Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 03.02.2016, Az.: 3 A 5991/13

Bisherige Zuständigkeit; Fallübernahme; Feststellungsklage; Jugendhilfeleistung; Pflegestellenort; Pflegeverhältnis

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.02.2016
Aktenzeichen
3 A 5991/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43198
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine zuvor nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit fällt nicht unter den Begriff der bisherigen Zuständigkeit in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII.
2. Zulässigkeit einer Feststellungsklage bzgl. örtlicher Zuständigkeit für die Gewährung von Jugendhilfeleistungen.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte in eigener Zuständigkeit die weitere Bearbeitung des Jugendhilfefalles D. vorzunehmen hat.

Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann eine Vollstreckung der jeweiligen Vollstreckungsgläubigerin mittels Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte seit dem 16.05.2013 - erneut - für die Bearbeitung des Jugendhilfefalls des minderjährigen D. zuständig ist.

Der inzwischen 17-jährige D. lebte vor Hilfebeginn mit seinen seinerzeit noch sorgeberechtigten Eltern (und seiner sechs Jahre älteren Schwester) in E.. Auf Antrag des KSD der Beklagten entzog das AG E. (FamG) den Kindeseltern mit Beschluss vom 18.06.2002 vorläufig das Sorgerecht und übertrug es auf das Jugendamt der Beklagten als Vormund. Seitdem ist das Sorgerecht den Eltern nicht wieder rückübertragen worden.

Am 20.06.2002 wurde F. (zusammen mit seiner Schwester) auf Antrag der mit dem Fall betrauten Amtsvormünderin vom Jugendamt der Beklagten auf der Basis von §§ 27, 34 SGB VIII vollstationär untergebracht. Die Betreuung erfolgte zunächst in einer Einrichtung, später in einer Bereitschaftspflegestelle in E.. Nach Maßgabe der damaligen Hilfeplanung wechselte F. (mit seiner Schwester) Anfang Mai 2003 in die Erziehungsstelle G. nach H.. Dabei handelte es sich um eine familiäre Betreuung. Organisatorisch war die Erziehungsstelle ursprünglich dem Erziehungshilfeverbund I. mit Sitz in E. zugeordnet; im Laufe des Jahres 2003 erfolgte eine Zuordnung zur J. Jugendhilfe gGmbH mit Sitz ebenfalls in E., mit der auch die Abrechnungen erfolgten. Die Maßnahme war jugendhilferechtlich als Hilfe zur Erziehung (HzE) gemäß §§ 27, 34 SGB VIII ausgestaltet. Die Fallbearbeitung lag beim KSD der Beklagten. Die Amtsvormundschaft wurde infolge des Umzugs des Kindes nach H. dem Jugendamt der Klägerin übertragen, das diese Funktion nach wie vor wahrnimmt.

Im März 2007 bat das Jugendamt der Beklagten das Jugendamt der Klägerin unter Berufung auf § 86 Abs. 6 SGB VIII um Übernahme des Jugendhilfefalles in die eigene Zuständigkeit und verwies dazu auf ein Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen aus dem Juni 2005, wonach Erziehungsstellen, die ein familiäres Betreuungssetting bieten, zuständigkeitsrechtlich wie eine Vollzeitpflegestelle gemäß § 33 SGB VIII zu bewerten seien. Im September 2007 erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Übernahme und erklärte zudem, dass sie ihre Kostenerstattungspflicht gemäß § 89a SGB VIII ab Fallübernahme anerkenne.

Mit Bescheid vom 15.10.2007 bewilligte das Jugendamt der Klägerin gegenüber dem Amtsvormund für F. (weiterhin) Jugendhilfe in vollstationärer Form als HzE gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in der Ausgestaltung der Unterbringung und Betreuung in der Erziehungsstelle G. ab dem 01.11.2007. Mit zusätzlichem Schreiben an die Beklagte vom 31.10.2007 erkannte die Klägerin ihre Zuständigkeit an und erklärte die Fallübernahme zum 01.11.2007. Die Kindeseltern lebten zu der Zeit weiterhin in E.. In der Folgezeit wurde die Jugendhilfemaßnahme jeweils befristet weiter bewilligt. Die Klägerin rechnete mit der Beklagten die von ihr für die Maßnahme aufgewendeten Kosten ab.

Im Jahr 2010 verzog der Kindesvater nach K.; die Kindesmutter verblieb in E..

Im Laufe des Jahres 2012 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen F. und seiner Betreuungsperson Frau G. zunehmend. F. wollte in der Erziehungsstelle nicht mehr bleiben, sondern in eine Wohngruppe wechseln. In einem Hilfeplangespräch Anfang Dezember 2012 wurde deshalb vereinbart, dass eine entsprechende Betreuungsalternative gesucht werden solle, da der weitere Verbleib von F. in der Erziehungsstelle allseits nicht mehr befürwortet wurde.

Unter dem 06.02.2013 beantragte der Amtsvormund für F. bei der Beklagten die Bewilligung von stationärer Jugendhilfe in Form der Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung bzw. Wohngruppe. Dieses Schreiben leitete die Beklagte zur weiteren Bearbeitung an die Klägerin weiter. Sie machte geltend, dass die Klägerin gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII auch bei Beendigung der Maßnahme in der Erziehungsstelle G. weiterhin fallzuständig sei. Die Klägerin trat dieser Auffassung im Folgenden entgegen. Eine Einigung wurde nicht erzielt.

Mit Schreiben vom 02.05.2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie - die Klägerin - im Hinblick auf den nunmehr anstehenden Wechsel von F. aus der Erziehungsstelle in eine andere Jugendhilfeeinrichtung auf Grund der Weigerung der Beklagten vorläufig gemäß § 86d SGB VIII tätig werde. Am 16.05.2013 wechselte F. in das heilpädagogische Zentrum des L., eines freien Jugendhilfeträgers. Die Einrichtung stellte der Klägerin dafür in der Folgezeit ein monatliches Pauschalentgelt in Höhe von 4.539,10 EUR in Rechnung.

Mit Schreiben vom 18.06.2013 übersandte die Klägerin der Beklagten eine Kostenabrechnung für den Zeitraum 01.01. - 15.05.2013. In diesem Schreiben wies sie darauf hin, dass F. seit dem 16.05.2013 in einer Einrichtung des L. untergebracht sei und eine Abrechnung der Kosten ab dem 16.05.2013 gesondert erfolge. Eine weitere Kostenabrechnung gegenüber der Beklagten erfolgte danach jedoch nicht mehr.

Die Klägerin hat am 12.08.2013 Klage erhoben, mit der sie nunmehr nur noch eine erneute Fallübernahme seitens der Beklagten verfolgt. Sie trägt vor: Da die Beklagte vorgerichtlich die Fallübernahme verweigert habe, sei Klage geboten. Die Feststellungsklage sei insoweit die richtige Klageart, denn es sei zu erwarten, dass die Beklagte einem diesbezüglich stattgebenden Urteil Folge leisten werde.

Die Beklagte sei ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Unterbringung und Betreuung von F. in der Erziehungsstelle G. am 16.05.2013 erneut für die Fallbearbeitung zuständig geworden. Mit dem Ende der Betreuung dort sei ihre - der Klägerin - ausschließlich nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründete Zuständigkeit als Pflegestellenort gemäß Satz 3 der Regelung wieder entfallen. Da der gewöhnliche Aufenthalt (g. A.) der Eltern mit dem Umzug des Kindesvaters nach K. im Jahr 2010 nach Beginn der Jugendhilfeleistung auseinandergefallen sei, sei für die weitere Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die Regelung in § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII (a. F.) maßgeblich, wonach die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibe. Damit sei aber nicht eine solche nach § 86 Abs. 6 SGB VIII gemeint sondern die dahinter stehende bisherige Grundzuständigkeit, die bei der Beklagten gelegen habe. § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII beziehe sich lediglich auf eine aus den Absätzen 1 - 5 der Norm abzuleitende Zuständigkeit. Das ergebe sich aus systematischen und teleologischen Gründen. Systematisch sei zu beachten, dass die Regelungen zur Sonderzuständigkeit der Pflegestellenorte im Regelungssystem des § 86 SGB VIII erst in Absatz 6 und damit hinter der allgemeineren Regelung in Absatz 5 verortet seien. Teleologisch sei zu berücksichtigen, dass mit § 89a SGB VIII extra eine Kostenerstattungsregelung geschaffen worden sei, welche die finanziellen Belastungen, die mit der - an sich systemwidrigen - Verlagerung der Fallzuständigkeit auf die Pflegestellenorte einhergingen, kompensieren und sicherstellen solle, dass ein ausreichendes Angebot an Pflegestellen zur Verfügung stehe. Dazu stehe die Annahme einer entgegen § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII ggf. gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII über die Beendigung einer Vollzeitpflege fortdauernden Zuständigkeit der Pflegestellenorte in Widerspruch. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass sich örtliche Jugendhilfeträger weigern würden, Jugendhilfefälle in Form der Vollzeitpflege in Pflegestellen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu übernehmen, um zu verhindern, dass sie für diese Fälle ggf. auch nach Beendigung der Vollzeitpflege zuständig blieben.

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte in eigener Zuständigkeit die weitere Gewährung der Hilfe fortzuführen hat,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - die im Zeitraum vom 16.05.2013 bis 31.07.2013 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 10.662,51 EUR nebst Prozesszinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz zu erstatten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den Antrag zu 2. zurückgenommen und beantragt nunmehr nur noch,

festzustellen, dass die Beklagte in eigener Zuständigkeit die weitere Gewährung von Jugendhilfeleistungen an C. vorzunehmen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unbegründet. Zu Recht gehe die Klägerin zwar davon aus, dass für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ab dem 16.05.2013 auf § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII (a.F.) zurückzugreifen sei. Danach sei aber gerade die Klägerin zuständig geblieben. Eine bisherige Zuständigkeit im Sinne dieser Regelung könne nämlich entgegen der Auffassung der Klägerin auch eine solche nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII sein. Nach dem Urteil des BVerwG vom 09.12.2010 (5 C 17/09) sei mit der bisherigen Zuständigkeit im Sinne des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII diejenige Zuständigkeit gemeint, die vor dem Zeitpunkt, zu dem eine Prüfung und gegebenenfalls Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit veranlasst ist, zuletzt bestanden habe. Schon in seinem vorangegangenen Urteil vom 30.09.2009 (5 C 18/08) habe das BVerwG dazu weitergehend ausgeführt, dass diese Interpretation in Einklang mit der Gesetzesbegründung stehe. Die Regelung diene zur Vereinfachung der Zuständigkeitsbestimmung. Zudem bestehe jugendhilfefachlich keine Veranlassung, in Fällen, in denen wegen des Entzugs des Sorgerechts die Erziehungsverantwortung nicht mehr bei den Eltern liege, die örtliche Zuständigkeit weiterhin an deren gewöhnlichen Aufenthalt zu knüpfen. Außerdem habe das BVerwG in dem letztgenannten Urteil auch darauf hingewiesen, dass eine für alle denkbaren Fallgestaltungen gerecht erscheinende Zuständigkeits- und Kostenverteilung mittels Auslegung des § 86 SGB VIII nicht zu erreichen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Soweit die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ihre Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

II.

Mit dem aufrechterhaltenen Antrag ist die Klage als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig.

1. Dem steht namentlich nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwGO eine Subsidiarität gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob in einem Rechtsstreit zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern die Regelung in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO zur Subsidiarität der Feststellungsklage überhaupt greift (verneinend in einem Kostenerstattungsstreit zweier Jugendhilfeträger jüngst Nds.OVG, Urt. vom 20.01.2016, 4 LB 14/13, noch n. v.). Denn jedenfalls in der in diesem Verfahren vorliegenden Konstellation steht der Klägerin eine Gestaltungs- oder Leistungsklage als prozessual sinnvolle Alternative nicht zur Verfügung.

Einer unmittelbar auf die Verurteilung der Beklagten zur Fallübernahme gerichteten Klage steht entgegen, dass ein dahingehender Anspruch im Gesetz nicht geregelt ist. Das SGB VIII und ggf. das SGB X ordnen vielmehr das Rechtsverhältnis zweier Jugendhilfeträger zueinander, zwischen denen die Frage der Zuständigkeit zur Fallbearbeitung streitig ist, grundsätzlich über die Regelungen zur Kostenerstattung. Wird Kostenerstattung begehrt und verweigert, wird in den diesbezüglichen Gerichtsverfahren regelmäßig die Frage der Bearbeitungszuständigkeit inzident zu klären sein.

Aber auch eine Klage auf Kostenerstattung kann die Klägerin nicht mit Aussicht auf eine inzident erfolgende Klärung der Bearbeitungszuständigkeit ab dem 16.05.2013 führen. Eine solche Klage wäre im vorliegenden Fall mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Denn die Beklagte hat ihre (weitere) Kostenerstattungspflicht hinsichtlich der für D. über die Beendigung des Pflegeverhältnisses in der Erziehungsstelle G. hinaus geleisteten Jugendhilfe gegenüber der Klägerin ausdrücklich anerkannt. Sie verweigert lediglich die Übernahme der Fallbearbeitung.

2. Die Klägerin hat zudem ein berechtigtes - wirtschaftliches - Interesse an der begehrten Feststellung. Die Bearbeitung eines Jugendhilfefalles erfordert zwangsläufig den Einsatz personeller und sachlicher Ressourcen des Jugendamtes. Eine Kompensation hierfür über die Kostenerstattungsregelungen ist jedoch nicht zu erlangen, denn § 109 Satz 1 SGB X schließt ausdrücklich den Ersatz von Verwaltungskosten aus.

III.

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist am 16.05.2013 für die Bearbeitung des Jugendhilfefalles D. - wieder - örtlich zuständig geworden. Diese Zuständigkeit besteht bis in die Gegenwart fort.

1. Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass sich die Frage der örtlichen Zuständigkeit ab dem 16.05.2013 nach § 86 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Satz 2, 2. Alt. SGB VIII (a. F.) richtet. Danach bleibt in Fällen, in denen die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene g. A. begründen, die bisherige Zuständigkeit bestehen, solange die Personensorge keinem Elternteil zusteht.

Der Anwendungsbereich dieser Norm ist eröffnet. Zum 16.05.2013 war - nach Hilfebeginn - eine erneute Prüfung und Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit erforderlich. Indem D. an dem Tag seine bisherige Erziehungsstelle, den Haushalt von Frau G., verließ und in eine vollstationäre Einrichtung des L. wechselte, endete die bis dahin begründete örtliche Zuständigkeit der Klägerin. Gemäß § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII endet die nach Satz 1 der Regelung begründete Zuständigkeit, wenn der Aufenthalt bei der Pflegeperson endet. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten insoweit zu Recht, dass bis dahin die Klägerin gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII für die Bearbeitung des Falles zuständig war. In seinem Urteil vom 01.09.2011 (5 C 20/10, juris, Rn. 11 ff., 15) hat das BVerwG geklärt, dass es für die zuständigkeitsrechtliche Bewertung als Leben bei einer Pflegeperson im Sinne des § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII maßgebend auf das familiäre Setting einer vollstationären Leistung, nicht aber auf eine formal-rechtliche Ausgestaltung dieser Maßnahme als Hilfe in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII ankommt. Danach kann - wie hier -  bei entsprechender materieller Ausgestaltung auch eine formal als HzE gemäß §§ 27, 34 SGB VIII bewilligte Maßnahme unter § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII fallen (anders ohne weitergehende inhaltliche Begründung Loos in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 86 Rn. 34, m. w. N.: keine Anwendbarkeit des § 86 Abs. 6 SGB VIII, wenn nur Hilfen nach § 34 erbracht werden).

Es ist zu Recht weiterhin unstreitig, dass der Wechsel aus der Erziehungsstelle G. in die Einrichtung des L. die zuständigkeitsrechtliche Einheitlichkeit der Leistung als solche nicht unterbrochen hat. Da der Kindesvater erst im Jahr 2010 von E. nach K. gezogen ist, hatten die nicht sorgeberechtigten Kindeseltern nach Beginn der Leistung unterschiedliche g. A. begründet.

2. Als Rechtsfolge ordnet § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII an, dass die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt. Nach Ansicht der Kammer fällt unter den in dieser Norm verwendeten Begriff der bisherigen Zuständigkeit nicht eine solche nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII (ebenso: Kepert in: Kunkel, SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 86, Rn. 63; Loos in: Wiesner, 5. Aufl. 2015, § 86, Rn. 39).

a) Allerdings hat das BVerwG - wie die Beklagte zutreffend anführt - zur Auslegung dieses Begriffs im Rahmen des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII allgemein ausgeführt, gemeint sei damit diejenige Zuständigkeit, die vor dem Zeitpunkt, zu dem eine Prüfung und gegebenenfalls Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit veranlasst ist, zuletzt bestanden habe (Urt. vom 09.12.2010, 5 C 17/09, juris, Rn. 21). Es hat sich in dieser Entscheidung insoweit auch auf seine vorangegangene Entscheidung vom 30.09.2009 (5 C 18/08, juris, Rn. 26) bezogen. Dort hat es dazu weitergehend ausgeführt, dass diese Interpretation in Einklang mit der Gesetzesbegründung stehe (BT-Drs. 12/2866, S. 22). Die Regelung diene zur Vereinfachung der Zuständigkeitsbestimmung. Zudem bestehe jugendhilfefachlich keine Veranlassung, in Fällen, in denen wegen des Entzugs des Sorgerechts die Erziehungsverantwortung nicht mehr bei den Eltern liege, die örtliche Zuständigkeit weiterhin an deren gewöhnlichen Aufenthalt zu knüpfen. Außerdem sei eine für alle denkbare Fallgestaltungen gerecht erscheinende Zuständigkeits- und Kostenverteilung mittels Auslegung des § 86 SGB VIII nicht zu erreichen.

Legt man mit der Beklagten diese Aussagen des BVerwG - isoliert - im vorliegenden Fall zu Grunde, wäre die Zuständigkeit auch nach dem 16.05.2013 weiterhin bei der Klägerin verblieben. Denn vor diesem Datum war die Klägerin unstreitig zuletzt für die Fallbearbeitung gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig.

b) Gegen eine Einbeziehung einer vorherigen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB in den Regelungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 VIII sprechen jedoch aus Sicht der Kammer zwingende systematische und teleologische Gründe.

aa) Es ist davon auszugehen, dass einer solchen Einbeziehung die Regelung in § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII als lex specialis entgegensteht. Die Regelung in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII ist eine Regelung zur Begründung einer Zuständigkeit, die sich grundsätzlich auf alle Jugendhilfefälle bezieht. Demgegenüber trifft § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII eine ausdrückliche Regelung zur Beendigung einer nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründeten Zuständigkeit. Sie zielt ausschließlich auf den Fall der vorherigen Betreuung und Versorgung bei einer Betreuungsperson und hat damit einen engeren und zugleich spezielleren Anwendungsbereich als § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII. Der mit ihr verfolgte Regelungszweck würde aber in Fällen der vorliegenden Art verfehlt, wenn sie von § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII überlagert werden würde.

Nach der Begründung des zu Grunde liegenden Gesetzentwurfs soll mit der Regelung in § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII verdeutlicht werden, dass der Zuständigkeitswechsel zum Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Pflegeperson zeitlich an den Aufenthalt des Kindes oder des Jugendlichen bei dieser Pflegeperson gebunden ist (BT-Drs. 12/2866, S. 22). Das lässt darauf schließen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Fortgeltung dieser Zuständigkeit darüber hinaus gerade nicht eintreten soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Regelung zeitgleich zu der Regelung in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in das Gesetz aufgenommen wurde. Es hätte nahe gelegen, in der Begründung des Gesetzentwurfs auf die Frage einer Weitergeltung nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII einzugehen, wenn das auch für Fälle einer vorherigen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII gewollt wäre.

Auch das BVerwG weist in seinem Urteil vom 29.01.2004 (5 C 9/03, juris, Rn. 16) ausdrücklich darauf hin, dass § 86 Abs. 6 SGB VIII keine Regelung (enthalte), wonach eine nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit nach Ablauf des Pflegeverhältnisses fortwirkt. Es hat in dieser Entscheidung das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 26.02.2003 (12 A 11452/00, juris) bestätigt, mit dem dieses einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger des früheren Pflegestellenortes abgewiesen hatte. Vom Sachverhalt her lag dabei eine mit dem hier zu entscheidenden Fall vergleichbare Konstellation vor: Die Kindeseltern hatten nach Hilfebeginn verschiedene g. A. begründet und im Zeitpunkt der Beendigung des Pflegeverhältnisses und des Wechsels der Hilfeart bei zuständigkeitsrechtlich einheitlicher Leistung beide nicht mehr das Sorgerecht. In seinen o. a. Urteilen vom 09.12.2010 (5 C 17/09, a. a. O.) und vom 30.09.2009 (5 C 18/08, a. a. O.) ist das BVerwG davon nicht abgerückt.

Zu beachten ist zudem, dass in systematischer Hinsicht die Regelung in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in unmittelbarem Bezug zu Satz 1 der Regelung steht. Das hat der Gesetzgeber mit dem KJVVG (BGBl. I 2013, S. 3464) mit Wirkung vom 01.01.2014 ausdrücklich nochmals klargestellt, in dem er die Worte in diesen Fällen in den Text des Satzes 2 eingefügt hat. Die Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII wird jedoch ihrerseits von der Regelung in Absatz 6 Satz 1 der Norm verdrängt. Nachträgliche Änderungen des g. A. der Eltern spielen im Rahmen des Anwendungsbereichs von Absatz 6 keine Rolle. Auch das spricht dafür, den Absatz 6 insgesamt und damit auch der Regelung in dessen Satz 3 im Verhältnis zum Absatz 5 als speziellere Regelung anzusehen.

Weiterhin ist in den Blick zu nehmen, dass die Zuordnung der örtlichen Zuständigkeit zum Pflegestellenort in § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII eine Durchbrechung der grundsätzlichen Systematik der Zuständigkeitsvorschriften darstellt. Diese Besonderheit spiegelt sich zunächst darin wider, dass die Zuständigkeitsbegründung nach Absatz 6 Satz 1 nicht sofort bei der Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen bei einer Pflegeperson eintritt, sondern erst, wenn sich dessen Aufenthalt dort verfestigt hat und perspektivisch bestehen bleibt. Auch das verdeutlicht die unmittelbare Verknüpfung der Zuständigkeit mit dem Aufenthalt in der Pflegestelle. Insofern ist die Regelung in § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII systematisch und teleologisch konsequent. Dieses in sich geschlossene Regelungskonstrukt würde mit einer Einbeziehung der Zuständigkeit nach Absatz 6 Satz 1 in den Anwendungsbereich des Absatzes 5 Satz 2 durchbrochen.

Die systemabweichende Besonderheit einer Zuständigkeitsbegründung nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII wird auch dadurch unterstrichen, dass in § 89a SGB VIII ausdrücklich ein Kostenerstattungsanspruch für den Jugendhilfeträger des Pflegestellenortes als Kompensation geschaffen worden ist. Die Beklagte selbst geht unter der Annahme einer Einbeziehung der zuvor nach Absatz 6 begründeten Zuständigkeit in den Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII davon aus, dass dann weiterhin ein Kostenerstattungsanspruch besteht. Das liegt auch nahe, denn ansonsten würde der mit den Regelungen in § 89a SGB VIII verfolgte Zweck, über eine angemessene Kostenerstattung eine flächendeckend ausreichendes Angebot an Pflegestellen sicherzustellen, gefährdet.

Die Existenz eines solchen Kostenerstattungsanspruchs ließe sich aber in der vorliegenden Konstellation nur mit der Annahme einer ungewollten Regelungslücke in § 89a SGB VIII begründen. Dieser knüpft nämlich in Satz 1 tatbestandlich an die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII selbst bzw. alternativ nur an eine Fortsetzung der Leistung über die Volljährigkeit hinaus an. Eine über § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII hinauswirkende Zuständigkeit des (letzten) Pflegestellenortes trotz der Beendigung des Aufenthalts des Kindes oder Jugendlichen bei der Pflegeperson und damit des Wegfalls der nach Absatz 6 Satz 1 begründeten Zuständigkeit wird im Wortlaut der Norm demgegenüber gerade nicht angeführt. Eines Rückgriffs auf die Annahme einer ungewollten Regelungslücke im Gesetz bedarf es jedoch nicht, wenn man die nach § 86 Abs. 6 SGB VIII begründete Zuständigkeit vom Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII ausnimmt. Vielmehr ist dann das Gesetz auch kostenerstattungsrechtlich in sich vollständig und schlüssig.

bb) Dem Ausschluss einer Einbeziehung einer zuvor nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründeten Zuständigkeit aus dem Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII stehen auch nicht dessen Sinn und Zweck entgegen. Nach der Gesetzesbegründung soll die Regelung des Absatzes 5 insgesamt praktische Schwierigkeiten beheben, die nach der früheren Gesetzeslage, die auf den g. A. des Kindes/Jugendlichen abhob, in Fällen eines nachträglichen Auseinanderfallens der g. A. der Kindeseltern bestanden. Auch das BVerwG hat in seiner jüngeren Rechtsprechung zu § 86 Abs. 5 SGB VIII betont, dass damit eine einfache Zuständigkeitszuordnung gewährleistet werden soll (Urt. vom 30.09.2009, 5 C 18/08, juris, Rn. 26). Dieser Zweck kann auch erreicht werden, wenn man eine zuvor nach Absatz 6 begründete Zuständigkeit vom Anwendungsbereich des Absatzes 5 ausnimmt. Denn in aller Regel wird schon im Zeitraum der nach Absatz 6 bestehenden Zuständigkeit wegen der Kostenerstattungsansprüche aus § 89a SGB VIII geklärt sein, wer die sog. Grundzuständigkeit für den Jugendhilfefall hat, so dass damit im Zeitpunkt der Beendigung des Pflegeverhältnisses regelmäßig auch feststeht, auf wen dadurch die örtliche Zuständigkeit und damit die weitere Fallbearbeitung ggf. nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII zurückfällt.

cc) Gegen eine Ausgrenzung einer bisherigen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aus dem Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII spricht schließlich auch nicht der Vergleich mit § 86c Abs. 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift bleibt bei einem Zuständigkeitswechsel der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.

Es liegt angesichts des systematischen Zusammenhangs von § 86c SGB VIII mit § 86 SGB VIII zwar zunächst nahe, die Begriffe bisher zuständiger Träger und bisherige Zuständigkeit in den beiden Vorschriften als inhaltlich identisch anzusehen. Für § 86c Abs. 1 SGB VIII ist dabei schon nach dem Wortlaut klar, dass damit die bisherige Zuständigkeit für die Leistungsgewährung selbst gemeint ist. Die Regelung dient der Sicherung der Leistungskontinuität zu Gunsten des Leistungsberechtigten, was zwingend auch die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII einschließt (vgl. auch BT-Drs. 12/8622, S. 23: Die Regelung bezieht sich auf alle Zuständigkeitsregelungen des Unterabschnitts).

Die Annahme einer inhaltlichen Identität ist in teleologischer Hinsicht allerdings nicht zwingend. Bei § 86c SGB VIII handelt es sich nämlich nicht um eine Zuständigkeitsnorm im eigentlichen Sinn sondern um eine Anspruchsnorm zu Gunsten des Leistungsberechtigten (vgl. Lange in: jurisPK-SGB VIII, § 86c Rn. 12, m. w. N.). Ihre Zielrichtung ist damit eine andere als diejenige der Regelungen in § 86 SGB VIII. Sie dient allein der Sicherung der Leistungskontinuität. Dem Leistungsberechtigten soll im Falle eines Zuständigkeitsstreits zwischen zwei Jugendhilfeträgern nach Leistungsbeginn kein Nachteil entstehen. Diese andere Funktion des § 86c SGB VIII lässt es zu, den dort verwendeten Begriff des bisher zuständigen örtlichen Trägers weiter zu verstehen als den Begriff der bisherigen Zuständigkeit in § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII.

3. Nach den vorstehenden Ausführungen ist für die Bestimmung der bisherigen Zuständigkeit im Sinne von § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in Fällen der vorliegenden Art nicht auf die zuvor nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründete Zuständigkeit, sondern auf die während der Dauer des Pflegeverhältnisses zuletzt begründete sog. Grund- oder Kostenzuständigkeit eines örtlichen Jugendhilfeträgers im Sinne von § 89a Abs. 1, 3 SGB VIII abzustellen. Diese Zuständigkeit lag am 16.05.2013 unstreitig bei der Beklagten. Ebenso unstreitig sind seitdem keine Umstände eingetreten, die eine weitere Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit erforderlich gemacht hätten.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs.1, 2 VwGO. Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, hat sie die Kosten zu tragen; im Übrigen ist die Beklagte als Unterlegene kostenverpflichtet. Der ursprünglich gestellte und in der mündlichen Verhandlung zurückgenommene Leistungsantrag hatte einen Wert von 10.662,51 EUR. Die Kammer hat den Feststellungsantrag der Klägerin mit einem Wert von 5.000,- EUR bemessen. Diese Werte sind zusammenzurechnen. Daraus ergibt sich die ausgeurteilte Kostenquote.

5. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.