Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.07.2015, Az.: 2 Ss (OWi) 206/15
Unterbrechung der Verjährung durch eine Aufenthaltsermittlung wegen Abwesenheit eines Betroffenen im Bußgeldverfahren; Bindung der verjährungsunterbrechenden Wirkung einer Maßnahme zur Aufenthaltsermittlung unmittelbar an die zuvor ergangene Einstellung des Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.07.2015
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 206/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 28044
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2015:0723.2SS.OWI206.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Soltau - 18.03.2015
Rechtsgrundlagen
- § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG
- § 46 Abs. 1 OWiG
- § 154f StPO
Fundstelle
- ZAP EN-Nr. 884/2015
Amtlicher Leitsatz
Im Bußgeldverfahren unterbricht eine Aufenthaltsermittlung nach § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG die Verjährung nur dann, wenn das Verfahren wegen Abwesenheit des Betroffenen noch eingestellt ist.
In der Bußgeldsache
gegen H. R.,
geboren am xxxxxx 1964 in K.,
wohnhaft F.straße, H.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt U. B., D. -
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Soltau vom 18. März 2015 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx - zu Ziffer 1. und 2. durch den Vorsitzenden allein - am 23. Juli 2015
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
- 2.
Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
- 3.
Das Urteil des Amtsgerichts Soltau vom 18. März 2015 wird aufgehoben.
- 4.
Das Verfahren wird eingestellt (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 206 a StPO).
- 5.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 18. März 2015 wegen eines fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h zu einer Geldbuße von 110 € verurteilt.
Dagegen wendet sich der Betroffene. Er beruft sich auf Verjährung und beantragt die Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist diesem Antrag entgegen getreten.
II.
Die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit erfolgte am 7. August 2013 mit einem Mietfahrzeug der Firma S. GmbH & Co. KG. Nachdem diese mitgeteilt hatte, Mieter des Tatfahrzeuges sei am Tattag der Betroffene gewesen, veranlasste die Bußgeldbehörde, der Landkreis Heidekreis, am 19. August 2013 dessen Anhörung und beauftragte anschließend die Polizei in H. mit seiner Identifizierung, nachdem er sich auf die Anhörung nicht geäußert hatte. Am 8. Oktober 2013 teilte der Betroffene mit, er halte sich in den USA auf und werde voraussichtlich nicht vor Mitte Dezember zurückkehren. Danach stellte die Bußgeldbehörde das Verfahren am 24. Oktober 2013 wegen Abwesenheit des Betroffenen gem. § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG ein und verfügte am 10. Dezember 2013 erneut seine Anhörung. Als der Betroffene sich darauf nicht äußerte, erfolgte am 6. Januar 2014 die erneute Einstellung wegen Abwesenheit und am gleichen Tag auch eine Aufenthaltsermittlung mit einer Meldeanfrage bei der der Freien und Hansestadt H. Diese Anfrage ergab die bekannte Anschrift, sodass die Bußgeldbehörde am 24. Januar 2014 die dritte Einstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen vornahm. Am 3. März 2014 richtete die Bußgeldbehörde ein als "Ermittlungsersuchen" bezeichnetes Schreiben an die Polizei in H., mit dem sie "nochmals um eine persönliche Inaugenscheinnahme des Betroffenen" bat, weil eine "Identifizierung anhand des anl. Passfotos" aufgrund der Qualität des Messfotos nicht möglich sei. Am 25. April 2014 teilte die Polizei in H. mit, der Betroffene sei bei mehrfachen Besuchen, zuletzt am 23.04.2014, unter seiner Anschrift nicht angetroffen worden und man gehe davon aus, dass er sich aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für längere Zeit nicht in H. aufhalte.
Eine erneute Einstellung erging danach nicht, vielmehr folgten am 23. April 2014 und am 22. Juli 2014 lediglich zwei weitere Anfragen zur Aufenthaltsermittlung bei der Freien und Hansestadt H.
Am 12. August 2014 erließ die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen mit einer Geldbuße von 110 €. Auf seinen Einspruch erfolgte die Abgabe der Sache an das Amtsgericht, das den Betroffenen am 18. März 2015 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilte und in den schriftlichen Urteilsgründen sinngemäß ausführt, dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG regelmäßig unterbrochen worden sei.
III.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, um das Urteil im Hinblick auf die Anwendung von § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG dahingehend zu überprüfen, ob die Verjährung wegen Abwesenheit eines Betroffenen mit einer Aufenthaltsermittlung durch die Bußgeldbehörde auch dann unterbrochen wird, wenn zu dieser Zeit das Verfahren noch eingestellt war oder auch dann, wenn zu dieser Zeit im Anschluss an eine Einstellung wegen der Abwesenheit des Betroffenen das Verfahren durch eine neue Ermittlungsmaßnahme gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154 f StPO wieder aufgenommen worden war. Darüber hinaus war zu prüfen, wann eine Beweisaufnahme der Sicherung von Beweisen dient, die die Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG nach vorheriger Einstellung ebenfalls unterbricht.
Der Zulassung steht § 80 Abs. 5 OWiG nicht entgegen, wonach sie nicht zur Überprüfung eines Verfahrenshindernisses erfolgen soll, das bereits vor Verkündung des angefochtenen Urteils eingetreten ist. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann nicht, wenn gerade das Eingreifen dieses Verfahrenshindernisses einer obergerichtlichen Klärung bedarf (vgl. BGHSt 42, 283; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, 21; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80 Rdnr. 24; Senge in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl., § 80 Rdnr. 60).
Zur Entscheidung war die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, § 80 a OWiG.
IV.
a) Ob nach § 33 Abs. 5 OWiG bei einem abwesenden Betroffenen bereits jede Aufenthaltsermittlung die Verjährung unterbricht oder ob dies nur bei einnem - noch - eingestellten Verfahren der Fall ist, ist höchstrichterlich zuletzt durch das Bayerische Oberste Landesgericht in dem Beschluss vom 17. Dezember 1981 (VRs 62, 288) entschieden worden. Das BayObLG hat seinerzeit ausgeführt, dass eine Maßnahme zur Ermittlung des Aufenthalts eines Betroffenen die Verjährung gemäß § 33 Abs. 5 OWiG nur dann unterbricht, wenn das Verfahren noch eingestellt ist, nicht aber wenn zwischenzeitlich die Wiederaufnahme der Ermittlungen erfolgt war (dem zustimmend Graf in: Karlsruher Kommentar a. a. O. § 33 Rdnr. 56; Göhler-Gürtler a. a. O. § 33 Rdnr. 27).
Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat auch aus heutiger Sicht an. Entscheidend für diese Auslegung spricht der Wortlaut des Gesetzes in § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG, der die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Maßnahme zur Aufenthaltsermittlung unmittelbar an die zuvor ergangene Einstellung des Verfahrens bindet. Ist ein Verfahren nicht (mehr) eingestellt, weil es durch eine Ermittlungsanordnung zwischenzeitlich wieder aufgenommen wurde, kann eine aufenthaltsermittelnde Maßnahme die Verjährung nicht unterbrechen (ebenso BayObLG a. a. O., KK-Graf a. a. O.).
b) Allerdings kann nach einer Einstellung wegen Abwesenheit auch eine Ermittlungsanordnung zur Beweissicherung die Verjährung unterbrechen. Das Gesetz sieht in einer solchen Ermittlungsmaßnahme keine Wiederaufnahme des Verfahrens, sie soll lediglich die Möglichkeit einer Sicherung von Beweismitteln schaffen, die bei weiterem Zeitablauf verloren gehen könnten. Dass die Ermittlung einen solchen Zweck verfolgt, ist demnach Voraussetzung für die verjährungsunterbrechende Wirkung der Maßnahme.
Ob ein solcher Fall vorliegt, ergibt sich jeweils aus dem Einzelfall (Beispiele bei KK-Graf, a. a. O. § 33 Rdnr. 56 a. E.). Maßstab dafür ist die Gefahr eines Beweismittelverlustes bei weiterem Abwarten.
Jedenfalls für die Identifizierung eines Betroffenen durch einen Vergleich seiner Person mit dem Messfoto besteht eine solche Gefahr in dem Zeitraum bis zur absoluten Verjährung einer Verkehrsordnungswidrigkeit regelmäßig nicht. Es mag Ausnahmen geben, dafür ist hier indessen nichts ersichtlich. Das Ermittlungsersuchen vom 03.03.2014 konnte demnach die Verjährung nicht unterbrechen.
V.
Danach erfolgte hier die letzte Verjährungsunterbrechung mit der Einstellung des Verfahrens am 24. Januar 2014. Bis zum Erlass des Bußgeldbescheides am 22. Juli 2014 vergingen mehr als drei Monate, sodass gem. § 26 Abs. 3 StVG Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Deshalb war das Verfahren gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 206 a StPO einzustellen.
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 79 Abs. 3 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.