Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 23.11.2016, Az.: S 2 U 14/13
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 23.11.2016
- Aktenzeichen
- S 2 U 14/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 37055
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
- 1.)
Der Bescheid der Beklagten vom 29.03.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 werden aufgehoben.
- 2.)
Es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Ziffer 2301 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.
- 3.)
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Gehörleidens als Berufskrankheit (Lärmschwerhörigkeit nach der Ziffer 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (hier: BK 2301)), insbesondere, in welchem Umfang und in welcher Intensität der Kläger während der Arbeit gehörschädigendem Lärm ausgesetzt war.
Der im Jahr 1955 geborene Kläger absolvierte von 1971 bis 1975 eine Lehre zum Elektroinstallateur und war nach der Ableistung seines Wehrdienstes ab dem 01.10.1976 - 31.08.2010 als Zivilangestellter bei der H. beschäftigt. In diesem Rahmen war er vom 01.10.1976 - 31.07.1977 als Zielbauarbeiter und vom 01.08.1977 - 31.08.2010 als Kraftfahrer eingesetzt.
Der Kläger bemerkte nach seinen Angaben eine Verminderung des Hörvermögens erstmals Mitte der 1980er Jahre, worauf es sich seitdem schleichend verschlechtert habe.
Am 16.06.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für ein Hörgerät. Zur Begründung führte er aus, dass die Hörschädigung durch seine 34-jährige Tätigkeit auf den Schießübungsplätzen der Bundeswehr hervorgerufen worden sei. Er sei dem Lärm der extrem lauten Militärfahrzeuge sowie dem Schießlärm aus nächster Nähe ausgesetzt gewesen. Erst in der letzten Zeit sei ein adäquater Gehörschutz bereitgestellt worden.
In der Stellungnahme vom 30.11.2011 teilte der beratende Arzt der Beklagten, Dr. I., mit, dass die vorliegenden Unterlagen für eine Beurteilung nicht ausreichend seien. Es müssten sämtliche Untersuchungsergebnisse des behandelnden HNO-Arztes beigezogen werden. Außerdem sei ein personenbezogener Beurteilungspegel für die Tätigkeiten des Klägers am J. zu erstellen (Bl. 59 der Akte der Beklagten (=BA)).
In der Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 14.02.2012 gelangte Dipl.-Ing. K. von der "Wehrbereichsverwaltung Nord/Öffentlich-rechtliche Aufsicht" zu der Auffassung, dass der personenbezogene Lärmexpositionspegel des Klägers unter 85 dB (A) gelegen habe. Bei der Tätigkeit als Zielbauarbeiter sei gehörgefährdender Schießlärm aufgrund des bunkerähnlichen Bauwerks innerhalb des Unterstands i. d. R. nicht aufgetreten. Die höchste Lärmeinwirkung innerhalb des Zielbedienungsunterstands sei durch die motorbetriebenen Seilzuganlagen generiert worden. Die Messungen hätten jedoch keine Schalldruckpegel von über 85 dB (A) ergeben. Gleiches würde für die Lärmexposition während der Kraftfahrertätigkeit gelten. Die üblicherweise im Bereich des L. durchzuführenden Fahrten hätten sich hauptsächlich auf Kurzstrecken beschränkt, wobei Messungen im Fahrzeugführerhaus diverser Pkw und Lkw überwiegend Schalldruckpegel unter 85 dB (A) ergeben hätten. Auch die Lärmexposition gegenüber Schießlärm sei keine gefährdende Tätigkeit gewesen. Der Kläger habe seine Fahrten überwiegend im Bereich des L. durchgeführt, wobei beim Aufenthalt im Fahrzeug eine gehörgefährdende Exposition durch Schießlärm auszuschließen sei. Sofern es bei Fahrten zur Schießbahn oder zu Feuerstellungen beim Verlassen des Fahrzeugs zu einem Waffenknall gekommen sei, müsse dies als Einzelereignis bewertet werden. Eine gesundheitsgefährdende Dauerlärmexposition i. S. einer BK 2301 sei nicht anzunehmen. Auch die Tätigkeitsdarstellungen in der Personalakte würden keine Hinweise darauf enthalten, dass der Kläger habe Tätigkeiten ausführen müssen, die einen regelmäßigen Aufenthalt in akustischen Gefahrenbereichen erforderlich gemacht hätten. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund ständig wechselnder Umgebungsbedingungen über einen zurückliegenden Zeitraum von mehr als 30 Jahren die Berechnung eines konkret bezifferbaren Lärmexpositionspegels nicht möglich sei (Bl. 71 BA). Mit dem Bescheid vom 29.03.2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2301 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen könne sich eine Lärmschwerhörigkeit nur bei einer lang andauernden Lärmeinwirkung mit einem Tageslärmexpositionspegel von 85 dB (A) und mehr entwickeln. Eine solche Exposition habe jedoch nicht vorgelegen (Bl. 72 BA).
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er als Zielbauarbeiter auf der sog. Waldgefechtsbahn tätig gewesen sei, wo er 3 - 4 Tage/Woche mit der Fernbedienung Ziele habe abrufen müssen und hinter den Soldaten hergegangen sei. Das Maschinengewehr habe in 5 - 10 m Entfernung von ihm auf die Ziele geschossen. In M. habe zu dieser Zeit nur eine Schießbahn mit einer transportablen und festen Funkanlage für Schießziele von Kleinwaffen existiert. Daher sei man ständig auf dieser Anlage unterwegs gewesen. Die seinerzeitige deutlich höhere Schussmenge gegenüber heute würde sich aus der Chronik ergeben. Darüber hinaus sei er auch als Zielbauarbeiter auf anderen Schießbahnen für Klein- und Großwaffen eingesetzt gewesen. Dabei hätten u.a. Panzer (Leopard, Kanonenjäger) von der sog. Betonplatte aus geschossen, wobei er sich häufig auf dem ca. 50 m von den zuerst schießenden Panzern entfernten Turm befunden habe. Auch als Kraftfahrer sei er einer erheblich größeren Lärmexposition ausgesetzt gewesen. Während des Fahrens im "Geländewagen Wolf" sei es bei 80 km/h nicht mehr möglich gewesen, ein Gespräch zu führen. Man sei daher gezwungen gewesen, sich anzuschreien. Auch habe das Funkgerät im Fahrzeug auf volle Leistung gestellt werden müssen, um überhaupt noch etwas zu verstehen. Der Waffenknall sei kein Einzelfall, sondern alltäglich gewesen. Beim Abfeuern der Geschütze (Panzer, Panzerfaust, Mörser, Raketenwerfer usw.) sei er fast jeden Arbeitstag nachweisbar mit dem Feuerwerker bei den Geschützen gewesen und habe sich i. d. R. im Umkreis von ca. 50 m Entfernung zu dem Geschützfeuer aufgehalten. Er sei auch mit dem Unimog ("Safari") hinter den schießenden Panzern in einer Entfernung von ca. 50 - 100 m gefahren. Bei den von ihm geführten Fahrzeugen habe es sich auch nicht um geschlossene Fahrzeuge mit festen Aufbauten, sondern immer um Fahrzeuge mit einem Planenverdeck gehandelte ("Wolf, DKW Munga, VW 181 und VW Iltis"). Die Plane habe den Schall nur sehr geringfügig abgehalten, wobei sich im Sommer das Fahrzeug unter der Plane so extrem aufgeheizt habe, dass man es dort nur mit geöffneten Fenstern ausgehalten habe. Außerdem habe er die Fahrzeuge, die nur ca. 50 m von schweren Geschützen, Mörsern und Panzern gestanden hätten, sehr häufig verlassen müssen, um eingegangene Funksprüche an die Feuerwerker zu übermitteln. Bis ca. 3 Jahre vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst sei kein geeigneter Gehörschutz bereitgestellt worden. Damit die Funksprüche verstanden werden konnten, habe kein Gehörschutz getragen werden können. Die Arbeitsplatz-Lärmanalyse der Wehrbereichsverwaltung Nord würde daher nicht der Realität entsprechen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 11.09.2012 führte Dr. N. von der "Wehrbereichsverwaltung Nord/Öffentlichrechtliche Aufsicht" aus, dass die Angaben des Klägers keine andere Beurteilung ermöglichen würden. Gründe dafür, dass sich der Kläger in einer geringeren Entfernung von 100 m von den Geschützen habe aufhalten müssen, könnten nicht erkannt werden. Hohe Schalldruckpegel, die geeignet seien, in ca. 100 m Entfernung vom Panzer das ungeschützte Ohr zu schädigen, seien im Regelfall nur bei Schießübungen mit den Kampfpanzern Leopard I und II entstanden. Diese seien seit der erheblichen Reduzierung der Kampfpanzer nach 1990 im Mittel nur an 12 Tagen/Jahr durchgeführt worden. Akustisch problematisch für das Schießbahnpersonal seien hierbei jedoch nur die Schießübungen gewesen, die von der Schießbahnbasis, der sog. Platte, durchgeführt worden seien. Dadurch habe sich der Anteil von 12 Tagen/Jahr nochmals reduziert. Der Aufenthaltsort für das Funktionspersonal auf der Schießbahn sei im Regelfall der Beobachtungsturm gewesen, dessen Schalldämmung geeignet gewesen sei, gehörgefährdende Schalldruckpegelspitzen erheblich zu reduzieren. Situationen, in denen das Schießbahnpersonal ungeschützt hohen Schalldruckpegeln ausgesetzt gewesen sei, hätten auf dem Weg vom Kraftfahrzeug zum Beobachtungsturm auftreten können. Diese kritischen Situationen seien jedoch weniger als 10 Mal/Jahr aufgetreten. Somit habe beim Kläger keine Dauerlärmexposition bestanden. Außerdem sei der angegebene Abstand von 50 m ebenfalls zu niedrig angesetzt. Es würde auch nicht zutreffen, dass die Bundeswehr keinen geeigneten Gehörschutz mit Kommunikationseinrichtung zur Verfügung gestellt habe. Schon in den 1970er-Jahren sei der Sprechsatzfunk-Kapselgehörschutz verwendet worden (Bl. 94 BA). Der Widerspruch wurde daraufhin mit dem Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 zurückgewiesen (Bl. 95 BA).
