Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.04.2004, Az.: 1 B 14/04

Beamter; Einbehaltung von Dienstbezügen; fachärztliches Gutachten; HNO-Gutachten; Versetzung in den Ruhestand; Zwangspensionierung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.04.2004
Aktenzeichen
1 B 14/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50879
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

I.

1

Der Antragsteller erstrebt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der er zum einen die Einbehaltung der sein Ruhegehalt übersteigenden Dienstbezüge (ab 1. Mai 2004) bis zu einer Entscheidung über die beabsichtigte Versetzung in den Ruhestand verhindern will; zum andern will er eine erneute Einleitung des Zwangspensionierungsverfahrens unter Vermeidung von zuvor unterlaufenen Fehlern erreichen.

2

Der Antragsteller - Lehrer an der Haupt- und Realschule mit Orientierungsstufe in C. - ist unstreitig schwerhörig, weshalb ihm zunächst ein Grad der Behinderung von 50 % und seit Februar 2003 ein solcher von 80 % zuerkannt wurde. Aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens vom 21. Dezember 2000, durch das eine eingeschränkte Dienstfähigkeit festgestellt wurde, war seine Unterrichtsverpflichtung bis zum 31. Januar 2002 reduziert. Da er ab 29. Januar 2003 auf der Grundlage ärztlicher Atteste dienstunfähig krank war, veranlasste die Antragsgegnerin im Mai 2003 eine amtsärztliche Untersuchung. Die zuständige Amtsärztin kam in ihrer Stellungnahme vom 13. Juni 2003 - gestützt auf verschiedene Arztberichte - zu der Einschätzung, der Antragsteller sei wegen einer hochgradigen Schallempfindungs-Schwerhörigkeit sowie einer depressiven Störung dienstunfähig; mit der Wiederherstellung voller Dienstfähigkeit sei nicht mehr zu rechnen. Die Antragsgegnerin leitete daraufhin ein Verfahren zur Versetzung des Antragstellers in den Ruhestand ein, sprach mit der Verfügung vom 14. Juli 2003 - zugestellt am 7. August 2003 - diese Versetzung zum 31. August 2003 aus und nahm diese mit einer entsprechenden Urkunde vom 31. Juli 2003 vor.

3

Aufgrund von Einwendungen, einem Widerspruch des Antragstellers und entsprechenden Anträgen seines Prozessbevollmächtigten (Schr. v. 10. Dezember 2003) hob die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 25. März 2004 ihre Versetzungsverfügung vom 14. Juli 2003 in dem Bewusstsein wieder auf, dass diese als rechtswidrig anzusehen ist (so Schr. v. 12. Dezember 2003).

4

Schon zuvor hatte die Antragsgegnerin mit ihrer Verfügung vom 4. November 2003 erneut ein Zwangspensionierungsverfahren gemäß §§ 56, 60 NBG eingeleitet und dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Einwendungen gegen die beabsichtigte Versetzung in den Ruhestand zu erheben. Ein personalvertretungsrechtliches Beteiligungsverfahren gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG war eingeleitet worden. Da der Antragsteller mit Schreiben vom 8. und 10. Dezember 2003 Einwendungen erhoben hatte, ordnete die Antragsgegnerin mit ihrer Verfügung vom 22. Januar 2004 - unterzeichnet vom Regierungsvizepräsidenten, den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 27. Januar 2004 zugestellt - gemäß § 56 Abs. 3 NBG die Fortführung des Verfahrens an. Zugleich wurde ein Oberregierungsrat bei der Bezirksregierung mit der Ermittlung des Sachverhalts beauftragt. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass mit Wirkung vom Ende der 3 Monate, die dem Monat der Bekanntgabe folgen, diejenigen Bezüge gemäß § 56 Abs. 4 NBG einbehalten werden, die das Ruhegehalt übersteigen.

