Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.02.2020, Az.: 3 K 323/19

Feststellung eines Verlustes aus der Veräußerung von Aktien; Anspruch auf nachträgliche Berichtigung eines Einkommensteuerbescheides

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.02.2020
Aktenzeichen
3 K 323/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 63363
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Streitig ist die nachträgliche Berichtigung des Einkommensteuerbescheides 2017 und die Feststellung eines Verlustes aus der Veräußerung von Aktien.

Die Kläger sind verheiratet. Sie wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Einkommensteuererklärung erstellten sie selbst mithilfe eines EDV-Programms. Auf der Anlage KAP beantragten sie die Günstigerprüfung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und gaben Kapitalerträge und daraus einbehaltene Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag an. Diese Beträge übernahmen sie u.a. aus der Steuerbescheinigung einer Bank. Diese Steuerbescheinigung war zugleich eine Verlustbescheinigung i.S.v. § 43a Abs. 3 Satz 4 Einkommensteuergesetz (EStG) und wies Verluste aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 10.211 € aus. Diesen Wert übernahmen die Kläger jedoch nicht in ihre Steuererklärung, die sie dem Beklagten authentifiziert auf elektronischem Wege übermittelten.

Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Bescheid vom 22. März 2018 erklärungsgemäß. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Rahmen der Steuerveranlagung für 2018 begehrten die Kläger eine Verrechnung der im Jahr 2017 angefallenen Verluste aus den Aktiengeschäften mit im Jahr 2018 erzielten Gewinnen. Auf eine entsprechende Anfrage beim Beklagten teilte dieser den Klägern mit, dass eine Verrechnung 2018 nicht erfolgt sei, da sie in 2017 keine Verluste erklärt hätten und hierzu auch keine Daten an den Beklagten übermittelt worden seien.

Am 11. Juli 2019 ging beim Beklagten ein Schriftsatz ein, in dem die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2017 und die Feststellung eines Verlustvertrags bei den Einkünften aus Kapitalvermögen beantragten. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2019 unter Verweis auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides ab. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte wies ihn mit Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2019 als unbegründet zurück.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2017 und Feststellung negativer Einkünfte aus Aktiengeschäften zum 31. Dezember 2017 weiter.

Es könne eine Berichtigung des Bescheides nach § 129 Satz 1 Abgabenordnung (AO) erfolgen. Dem Beklagten sei bei Erlass des Einkommensteuerbescheides 2017 eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit unterlaufen. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe bei Erlass des Steuerbescheides anhand der ihm vorliegenden Steuerbescheinigung ohne weiteres erkennen können, dass der Eintrag des Verlustes in die Anlage KAP nicht erfolgt sei, obwohl die Steuerbescheinigung diesen Verlust ausweise. Die Steuerbescheinigung hätten die Kläger mit weiteren Unterlagen im Nachgang zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung beim Beklagten eingereicht.

Jedenfalls könne aber eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nummer 2 AO erfolgen. Ihnen sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie hätten lediglich eine Zahl aus der Steuerbescheinigung der Bank nicht in die Steuererklärung übertragen. Sie könnten nicht mehr sagen, ob der Betrag im Steuerprogramm ursprünglich eingegeben, aber der Bearbeitungsstand nicht gespeichert worden sei oder ob die Eintragung versehentlich gänzlich vergessen bzw. übersehen worden sei.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23. Juli 2019 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2019 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 22. März 2018 dahingehend zu ändern, dass ein Verlust aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 10.211 € berücksichtigt wird, sowie einen entsprechenden Verlust in dieser Höhe auf den 31. Dezember 2017 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Steuerbescheinigung der Bank habe bei der Bearbeitung der Steuererklärung nicht vorgelegen. Aus der Steuerakte ergebe sich kein Hinweis auf ein Vorliegen dieser Steuerbescheinigung. Zudem hätten die Kläger in ihrer Steuererklärung angegeben, dass zu der Erklärung keine Papierbelege übersandt würden.

Eine Berichtigung nach § 129 AO komme vorliegend nur dann in Betracht, wenn die Steuerbescheinigung tatsächlich mit der Steuererklärung beim Beklagten eingereicht worden sei. Nur dann hätte der Sachbearbeiter die Möglichkeit gehabt, die fehlende Eingabe zu erkennen. Im Übrigen sei der Beklagte selbst bei Vorliegen der Steuerbescheinigung nicht verpflichtet gewesen, alle Eintragungen in der Steuererklärung anhand der eingereichten Belege auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und insbesondere keine Überprüfung dahingehend vorzunehmen, ob möglicherweise weitere steuerrelevante Unterlagen vorlägen.

