Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.02.2002, Az.: 6 V 413/01
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.02.2002
- Aktenzeichen
- 6 V 413/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 36235
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0221.6V413.01.0A
Rechtsgrundlagen
- GewStG § 2 Abs. 1
- GewStDV § 2 Abs. 1 Satz 1
- EStG § 15 Abs. 2
- KStG § 4 Abs. 1
Fundstellen
- EFG 2002, 931-932
- ZKF 2003, 43
- ZKF 2002, 188
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Allein der Umstand, dass ein Betrieb gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG gegeben ist (hier: Volkshochschule und Musikhochschule) führt nicht dazu, dass der Betrieb gewerbesteuerpflichtig ist. Für die Gewerbesteuer ist unabhängig von den Bestimmungen des KStG festzustellen, ob es sich bei den Betrieben gewerblicher Art um sog. stehende Gewerbebetriebe i.S.d. GewStG handelt.
- 2.
Für die Gewerbesteuerpflicht eines Betriebes gewerblicher Art muss die Gewinnerzielungsabsicht zu bejahen sein, weil das Vorliegen eines Gewerbebetriebs anhand des § 15 Abs. 2 EStG zu prüfen ist.
- 3.
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein stets defizitärer Betrieb gewerblicher Art einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft allein deshalb zu einem Betrieb mit Gewinnerzielungsabsicht wird, der der Gewerbesteuer unterliegt, weil durch Einlage von gewillkürtem Betriebsvermögen (Zuführung von Aktien, Kapital und Erwirtschaftung von Kapitalerträgen) Jahresüberschüsse erzielt wurden.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewerbesteuerpflicht zweier Betriebe gewerblicher Art des Antragstellers.
Der Antragsteller betreibt seit Jahrzehnten eine Volkshochschule und eine Musikschule. Beide Einrichtungen erzielten keine Gewinne und waren stets abhängig von Zuschüssen. Für die Körperschaftsteuer wurden auf den 31. Dezember 19.. für die Volkshochschule ein verbleibender Verlustabzug i.H.v."DM und für die Musikschule ein solcher i.H.v."DM festgestellt.
Am"beschloss der"des Antragstellers, die Ertrags- und Vermögenslage dieser beiden Einrichtungen durch Einlage von Aktien der X AG, die sich im hoheitlichen Bereich des Antragstellers befanden, zu verbessern. Mit Wirkung vom 1. Januar 19.. legte somit der Antragsteller Aktien zum Gesamtwert von ... DM in das Betriebsvermögen der Volkshochschule und Aktien im Gesamtwert von"DM in das Betriebsvermögen der Musikschule ein. Im Jahre 19.. betrugen die Dividendenerträge bei der Volkshochschule ... DM und bei der Musikschule ... DM. Die Dividendenerträge führten zu Jahresüberschüssen bei beiden Einrichtungen.
Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich bei der Volkshochschule und der Musikschule um Betriebe gewerblicher Art des Antragstellers handelt. Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Betriebe seit dem 1. Januar 19.. der Gewerbesteuer unterliegen, weil mit der Einlage von Aktien und der Erwirtschaftung von Dividendenerträgen und damit der Erzielung von Jahresüberschüssen eine Gewinnerzielungsabsicht zu bejahen sei. Er erließ unter dem"für den Betrieb gewerblichen Art der Musikschule und unter dem"für den Betrieb gewerblicher Art der Volkshochschule Bescheide über Gewerbesteuermessbeträge. Über die Einsprüche ist noch nicht entschieden.
Nachdem der Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat, sucht der Antragsteller bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nach. Er ist der Auffassung, die Betriebe gewerblicher Art unterlägen nicht der Gewerbesteuer, weil die Volkshochschule und die Musikschule keine stehenden Gewerbebetriebe i.S.d. § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Gewerbesteuergesetz (G ewStG) i.V.m. § 1, § 2 Abs. 1 Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) seinen. Neben anderen Voraussetzungen, die hier nicht streitig seien, setze die Annahme eines stehenden Gewerbebetriebes bei Betrieben gewerblicher Art eine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Eine solche sei bei den hier in Rede stehenden Betrieben nicht gegeben. Nach wie vor arbeiteten die Volkshochschule und die Musikschule stark defizitär. Die Einlage von gewillkürtem Betriebsvermögen in Gestalt von Aktienvermögen und die Erwirtschaftung von Jahresüberschüssen allein durch Dividendenerträge vermöchten nicht zur Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht zu führen. Mit den Dividendenerträgen würden im Wesentlichen die Defizite der Betriebe ausgeglichen. ....