5

Der Antragsteller hat am 16. März 2004 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt und zur Begründung vorgetragen, die Amtsärztin habe in ihrem Gutachten u.a. auch festgestellt, dass bei ihm eine gesundheitliche Eignung für solche Tätigkeiten vorliege, bei denen Hören nicht erforderlich sei. Schon in seinem Widerspruch vom September 2003 habe er beantragt, eine anderweitige Verwendung gemäß § 54 Abs. 3 NBG bei gleichzeitiger Versetzung in den Einzugsbereich seines Wohnortes zu prüfen. Darauf sei bei ihm als einem Beamten, der unter den Schutz des Schwerbehindertengesetzes falle, in besonderem Maße einzugehen. In seinem Schreiben vom 11. September 2003 habe er verschiedene anderweitige Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt und vorgeschlagen. Er beantragt sinngemäß,

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der Antragsgegnerin zu untersagen, dem Antragsteller ab 1. Mai 2004 die Dienstbezüge in Anwendung des § 56 Abs. 3 NBG nur noch in Höhe der Versorgungsbezüge zu zahlen,

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der Antragsgegnerin aufzuerlegen, ein HNO-fachärztliches Zusatzgutachten zum Zwecke der anderweitigen Verwendung gem. § 54 NBG in Auftrag zu geben,

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die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Zwangspensionierungsverfahren unter Vermeidung von Fehlern neu einzuleiten und dabei § 54 Abs. 3 NBG in Anwendung zu bringen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

10

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

11

Sie ist der Auffassung, dem Antragsteller stehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund zur Seite. Die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge sei gesetzliche Folge der angeordneten Fortführung des Verfahrens (§ 56 Abs. 4 NBG). Ob noch ein fachärztliches Gutachten in Auftrag gegeben werde, sei von dem Beamten zu entscheiden, der mit der Ermittlung des Sachverhalts beauftragt worden sei. Die Einleitung eines neuen Verfahrens jedoch sei bereits erfolgt, wobei auf die fehlerfreien Verfahrenshandlungen des ersten Zwangspensionierungsverfahrens zurückgegriffen werden dürfe.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

13

Der Antrag hat keinen Erfolg.

14

Dem Antragsteller steht kein Anordnungsanspruch zur Seite, der es gebieten könnte, eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

15

1. Soweit der Antragsteller zu erreichen versucht, die Einbehaltung von Teilen seiner Dienstbezüge ab 1. Mai 2004 zu verhindern, ist mit der Antragsgegnerin darauf hinzuweisen, dass diese Einbehaltung eine gesetzlich angeordnete Folge der Fortführung des Verfahrens ist, § 56 Abs. 4 NBG: Im Falle der Fortführung (und nicht der Einstellung) des Verfahrens, vgl. § 56 Abs. 3 NBG, „sind“ mit dem Ende der drei Monate, die dem Bekanntmachungsmonat folgen, die Bezüge, die das Ruhegehalt übersteigen, einzubehalten. Der Antragsteller hat somit vorläufig, nämlich bis zum Abschluss des laufenden Verfahrens über seine Versetzung in den Ruhestand, keinen den Erlass einer einstweiligen Anordnung ermöglichenden Anspruch auf Zahlung der vollen Dienstbezüge.Einem solchen Anspruch steht die Rechtsfolgeanordnung des § 56 Abs. 4 Satz 1 NBG entgegen, wonach die Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens über die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand automatisch zur Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge des Beamten führt.Vgl. insoweit OVG Münster, NVwZ-RR 1993, 315 [OVG Nordrhein-Westfalen 11.05.1992 - 1 B 1167/92]:

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„Bei jener Entscheidung handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, der einer den Suspensiveffekt des § 80I VwGO auslösenden Anfechtung durch Widerspruch und Klage unterliegt. Dies hat das BVerwG mit Urteil vom 27. 6. 1991 (BVerwGE 88, 332 = NVwZ 1992, 379 = DÖV 1992, 115) in Bestätigung der auch zuvor überwiegend vertretenen Auffassung entschieden, und davon ist - in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluß - auch für das vorliegende Verfahren auszugehen....