Eine Änderung des Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nummer 2 AO komme nicht in Betracht. Sollte die Steuerbescheinigung der Bank bei der Veranlagung vorgelegen haben, fehle es bereits an einer neuen Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nummer 2 AO. Im Übrigen scheitere eine Änderung des Bescheides nach dieser Norm an einem groben Verschulden der Kläger. Sie hätten es versäumt, eine notwendige Eintragung in der Steuererklärung vorzunehmen, obwohl sogar in der Steuerbescheinigung deutlich vermerkt sei, an welcher Stelle der Einkommensteuererklärung der bescheinigte Verlust einzutragen sei. Spätestens bei der Endkontrolle der Steuererklärung und insbesondere angesichts der nur wenigen Eintragungen umfassenden Anlage KAP hätte das Fehlen des Werts auffallen müssen. Sollten die Kläger gleichwohl diese fehlende Eintragung nicht bemerkt haben, dann sei ihnen mangelnde Sorgfalt bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung vorzuwerfen.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig.

Das ist auch der Fall, sowie die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides begehren.

Gemäß § 40 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn die Kläger geltend machen, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts in ihren Rechten verletzt zu sein. Hierdurch soll verhindert werden, dass gerichtliche Entscheidungen zu rein abstrakten Rechtsfragen ergehen, denen tatsächlich keine Auswirkung zukommt. Die sogenannte Beschwer wird bei Steuerbescheiden regelmäßig durch eine festzusetzende Steuer zum Ausdruck gebracht. Ausnahmsweise liegt eine Beschwer auch dann vor, falls sich durch einen unzutreffenden Verlustansatz bindend eine nachteilige Wirkung bei der Einkommensteuer in anderen Veranlagungszeiträumen oder bei der Verlustfeststellung ergibt (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 10d Rz 45 m.w.N.).

So liegt der Fall hier hinsichtlich der auf Änderung des Einkommensteuerbescheides gerichteten Verpflichtungsklage. Durch das begehrte Urteil streben die Kläger zwar keine steuerliche Auswirkung im Streitjahr 2017 an. Sie begehren aber die Feststellung eines Verlustes, der im Folgejahr mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden und dadurch zu einer geringeren Steuer führen soll.

II. Die Klage ist auch begründet.

Der Beklagte hat die Änderung des Einkommensteuerbescheides und die begehrte Feststellung eines Verlustes aus der Veräußerung von Aktien rechtswidrig abgelehnt und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt (§ 101 FGO).

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2017 kann auf Grundlage von § 129 AO berichtigt werden.

a) Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die ihr beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

aa) Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 AO sind mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- und Übertragungsfehler. Nicht erfasst sind hingegen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. der Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen. Nach § 129 AO zu berichtigende Fehler müssen auf einem "Versehen" beruhen; hingegen dürfen sie nicht auf die unzulängliche Erfassung oder rechtliche Würdigung eines Sachverhalts zurückzuführen sein (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694 [BFH 08.12.2011 - VI R 45/10]). Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (vgl. dazu insgesamt BFH-Urteil vom 17. Mai 2017 X R 45/16, BFH/NV 2018, 10 [BFH 09.05.2017 - VIII R 51/14]). Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (vgl. BFH-Urteile vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37 [BFH 22.05.2019 - XI R 9/18] und vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397 [BFH 16.01.2018 - VI R 41/16], BStBl II 2018, 378 [BFH 16.01.2018 - VI R 41/16]; BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2018 VIII B 79/18, BFH/NV 2019, 102 [BFH 15.10.2018 - VIII B 79/18]).

bb) Ein Fehler ist dann "offenbar" i.S. des § 129 AO, wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694 [BFH 08.12.2011 - VI R 45/10] m.w.N.).

cc) Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332 [BFH 16.09.2015 - IX R 37/14], BStBl II 2015, 1040 [BFH 16.09.2015 - IX R 37/14]). Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415 [BFH 03.05.2017 - X R 4/16], Rz. 13, m.w.N.). Eine Berichtigung nach § 129 AO kommt im Fall eines Übernahmefehlers aber nur dann in Betracht, wenn die Fehlerhaftigkeit der Angaben für das Finanzamt als offenbare Unrichtigkeit erkennbar war (BFH-Urteil vom 3. Juni 1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342 [BFH 03.06.1987 - X R 61/81]).

dd) Liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 Satz 1 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig, weshalb die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls grundsätzlich eine Berichtigung nach dieser Vorschrift nicht hindert (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1979 V R 108/76BFHE 128, 334 [BFH 26.07.1979 - V R 108/76], BStBl II 1980, 18 [BFH 26.07.1979 - V R 108/76]; vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226 [BFH 28.11.1985 - IV R 178/83], BStBl II 1986, 293 [BFH 28.11.1985 - IV R 178/83]; vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509 [BFH 10.09.1987 - V R 69/84], BStBl II 1987, 834 [BFH 10.09.1987 - V R 69/84]; vom 4. November 1992 XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509 [BFH 04.11.1992 - XI R 40/91]; vom 11. Juli 2007 XI R 17/05, BFH/NV 2007, 1810 [BFH 11.07.2007 - XI R 17/05]; vom 21. Januar 2010 III R 22/08, BFH/NV 2010, 1410; vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657 [BFH 07.11.2013 - IV R 13/11] und vom 16. Januar 2018 VI R 38/16, BFH/NV 2018, 513 [BFH 16.01.2018 - VI R 38/16]).

ee) Diese Grundsätze gelten auch bei der Einreichung elektronischer Steuererklärungen. Der BFH hat bereits mehrfach Fälle mit elektronischen Steuererklärungen entschieden und dabei die oben dargestellten Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung angewendet (vgl. BFH-Urteile vom 3. August 2016 X R 20/15, BFH/NV 2017, 438 [BFH 03.08.2016 - X R 20/15]; vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415 [BFH 03.05.2017 - X R 4/16]; vom 17. Mai 2017 X R 45/16, BFH/NV 2018, 10 [BFH 09.05.2017 - VIII R 51/14]; vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397 [BFH 16.01.2018 - VI R 41/16], BStBl II 2018, 378 [BFH 16.01.2018 - VI R 41/16] und vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37 [BFH 22.05.2019 - XI R 9/18]).

b) Nach diesen Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, liegt im Streitfall durch die Nichtberücksichtigung des Verlustes aus den Aktiengeschäften eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO vor.

aa) Den Klägern ist insoweit, als sie die Zeile 11 der Anlage KAP der Steuererklärung nicht ausgefüllt haben, eine ähnliche Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO unterlaufen.

Aus den Gesamtumständen des Falles besteht für den Senat kein Zweifel, dass die Berücksichtigung des Verlustes aus den Aktiengeschäften bei der Erstellung der Steuererklärung nur aufgrund eines mechanischen Versehens unterblieb und keinesfalls auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist. Entweder haben die Kläger übersehen, den Betrag in die Steuererklärung einzutragen oder sie haben übersehen, dass der in der EDV erfasste Betrag letztlich in dieser nicht mehr auftauchte.

Es kann ausgeschlossen werden, dass die Kläger den Betrag aus rechtlichen Gründen nicht erklärt haben könnten. Die Kläger haben die Anlage KAP zu der Steuererklärung ausgefüllt. Es ist kein Anknüpfungspunkt außer einem Übersehen ersichtlich, der den fehlenden Eintrag der bescheinigten Verluste auf der Anlage KAP erklären könnte. Die Verlustbescheinigung der Bank erfolgt einzig zu dem Zweck, dass dort nicht ausgeglichene Verluste ausgewiesen werden, damit sie im Rahmen der Steuerveranlagung Berücksichtigung finden können. Ohne eine solche Bescheinigung ist die Verlustberücksichtigung außerhalb des beim Kreditinstitut geführten Verrechnungstopfes nicht möglich (Kirchhof, EStG, 18. Aufl. 2019, § 43a EStG, Rz. 15). Durch die Verlustbescheinigung wird der Verlustverrechnungstopf geschlossen (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 43a Rz. 3). Die Verlustbescheinigung wird nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG nur auf Verlangen des Gläubigers der Kapitalerträge (in diesem Fall des Klägers) von der Bank erteilt. Damit wird ein Wahlrecht gegenüber der Bank dahingehend ausgeübt, dass nicht diese die aufgelaufenen Verluste mit dort entstehenden Gewinnen verrechnen soll, sondern dass der Gläubiger die Verluste in der Steuererklärung geltend machen möchte. Ein solcher Antrag an die Bank ist gem. § 43a Abs. 3 Satz 5 EStG unwiderruflich. Fern liegt die Erwägung, der Kläger habe auf die Verlustverrechnung bei der Bank durch die Anforderung der Verlustbescheinigung verzichtet, um dann auch darauf zu verzichten, diese Beträge in der Steuererklärung geltend zu machen.

bb) Die Unrichtigkeit ist auch offenbar. Für jeden unvoreingenommenen Dritten ist die fehlende Eintragung des auf der Verlustbescheinigung ausgewiesenen Verlustes in Zeile 11 der Anlage KAP zur Steuererklärung klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar.

cc) Die offenbare Unrichtigkeit unterlief dem Beklagten auch beim Erlass eines Verwaltungsaktes. Denn der Beklagte hat den von den Klägern bei Erstellung der Steuererklärung unterlaufenen mechanischen Fehler als eigenen Fehler im Sinne von § 129 Satz 1 AO bei Erlass des Steuerbescheides übernommen.

aaa) Der mechanische Fehler wurde vom Beklagten bei der Veranlagung in den Steuerbescheid übernommen, denn auch in diesem ist der auf der Bescheinigung ausgewiesene Verlust nicht berücksichtigt worden. Der Sachverhalt war auch bei der Veranlagung in keiner Weise unklar oder weiteren Ermittlungen zugänglich. Vielmehr bestand offenkundig die Notwendigkeit, dass der Verlust aus der Steuerbescheinigung in die Zeile 11 der Anlage KAP eingetragen und steuerlich berücksichtigt wird. Ein Rechtsfehler kann unter Verweis auf die unter II. 1. b) aa) getätigten Ausführungen auch beim Beklagten ausgeschlossen werden.

bbb) Auch in dem Steuerbescheid ist der Fehler offenbar, denn auch hier ist für jeden unvoreingenommenen Dritten die fehlende Berücksichtigung des auf der Bescheinigung ausgewiesenen Verlustes erkennbar.

ccc) Der Fehler war für den Beklagten bei der Veranlagung auch erkennbar, denn ihm lag die Steuer- bzw. Verlustbescheinigung der Bank vor, welche einen nicht ausgeglichenen Verlust aus der Veräußerung von Aktien im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 10.211 € auswies.

Der Senat ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die Kläger die Bescheinigung zusammen mit weiteren Unterlagen dem Beklagten vorgelegt haben. Sie haben die Umstände der Erstellung der Steuererklärung, deren Übermittlung an Finanzamt und die Vorgänge bis zum Erhalt und der Prüfung des Steuerbescheides nachvollziehbar und stimmig erläutert. Sie haben dargelegt, dass sie die Steuererklärung elektronisch erstellt und authentifiziert an den Beklagten übermittelt haben. Das Gericht zweifelt trotz des bestehenden Eigeninteresses der Klägerin nicht an ihrer Darstellung, dass sie die Unterlagen persönlich in den Briefkasten des Finanzamts eingeworfen hat. Die Klägerin hat dies mit nachvollziehbaren Angaben glaubhaft geschildert. Sie hat insbesondere die nachprüfbare (und zutreffende Angabe) getätigt, dass das Finanzamt auf ihrem Arbeitsweg liegt und ihr daher der Einwurf der Belege oblag.

Dem steht nach der Überzeugung des Senats auch nicht der Umstand entgegen, dass die elektronisch übermittelte Steuererklärung unter Erklärungsinformationen bei Papierbelege "keine" aufführt. Daraus ist nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass die Kläger keine Papierbelege übermittelt haben. Es kann dahinstehen, ob die Kläger in ihrem EDV-Programm angekreuzt haben, keine Papierbelege zu übermitteln oder ob sie dort lediglich nicht angegeben haben, dass sie Papierbelege zu der Steuererklärung an den Beklagten übermitteln. Beides schließt nicht aus, dass die Kläger dennoch Belege zu der Steuererklärung an den Beklagten übermittelt haben.

Der Beklagte konnte dem glaubhaften Vortrag der Kläger nicht nachvollziehbar entgegentreten. Er hat in der mündlichen Verhandlung vielmehr eingeräumt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Belege im Finanzamt tatsächlich vorgelegen haben und aufgrund der elektronischen Bearbeitung des Steuerfalls vom Bearbeiter nicht angesehen wurden. Für diesen Fall sollen die Belege lediglich zurückgesandt worden sein. Dies bestätigt die Einlassung der Kläger, sie hätten die Belege vom Beklagten auch tatsächlich zurückerhalten.

dd) Die Anwendung von § 129 Satz 1 AO ist auch durch die oberflächliche Bearbeitung des Steuerfalles ohne inhaltliche Prüfung der vorgelegten Unterlagen nicht ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657 [BFH 07.11.2013 - IV R 13/11] m.w.N.).

2. Es ist ein Verlust aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 10.211 € zum 31. Dezember 2017 gesondert festzustellen.

Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Für die Verlustfeststellung besteht nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine Bindung an die im Einkommensteuerbescheid des betreffenden Jahres getroffenen Feststellungen. Die Besteuerungsgrundlagen sind so zu berücksichtigen, wie sie in der Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, zugrunde gelegt worden sind. Das ist bei der hier begehrten Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2017 der Einkommensteuerbescheid für 2017.

Vorliegend stehen den auf der Verlustbescheinigung der Bank ausgewiesenen Verlusten aus der Veräußerung von Aktien im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG im Streitjahr keine Erträge entgegen, sodass ein Verlust in dieser Höhe auf den 31. Dezember 2017 gesondert festzustellen ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.