizinische Gutachten zu einschlägigen Sachfragen eingeholt worden sind. In einem solchen Fall ist eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrollbefugnis zur Frage der gesundheitlichen Eignung gegeben und vom Gericht, gestützt auf medizinische Sachverständige, aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG wahrzunehmen.
2. Die PDV 300 dient normalerweise als Grundlage bei der Einstellungsuntersuchung von Polizeibeamten und zielt auf das Ausloten einer erhöhten Belastbarkeit dieser Beamten.
"Die Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit erfolgt auf der Grundlage der hierzu bundesweit geltenden Polizeidienstvorschrift (PDV 300). Darin ist der Inhalt der Untersuchung vorgeschrieben und es sind die Fehler benannt, die eine Einstellung ausschließen. Im Ergebnis dieser Untersuchung wird festgestellt, ob die Polizeidiensttauglichkeit oder eine Polizeidienstuntauglichkeit vorliegt. Möglich ist, dass über die Polizeidiensttauglichkeit erst nach Erfüllung von Auflagen (z.B. Beibringung verschiedener fachärztlicher Befunde in einer vorgegebenen Frist) befunden wird." - ... so die Hinweise des Landes Sachsen zur PDV 300.
In Abschn. 2 des genannten Nds. Erlasses (PDV300RdErl) heißt es:
"In Niedersachsen wird bei der Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst auch die Eignung für Ausbildungsmaßnahmen vorausgesetzt. Daher sind bei der ärztlichen Begutachtung anläßlich der Überprüfung der Polizeidienstfähigkeit nur folgende Aussagen zu verwenden:
"gesundheitlich uneingeschränkt geeignet für den Polizeivollzugsdienst" oder
"gesundheitlich eingeschränkt geeignet für den Polizeivollzugsdienst" oder
"gesundheitlich nicht geeignet für den Polizeivollzugsdienst, geeignet für den allgemeinen Verwaltungsdienst" oder
"gesundheitlich nicht geeignet für den Polizeivollzugsdienst und nicht geeignet für den allgemeinen Verwaltungsdienst"."
Wenngleich diese Termini von den hier tätig gewordenen Amtsärzten nicht verwandt worden sind, so sind deren Stellungnahmen doch auslegbar. Diese sind den genannten Aussagen zuzuordnen, so dass klar ist, was die Amtsärzte im vorliegenden Fall mit "Polizeidienstunfähigkeit" gemeint haben.
Damit gilt die PDV 300 zunächst einmal - wie auch der Mediz. Dienst der Polizei bei der Bezirksregierung F. richtig formuliert hat - für die "Einstellung" in den Polizeidienst, nicht jedoch in den Fällen der Wiederverwendung eines bereits einmal als Vollzugsbeamter tätig gewesenen und für geeignet befundenen Beamten. Das ist bereits im Urteil der Kammer vom 10. September 2002 (dort S. 6) ausgeführt. Dort heißt es:
"Eine erneute Feststellung der Befähigung ist weder erforderlich noch dem Beamten zumutbar (GKÖD Bd. I, 2. Teil, Loseblattsammlung, BBG K § 45 Rdn. 8). Ähnliches gilt für die - früher schon einmal bei der Einstellung geprüfte - generelle Eignung des Beamten, die grundsätzlich nicht wie bei einer Neueinstellung erneut geprüft werden kann. Denn es handelt sich ja um die (bloße) Reaktivierung eines bereits langjährig tätig gewesenen Beamten, dessen Eignung schon einmal festgestellt worden war."
Es wäre auch eine Überspannung der Anforderungen, einen älteren, bereits einmal für polizeidienstfähig befundenen Polizeibeamten nochmals an jenen Maßstäben zu messen, die für junge Bewerber um den Polizeidienst gelten. Die Polizeibeamten, die schon über 10 Jahre oder länger im Polizeivollzugsdienst tätig sind, werden auch nicht kontinuierlich anhand der Maßstäbe der PDV 300 untersucht und daran gemessen, ob noch ihre Polizeidienstfähigkeit wie bei einer Einstellungsuntersuchung gegeben ist.
