Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 16.02.2012, Az.: 3 A 15/12

Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei länderübergreifender Erhebung von Benutzungsgebühren für leitungsgebundene Einrichtungen

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
16.02.2012
Aktenzeichen
3 A 15/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 39810
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2012:0216.3A15.12.0A

Amtlicher Leitsatz

Zur örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei länderübergreifender Erhebung von Benutzungsgebühren für leitungsgebundene Einrichtungen

  1. 1.

    Für Anfechtungsklagen betreffend Benutzungsgebühren für leitungsgebundene öffentliche Einrichtungen, die ein Zweckverband als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer Zuständigkeit für Teile von mehreren Bundesländern erhebt, ist gemäß § 52 Nr. 1 VwGO jeweils das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das betroffene Grundstück liegt (örtlicher Bezug). Das gilt unabhängig davon, welches Landes- oder Ortsrecht Maßstab der gerichtlichen Prüfung ist.

  2. 2.

    Behörde i. S. v. § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist jede Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt (Abgrenzung zu § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO).

Gründe

1

Nach Auffassung der Kammer bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts I. für den vorliegenden Rechtsstreit bereits aus § 52 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist in Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. Dabei sind unter einem "ortsgebundenen Recht" im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO subjektive Rechte, nicht Normen objektiven Rechts zu verstehen. Die örtliche Gerichtszuständigkeit bestimmt sich also - im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten - nicht danach, ob Landes- oder Ortsrecht aus dem Bezirk des erkennenden Gerichts für die Entscheidung maßgebend ist. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gerichte Rechtsnormen ermitteln, auslegen und anwenden müssen, die außerhalb ihres eigenen Gerichtsbezirks gelten, mag dies fremdes Ortsrecht, fremdes Landesrecht oder auch ausländisches Recht sein (vgl. umfassend bereits BVerwG, Beschluss vom 30.01.1964 - II ER 402.63 -, BVerwGE 18, 26, 29).

2

Vorliegend ist das Eigentumsrecht der Klägerin an ihrem im Bezirk des Verwaltungsgerichts I. gelegenen Grundstück C. 5 im hessischen D. betroffen. Soweit nun eine Gebühr das Entgelt für eine behördliche Leistung ist, die im Rahmen eines ortsgebundenen Rechtsverhältnisses erbracht wurde, teilt die Gebühr dessen rechtliches Schicksal (vgl. VG Dessau, Beschluss vom 08.04.1999 - A 1 K 725/98 -, NVwZ-RR 1999, 704 [VG Darmstadt 11.03.1999 - 3 E 1866/97 (3)]). In ihrer Eigenschaft als Eigentümerin des im hessischen D. gelegenen Grundstücks hat die Klägerin den streitbefangenen Bescheid vom 20. Januar 2012 für die Wasserver- und Abwasserentsorgungsleistung des Beklagten mit Sitz im niedersächsischen J. (Ortschaft Lauenberg) erhalten und die Gebührenfestsetzung mit ihrer Klageschrift vom 3. Februar 2012 angefochten. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung in § 52 Nr. 1 VwGO, in Streitigkeiten, die einen spezifischen örtlichen Bezug aufweisen, das Gericht, das mit der besten Ortskundigkeit oder zumindest der besten Möglichkeit, sich diese Ortskundigkeit zu verschaffen, ausgestattet ist, entscheiden zu lassen, genügt für die Anwendbarkeit dieser Zuständigkeitsnorm, dass es für die Beurteilung der Sache auf die örtlichen Besonderheiten ankommt, wobei grundsätzlich auch eine mittelbare Beziehung des Rechtsstreits zu dem ortsgebundenen Recht oder Rechtsverhältnis ausreicht (VG Dessau, aaO., m. w. N.).

3

Das ist bei den vorliegend festgesetzten Wasser- bzw. Abwassergebühren der Fall. Bei Gebühren kann eine hinreichend enge Beziehung zu dem örtlichen Rechtsverhältnis angenommen werden, wenn die rechtliche und tatsächliche Würdigung regelmäßig von den Gegebenheiten des Ortes der gebührenpflichtigen Leistung abhängig ist. Gerade vorliegend wird der Ortsbezug augenfällig durch den Verweis der Klägerin auf die bei ihr neu eingesetzte Wasseruhr, die sie für die Verbrauchssteigerung verantwortlich macht (vgl. VG Koblenz, Beschluss vom 03.08.2006 - 1 K 487/06.KO -, [...], Rn. 2 m. w. N.). Auch im Hinblick auf die festgesetzten Gebühren im Übrigen ergibt sich aufgrund von Lage und Zustand der Wasser- bzw. Abwasserleitungen ein enger Zusammenhang mit der streitbefangenen Gebührenfestsetzung, so dass ein für die Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO erforderlicher spezifischer örtlicher Bezug im Sinne von benutzungsgebührenpflichtigen Leistungen durch in der Trägerschaft des Beklagten stehende "grundstücksbezogene Einrichtungen" (vgl. § 5 Abs. 6 Satz 2 Nds. Kommunalabgabengesetz) besteht (in diesem Sinne auch Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 52 Rn. 7; Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 52 Rn. 7 a. E.).

4

Lediglich nachrangig, aber gleichwohl die Verweisungsentscheidung selbständig tragend, ist die Kammer der Auffassung, dass die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts I. sich auch (nachrangig) aus § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ergibt. Nach Satz 1 dieser Nummer 3 ist bei Anfechtungsklagen, die nicht unter Nummern 1, 2 und 4 fallen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Satz 2 macht davon insofern eine Ausnahme, als das Verwaltungsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Beschwerte (vorliegend also die Klägerin) seinen Sitz oder Wohnsitz hat, wenn der Verwaltungsakt von einer Behörde erlassen ist, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke (vorliegend Göttingen und I. für den Beklagten) erstreckt. Entgegen der Auffassung des Beklagten geht die Kammer mit dem VG Leipzig (vgl. Beschluss vom 19.02.2007 - 5 K 1453/06 -, [...], Rn. 3 f.) davon aus, dass auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (wie der Beklagte) eine Behörde im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist, da unter einer Behörde im Sinne dieser Regelung jede Stelle zu verstehen ist, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt. Unter Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialen ist der Begriff der Behörde in dieser Vorschrift im weitesten Sinne zu verstehen, was auch dem Zweck des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO entspricht, wonach die Vorschrift eine Konzentration von Prozessen bei dem Gericht vermeiden soll, das für den Sitz einer Behörde mit weiträumigem Wirkungsbereich zuständig wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, ob nach Größe und Geschäftsanfall der Behörde die Überlastung eines einzelnen Gerichts wahrscheinlich ist oder nicht, so dass der Begriff der Behörde hier (anders als in § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO mit der dortigen ergänzenden Aufzählung für den Bundesbereich) im Sinne von § 1 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz zu verstehen ist, und also jede Stelle meint, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. umfassend und mit weiteren Nachweisen: VG Leipzig, aaO., Rn. 3, sowie Redeker/von Oertzen, VwGO, VwGO. 15. Aufl. 2010, § 52 Rn. 14).