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Bescheide für 19.. über die Gewerbesteuermessbeträge vom"(Musikschule) und vom"(Volkshochschule) ab dem"bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Da die Betriebe gewerblicher Art durch die Einlage von Aktien Dividendenerträge erzielten und deshalb Jahresüberschüsse erwirtschafteten, sei die Gewinnerzielungsabsicht der Betriebe gewerblicher Art zu bejahen. Eine Kürzung der Gewerbeerträge gem. § 10 a GewStG um die Verluste aus den Vorjahren komme nicht in Betracht, denn erst im Streitjahr sei von dem Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht als eines der Merkmale für das Vorliegen einer gewerblichen Tätigkeit auszugehen, die wiederum die Gewerbesteuerpflicht erst ab diesem Zeitpunkt für beide Betriebe gewerblicher Art begründe. ....
Gründe
II.
Der Antrag ist begründet.
Gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- und Tatfragen bewirken. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben. Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Gewerbesteuerpflicht der fraglichen Schulen.
Gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder inländische stehende Gewerbebetrieb. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV sind Unternehmen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gewerbesteuerpflichtig, wenn sie als stehende Gewerbebetriebe anzusehen sind. Unter Gewerbebetrieb ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen; ein Gewerbebetrieb ist nach § 1 GewStDV ein stehender, wenn er kein Reisegewerbebetrieb ist.
Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht abschließend geklärt werden, ob die Volkshochschule und die Musikschule stehende Gewerbebetriebe sind und mit ihren Erträgen der Gewerbesteuer unterliegen.
Die Beteiligten sind darüber einig und das Gericht hat keinen Grund zu einer anderweitigen Annahme, dass es sich bei der Volkshochschule und der Musikschule des Antragstellers um Betriebe gewerblicher Art i.S.d. § 4 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) handelt. Allein der Umstand, dass es sich bei den Betrieben um solche nach § 4 Abs. 1 KStG handelt, führt jedoch nicht sogleich zu ihrer Gewerbesteuerpflichtigkeit, denn es ist für die Gewerbesteuer unabhängig von den Bestimmungen des KStG festzustellen, ob sie stehende Gewerbebetriebe sind. Nach allgemeiner Meinung ist aus der Verweisung auf das Einkommensteuergesetz in § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG zu entnehmen, dass für die Gewerbesteuer das Vorliegen eines Gewerbebetriebs anhand des § 15 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zu prüfen ist. Für die Gewerbesteuerpflicht des Betriebes gewerblicher Art muss deshalb auch die Gewinnerzielungsabsicht zu bejahen sein. Aus der Verweisung folgt zudem, dass der Gewerbebegriff in § 2 Abs. 1 GewStG unabhängig von der Rechtsform des Betriebs zu beurteilen ist (herrschende Meinung zur Definition des Gewerbebetriebs; vgl. auch BFH-Urt. v. 27. Juni 1990 I R 166/95 , BFH/NV 1991, 628 [BFH 27.06.1990 - I R 166/85] ; Glanegger/Güroff, GewStG , § 2 Rz. 160). Etwas anderes gilt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung etwa für Körperschaften des Privatrechts, deren Tätigkeit stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt ( § 2 Abs. 2 GewStG).
Soweit dem Senat ersichtlich ist, hat die fachgerichtliche und die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht Stellung zu der Frage genommen, ob bei einem stets defizitären Betrieb gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Gewinnerzielungsabsicht allein deshalb bejaht werden kann, weil durch Einlage von gewillkürtem Betriebsvermögens und dessen Verwaltung Jahresüberschüsse erzielt werden. Die Frage lässt sich aus dem Gesetz und der bisherigen Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Fallkonstellationen nicht ohne weiteres beantworten.