17

...Die in Rede stehende Rechtsfolgeanordnung war als § 75 III 3 bereits im Deutschen Beamtengesetz vom 26. 1. 1937 enthalten und wurde unter der Geltung dieses bis zum Inkrafttreten des Bundesbeamtengesetzes weiter geltenden Gesetzes dahin verstanden, daß die Einbehaltung der das Ruhegehalt übersteigenden Dienstbezüge auch dann zulässig ist, wenn der Beamte seine Dienstgeschäfte weiterhin wahrnimmt (so Nadler-Wittland-Ruppert, DBG, Teil II/1938, § 75 Rdnr. 23). Angesichts dessen spricht die Entstehungsgeschichte für ein dem Wortlaut folgendes Gesetzesverständnis. Der vom VG herausgestellte Gesetzeszweck rechtfertigt ebenfalls keine Einschränkung, und zwar weder im Sinne einer einschränkenden Gesetzesauslegung noch im Sinne einer Restriktion. Der Gesetzeszweck besteht in einer Vorwegnahme der versorgungsrechtlichen Auswirkungen einer Zurruhesetzung, die dem von seinem Dienstvorgesetzten für dienstunfähig gehaltenen Beamten den Anreiz nehmen soll, sich aus finanziellen Gründen in einem aufwendigen und letztlich erfolglosen Verfahren gegen seine Zurruhesetzung zur Wehr zu setzen. Dem Gesetzeszweck entspricht die in § 44V BBG enthaltene Regelung, wonach es für die Frage, ob dem Beamten die nach § 44IV 1 BBG einbehaltenen Bezüge letztlich zustehen oder nicht, allein auf den Ausgang des Zwangspensionierungsverfahrens ankommt. Die hierin sichtbar werdende Gesetzessystematik läßt es nicht zu, dem Beamten für eine Zeit, in welcher eine Einbehaltung von Dienstbezügen an sich hätte erfolgen müssen, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Zwangspensionierungsverfahrens wegen einer vorübergehend noch erfolgten Wahrnehmung dienstlicher Obliegenheiten einen Anspruch auf die vollen Dienstbezüge zuzuerkennen.“

18

Demzufolge hat der Antragsteller die Kürzung seiner Bezüge ab 1. Mai 2004 hinzunehmen. Die von ihm eingebrachten Härtegründe (Versorgungsabschlag, Versorgungsausgleich aus einem früheren Ehescheidungsverfahren) vermögen daran nichts zu ändern.

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2. Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag erstrebt, dass ein zusätzliches HNO-fachärztliches Zusatzgutachten - mit Blick auf eine anderweitige Verwendung iSv. § 54 Abs. 3 NBG - in Auftrag gegeben wird, ist zu unterstreichen, dass diese Frage derzeit in die Zuständigkeit des Beamten fällt, der gemäß § 56 Abs. 4 Satz 2 NBG mit der Ermittlung des Sachverhalts beauftragt ist. Er hat zu entscheiden, ob das im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und angesichts der Fürsorgepflicht des Dienstherrn im Hinblick auf den Gesetzeszweck des § 54 Abs. 3 NBG in Betracht kommt. Der beauftragte Beamte hat die Rechte und Pflichten eines Untersuchungsführers im förmlichen Disziplinarverfahren, ist also in entsprechendem Maße unabhängig und nicht Weisungen der Antragsgegnerin unterworfen.

20

3. Schließlich hat der Antragsteller keinen Anspruch (mehr) darauf, dass das Zwangspensionierungsverfahren - zwecks Vermeidung der Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind - neu eingeleitet wird. Denn das ist bereits geschehen, wie die Verfügungen vom 4. November und 12. Dezember 2003 sowie die Fortführungsverfügung vom 22. Januar 2004 zeigen. Dabei begegnet es auch keinen Bedenken, dass die Einleitung eines neuen Verfahrens schon zu einem Zeitpunkt erfolgte, als das vorangehende Verfahren noch nicht einmal abgeschlossen, die Aufhebungsverfügung vom 25. März 2004 nicht ergangen war. Solche „überholende“ Einleitung eines neuen Verfahrens noch während des fortbestehenden alten Verfahrens ist - bei aller Unklarheit solcher Verfahrensweise - nicht schädlich. Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 31.5.1990, NVwZ 1991, 477 f. [BVerwG 31.05.1990 - BVerwG 2 C 55.88]:

21

„Das BVerwG hat bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder durch Urteil vom 28. 8. 1964 (BVerwGE 19, 216 [BVerwG 28.08.1964 - BVerwG VI C 35.62] (221)) im Zusammenhang mit der Zwangspensionierung eines Beamten hinsichtlich eines sich an die Mitteilung (vgl. § 47I NRWBG, § 44I BGB) und die Fortführungsverfügung (vgl. § 47III 3 NRWBG, § 44III BBG) erst anschließenden Ermittlungs- und Erörterungsverfahrens (vgl. § 47IV NRWBG, § 44IV BBG, § 26II BRRG) entschieden, daß nicht jeder formelle Mangel des Zwangspensionierungsverfahrens bereits zur Fehlerhaftigkeit der Zurruhesetzung führt. Ebenso wie im Disziplinarverfahren dürften auch in Zwangspensionierungsverfahren die formellen Bedenken nicht dadurch überspannt werden, daß aufgetretenen Verfahrensmängeln auch in solchen Fällen eine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werde, in denen von vornherein feststehe, daß auch bei einem ordnungsgemäßen Verfahren der Sachverhalt nicht besser hätte aufgeklärt und die Belange des betroffenen Beamten nicht besser hätten wahrgenommen werden können (vgl. auch BVerwGE 47, 1 (3)). Das gilt für die ein späteres Ermittlungsverfahren erst vorbereitende Mitteilung angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen Zurruhesetzungspflicht bei Dienstunfähigkeit (vgl. § 45I NRWBG, § 44I BBG, § 26I BRRG) im besonderen Maße und vor allem nach Inkrafttreten des § 46 NRWVwVfG, der gem. § 137I Nr. 2 VwGO revisibel ist. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, hier die vorzeitige Versetzung des Kl. in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Deshalb kann eine wegen Nichteinholung eines amtsärztlichen Gutachtens verfahrensfehlerhafte Mitteilung gem. § 47I NRWBG nicht allein zur Aufhebung einer Zurruhesetzungsverfügung führen, wenn im Anschluß an die Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens zur sorgfältigen Aufklärung des Sachverhalts durch einen unabhängigen Beamten (Richter) und zur Vorbereitung einer endgültigen Entscheidung über die Zurruhesetzung ein Ermittlungs- und Erörterungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wird. Die bei der Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens unterbliebene Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens kann sich angesichts der gesetzlichen Pflichten des Dienstherrn, einen dienstunfähigen Beamten in den Ruhestand zu versetzen, und im Hinblick auf die von den Verwaltungsgerichten in vollem Umfang zu überprüfende Dienstfähigkeit bzw. Dienstunfähigkeit des Beamten nicht mehr auswirken. Die Zwangspensionierung kann hierauf nicht mehr beruhen (vgl. auch Fürst, § 44 Rdnr. 4; Schütz, BeamtenR des Bundes und der Länder, Teil C, § 47 Rdnrn. 3, 9). Die Frage, ob gem. § 46 VwVfG jeder Mangel des Zurruhesetzungsverfahrens (der Mitteilung, insb. ohne nachfolgendes Ermittlungs- und Erörterungsverfahren, der Fortführungsverfügung und des Ermittlungs- und Erörterungsverfahrens) für die Zurruhesetzung letztlich unerheblich ist, stellt sich hier nicht und bedarf deshalb keiner Entscheidung.“

22

Unter diesen Umständen kann die Verfahrensweise der Antragsgegnerin, die allerdings nicht der Rechtsklarheit diente, im Ergebnis nicht mit Erfolg gerügt werden.

23

Nach allem kann der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht geltend machen.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.