Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.06.2007, Az.: 2 A 487/06

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.06.2007
Aktenzeichen
2 A 487/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 62156
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2007:0614.2A487.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Zur baurechtlichen Beurteilung einer Reball-Anlage

Tatbestand:

1

Tatbestand Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihr eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung einer Badmintonhalle in eine Reball-Anlage zu erteilen.

2

Auf dem Baugrundstück Osttangente 200 in Winsen/Luhe (Flurstücke E. /F., E. /G., H. /I. und G. /J. der Fluren 6 und 7 der Gemarkung Winsen/Luhe) befindet sich eine Sporthalle, die bislang für Badminton genutzt wurde. Bei einer Ortsbesichtigung am 7. Oktober 2005 stellten die Mitarbeiter des Beklagten fest, dass dort von der K. L. GmbH (Geschäftsführer M. N.) eine "Reball-Anlage" betrieben wurde. Daraufhin ordneten die Mitarbeiter des Landkreises am 7. Oktober 2005 mündlich eine Einstellung dieser Nutzung an. Diese mündliche Regelung wiederholte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2005.

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Am 9. November 2005 stellte die Klägerin einen Bauantrag für die Nutzungsänderung einer Badmintonhalle in ein Fußball-Indoor-Feld und einer Reball-Anlage. Nach der Nutzungsbeschreibung soll der Zutritt zum Reballbereich ausschließlich volljährigen ordentlichen Clubmitgliedern gestattet werden. Beim Reballspiel in der von den Clubmitgliedern beabsichtigten Variante werden die in zwei Mannschaften aufgeteilten Mitglieder versuchen, auf einem abgegrenzten Spielfeld nach einem bestimmten Regelwerk, dessen Einhaltung durch Clubschiedsrichter überwacht werden wird, innerhalb der begrenzten Spielzeit die Basis- oder Zentrumsmarkierung der anderen Mannschaft, typischerweise eine einfarbige Sportflagge, zum eigenen Startpunkt oder dem der gegnerischen Mannschaft zu verbringen. Die Clubmitglieder nutzen dabei in der Halle aufgestellte PVC-Objekte als Deckung. Jedes Vereinsmitglied wird mit einem druckgasbetriebenen sog. Markierer ausgerüstet werden, der elastische Bälle, sog. Reballs, verschießt. Wird ein Clubmitglied von einem solchen Ball getroffen, so muss es sofort aus dem Spiel ausscheiden. Bei den verwendeten Markierern handelt es sich um druckgasbetriebene Schusswaffen im Sinne des Waffengesetzes, die genau wie andere Luftdrucksportwaffen wegen ihrer geringen Mündungsenergie mit dem "F" im Fünfeck gekennzeichnet sind und deren Erwerb und Besitz auch nach der ab dem 1. April 2003 geltenden Fassung des Waffengesetzes für Volljährige erlaubnisfrei ist. Alle Clubmitglieder werden während des Reballspiels eine zertifizierte Schutzmaske tragen, die zuverlässigen Schutz vor Verletzungen bietet. Die Oberbekleidung der Clubmitglieder wird überwiegend aus Paintball Sporttrikots eines amerikanischen Herstellers bestehen. Das Tragen militärischer Tarnkleidung ist den Clubmitgliedern verboten.

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Die Beigeladene erklärte unter dem 12. Dezember 2005, das Baugrundstück liege im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Die verkehrliche Erschließung sei gesichert. Gegen die Errichtung des Fußball-Indoor-Feldes bestünden keine Bedenken, da es sich um eine sportliche Anlage handele, die im Gewerbegebiet zulässig sei. Die geplante Reball-Anlage sei hingegen als Vergnügungsstätte zu sehen, da im Vordergrund nicht die sportliche Ertüchtigung stehe, sondern die Befriedigung eines bestimmten Triebverhaltens. Es solle keine körperliche Leistung, sondern eine sinnliche Reizung erzielt werden. Der erforderlichen Zulassung der Ausnahme werde nicht zugestimmt. Der Betrieb einer Reball-Anlage widerspreche grundgesetzlichen Wertvorstellungen. Ein Spiel, das als jegliches Spielziel beinhalte, in realitätsnaher Weise auf Menschen zu schießen und damit Tötungshandlungen zu simulieren, widerspreche dem durch den Schutz der Menschenwürde und den Schutz des menschlichen Lebens geprägten Wertesystem der deutschen Gesellschaft. Der Betrieb einer Reball-Anlage stelle einen Verstoß gegen § 118 Abs. 1 OWiG dar. Danach handele ordnungswidrig, wer u.a. eine grob ungehörige Handlung vornehme; grob ungehörig sei die Handlung namentlich dann, wenn sie gleichsam als eine Missachtung der Menschenwürde oder der sonst durch die Gemeinschaftsordnung geschützten Interessen erscheine.

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Nach weiterem Schriftwechsel mit der Klägerin lehnte der Beklagte dann mit Bescheid vom 6. Januar 2006 den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung ab. Zur Begründung führte er aus, die geplante Reball-Anlage sei unzulässig, da sie gegen § 1 Abs. 1 NBauO verstoße. Nach dieser Regelung dürfe die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet werden. Zur öffentlichen Sicherheit gehörten insbesondere die Rechtsordnung und damit auch die Vorschriften des Grundgesetzes. Durch die Reball-Anlage würden spielerisch Tötungshandlungen simuliert und eingeübt. Die Ablehnung und damit die Nichtzulassung der Reball-Anlage soll verhindern, dass die durch die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes geprägten unerlässlichen Ordnungsvoraussetzungen missachtet würden und simulierte Tötungshandlungen zum Gegenstand eines öffentlich veranstalteten Unterhaltungsspiels würden. Der Clubcharakter ändere hieran nichts. Es soll der Gefahr begegnet werden, dass durch das realistische "spielerische Töten" von Menschen Hemmungen im Bereich von Gewalt- und Tötungsdelikten abgebaut und Tabus gebrochen würden.

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Am 31. Januar 2006 legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie u.a. aus, ein Verstoß gegen die Menschenwürde sei nicht gegeben. Es handele sich nicht um Publikumsveranstaltungen, so dass die Allgemeinheit von diesen Aktivitäten nichts bemerke. Das Spiel werde im Übrigen nicht als simuliertes Töten empfunden. Beim Boxen sei die Missachtung der Menschenwürde eher gegeben. Das einzelne Clubmitglied nehme in aktiver und selbstbestimmter Weise am Reballspiel teil, so dass eine Verletzung des Schutzgutes des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Objektformel ausscheide. Die Spielregeln simulierten auch keine (tödliche) Verletzung der Spieler. Es dränge sich ein sachgerechter Vergleich mit dem Fechtsport geradezu auf. Um einen sportlichen Zweikampf zu gewinnen, müsse auch der Fechtsportler mit Stoßbewegungen seiner Fechtsportwaffe Treffer auf dem Körper seines Kontrahenten anbringen. Es könne als unstreitig gelten, dass der Fechtsportler seine Tätigkeit nicht als ihn zum Objekt degradierend oder verächtlich machend empfinde, so dass sein Verhalten insoweit keines staatlichen Eingriffes zum Schutz vor sich selbst bedürfe. Fraglich sei auch, warum der Reballsport anders bewertet werden soll als der Boxsport.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2006 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er u.a. ergänzend aus, nach der Laserdromeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei die Menschenwürde nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern auch die Würde des Menschen als Gattungswesen. Dieser Aspekt der Menschenwürde werde durch die Darstellung fiktiver Gewaltakte zu Spiel- und Unterhaltungszwecken verletzt. Beim Spielteilnehmer werde eine Einstellung erzeugt oder verstärkt, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugne, der jedem Menschen zukomme. Ein gewerbliches Unterhaltungsspiel, das auf die Identifikation des Spielteilnehmers mit der Gewaltausübung gegen Menschen angelegt sei und ihm die lustvolle Teilnahme an derartigen - wenn auch nur fiktiven - Handlungen ermöglichen soll, sei wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest der Bagatellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar. Bei den angesprochenen anderen Sportarten wie Boxen oder Fechten handele es sich um Sportarten, die ein langjähriges Training nach sportlichen Regeln erforderten und bei denen der Aspekt der Körperbeherrschung und Körperertüchtigung im Vordergrund stehe. Bei diesen Sportarten habe bereits gegenüber dem eigentlichen Kampfgeschehen eine derart starke Abstraktion stattgefunden, dass hier kein unmittelbarer Zusammenhang zu Kriegsszenarien offenkundig werde.

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Bereits am 9. Juni 2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt ergänzend vor, der von ihr beabsichtigte Reballbetrieb sei mit einem sog. Laserdrome nicht vergleichbar. Denn beim Reball scheide ein Spieler aus, wenn er an irgendeiner Stelle des Körpers einen Treffer erhalte. Beim Laserdrome müsse er "tödlich" getroffen sein. Dies werde dadurch bewirkt, dass in der Spielkleidung überall Sensoren eingebaut seien, die entsprechende Anzeigen machten. Es komme bei dem von ihr beabsichtigten Spiel "Capture The Flag" sogar vor, dass überhaupt kein Spielteilnehmer getroffen werde. Die Taktik mache jeweils den Reiz des Spieles aus. Ähnlichkeit mit militärischem Outfit bestehe nicht. Auch die Gestaltung und Einrichtung der Halle sprächen gegen Militärisches und betone den Spielcharakter.

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Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 6. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2006 zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung für die beantragte Nutzungsänderung zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er vertieft seine verfassungsrechtliche Argumentation.

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Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, der Betrieb einer Reball-Anlage widerspreche den grundgesetzlichen Wertvorstellungen. In einer maßstabsgetreuen Umgebung werde durch tatsächlich existierende Personen eine reale Kampfsituation simuliert. Anders als bei bloßen Computerspielen mit ihrer erkennbaren Abstraktion bestehe hier die Kriegshandlung gerade im Abschießen des menschlichen Gegners mit einer Feuerwaffe, wobei der Gegner als Mensch und nicht als verfremdetes, abstraktes Ziel erkannt werde. Es bestehe die Gefahr einer Herabsetzung der Hemmschwelle, die normalerweise bestehe, wenn es darum gehe, auf einen Menschen direkt mit einer Feuerwaffe zu zielen, um ihn zu töten oder kampfunfähig zu machen. Der realitätsnahe spielerische Umgang mit einem Schusswechsel stehe im krassen Widerspruch zu der hohen Wertvorstellung, die das menschliche Leben und die körperliche Unversehrtheit im Wertesystem unserer Gesellschaft erfahren hätten. Dem Spiel sei ein erheblicher Unwertgehalt beizumessen. Auf die Menschenwürde könne ebenso wenig wirksam verzichtet werden wie auf den Menschenwürdegehalt anderer Grundrechte.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

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Entscheidungsgründe Die Klage hat Erfolg.

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Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung.

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Nach § 75 Abs. 1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit die Prüfung nicht entfällt (§ 81 Abs. 1 Nr. 1), dem öffentlichen Baurecht entspricht.

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1. Das Vorhaben der Klägerin ist nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig. Dabei richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, gemäß § 29 Abs. 1 BauGB nach den §§ 30 bis 37 BauGB. Für die bauplanungsrechtliche Beurteilung eines Vorhabens ist demnach maßgeblich, ob es sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes (§ 30 BauGB), innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) oder im Außenbereich (§ 35 BauGB) befindet. Im hier fraglichen Bereich besteht ein Bebauungsplan, der ein Gewerbegebiet festsetzt.

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Die Kammer geht davon aus, dass es sich bei dem von der Klägerin beabsichtigten Vorhaben um einen Gewerbebetrieb handelt. Ein Gewerbe ist grundsätzlich jede wirtschaftliche Tätigkeit, die auf eigene Rechnung, eigene Verantwortung und auf Dauer mit der Absicht zur Gewinnerzielung betrieben wird. Im engeren Sinne versteht man unter Gewerbe die produzierenden und verarbeitenden Gewerbe, wie Industrie und Handwerk. Im weiteren Sinne fällt jedoch auch die Durchführung von Veranstaltungen, wenn sie zum Zwecke der Gewinnerzielung erfolgt, unter den Begriff des Gewerbes (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.5.2004 - 1 S 914/04 - in DVBl 2005, 472 für eine Paintball-Halle). Dass die Klägerin mit dem Betrieb der Paintball-Halle die Erzielung von Einnahmen verbindet, wird von den Beteiligten nicht in Abrede gestellt. Die Voraussetzungen für den Betrieb eines Gewerbes sind damit erfüllt. Bauplanungsrechtlich ergibt sich keine andere Beurteilung als bei der zuvor betriebenen Badmintonhalle.

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2. Die von der Klägerin geplante bauliche Anlage widerspricht nicht der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 NBauO. Danach müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird.

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Unter öffentlicher Sicherheit versteht man im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht einerseits die Unversehrtheit "kollektiver Rechtsgüter", insbesondere die Integrität der Rechtsordnung und das ungestörte Funktionieren des Staates und aller öffentlichen Einrichtungen. Andererseits gehört zur öffentlichen Sicherheit, dass individuelle Rechte und Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Persönlichkeit, Freiheit, Eigentum, Besitz und sonstige Vermögensrechte nicht verletzt werden.

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Die Kammer folgt nicht der einschränkenden Auslegung von Wiechert (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Komm. zur NBauO, 7. Aufl. 2002, § 1 Rdnr. 11), nach der die bauordnungsrechtliche Generalklausel unter öffentlicher Sicherheit nur den Schutz körperlicher (individueller und kollektiver) Rechtsgüter verstehen soll, wie Gesundheit, Sachwerte usw., während der bloße Verstoß gegen Rechtsvorschriften, die nach allgemeinem Polizeirecht ebenfalls zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung gehörten, nicht gemeint sei. Vielmehr kann der Begriff der öffentlichen Sicherheit nur einheitlich verstanden werden und umfasst in jedem Fall die von jeder Verwaltung zu beachtende und zu schützende verfassungsmäßige Ordnung.

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Gleichwohl ist der Ansicht des Beklagten, das Bauvorhaben verstoße gegen die Menschenwürde, nicht zu folgen.

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Das Bundesverfassungsgericht (Urteil v. 20.10.1992 - 1 BvR 698/89 - betr. Video "Tanz der Teufel", BVerfGE 87, 209-233) versteht den Begriff der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte (vgl. BVerfGE 6, 3236, 41; 45, 187227). Mit ihm ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch "unwürdiges" Verhalten geht sie nicht verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt.

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Nach Ansicht der Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) umfasst der Schutz der Menschenwürde (im konkreten Fall durch § 131 StGB) auch Fälle, in denen die Schilderung des Grausamen und Unmenschlichen eines Vorgangs darauf angelegt ist, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt. Das geschieht insbesondere dann, wenn grausame oder sonstwie unmenschliche Vorgänge gezeigt werden, um beim Betrachter ein sadistisches Vergnügen an dem Geschehen zu vermitteln, oder um Personen oder Gruppen als menschenunwert erscheinen zu lassen. Eine solche Tendenz schließt die Vorstellung von der Verfügbarkeit des Menschen als bloßes Objekt ein, mit dem nach Belieben verfahren werden kann. Deshalb kann auch eine menschenverachtende Darstellung rein fiktiver Vorgänge das Gebot zur Achtung der Würde des Menschen verletzen. Sie ist zudem geeignet, einer allgemeinen Verrohung Vorschub zu leisten, den Respekt vor der Würde des Mitmenschen beim Betrachter zu mindern und so auch die Gefahr konkreter Verletzungen dieses Rechtsguts zu erhöhen.

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Unterhaltungsspiele können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Vorlagebeschluss vom 24.10.2001 - 6 C 3/01 -, NVwZ 2002, 598, "Laserdrome") auch dadurch gegen die verfassungsrechtliche Garantie der Menschenwürde verstoßen, dass beim Spielteilnehmer eine Einstellung erzeugt oder verstärkt wird, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt. Das geschieht insbesondere dann, wenn Gewaltakte gegen Menschen in der Absicht dargestellt werden, den Beteiligten ein sadistisches Vergnügen an dem Geschehen zu vermitteln. Denn eine solche Tendenz schließt die Vorstellung von der Verfügbarkeit des Menschen als bloßes Objekt ein, in dessen Leben und körperliche Integrität nach Belieben eingegriffen werden kann. Darum kann neben der realen Gewaltausübung auch die Darstellung fiktiver Gewaltakte zu Spiel- und Unterhaltungszwecken das Gebot zur Achtung der Würde des Menschen verletzen. Demnach ist ein gewerbliches Unterhaltungsspiel, das auf die Identifikation des Spielteilnehmers mit der Gewaltausübung gegen Menschen angelegt ist und ihm die lustvolle Teilnahme an derartigen - wenn auch nur fiktiven Handlungen - ermöglichen soll, wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagatellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar.

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Im Falle des "Laserdromes" hielt das Bundesverwaltungsgericht ein simuliertes Töten zu Unterhaltungszwecken für unvereinbar mit dem gebotenen Respekt vor der Individualität, Identität und Integrität der menschlichen Persönlichkeit. Es solle gerade diejenigen Rechtsgüter banalisieren und trivialisieren, an deren Schutz dem Grundgesetz in besonderem Maße gelegen ist. Zu den Höchstwerten der Verfassung sei nämlich neben der Menschenwürde insbesondere auch das menschliche Leben zu zählen; dieses habe der Verfassungsgeber des Jahres 1949 mit Blick auf die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes als die vitale Basis der Menschenwürde und zugleich Voraussetzung für alle andere Grundrechte in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausdrücklich unter gesonderten Grundrechtsschutz gestellt. Zu dieser Grundaussage der Verfassung setzten sich Behörde und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland in Widerspruch, wenn sie Unterhaltungsspiele der in Rede stehenden Art duldeten.

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Demgegenüber haben der bayerische VGH (Beschluss v. 15.9.2003 - 24 CS 03.1595 - in juris) und der VGH Baden-Württemberg (Beschluss v. 17.5.2004 - 1 S 914/04 - DVBl 2005, 132) in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Abwägungen jeweils den Betrieb von Paintball-Anlagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter verschiedenen Auflagen zugelassen; der VGH Baden-Württemberg hat dazu ausdrücklich ausgeführt, er vermöge aufgrund der Erkenntnismittel nicht zu überschauen, ob zwischen dem Betrieb eines Laserdromes mit simulierten Tötungshandlungen und der Veranstaltung sog. Paintballspiele Unterschiede bestünden, die einer Übertragung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellt Grundsätze entgegenstünden.

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Bei der Übertragung dieser Maßstäbe auf eine Paintball-Anlage sind das VG Stade (Urteil v. 15. November 2006 - 1 A 925/05 - v.n.b.) und das VG Dresden (Beschluss vom 28. Januar 2003, NVwZ-RR 2003, S. 848 ff.) unter Berücksichtigung der Ausgestaltung des konkret beabsichtigten Spiels (Regelwerk der deutschen Paintball-Liga, keine Zuschauer, keine militärischen Uniformen, keine rote Farbe, Ausschluss von Jugendlichen) zu dem Ergebnis gekommen, die jeweilige konkrete Anlage verstoße weder gegen § 118 OWiG noch gegen die Menschenwürde.

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Nach Ansicht von Dr. Scheidler (Möglichkeiten behördlichen Einschreitens gegen Laserdrome und Paintballanlagen, GewArch 2005, 312) ist keine unterschiedliche Bewertung von Paintball und Laserdrome vorzunehmen, da es keinen rechtlich relevanten Unterschied mache, ob Gelatine-Kugel verschossen würden, die beim Aufprall auf den Körper eines Mitspielers zerplatzten, oder ob mit Laserpistolen auf einen auf den Rücken bzw. die Brust geschnallten Kasten gezielt werde. Beides stelle aber keinen Verstoß gegen die Menschenwürde dar, weil es nicht darum gehe, Unterhaltung gerade durch simulierte Tötungshandlungen zu suchen, sondern in einem durch Geschicklichkeit und Taktik geprägten Spielgeschehen die Gegner "auszuschalten" und - wie bei anderen sportlichen Wettkämpfen auch - im sportlichen Wettstreit untereinander für sich die besten Ergebnisse zu erzielen. Die Verwendung von "Waffen" sei nur eine moderne Ausprägung eines spielerischen "Kampfes" oder Wettstreits. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Begriff der Menschenwürde nicht statisch, sondern wandelbar sei und Art. 1 GG keine (bloßen) Geschmacklosigkeiten verbiete. Gesicherte Erkenntnisse über etwa eine Herabsetzung der Hemmschwelle zur Gewaltausübung durch derartige Spiele gebe es nicht.

31

Weiterhin wird in der Literatur vertreten, unverzichtbar sei nur der eng begrenzte Kernbereich der Menschenwürde, der aber vom Paintball-Spiel erkennbar noch nicht berührt werde; in den Randbereichen stehe dagegen die Menschenwürde zur Disposition ihres jeweiligen Trägers, der sie auch in seiner Weise definieren und ausleben dürfe (vgl. Kramer, Das Verbot von die Menschenwürde gefährdenden Spielen, NVwZ 2004, 1083, 1084), bzw. das Ausschalten der Gegner durch das Markieren mit Farbkugeln könne man kaum als simulierte Tötungshandlung bezeichnen (so Landmann/Rohmer, Komm. zur GewO, § 33 i Rn. 12 b).

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Nach Überzeugung der Kammer ist durch die in der Baubeschreibung von der Klägerin bezeichnete Variante des Spiels "Reball" der geschützte und unverzichtbare Kernbereich der Menschenwürde noch nicht verletzt. Es handelt sich dabei nicht um eine "lustvolle Teilnahme an fiktiven Tötungshandlungen", die den Beteiligten ein "sadistisches Vergnügen" am Spielablauf vermittelt. Diese von der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Kriterien, an denen auch deutlich wird, dass eine Rechtsverletzung von einigem Gewicht und mit erheblichem Unwertgehalt vorliegen muss, sind hier nicht erfüllt. Vielmehr folgt die Kammer der Einschätzung, dass ein "Ausschalten" des Gegners ein verbreitetes Spielelement ist und in einer Vielzahl von Variationen in Mannschaftsspielen, Computerspielen und Sportarten wie Boxen, Fechten oder Karate wiederkehrt und für sich genommen noch kein Unwerturteil über das Spielgeschehen begründen kann (vgl. Landmann/Rohmer, a.a.O.; VG Dresden, a.a.O., S. 852). Auch die Verwendung von Waffen ("Markierer"), die je nach Ausgestaltung echten Schusswaffen mehr oder weniger ähnlich sehen, kann für sich genommen kein Unwerturteil begründen, da in Deutschland die Ausübung des Schießsportes etwa in Schützenvereinen weit verbreitet ist, andererseits aber auch Waffennachbildungen wie Wasserpistolen als Kinderspielzeug frei verkäuflich sind.

33

Bewertet man das Spielgeschehen insgesamt, so ist das "Ausschalten" der Gegner nur ein Aspekt einer mehrschichtigen Spielhandlung; das auf Wettbewerb und sportlichem Wettkampf basierende Spiel erfordert auch Geschicklichkeit und Strategie, wenngleich der Einsatz von "Spielwaffen" offenbar den besonderen Reiz für die vorwiegend männlichen Spieler ausmacht. Auch wenn der kulturelle Wert einer solchen Spielhandlung zweifelhaft sein mag, so bleibt doch festzuhalten, dass für den Spieler im Vordergrund der eigene Erfolg im Wettkampf steht und nicht das Vergnügen, andere zu quälen. Das Spiel vermittelt nicht die Vorstellung, in das Leben eines anderen Menschen könne nach Belieben eingegriffen werden, sondern bleibt für alle Beteiligten deutlich erkennbar ein bloßes Spiel. Angesichts des gesellschaftlichen Wandels auch im Hinblick auf die deutlich stärker verbreiteten Computerspiele kann ein Verbot der hier streitigen Variante des "Reball" nur noch nach einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers erfolgen.

34

2. Das Bauvorhaben verstößt auch nicht gegen § 118 OWiG; danach handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen und zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu gefährden.

35

Die grob ungehörige Handlung im Sinne von § 118 Abs. 1 OWiG muss geeignet sein, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden. Für die Betroffenheit der Allgemeinheit reicht die konkrete Möglichkeit der unmittelbaren Wahrnehmung durch andere unbeteiligte Personen in der Nähe des Tatortes aus. Dabei ist es unerheblich, ob sich diese anwesenden Personen durch die grob ungehörige Handlung belästigt fühlen oder an ihr Anstoß nehmen (OLG Hamburg, Beschluss v. 2.6.2005 - III - 28/05 - 3 Ss 20/05 OWi, III - 28/05, 3 Ss 20/05 OWi - NStZ 2006, 528; Karlsruher Kommentar-Senge, OWiG, 2. Aufl., § 118 OWiG Rdnr. 9, 15). Hier fehlt es an der Möglichkeit der unmittelbaren Wahrnehmung durch die Allgemeinheit, da nach der Betriebsbeschreibung bei dem Reball-Spiel keine Zuschauer zugelassen werden und am Spiel nur Clubmitglieder teilnehmen können (vgl. Kramer, a.a.O., S. 1085).

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Im Übrigen stellt sich das Reball-Spiel nach den Ausführungen zu 1. auch nicht als Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Die Kammer hält es angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob Reballanlagen gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen, für geboten, die Berufung zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).