Für die Auffassung des Antragsgegners, der die Gewinnerzielungsabsicht bejaht, spricht der Zweck des § 2 Abs. 1 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV . Die Unternehmen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die als stehende Gewerbebetriebe anzusehen sind, sollen nämlich anderen Gewerbebetrieben, mit denen sie in ihrer wirtschaftlichen Betätigung in Konkurrenz treten, gleichgestellt werden. Erwirtschaftet ein gewerblicher Einzelunternehmer, der durch seine gewerbliche Betätigung stets nur Verluste erzielt, durch eine zulässige Einlage und Verwaltung gewillkürten Betriebsvermögens - hier Kapitalvermögens - Gewinn, so mag hinsichtlich seines gesamten Geschäftsbetriebs bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls Gewinnerzielungsabsicht zu bejahen sein. Bedenken könnten aber schon in den Fällen angebracht sein, in denen sich die gewerbliche Tätigkeit als steuerlich nicht zu berücksichtigender Liebhabereibetrieb und die Kapitalzuführung an sich wie zuvor als bloße Vermögensverwaltung darstellt (zur Abgrenzung des Gewerbebetriebs zur Verwaltung von privaten Kapitalvermögens und zur Einbringung von Kapitalvermögen in einen bestehenden Gewerbebetrieb s. Lenski/Steinberg, GewStG § 2 Rz. 935 ff.). Zweifelhaft ist, ob im zu entscheidenden Fall die Grundsätze, die für private Gewerbebetriebe gelten, für die Betriebe gewerblicher Art des Antragstellers ohne weiteres herangezogen werden können, denn es besteht hier die Besonderheit, dass die Betriebe vor der Kapitalzuführung niemals eine Gewinnerzielungsabsicht hatten und sich ihre wirtschaftliche Betätigung auch später nicht geändert hat. Vor der Einlage der Aktien unterlagen die Volkshochschule und die Musikschule nicht der Gewerbesteuerpflicht, weil keine Gewinnerzielungsabsicht vorlag. Zweifelsfrei nicht der Gewerbesteuer unterliegt die Vermögensverwaltung; dementsprechend wird im Allgemeinen Gewerbesteuer nicht auf Dividendenerträge aus Aktien erhoben. Bedenken gegen die Annahme der Gewinnerzielungsabsicht und damit gegen die Annahme zweier Gewerbebetriebe bestehen deshalb, weil hier die Tätigkeiten der Betriebe gewerblicher Art (Schulbetrieb einerseits, Vermögensverwaltung andererseits) bei isolierter Betrachtung nicht der Gewerbesteuer unterfallen, im Zusammenhang betrachtet jedoch eine Gewerbesteuerpflicht auslösen sollen, obwohl die eigentliche Tätigkeit der Betriebe, nämlich der Schulbetrieb, keinerlei Änderung erfahren hat.
Die fraglichen Betriebe können auch nicht den Körperschaften privaten Rechts gleichgestellt werden. Deren Tätigkeit einschließlich der Vermögensverwaltung gilt in vollem Umfang stets als Gewerbebetrieb und unterliegt daher der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 2 und 3 GewStG). Eine Gleichstellung bietet sich schon deswegen nicht an, weil der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 GewStDV eine solche ausdrücklich nicht angeordnet hat, sondern auf die allgemeinen Bestimmungen (stehender Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG) verwiesen hat.
Fraglich ist ferner, ob eine Gewinnerzielungsabsicht i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG im zu entscheidenden Fall aufgrund der vorliegenden Tatsachen überhaupt feststellbar ist. Insbesondere kommt es darauf an, ob für die Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht ein Totalgewinn über die Zeit des Bestehens der Betriebe gewerblichen Art prognostisch festgestellt werden kann. Fraglich ist, welcher Zeitraum dafür zu betrachten ist. So könnte zum einen an den Zeitpunkt anzuknüpfen sein, in dem wie der Antragsgegner meint durch Einlage der Aktien ein Gewinn erstmals absehbar ist. Anzuknüpfen könnte aber auch sein an einen früheren Zeitpunkt, denn so der Antragsteller die Einlage der Aktien und die Erwirtschaftung von Dividendenerträgen könnte auch zu dem Zweck erfolgt sein, frühere Verluste auszugleichen.
Diesen Fragen kann im Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung nicht abschließend nachgegangen werden; ihre Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Sollten die Volkshochschule und die Musikschule als Gewerbebetriebe anzusehen sein, so stellt sich ferner die Frage, ob sie von der Gewerbesteuer nach § 3 GewStG befreit sind. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 6 GewStG greifen nach ihrem Wortlaut zwar nicht ein. Da die Betriebe gewerblicher Art aber anderen Betrieben gleichgestellt werden sollen, stellt sich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten die Frage der analogen Anwendung. Zu diesem Aspekt haben die Beteiligten bislang nicht Stellung genommen. Auch diesem Punkt wird im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein.
Die aufgezeigten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Einspruch angegriffenen Verwaltungsakte rechtfertigen die Aussetzung der Vollziehung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .
Die Beschwerde wird gem. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.