Insofern ist die Stellungnahme der Zentralen Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - vom 7. März 2007 nicht verwendbar, da sie auf falschen Annahmen beruht und ihr die unzutreffende Vorstellung zugrunde liegt, im Falle auch der Wiederverwendung eines Beamten sei die PDV 300 uneingeschränkt anwendbar. Das ist nicht der Fall. Der gen. Medizin. Dienst geht insoweit von falschen Voraussetzungen aus und legt fälschlich uneingeschränkt die PDV 300 als Maßstab an. Das ist nicht möglich. Vielmehr kann bei der Wiederverwendung eines Beamten die PDV 300 nur noch ein eingeschränkter Orientierungsmaßstab mit sinngemäß reduziertem Inhalt sein.
Diesen reduzierten Anforderungen an eine gesundheitliche Eignung genügt der Kläger ohne weiteres. Insoweit kann auf die eingeholten Gutachten in vollem Umfang Bezug genommen werden. Sämtliche Gutachter gelangen zu dem Ergebnis, dass beim Kläger keine Einschränkungen seiner gesundheitlichen Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst bzw. den Polizeivollzugsdienst vorliegen, er vielmehr als körperlich leistungsfähig anzusehen sei und sich in einem altersentsprechend guten Zustand befinde.
3. Aber auch dann, wenn man die PDV 300 in dem Sinne heranziehen wollte, wie das die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - in ihrer Stellungnahme vom 7. März 2007 für erforderlich hält, hat die Klage Erfolg. Denn auch den gesundheitlichen Anforderungen der PDV 300 genügt der Kläger, wie die gerichtlich bestellten Gutachter der Medizinischen Hochschule Hannover festgestellt haben.
3.1 Die amtsärztlichen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Polizei bei der Bezirksregierung F. (Dr. G.) - zunächst v. 7.6.2004, sodann v. 16.11.2004 - genügen nicht der PDV 300 / Ziff. 3.1.4, derzufolge ein amtsärztliches Gutachten Vorgeschichte, Befunde, Diagnose und Gesamtbeurteilung enthalten muß.
Die Stellungnahme vom 7. Juni 2004 bestand lediglich aus einem wenig aussagekräftigen Formblatt, jene vom 16. November aus kurz gehaltenen Darlegungen ohne Darstellung der Befunde, Diagnose usw.. Derartig verkürzte Stellungnahmen stellen nicht amtsärztliche Gutachten dar. Vergl. insoweit VG München, B. v. 18.10.1999 - M 5 S 99.1963 - :
"Das polizeiärztliche Gutachten vom 1999 kommt zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller diese Fähigkeit nicht im erforderlichen Maße besitzt, da insbesondere zuverlässiges Reagieren in Streß- und Konfliktsituationen ausgesprochen fraglich erscheine. Dem Antragsteller ist dabei zuzugeben, daß das ihm übermittelte Gutachten knapp gehalten ist und kaum Einzelheiten darstellt, sondern sich lediglich auf eine Gesamtbeurteilung beschränkt. Die Einsichtnahme durch das Gericht in das vollständige Gutachten hat jedoch ergeben, daß es durchaus der Ziffer 3.1.4 der PDV 300 entspricht, wonach das Gutachten Vorgeschichte, Befunde, Diagnose und Gesamtbeurteilung enthalten muß und im einzelnen zu erläutern ist, warum der Beamte nicht mehr die volle Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst besitzt. Der Polizeiarzt kommt unter Auswertung der durchgeführten Untersuchungen zu der Diagnose, daß es sich bei dem Antragsteller um eine deutlich neurotisch und gehemmt wirkende Persönlichkeit mit einem grenzwertigen Gesamt-IQ und bestehenden vegetativen Auffälligkeiten handelt."
Auch die Stellungnahme der Zentralen Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - vom 7. März 2007 (H.) lässt die Anforderungen vermissen, die an ein amtsärztliches Gutachten zu stellen sind. Vorgeschichte, Befunde, Diagnose pp. enthält diese Stellungnahme nicht. Möglicherweise ist sie auch nach Auffassung der Verfasserin nicht als ein amtsärztliches Gutachten zu verstehen, sondern als eine bloße Stellungnahme zu den bereits vorliegenden Gutachten der Mediz. Hochschule Hannover. Dann jedoch fehlt es an einer sachlich fundierten Auseinandersetzung mit diesen Gutachten. Es ist vom medizinischen Standpunkt her nämlich nicht erkennbar, aufgrund welcher Befunde und Annahmen die Amtsärztin entgegen den gutachterlichen Ausführungen zu ihrer Gesamteinschätzung gelangt, der Kläger sei (immerhin) "gegebenenfalls eingeschränkt" polizeidienstfähig, u.zw. dann, wenn eine sichere Aussage zu einer vollständigen psychischen Normalität mit Prognose zur Belastbarkeit in weiteren Konfliktsituationen vorläge. Ihre bloßen Zweifel an der Sicherheit der gutachterlichen Aussagen reichen für die von ihr vertretene Einschränkung nicht aus, da es an einer eigenen Diagnose mit medizinischen Belegen dazu völlig fehlt. Eine medizinisch fundierte Diagnose fehlt. Vgl. insoweit den Beschl. des OVG Nordrhein-Westf.V. 26.8.2005 - 6 E 889/05 - :
"Nicht ersichtlich ist auch, auf Grund welcher medizinischer und sonstiger Fakten der Polizeiarzt zu der Diagnose "rezidivierender Wirbelsäulensyndrome" und einer verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule gelangt ist, die als "altersvorzeitige Verbrauchserscheinungen der Wirbelsäule" (vgl. Nr. 4.2.7 der Anlage 1 der "Ärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit [PDV 300])" eine Polizeidiensttauglichkeit ausschließen soll. Der Hinweis auf mehrfache krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten stützt diese Diagnose nicht."
3.2 Die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - bezieht sich in ihrer Stellungnahme vom 7. März 2007 auf die Pkt. 6.3 und 11 der PDV 300, wenn sie davon spricht, dass der Kläger letztlich "polizeidienstunfähig" sei.
In Pkt. 6.3 ist das "normale Hörvermögen" angesprochen, das offenbar von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen wird, wie ihrer Beweisanregung (vgl. Schr. v. 23.5.2007/Bl. 153 GA) zu entnehmen ist. Denn diese bezieht sich lediglich noch auf den psychischen Gesundheitszustand des Klägers. Die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - hat in ihrer Stellungnahme vom 7. März 2007 (dort S. 2 / Bl. 117 GA) ja auch zugestanden, dass "keine messbare prozentuale Hörminderung vorliegt". Damit ist nur noch Pkt. 11 der PDV 300 in den Blick zu nehmen.
Hiernach "soll" der Polizeibeamte "ausgeglichen, aufgeschlossen, kontaktfähig, ausdauernd, zielstrebig, leistungsbereit" sein und eine "seinem Alter entsprechende Reife besitzen". Diese relativ unscharf formulierten Anforderungen deskriptiver Art legen nicht fest, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen ein psychisches Defizit vorliegt, die Polizeidienstfähigkeit also im Einzelfall nicht gegeben sein soll. Die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - interpretiert diese Anforderungen amtsärztlich dahingehend, dass eine "weitestgehende Stabilität des Nervensystems" Voraussetzung für eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst sei (so Stellungnahme v. 7.3.07, Bl. 116 GA). Hiervon geht auch Prof. I. in seinem Ergänzungsgutachten vom 16. Mai 2007 (Bl. 148 ff GA) aus.
Auch die Forderung in Pkt. 11.1 Abs. 5, die "im Polizeivollzugsdienst auftretenden Stresssituationen verlangen ein belastbares vegetatives Nervensystem", legt - damit übereinstimmend - keine konkreten Kriterien und Maßstäbe fest. Der dann anschließende Satz
"Ausgeprägte Zeichen der sogen. vegetativen Dysregulation dürfen nicht vorhanden sein (z.B. Lidtremor, Zungentremor, Fingertremor, Muskeltremor und Gliedmaßenzucken, unwillkürliche Bewegungen usw.)"
enthält dann zwar konkrete Anhaltspunkte der Dysregulation, aber diese sind beim Kläger ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel nicht gegeben, so dass insoweit - nach der PDV 300 - von seiner psychischen Stabilität auszugehen ist.
Damit obliegt es letztlich fachkundiger medizinischer Begutachtung mit einer erheblichen Brandbreite der Einschätzung und Beurteilung, ob im Ergebnis die für den Polizeivollzugsdienst erforderliche psychische "Festigkeit" gegeben ist oder aber fehlt.
Nach der Einschätzung des Gutachters Prof. I. - Leiter des Zentrums Psychologische Medizin, klinische Psychiatrie und Psychotherapie bei der J. - liegen "keine erheblichen Abweichungen im psychiatrischen Sinne bei dem Probanden" vor. Im Sinne der Gutachtenergänzung vom 16. Mai 2007 belegt schon das Gutachten vom 12. Januar 2006 nach Ansicht des Gutachters, "dass, auch im Sinne der PDV 300, Herr K. als polizeidienstfähig anzusehen ist. Hiermit ist auch im Einklang, dass die PDV 300 von ?weitestgehender Stabilität des Nervensystemś spricht, die gefordert ist."
Trotz der Anforderungen, welche die PDV 300 stellt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 13.10.2005 - 1 L 25/05 -), sind auch unter ihrer Geltung geringe körperliche Defizite - wie etwa eine geringe Sehschwäche - hinnehmbar und ausgleichbar, sind überhöhte und weit überzogene Anforderungen nicht unter Berufung auf den Polizeidienst einforderbar:
"Die PDV 300 lässt angesichts der hohen physischen Anforderungen im Rahmen der Erfüllung der Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes nur in sehr eingeschränkten Maß den Ausgleich körperlicher Defizite durch z. B. orthopädische Hilfsmittel oder Sehhilfen zu (Ziffern 4. und 5. der PDV 300). Lediglich Hilfsmittel, wie z. B. Sehhilfen bei lediglich geringer Sehschwäche, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass diese in der polizeilichen Arbeit zu Beeinträchtigungen führen können, können körperliche Defizite in einer Weise ausgleichen, dass diese der Feststellung der uneingeschränkten Polizeidienstfähigkeit nicht entgegenstehen." (so OVG Sachsen-Anhalt, aaO.).
Hiernach ist der Kläger ohne Frage "gesundheitlich uneingeschränkt geeignet" für den Polizeivollzugsdienst.
4. Soweit die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - (H.) darauf abzuheben versucht, wie der Kläger in gefährlichen Sonder- und Ausnahmesituationen als Waffenträger wohl reagieren könnte, wird eine derartige Fragestellung nicht mehr von der PDV 300 getragen. Insoweit unterstreicht der Gutachter in seinem Ergänzungsgutachten vom 16. Mai 2007 zu Recht, dass das nur durch Simulation entsprd. Gefahrensituationen nachgeprüft werden könnte, was jedoch schon weit über die PDV 300 hinausginge. Diese nimmt allein vorhandene gesundheitliche Gebrechen, Schwächen und Mängel in den Blick, nicht jedoch denkbare Ausfallerscheinungen unter extremen Sonderbedingungen. Vgl. VG Wiesbaden v. 27.6.2006 - 8 E 1088/05 - :
"Das Gericht kann auch nicht ausschließen, dass der Polizeiarzt einen falschen Maßstab angelegt hat bei der Auslegung der PDV 300. Nur das festgestellte Wirbelgleiten stellt nach Ziffer 4.2.5 einen Ausschlussgrund dar. Aus den zuletzt getätigten Äußerungen des Polizeiarztes geht hervor, dass er dem Kläger keine akute Erkrankung mit aktuellen Beschwerden unterstellt und dass die Spondylolyse für ihn nur einen Befund darstellt. Wenn er weiter darauf abstellt, dass die Bewertung des Befundes für die Zukunft entscheidungserheblich sei, so geht er über die Anforderungen der PDV 300 hinaus. Denn diese stellt nur darauf ab, ob eine in der Anlage I aufgeführte Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegt, nicht darauf, ob diese möglicherweise in der Zukunft entstehen könnte."
5. Die medizinische Beurteilung des gerichtlich bestellten Gutachters Prof. I. hat weder die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - (H.) noch die Beklagte substantiiert in Frage gestellt. Das aber wäre erforderlich, wenn der Vorrang der amtsärztlichen Stellungnahme aufrecht erhalten werden sollte. Vgl. dazu die Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgericht v. 5. Juni 2007 - 5 ME 63/07 - :
"Der Beurteilung der (Polizei-)Dienstunfähigkeit durch den Amtsarzt oder gemäß § 226 Abs. 3 NBG den beamteten Arzt kommt zwar grundsätzlich ein Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen zu. Wenn aber dessen medizinische Beurteilung hinsichtlich desselben Krankheitsbildes von der Beurteilung des behandelnden Privatarztes abweicht, ist ein Vorrang nur unter den Voraussetzungen anzuerkennen, dass keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bestehen, die medizinischen Beurteilungen auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhen sowie in sich stimmig und nachvollziehbar sind und der Amtsarzt bzw. beamtete Arzt auf die Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher erläutert hat, eingeht und nachvollziehbar darlegt, warum er ihnen nicht folgt (vgl.: BVerwG, Urt. v. 12.10.2006 - BVerwG 1 D 2.05 -, zitiert nach juris; Beschl. v. 8.3.2001 - BVerwG 1 DB 8.01 -, DVBl. 2001, 1079, zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere hat die Antragsgegnerin eine Stellungnahme der Medizinaloberrätin zu den Ausführungen von Frau Dr. C. vom 13. November 2006 nicht eingeholt, sondern sich lediglich dahingehend eingelassen, dass dieser Arztbericht wiederum eine Aussagen zu den psychosomatischen Problemen des Antragstellers nicht treffe und damit die bisherigen Feststellungen nicht entkräfte. Dem folgt der Senat nach den vorherigen Ausführungen nicht."
Ein "Eingehen" auf das vorliegende Ergänzungsgutachten von Prof. I. und eine "nachvollziehbare Darlegung" dazu, weshalb die Zentrale Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - (H.) oder aber die Beklagte den Ausführungen dieses Gutachters nicht zu folgen vermag, fehlt hier und ist nicht gegeben.
5. Unter diesen Umständen noch ein Obergutachten einzuholen, so wie das die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ohne einen entsprechenden Antrag nochmals angeregt hat, ist nach Lage der Dinge nicht veranlasst. Die vorliegenden Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen ergeben ein umfassendes Bild der gesundheitlichen Eignung des Klägers..
Die Auseinandersetzung der Zentralen Polizeidirektion - Regionaler Medizinischer Dienst Nord-Ost - (H.) mit den eingeholten Gutachten ist insgesamt derart pauschal und oberflächlich, dass sie die ausführlichen und sachkompetent erstatteten Gutachten der Medizinischen Hochschule Hannover nicht zu erschüttern vermögen. Es hätte einer fundierten Auseinandersetzung mit den eingeholten Gutachten bedurft, um sie unter medizinischen Gesichtspunkten in Frage zu stellen. Das ist nicht geschehen. Es ist somit nicht geboten, ein Obergutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.