Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.02.2020, Az.: 4 K 11025/18

Zufluss von Kapitalerträgen aus der Umwandlung von Zinsansprüchen aus Namensschuldverschreibungen in Aktien einer luxemburgischen Aktiengesellschaft

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.02.2020
Aktenzeichen
4 K 11025/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 70494
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger aus der Umwandlung von Zinsansprüchen aus Namensschuldverschreibungen in Aktien einer luxemburgischen Aktiengesellschaft Kapitalerträge zugeflossen sind.

Der Kläger zeichnete zu unterschiedlichen Zeitpunkten Namensschuldverschreibungen (im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 5 des Vermögensanlagegesetzes) ohne Verbriefung der

- U Namensschuldverschreibung 2 GmbH & Co. KG in Höhe von xxx €

- U Namensschuldverschreibung 4 GmbH & Co. KG in Höhe von xxx € und xxx €

- U Namensschuldverschreibung 5 GmbH & Co. KG in Höhe von xxx €

- U Namensschuldverschreibung 6 GmbH & Co. KG in Höhe von xxx €

und zahlte den Nennbetrag zuzüglich Agio in das Vermögen der jeweiligen Gesellschaft ein. Die zugrundeliegenden Darlehen waren mit einer hohen Verzinsung ausgestattet, wobei die Zinsen nach den von dem Kläger gewählten Konditionen zu den zwischen dem 30. Juni 2017 und dem 31. Dezember 2018 liegenden Ablaufzeitpunkten zusammen mit dem Kapital in einer Summe ausgezahlt werden sollten. Einzige persönlich haftende Gesellschafterin der Darlehensnehmerinnen war die mit einem Stammkapital von 25.000 € ausgestattete C Beteiligungsgesellschaft mbH (C), als deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer seit dem 23. Mai 2013 O (Dubai, Vereinigte Arabische Emirate) im Handelsregister eingetragen war. Im Jahr 2016 wurden die Darlehensnehmerinnen im Handelsregister gelöscht.

Nach dem von dem Kläger beispielhaft eingereichten Zeichnungsschein der U Namensschuldverschreibung 5 GmbH & Co. KG bevollmächtigte dieser - wie die übrigen Anleger auch - formularmäßig die B Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Treuhänderin damit, die Namensschuldverschreibungen zu verwalten und sämtliche damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten in seinem Namen und auf seine Rechnung wahrzunehmen. Darüber wurde jeweils ein Treuhand- und Mittelverwendungskontrollvertrag abgeschlossen, an dem neben der Treuhänderin und dem Treugeber die jeweilige Darlehensnehmerin vertreten durch die T beteiligt war. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Zeichnungsscheins und des Treuhand- und Mittelverwendungskontrollvertrags (...) Bezug genommen.

Nach einer von der C herausgegebenen Pressemitteilung vom ... Oktober 2015 stimmten die Anleger am 8. Oktober 2015 mit qualifizierter Mehrheit einer Änderung der Bedingungen der U Namensschuldverschreibungen 1, 2, 4, 5, 6 und 7 zu. Dadurch - so hieß es in der Pressemitteilung weiter - sei der C die Option eingeräumt worden, "die Rückzahlung des Anleihekapitals und der vereinbarten Zinsen der Namensschuldverschreibungen 1, 2, 4, 5 und 6 vorzeitig zu erfüllen und an Erfüllungs statt Aktien der D zu leisten". Die C habe die Beschlüsse angenommen und von dieser Option Gebrauch gemacht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Pressemitteilung (...) Bezug genommen.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2015 gab der Kläger in der Zeile 14 der Anlage KAP (inländische Kapitalerträge, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben) einen Betrag von xxx € an. Nach den der Steuererklärung beigefügten Bescheinigungen der B vom 25. Mai 2015 bzw. vom 12. April 2016 waren hierin Beträge von insgesamt xxx € enthalten, die dem Kläger aus den von ihm gezeichneten Namenschuldverschreibungen "durch Zufall von Aktien der D" zugeflossen waren. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Steuerbescheinigungen (...) Bezug genommen.

Durch Einkommensteuerbescheid vom 2. Februar 2017 erfasste der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die von dem Kläger erklärten Kapitalerträge in voller Höhe als dem besonderen Steuersatz nach § 32d des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Hiergegen legte der Kläger am 2. März 2017 Einspruch ein, mit dem er geltend machte, dass es sich bei den Einnahmen aus dem "Zufall" von Aktien um Beträge handele, über die tatsächlich noch nicht verfügt werden könne. Er habe keinen Einfluss auf die Umwandlung nehmen können und kein Verfügungsrecht über die Aktien erlangt.

Nachdem ihn das FA zur Vorlage der vollständigen Unterlagen zu der Kapitalanlage in den Namensschuldverschreibungen aufgefordert hatte, teilte der Kläger mit Schreiben vom 24. Juli 2017 mit, dass er keinen Beschluss über die Umwandlung in Aktien der D vorlegen könne, weil keiner der Anleger vorher gefragt worden sei. Wegen des Vorgangs seien bereits einige Klagen anhängig, weil die Anleger ungewollt zu Aktionären einer Gesellschaft gemacht worden seien, deren Aktien nicht zum Börsenhandel zugelassen seien und deren Stückpreise einseitig festgesetzt worden seien. Abgesehen davon fehle es am Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien, weil eine Verfügung darüber rechtlich unmöglich sei (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juni 2011 - VI R 37/09). Dem Schreiben waren ein die C betreffender Ausdruck der Internetseite der Ö Rechtsanwälte, eine Bestätigung der C betreffend die Zeichnung einer Namensschuldverschreibung an der U Namensschuldverschreibung 5 GmbH & Co. KG sowie eine Übersicht über die für diese Anlage geltenden Konditionen (...) beigefügt.

Auf eine nochmalige Aufforderung des FA zur Vorlage der vollständigen Unterlagen zu den gezeichneten Namensschuldverschreibungen bzw. zum "Zufall" der Aktien teilte der Kläger mit Schreiben vom 6. November 2017 mit, dass es derartige Unterlagen nicht gebe. Beigefügt war dem Schreiben eine an die Aktionäre gerichtete Mitteilung der D vom 4. Oktober 2017, wonach die Börse in G "nach Beschwerden und Falschaussagen einiger Aktionäre" am 29. September 2017 kurzfristig und überraschend die Zulassung ihrer Aktien zum Handel widerrufen habe, weshalb auch der Handel an den Börsen Frankfurt und Stuttgart sowie im Marktsegment XETRA nicht habe aufgenommen werden können. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Mitteilung ...) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 8. November 2017 teilte das FA dem Kläger mit, dass seine Behauptung, weitere Unterlagen zum "Zufall" der Aktien könnten nicht vorgelegt werden, nicht glaubhaft sei, weil sich aus einem Vergleichsfall ergebe, dass Ladungen zu den Anlegerversammlungen hinsichtlich der Namensschuldverschreibungen erfolgt seien und die Zuweisung der Aktien ausführlich berechnet und dem Anleger mitgeteilt worden sei. Später seien ein Auszug aus dem Aktienregister übersandt worden und Einladungen zur Hauptversammlung der D erfolgt. Der Umstand, dass die den Anlegern zugeteilten Aktien nach dem Protokoll der Anlegerversammlungen vom 8. Oktober 2015 auf die Dauer von maximal drei Jahren vinkuliert seien, stehe der Erlangung der Verfügungsmacht über die Aktien und dem Zufluss des damit verbundenen Vorteils nach der Rechtsprechung des BFH (Hinweis auf das Urteil VI R 67/05, BStBl. II 2009, 282, und die dort nachgewiesene Rechtsprechung) nicht entgegen.

Durch Einspruchsbescheid vom 12. Dezember 2017 wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Am 15. Januar 2018 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Er ist der Ansicht, dass er wegen der fehlenden Börsenzulassung noch keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Aktien erlangt habe.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich bei einer Verringerung der nach § 32d EStG zu besteuernden Einkünfte aus Kapitalvermögen um xxx € ergibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrundeliegenden Auffassung fest. Ergänzend führt er aus:

Nach einem "entsprechend wirksamen Beschluss" auf der Anlegerversammlung, bei der der Kläger durch den von ihm bestellten Treuhänder vertreten gewesen sei, seien die Ansprüche auf Rückzahlung des Kapitals der Namensschuldverschreibungen sowie auf Zahlung der für die jeweilige Laufzeit vereinbarten Zinsen bereits im Jahr 2015 durch Zuweisung von Aktien der D erfüllt worden. Durch die Zuweisung einer entsprechenden Anzahl von Aktien habe der Kläger die aus den Namensschuldverschreibungen zu beanspruchenden Zinsen bereits im Streitjahr erhalten. Die vereinbarte Sperrfrist stehe dem Zufluss der darin liegenden Kapitaleinnahmen nicht entgegen. Für den Fall, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt die mangelnde Werthaltigkeit der Aktien feststellen lassen sollte, sei möglicherweise in dem entsprechenden Veranlagungszeitraum ein Verlust zu berücksichtigen. Eine Auswirkung auf das Streitjahr ergebe sich daraus nicht.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Dem Kläger sind aufgrund der Beschlüsse der Anlegerversammlungen vom 8. Oktober 2015 keine Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG zugeflossen.

Nach § 8 Abs. 1 EStG sind Einnahmen alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen. Hiernach kann auch die als Gegenleistung für die Überlassung von Kapital erfolgende Übertragung von Aktien zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen. Dies gilt auch dann, wenn diese Übertragung aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung anstelle einer an sich geschuldeten Geldleistung erfolgt.

Entgegen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Beurteilung des FA ist im Streitfall aber keine rechtswirksame Umwandlung der dem Kläger aus den Namensschuldverschreibungen zustehenden Geldzahlungsansprüche in solche auf Übertragung von Aktien der D erfolgt. Denn die Regelungen in § 18 der jeweiligen Anleihebedingungen, auf der die diesbezüglichen Beschlüsse der Anlegerversammlungen vom 8. Oktober 2015 beruhten, waren wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches unwirksam (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 2020 - IX ZR 351/18, ZIP 2020, 363). Eine von der C vorgenommene Übertragung von Aktien der D auf den Kläger wäre daher nicht im Rahmen der Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG erfolgt.

Abgesehen davon fehlt schon jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger zivilrechtlich jemals die Inhaberschaft an derartigen Aktien erlangt hat. Ersichtlich hat er selbst zu keinem Zeitpunkt auf einen solchen Anteilserwerb gerichtete Willenserklärungen abgegeben. Ob dies an seiner Stelle durch die von ihm formularmäßig eingesetzte Treuhänderin geschehen ist, lässt sich den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen, ist für die Beurteilung des Streitfalls aber auch ohne Belang. Denn mit der Abgabe solcher - dem Vollzug der unwirksamen Beschlüsse vom 8. Oktober 2015 dienenden - Willenserklärungen hätte die Treuhänderin die ihr eingeräumte Vertretungsmacht wenn schon nicht formal überschritten, so doch zumindest missbraucht (vgl. dazu Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Oktober 2018 - 9 U 42/18, ZIP 2019, 1533). Da dieser Missbrauch für die C auch ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, wären die entsprechenden Willenserklärungen unwirksam gewesen.

Entgegen der von der Vertreterin des FA in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht ist die Unwirksamkeit der Umwandlungsbeschlüsse im Streitfall nicht nach § 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung für die Besteuerung unerheblich. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass die Beteiligten - also auch der Kläger - das wirtschaftliche Ergebnis dieser Umwandlungsbeschlüsse hätten eintreten oder bestehen lassen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger jemals irgendwelche Rechte aus den ihm angeblich übertragenen Aktien der D ausgeübt hat. Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass er gegenüber den Darlehensnehmerinnen auf seine Rückzahlungsansprüche verzichtet hat. Der Umstand allein, dass er es unterlassen hat, seine fortbestehenden Ansprüche auf Zahlung von Kapital und Zinsen bei Fälligkeit gerichtlich gegen die - zu diesen Zeitpunkten im Handelsregister bereits gelöschten - Darlehensnehmerinnen bzw. deren persönlich haftende Gesellschafterin geltend zu machen, reicht für eine solche Annahme schon deshalb nicht aus, weil die tatsächliche Durchsetzbarkeit der sich aus einer erfolgreichen Prozessführung ergebenden Ansprüche zumindest zweifelhaft gewesen wäre.

Da dem Kläger aufgrund der Umwandlungsbeschlüsse vom 8. Oktober 2015 keine Einnahmen in Gestalt von Aktien der D zugeflossen sind, bedarf es keiner Feststellungen dazu, mit welchem Wert diese nach § 8 Abs. 2 EStG anzusetzen gewesen wären. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich der Wert einer an Erfüllung statt erbrachten Leistung nach der tatsächlich erbrachten und nicht nach der ursprünglich geschuldeten Leistung bemisst (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2017 - IX R 7/16, BFH/NV 2017, 724 [BFH 06.12.2016 - IX R 7/16]) und das FA insoweit die Feststellungslast trifft.

Der angefochtene Bescheid ist daher antragsgemäß zu ändern (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Berechnung der Steuer kann dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO.