Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.01.2011, Az.: 5 AR 35/10

Anwendbarkeit des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (EnWG) im Falle des Streits über die Berechtigung des Versorgungsunternehmens zur Durchsetzung einseitiger Preiserhöhungen auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.01.2011
Aktenzeichen
5 AR 35/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 10043
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:0103.5AR35.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - AZ: 6 O 1633/08

Fundstellen

  • BB 2011, 130 (Pressemitteilung)
  • MDR 2011, 505-506

In dem Rechtsstreit ...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ...
und die Richterin am Landgericht ...
am 03. Januar 2011
beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Amtsgericht Norden.

Gründe

1

I.

Der Kläger verlangt von dem beklagten regionalen Gasversorgungsunternehmen die Rückzahlung von 2.383,12 EUR, die ihm in der Zeit vom 01.09.2004 bis zum 10.09.2008 seiner Meinung nach ohne rechtlichen Grund zuviel in Rechnung gestellt worden sind. Da er nicht Tarif- sondern Sondervertragskunde sei, ergebe sich ein einseitiges Preisänderungsrecht nicht aus den gesetzlichen Regelungen der AVBGasV bzw.GasGVV, sondern bedürfe einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung. Bereits hieran fehle es. Aber selbst wenn die Beklagte die gesetzliche Regelung formell wirksam einbezogen hätte, halte die Preisänderungsklausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand. Vorprozessual hat der Kläger weiter bestritten, dass die von der Beklagten durch einseitige Preiserhöhungen festgesetzten Preise der Billigkeit nach dem Maßstab des § 315 BGB entsprächen.

2

Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Aurich hat sich für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Norden verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt.

3

II.

Das Oberlandesgericht Oldenburg ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen. Verschiedene Gerichte, nämlich das Landgericht Aurich und das Amtsgericht Norden, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, haben sich "rechtskräftig " für unzuständig erklärt. Auf Seiten des Landgerichts Aurich ist dies durch unanfechtbaren Beschluss geschehen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), auf Seiten des Amtsgerichts Norden durch die eine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung, die sachlich als Rückverweisung anzusehen ist und als solche den Anforderungen genügt, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu stellen sind (vgl. BGH, NJW 1988, S. 1794, 1795 [BGH 10.12.1987 - I ARZ 809/87] m.w.N.).

4

III.

Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Norden, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem Streitwert bis zu 5.000 EUR handelt, für die keine besondere Zuständigkeit gegeben ist (§ 23 Abs. 1 GVG).

5

§ 102 Abs. 1 EnWG steht nicht entgegen.

6

Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergeben, die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Eine Rechtsstreitigkeit in diesem Sinne liegt bei einer Leistungsklage nur dann vor, wenn diese auf eine Norm desEnergiewirtschaftsgesetzes als Anspruchsgrundlage gestützt wird.

7

Die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte besteht nach Satz 2 der Vorschrift weiter dann, wenn die Entscheidung eines bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist. Hierfür muss sie von einer Vorfrage abhängig sein, die - wäre sie Hauptfrage - unter § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG fiele. Nicht ausreichend ist es, wenn in die Streitentscheidung lediglich allgemeine Wertungsmaßstäbe einfließen, die in anderem Zusammenhang auch im Energiewirtschaftsrecht Berücksichtigung finden können, ohne dass eine konkrete energiewirtschaftsrechtliche Vorfrage aufgeworfen wird (OLG München OLGR 2009, 757).

8

Keine dieser Alternativen liegt bei einem Streit um Zahlungs- bzw. Rückzahlungsansprüche aus einem Normsondervertrag vor.

9

1.

Eine Anwendung von § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG scheidet aus, weil Normen des EnWG als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht kommen. Die Parteien streiten über die Berechtigung der Auffassung des Versorgungsunternehmens, auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages - und nicht aufgrund einer sich aus dem EnWG ergebenden Rechtsbeziehung - einseitig Preiserhöhungen durchsetzen zu können. Zahlungsansprüche können sich im Verhältnis zwischen dem Gasversorgungsunternehmen und Sonderkunden deshalb allein aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag oder aus § 812 BGB ergeben. Dass das Versorgungsunternehmen die Auffassung vertritt, aus § 4 AVBGasV, § 5 GasGVV ergebe sich für Tarif-/Grundversorgungskunden ein gesetzliches Preisänderungsrecht, und durch die unveränderte Übernahme dieser Vorschriften in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Normsonderverträge werde ein den Anforderungen der §§ 305ff BGB genügendes Preisanpassungsrecht begründet (st. Rspr. des BGH, zuletzt VIII ZR 246/08 vom 14.07.2010; a.A. OLG Oldenburg 12 U 49/07 vom 05.09.2008), ändert hieran nichts. Es kann dahinstehen, ob diese Ansicht zutrifft, denn die Antwort auf letztere Frage ergibt sich in jedem Falle nicht aus Normen des EnWG sondern aus §§ 305ff BGB.

10

2.

Der Rechtsstreit hängt auch nicht von einer nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffenden Entscheidung im Sinne von § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ab.

11

Dies gilt zum einen für die Frage, ob der Kläger Grundversorgungs- oder Sonderkunde ist. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte die Behauptung des Klägers, zwischen den Parteien bestehe ein früher als "Sondervereinbarung S 1" und ab 2007 als "Classic" bezeichneter Normsondervertrag, bestreiten wollte, beantwortet sich auch diese Frage nicht aus dem EnWG. § 36 Abs. 1 EnWG gibt dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung, regelt also im Sinne eines Kontrahierungszwangs das "Ob" des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferung und die Höhe der Bezugspreise (OLG Celle 4. ZS RdE 2010, 185; OLG Köln OLGR 2009, 406; OLG Frankfurt IR 2008, 135). Ob ein Verbraucher Tarif-/Grundversorgungskunde oder Sondervertragskunde ist, richtet sich vielmehr nach den konkreten vertraglichen Vereinbarungen (BGH VIII ZR 225/07 vom 15.07.2009, Tz. 14ff). Dafür sind die Regelungen des Allgemeinen Vertragsrechts, insbesondere zur Auslegung von Verträgen sowie zur Einbeziehung und Wirksamkeit von allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff BGB maßgebend (OLG Celle 13 AR 5/10 (Kart) vom 01.10.2010 Tz. 9-12).

12

Schließlich findet auch die Rechtsfrage, ob die Preise der Billigkeit gemäß § 315 BGB entsprechen, im Energiewirtschaftsgesetz keine Antwort. Die Frage der Billigkeit ist auf der Grundlage der berechtigten Interessen beider Parteien an der Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung, etwa durch Weitergabe gestiegener Bezugskosten, zu entscheiden (OLG Celle 13 AR 1/10 (Kart) vom 27.05.2010 Tz. 11 ff). Der Umstand, dass das EnWG in § 1 Abs. 1 neben anderen Zielen auch eine möglichst preisgünstige Versorgung anstrebt, stellt lediglich eine Zweckbeschreibung dar, die im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sein mag. Bei der angestrebten Preisgünstigkeit handelt es sich hingegen nicht um einen Rechtsbegriff, über den nach Maßgabe des EnWG eine Entscheidung zu treffen wäre, die wiederum für die Beurteilung der Billigkeit der Preise der Beklagten vorgreiflich sein könnte (OLG Celle 13 AR 1/10 (Kart) vom 27.05.2010 Tz. 11 ff; OLG München OLGR 2009, 399).