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 29.01.2013 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben und geltend gemacht, dass die eingeholten Stellungnahmen zur Lärmexposition realitätsfern seien. Die Beklagte habe sowohl den zeitlichen Umfang der Schießübungen, als auch den tatsächlichen Arbeitsalltag des Klägers verkannt. Tatsächlich habe sich der Kläger, der auf Anweisung der Feuerwerker zum Leitungspanzer habe fahren müssen, in deutlich geringerem Abstand zu den Geschützen befunden. Der Abstand zu den schießenden Panzern oder Geschützen habe dann höchstens 50 m betragen. Es sei wiederholt vorgekommen, dass aufgrund der starken Schallwellen bei den Schießübungen die Scheiben des Funk-Unimogs gerissen seien. Die Beklagte habe außerdem die Schießübungen (Artillerie) auf dem Übungsplatz O. sowie auf den Truppenübungsplätzen in P. und Q., sowie von anderen Nato-Partnern nicht berücksichtigt. Der Kläger sei auch nicht mit einem Sprechsatzfunk mit Kapselgehörschutz ausgerüstet gewesen. Dies sei lediglich zu seiner Zeit als Soldat und Panzerfahrer der Fall gewesen. Für seinen Vortrag hat der Kläger 5 ehemalige Arbeitskollegen als Zeugen benannt.
Unter dem 23.07.2013 hat Herr Dipl.-Ing. K. eine weitere Stellungnahme abgegeben. Darin wurde ausgeführt, dass die dort durchgeführte Befragung der Zeugen keine verwertbaren Erkenntnisse erbracht habe. Im Übrigen werde nicht bestritten, dass der Kläger an einigen Tagen im Jahr als Zivil-Kraftfahrer beim Einsatz auf Schießbahnen des Truppenübungsplatzes mehrfach einem Waffenknall mit einem Schalldruckpegel bis zu 150 dB (Lcpeak) und in Extremfällen bis zu 160 dB (Lcpeak) ausgesetzt gewesen sei. Diese hohen Schallpegel seien bei Schießübungen mit dem Leopard-Panzer aufgetreten, wenn der Abstand zum schießenden Panzer weniger als 100 m betragen habe. Dies sei jedoch nicht regelmäßig der Fall gewesen. Die Schießen mit dem sog. Safariwagen i. V. m. dem Panzer Leopard habe auf dem Truppenübungsplatz R. an maximal 30 Tagen/Jahr stattgefunden. Da mehrere Zivil-Kraftfahrer bereit gestanden hätten und immer nur einer benötigt worden sei, würde sich über das Jahr gesehen eine Anzahl von unter 10 Tagen für einen einzelnen Kraftfahrer ergeben. Für weitere möglicherweise kritische Situation, wie bspw. das Schießen mit dem Panzer Leopard von der sog. Platte aus, seien ebenfalls weniger als 10 Tage/Jahr zu veranschlagen. Insgesamt könnten ab Mitte der Neunzigerjahre einem einzelnen Zivil-Kraftfahrer bis zu 15 Tage/Jahr, an denen die zuvor beschriebenen hohen Schalldruckpegel erreicht worden seien, zugebilligt werden. In den Jahren davor sei aufgrund der höheren Übungsintensität eine höhere Belastung möglich gewesen (Bl. 18 ff. SG-Akte).
Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 10.09.2013 zunächst um Übersendung der schriftlichen Zeugenaussagen gebeten. Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass der sog. Safari-Wagen immer von 1 - 2 Funkwagen für die Feuerwerker begleitet worden sei und sich der Abstand der Funkwagen somit nur unwesentlich vom Abstand des Safari-Wagens zu den schießenden Leopard-Panzern unterschieden habe. Da der Kläger entweder den Safari-Wagen oder einen Funkwagen gelenkt habe, seien die von Herrn Dipl.-Ing. K. ermittelten Einsatztage ungekürzt für den Kläger zu übernehmen. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass der Leopard-Panzer auch in O. geschossen habe, sowohl in R. als auch in O. Schießen mit dem Marder stattgefunden hätten, der Kläger auch Artillerielärm ausgesetzt gewesen sei, die NATO-Partner aus Holland, England, Amerika, Belgien und Dänemark in O. mit Artillerie und die Holländer in R. mit dem Panzer Leopard-Panzer geschossen hätten (Bl. 19 SG). Hieran sei der Kläger ebenfalls beteiligt und somit einer weit größeren Lärmexposition ausgesetzt gewesen.
Im Schreiben vom 24.10.2013 teilte Herr Dipl.-Ing. K. - nunmehr unter dem Briefkopf "Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr Kompetenzzentrum Baumanagement S. - öffentlich-rechtliche Aufsicht der Bundeswehr für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - zunächst mit, dass schriftliche Zeugenaussagen nicht übersandt werden könnten, da sich die Zeugen nicht persönlich geäußert hätten (Bl. 22 SG-Akte). Außerdem wurde eine Stellungnahme von Herrn T. vom "Bundeswehr-Dienstleistungszentrum M." vom 15.07.2013 übersandt (Bl. 24 ff. SG-Akte). Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für das Schießen mit dem Kampfpanzer Leopard II unter Einsatz des Safariwagens 30 Tage/Jahr angesetzt werden könnten. Basierend auf Erfahrungswerten sei ein Sicherheitsabstand von 50 m zu einem schießenden Kampfpanzer Leopard II nicht unterschritten worden, da die beim Schuss entstehende Druckwelle das Material des Safariwagens über Gebühr belastet hätte. Der Sicherheitsabstand zu anderen schießenden Kampffahrzeugen, wie bspw. dem Schützenpanzer Marder 1, habe aufgrund des kleineren Kalibers der Hauptbewaffnung geringer sein können. Es könne nicht angegeben werden, an wie vielen Tagen/Jahr das Schießen mit dem Leopard-Panzer von der sogenannten Platte (sog. Schulschießen) durchgeführt worden sei. Der durchschnittliche Abstandswert sei durch den Leiter des Truppenübungsplatzes M. auf ca. 50 m geschätzt worden. Es könne auch nicht angegeben werden, an wie vielen Tagen/Jahr die Kraftfahrer bei der Artillerie (Haubitze/Mörser) eingesetzt seien und welcher Anteil dabei auf den einzelnen Kraftfahrer entfallen sei. Der Kraftfahrer sei i. d. R. im Wagen am Funkgerät verblieben. Aufgrund der abweichenden baulichen Gegebenheiten und Wünsche des Schießsicherheitspersonals könne nur ein durchschnittlicher Abstandswert zum schießenden Waffensystem angegeben werden. Dieser habe 50 m nicht unterschreiten dürfen. Ein Einsatz des Klägers bei Schießvorhaben auf den Truppenübungsplätzen in P. und U. sei zahlenmäßig ebenfalls nicht abbildbar.
Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts hat Herr Dipl.-Ing. K. unter dem 01.08. 2014 eine weitere Stellungnahme abgegeben. Darin hatte er zunächst erneut auf die mit einer Ermittlung der Lärmexposition des Klägers verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen (Bl. 39 SG). Bei der Bundeswehr würde zwar kein Mangel an Daten zur Lärmbelastung bestehen. In den meisten Fällen würden sich diese jedoch auf Soldaten beziehen, die immer die gleiche Position zur Schallquelle hätten. Dies sei beim Kläger aufgrund der unterschiedlichen Einsatzorte nicht der Fall gewesen. Es sei aber grundsätzlich möglich, bei Knallbelastungen einen Beurteilungspegel zu berechnen. Ausgehend von einem Messbericht vom 16.05.1986 würde sich so ein Beurteilungspegel von 99 dB ergeben. Sofern für die Abschirmung durch das Fahrzeug "Safariwagen" eine Dämmung von 15 dB angesetzt werde, würde sich ein Beurteilungspegel von 84 dB ergeben. Bei einem theoretischen Abstand des Safariwagens zum Panzer von nur 50 m, würden sich die oben angegebenen Beurteilungspegel um ca. 6 dB erhöhen. