Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.02.2012, Az.: 7 A 2/11

Freistellung; Personalrat; Quotierung; Wahlvorschlagsliste

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.02.2012
Aktenzeichen
7 A 2/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 44525
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 39 NPersVG sieht eine Quotierung von Freistellungen nach Wahlvorschlagslisten nicht vor.
Dem Personalrat müssen konkrete Personen zur Beschlussfassung über die Freistellungen vorgeschlagen werden.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt als Mitglied des Beteiligten zu 1. die Feststellung, dass ein von diesem gefasster Beschluss über die Verteilung von Freistellungen rechtswidrig ist.

Nach den Personalratswahlen für die Wahlperiode 2011 bis 2012 setzte sich der 21-köpfige Personalrat der Universitätsmedizin D. (UMG) aus 12 Mitgliedern der Gewerkschaft "ver.di", 5 Mitgliedern der Liste "Neue Alternative", 2 Mitgliedern der Liste "K.I.S.S." sowie jeweils einem Mitglied der Listen "Die Alternative – Unabhängige Liste" und "WIR FÜR EUCH" zusammen; beide gewählten Beamtenvertreter gehörten zu "ver.di". Die Anzahl der Freistellungen legte die Dienststelle im Einvernehmen mit dem Personalrat auf 8 Vollzeitstellen fest. In seiner Sitzung vom 24.01.2011 beschloss der Personalrat über die Verteilung von Freistellungen im Umfang von 6,25 Vollzeitstellen. Das Sitzungsprotokoll hielt hierzu fest:

"Die Vorsitzende teilt die Vorschläge für freizustellende Personalratsmitglieder mit:

G. H. mit 38,50 Wo/Std.

V. W. mit 38,50 Wo/Std.

X. Y. mit 38,50 Wo/Std.

Z. AA. mit 38,50 Wo/Std.

AB. AC. mit 28,00 Wo/Std.

AD. AE. mit 19,25 Wo/Std.

AF. AG. mit 19,25 Wo/Std. also 50% seiner Arbeitszeit

Dr. AH. AI. mit 19,25 Wo/Std. also 50 % seiner Arbeitszeit

Das wären insgesamt 6,25 VK Stellen die zum nächstmöglichen Zeitpunkt freigestellt werden sollen. Die fehlenden werden in einer der nächsten Sitzungen beschlossen.

Frau C. beansprucht für die Liste "Neue Alternative" 2,5 VK Freistellungen, deren Verteilung dann später mitgeteilt werden soll. Sie begründet ihren Anspruch mit Urteilen, die im Geltungsbereich des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) ergangen sind. Die Vorsitzende erläutert den Unterschied zwischen BPersVG und NPersVG und teilt mit, das außerhalb ihrer Liste keine Freistellungen vergeben werden müssen.

Es wird über die Vorschläge abgestimmt:

G. H. 38,50 Wo/Std. Abstimmung: 19-0-2

V. W. 38,50 Wo/Std. Abstimmung: 14-4-3

X. Y. 38,50 Wo/Std. Abstimmung: 15-2-4

Z. AA. 38,50 Wo/Std. Abstimmung 14-3-4

AB. AC. 28,00 Wo/Std. Abstimmung 12-9-0

AD. AE. 19,25 Wo/Std. Abstimmung 12-8-1

AF. AG. 19,25 Wo/Std, 50% d. Arbeitszeit Abstimmung: 15-5-1

Dr. AH. AI. 19,25 Wo/Std, 50 % d. Arbeitszeit Abstimmung: 12-7-2

Somit ist der Beschluss gefasst, alle o.g. Mitglieder zum nächstmöglichen Zeitpunkt freizustellen."

Am 07.03.2011 hat die Antragstellerin das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet.

Sie trägt vor, dass alle freigestellten Mitglieder des Beteiligten zu 1. der Gewerkschaft "ver.di" angehören. Die "ver.di"-Mehrheit des Beteiligten zu 1. habe die Freistellungen nach Gewerkschaftszugehörigkeit vergeben, was unzulässig sei. Die Mitwirkung anderer Gewerkschaften sei bewusst verhindert oder dies zumindest billigend in Kauf genommen worden. Eine Diskussion über die beantragte Freistellung für Mitglieder der Liste "Neue Alternative" sei von der Vorsitzenden des Beteiligten zu 1. unterbunden worden. Eine Verteilung der Freistellungen auf alle im Gremium vertretenen Listen sei nicht nur im BPersVG vorgesehen, sondern entspreche auch den üblichen demokratischen Richtlinien und sei für eine glaubwürdige Vertretung aller Beschäftigten und zur Wahrung des Betriebsfriedens unabdingbar. Darüber hinaus legte die Antragstellerin im Einzelnen dar, aus welchen personenbezogenen Gründen sie mit den beschlossenen Freistellungen nicht einverstanden sei und welche Personalratsmitglieder aus ihrer Liste sie für geeigneter halte.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass der Beschluss des Beteiligten zu 1. vom 24.01.2011 über die Verteilung von Freistellungen im Umfang von 6,25 Vollzeitstellen rechtswidrig ist, mit Ausnahme der Freistellung der Vorsitzenden.

Der Beteiligte zu 1. beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Personalratsmehrheit habe nicht versucht, eine Freistellung von Personen anderer Listen zu verhindern. Für die Auswahl der freigestellten Personen habe es sachliche Gründe gegeben, die im Einzelnen dargelegt werden. Kein Mitglied einer anderen Liste als "ver.di" habe für eine Freistellung kandidiert. Die gesetzlichen Vorgaben des § 39 NPersVG seien eingehalten worden. Ein Minderheitenschutz sei darin nicht vorgesehen.

Der Beteiligte zu 2. stellt keinen Antrag; er verweist auf sein weitgehend fehlendes Mitspracherecht bei der Auswahl der freizustellenden Personen und erklärt in der Sache seine Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beteiligten zu 1. in dessen Schriftsatz vom 17.08.2011.

Wegen des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Anhörung und der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Er ist zulässig. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Dienststelle den streitbefangenen Vorgang durch die Umsetzung der vom Beteiligten zu 1. am 24.01.2011 beschlossen Freistellungen bereits vollzogen hat, nimmt die Fachkammer in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 16.02.1994 - 7 A 25/93 -, vom 20.12.1994 - 7 A 45/94 -, vom 07.02.1996 - 7 A 7015/95 - und vom 07.03.2001 - 7 A 7003/99 -; vgl. ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 18.12.1996 -18 L 985/95 -, juris, Rn 18) ein rechtlich relevantes Interesse des Antragstellers an der begehrten Feststellung dann an, wenn die den Gegenstand des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens bildende Frage, ob die Verteilung von Freistellungen, wie sie durch den Beschluss des Beteiligten zu 1. am 24.01.2011 erfolgt ist, gegen geltendes Recht verstößt, sich jederzeit zwischen den Verfahrensbeteiligten erneut stellen kann. In diesem Fall ist es sachgerecht, diese Frage zu klären und nicht einen Streitfall abzuwarten, bei dessen gerichtlicher Klärung voraussichtlich erneut eine Erledigung der Hauptsache eintreten würde. Das auf eine generelle Klärung der Rechtsfrage abstellende Begehren muss allerdings grundsätzlich mit einem entsprechend formulierten Antrag deutlich gemacht werden (BVerwG, Beschluss vom 02.06. 1993 - 6 P 3.92 -, PersR 1993, 450). Denn es ist nicht Aufgabe der Fachkammer, Gutachten zu abstrakten Rechtsfragen abzugeben, welche in dem Verfahren, das durch den Vollzug einer Maßnahme seine Erledigung gefunden hat, keine Bedeutung gehabt haben. Da die Aufteilung von Freistellungen sowohl in der laufenden als auch in einer zukünftigen Wahlperiode (§ 22 NPersVG) zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 1. erneut streitig werden kann, ist ein Feststellungsinteresse der Antragstellerin gegeben.

Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergibt sich daraus, dass sie als Personalratsmitglied für die Gesetzmäßigkeit der Tätigkeit des Personalrats einschließlich der von diesem Gremium getroffenen Beschlüsse mitverantwortlich ist. Zu den vom Personalrat zu beachtenden Regeln gehört in diesem Zusammenhang auch § 39 Abs. 4 NPersVG, über dessen Auslegung vorliegend gestritten wird.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Die Freistellung von Personalratsmitgliedern gemäß § 39 Abs. 3 NPersVG hat den Zweck, dass die außerhalb der Sitzungen anfallenden Geschäfte des Personalrats ordnungs- und sachgemäß wahrgenommen werden können und eine wirksame Erfüllung der Aufgaben und Befugnisse ermöglicht wird (Nds. OVG, Beschluss vom 18.12.1996, aaO., Rn 21; Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Stand: 11/11, § 39 Rn 41). Über den Umfang der Freistellung entscheidet die Dienststelle unter Beachtung der Staffelvorgaben des § 39 Abs. 3 Satz 3 NPersVG im Einvernehmen mit dem Personalrat (§ 39 Abs. 3 Satz 2 NPersVG). Über die Verteilung der Freistellungen auf die Mitglieder des Personalrates entscheidet dieser durch Beschluss gemäß § 31 NPersVG, wobei die Mitglieder, um deren Freistellung es geht, nicht gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 NPersVG ausgeschlossen sind, weil es sich nicht um persönliche Interessen handelt (Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO., § 31 Rn 19 m.w.N.). Bei der Beschlussfassung ist zu beachten, dass nach dem oder der Vorsitzenden die Gruppen (vgl. § 5 Abs. 1 NPersVG) angemessen zu berücksichtigen sind (§ 39 Abs. 4 NPersVG). Über diese Vorschrift hinaus ist dem Personalrat kein vollkommen freies Ermessen eingeräumt, vielmehr hat er sich am Sinn und Zweck der Freistellung zu orientieren (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO., § 39 Rn 73). Demzufolge darf die Entscheidung beispielsweise danach ausgerichtet sein, ob eine Person besonderen Sachverstand oder besonderes Verhandlungsgeschick besitzt, eine Beschäftigtengruppe besonders groß ist (Bieler/Müller-Fritzsche, NPersVG, 15. Aufl. 2010, § 39 Rn 20) oder bestimmte Aufgabenreiche hauptsächlich durch eine Person bearbeitet werden sollen. Ermessensfehlerhaft wäre es dagegen, wenn der Personalrat die ihm zustehenden Freistellungen nach Gewerkschaftszugehörigkeit oder nach Geschlechterproporz verteilen würde (Nds. OVG, Beschluss vom 18.12.1996, aaO., Rn 25; Bieler/Müller-Fritzsche, aaO., § 39 Rn 20 m.w.N.).

Eine Quotierung nach Wahlvorschlagslisten ist in § 39 NPersVG (anders als z.B. in § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG, § 46 Abs. 3 Satz 3 SächsPersVG, § 40 Abs. 3 Satz 2 HessLPVG) nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber ist auch nicht aus höherrangigem Recht verpflichtet, einen Minderheitenschutz bei der Verteilung von Freistellungen einzuführen. Im Personalvertretungsrecht gibt es keinen allgemeinen, ungeschriebenen Grundsatz des Inhalts, dass in die Regelungen zur Freistellung von Personalratsmitgliedern der Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes gewissermaßen zwangsläufig hineinzulesen wäre. Soweit das Gesetz in personalvertretungsrechtlichen Zusammenhängen einen Minderheitenschutz beabsichtigt, ist dies vielmehr in einzelnen einschlägigen Regelungen den Sachbezügen entsprechend differenziert zum Ausdruck gekommen. Fehlt es aber in dem zur Entscheidung stehenden Sachzusammenhang daran, so betrifft der Minderheitenschutz keinen Gesichtspunkt, der sich gegenüber einer eindeutigen sprachlichen Fassung und Systematik des Gesetzes bei dessen Auslegung und Anwendung durchsetzen könnte (OVG NRW, Beschluss vom 25.08.2006, - 1 A 3619/05.PVL -, zitiert bei VG Köln, Beschluss vom 18.08.2010 - 34 K 8309/09.PVL -, juris, Rn 57ff; ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 11.06.2001 - 8 Bf 154/00.PVL -, juris, Rn 59ff). Aus dem Minderheitenschutz bei Wahlen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 NPersVG) kann nicht ein vergleichbarer Schutz auch bei der Verteilung von Freistellungen hergeleitet werden, weil dafür im Gesetz kein Anhalt besteht. Außerdem geht der Minderheitenschutz im niedersächsischen Personalvertretungsrecht in eine andere Richtung. Infolge der starken Prägung durch das Gruppenprinzip (§ 14 NPersVG) erfolgt der Minderheitenschutz in erster Linie mit Blick auf die Gruppen der Beschäftigten und nicht innerhalb der Gruppen in Hinsicht auf die Listenverteilung der gewählten Personalratsmitglieder. Dies kommt auch in § 39 Abs. 4 NPersVG zum Ausdruck, ohne dass dem Gesetzgeber vorgeworfen werden kann, den Sinn und Zweck der Freistellungsregelung verfehlt zu haben.

