Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 03.02.2016, Az.: 2 A 250/14

Erteilung; Niederlassungserlaubnis; schutzwürdiges Interesse; Staatsangehörigkeit; Unzulässigkeit der Klage; Verbesserung der Rechtsposition des Kindes

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.02.2016
Aktenzeichen
2 A 250/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43388
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 08.11.2017 - AZ: 8 LB 59/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, wenn hiervon der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind des Ausländers abhängt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der im Jahre 19.. geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt die rückwirkende Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung.

Der Kläger reiste im März 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Durch Urteil des VG Hannover vom 8. Februar 1999 verpflichtete das Gericht das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr: § 60 Abs. 1 AufenthG) in seiner Person hinsichtlich seines Heimatlandes vorliegen. Die hierauf erstmals am 10. Juni 1999 erteilte Aufenthaltsbefugnis (im Sinne von § 30 Abs. 3 AuslG) wurde fortlaufend verlängert und galt ab 1. Januar 2005 als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG fort.

Mit Schreiben vom 16. Mai 2008 teilte das Bundesamt der Beklagten mit, dass nach Abschluss der dortigen Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme der asylrechtlichen Begünstigung nicht erfolgen werde. Unstreitig hat die Beklagte im unmittelbaren Anschluss an diese Mitteilung den Kläger nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragen zu können. Anlässlich einer Vorsprache des Klägers bei der Beklagten beantragte dieser sodann am 5. Juni 2009 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Bereits am 28. Juli 2009 wurde der Sohn des Klägers - E. - geboren. Für diesen beantragten der Kläger und seine Ehefrau die Feststellung, dass dieser die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Dieser Antrag wurde abgelehnt und ist Gegenstand im Verfahren 10 A 2619/12. Dort wurde angeregt, dass der Kläger einen Antrag auf rückwirkende Erteilung einer Niedererlassungserlaubnis stellt. Den am 26. April 2013 gestellten Antrag des Klägers, ihm eine Niederlassungserlaubnis rückwirkend zum Zeitpunkt seiner Antragstellung zu erteilen, wies die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 - dem Kläger am 20. Dezember 2013 zugestellt - zurück. Wegen des Inhalts der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Am 20. Januar 2014 hat der Kläger Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lehnte das Gericht mit Beschluss vom 15. Juli 2014 ab. Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger nach Ergehen einer Betreibensaufforderung geltend: Die Beklagte sei ihren Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht (rechtzeitig) nachgekommen. Bereits seit Mitte 2008 sei bekannt gewesen, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gehabt habe. Gleichwohl habe die Beklagte nicht auf eine zeitnahe Antragstellung hingewirkt. Auch könne die Länge der Bearbeitungsdauer seines Antrags nicht zu seinen Lasten gehen. Leidtragender dieser behördlichen Versäumnisse sei sein Sohn.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 2013 zu verpflichten, ihm rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Bescheid und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das auf die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit des Sohnes des Klägers gerichtete Klageverfahren wurde wegen Vorgreiflichkeit der hier streitgegenständlichen Frage mit Beschluss vom 28. Februar 2014 ausgesetzt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch die Einzelrichterin, der das Verfahren gemäß § 6 Abs. 1 VwGO mit Beschluss vom 15. Juli 2014 übertragen worden ist. Darüber hinaus kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die hierfür erforderlichen beiderseitigen Einverständniserklärungen liegen nunmehr mit den Erklärungen vom 5. Oktober 2015 und vom 11. Januar 2016 vor.

Streitgegenständlich ist vorliegend allein, ob der Kläger die Erteilung einer rückwirkenden Niederlassungserlaubnis für den Zeitpunkt ab seiner Antragstellung (am 5. Juni 2009) beanspruchen kann. Ihm ist mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 7. Oktober 2009 auf der Grundlage des § 26 Abs. 3 AufenthG - in der bis zum 25. November 2011 geltenden Fassung - eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden. Hiernach ist einem Ausländer, der seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 besitzt, eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 73 Abs. 2a des Asylverfahrensgesetzes mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme nicht vorliegen. Nach Mitteilung des Bundesamtes vom 16. Mai 2008 lagen die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der asylrechtlichen Entscheidung beim Kläger nicht vor, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach dieser Rechtsgrundlage gegeben waren.

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig (1.) und darüber hinaus auch unbegründet (2.).

1. Die Klage ist bereits unzulässig, da dem Kläger für den geltend gemachten Anspruch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein Ausländer kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung nur beanspruchen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse hieran hat. Ein solches Interesse hat das Bundesverwaltungsgericht dann angenommen, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an er den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 7.08 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 2. September 2010 - 1 B 18.10 -, juris, Rn. 9; Urteil vom 26. Oktober 2010 - 1 C 19.09 -, juris, Rn. 13). Dies gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt ist oder nicht.

Vorliegend kann zunächst offenbleiben, ob in den Fällen, in denen - wie hier - das Antragsverfahren zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bestandskräftig abgeschlossen ist, die o.g. Rechtsprechung einschlägig ist oder nicht. Denn auch bei Anwendung der dargelegten Grundsätze hat der Kläger Anhaltspunkte für das Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses im Sinne der o.g. Rechtsprechung nicht vorgetragen; sie sind auch nicht ersichtlich.