Aus den vorstehenden Rechtsgrundsätzen folgt, dass dem Personalrat konkrete Personen zur Beschlussfassung über die Freistellung vorgeschlagen werden müssen. Bereits hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die Antragstellerin ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht bestimmte Personen für Freistellungen im Umfang von 2,5 Vollzeitkräften vorgeschlagen hat, sondern lediglich eine Art von "Reservierung" in diesem Umfang für ihre Liste forderte und - soweit ersichtlich - beabsichtigte, über die Binnenverteilung zugesprochener Freistellungen nachfolgend listenintern zu entscheiden. Weil kein konkreter Gegenvorschlag in der Sitzung vom 24.01.2011 vorlag, hatten sich die Mitglieder des Personalrates auch nicht in Vorbereitung der Ermessensentscheidung mit den Vor- und Nachteilen von Freistellungskonkurrenten auseinander zu setzen. Darüber hinaus wäre die von der Antragstellerin begehrte "Reservierung" von 2,5 Freistellungen auch deswegen unzulässig, weil dieses Begehren auf nichts anderes als die Vorgehensweise hinausliefe, welche sie den "ver.di"-Vertretern im Personalrat als rechtswidrig vorgeworfen hat, nämlich die Verteilung von Freistellungen nach Gewerkschafts- bzw. Listenzugehörigkeit.

Auch unabhängig vom Vorstehenden kommt es nicht darauf an, was die Vorsitzende des Personalrats oder ein anderes Mitglied im Rahmen der Aussprache zur Begründung ihrer Auffassung herangezogen hat. Maßgeblich ist allein das Abstimmungsergebnis (zu den Stimmenthaltungen vgl. 31 Abs. 2 Satz 2 NPersVG). Denn die Stimmabgabe bei einer Beschlussfassung ist nicht abhängig davon, welche Gedanken den Abstimmenden gerade bewegen, welche Argumente vorher ausgetauscht worden waren, ob sie der geltenden Rechtslage entsprechen oder nicht (vgl. Bieler/Müller-Fritzsche, aaO., § 31 Rn 5). Solange der Beschlussformel selbst keine Begründung beigefügt wird, ist - auch ohne dass eine geheime Abstimmung durchgeführt wurde - nicht zu erkennen, ob das einzelne Personalratsmitglied aus sachgerechten oder sachfremden Erwägungen seine Stimme abgegeben hat. Rechtlich relevante Fehler bei einer Ermessensausübung kann die Fachkammer jedoch nur prüfen, wenn sie zuvor Tatsachen feststellen kann, aus denen für die Mehrheit der Abstimmenden gesichert auf einen Ermessensfehl- oder -nichtgebrauch geschlossen werden kann. Mangels einer Begründung des Abstimmungsergebnisses im Protokoll der Personalratssitzung vom 24.01.2011 ist dies vorliegend nicht der Fall.

Eine Kostenentscheidung erfolgt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nicht.