Mit der Niederlassungserlaubnis verfügt der Kläger über einen unbefristeten, von keinem Aufenthaltszweck abhängigen Aufenthaltstitel. Eine weitergehende Verfestigung seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung kann er durch die begehrte rückwirkende Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht mehr erreichen. Er war bereits vor der Erteilung der Niederlassungserlaubnis durchgängig im Besitz von Aufenthaltstiteln. Dem aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierten Schutz von Ehe und Familie ist durch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG bzw. § 33 AufenthG für die Ehefrau und das Kind Rechnung getragen. Der Kläger selbst genießt aufgrund seiner Flüchtlingsanerkennung besonderen Ausweisungsschutz (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung) und als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis wiegt sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 besonders schwer (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung). Auch mit Blick auf die Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln ergeben sich durch die Versagung einer rückwirkenden Erteilung keinerlei Nachteile für ihn.

Soweit der Kläger geltend macht, die Erteilung einer rückwirkenden Niederlassungserlaubnis habe Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit seines Ende Juli 2009 geborenen Sohnes, ist damit ein schutzwürdiges Interesse nicht dargetan. Wenn der Kläger bereits zum 5. Juni 2009 - dem Zeitpunkt seiner Antragstellung - im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gewesen wäre, würde sich hierdurch allein die Rechtsposition des Kindes verbessern. Für die aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers - und nur darauf kommt es an - ist es aber unerheblich, ob er den begehrten Aufenthaltstitel bereits ab Antragstellung besitzt.

2. Der Kläger hat auch in der Sache keinen Anspruch darauf, dass ihm auf seinen Antrag vom 5. Juni 2009 eine Niederlassungserlaubnis rückwirkend ab dem Zeitpunkt seiner Antragstellung erteilt wird. Eine solche rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels auf einen Zeitpunkt vor Antragstellung kommt nicht in Betracht. Dies gilt ungeachtet der Folgen einer dementsprechenden Erteilung für die Staatsangehörigkeit seines Ende Juli 2009 geborenen Sohnes. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, die Beklagte sei ihren Aufklärungspflichten nicht ausreichend nachgekommen und dass Verzögerungen bei der Bearbeitung seines Antrags nicht zu seinen Lasten gehen dürften. Zwar soll der Ausländer gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG u.a. auf seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz hingewiesen werden. Es ist hier aber unschädlich, dass die Beklagte ihrer Anstoßpflicht erst mit zeitlicher Verzögerung nachgekommen ist, denn für den Kläger selbst ist dies - wie oben bereits dargelegt - ohne nachteilige (ausländerrechtlichen) Folgen geblieben. Anlässlich seiner Vorsprache im Juni 2009 ist der Antrag auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis gestellt und sodann ist diesem Antrag auch entsprochen worden. Hat der Verstoß gegen die frühzeitige Beratungspflicht aber keinen Rechtsverlust oder sonstigen Nachteil für die aufenthaltsrechtliche Stellung des Klägers bewirkt, so stellt sich auch nicht die Frage nach den Rechtsfolgen eines solchen Beratungsverstoßes.

Darüber hinaus könnte der Kläger auch nicht beanspruchen, so gestellt zu werden, als wenn er seinen Antrag bereits früher gestellt hätte. Ein solcher Herstellungsanspruch, der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, wie der Betreffende bei rechtmäßigem Behördenhandeln stehen würde, hat in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, zumal auf dem Gebiet des Ausländerrechts, bislang keine Anerkennung gefunden (vgl. hierzu: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2015 - OVG 11 S 19.15 -, Rn. 4, juris;  OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 17 A 1150/13 -, Rn. 49, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. April 2013 - 18 E 251/13 -, juris).

Auch ist dem Kläger durch die Länge der Bearbeitungszeit seines am 5. Juni 2009 gestellten Antrags, die durch das Abwarten auf die (negative) Antwort der sicherheitsrechtlichen Anfrage bedingt war, keinerlei Rechtsnachteil entstanden.

Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens das Verfahren nach § 51 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG erneut über die bestandskräftig gewordene Erteilung der Niederlassungserlaubnis zu entscheiden. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG für einen gesetzlichen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Niederlassungserteilungsverfahren liegen ersichtlich nicht vor. Hiernach hat die Behörde über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwVfG). Hierfür ist nichts ersichtlich und insbesondere nichts vorgetragen worden. Es liegen auch keine neuen Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwVfG vor, die eine für den Kläger günstigere Entscheidung zur Folge hätten. Schließlich sind auch keine Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 580 ZPO gegeben (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwVfG).

Auch hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise ein Wiederaufgreifen im Wege einer nach § 51 Abs. 5 VwVfG, § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit §§ 48, 49 zu treffenden Ermessensentscheidung abgelehnt. Es nicht ersichtlich, dass hier ein schützenswertes Interesse des Klägers die Korrektur der ursprünglich erteilten Niederlassungserlaubnis erforderlich macht. Die ursprüngliche Entscheidung - die Erteilung der Niederlassungserlaubnis - war nicht rechtswidrig, so dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorliegen. Ein Widerruf kommt ebenfalls nicht in Betracht. In der Spezialvorschrift des § 52 AufenthG sind die Voraussetzungen, unter denen die in § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Aufenthaltstitel widerrufen werden dürfen, abschließend aufgeführt. Einer der dort genannten Widerrufsgründe liegt nicht vor.

Nach alledem kann der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen, dass ihm die Niederlassungserlaubnis rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung am 5. Juni 2009 zu erteilen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 in Verbindung mit § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.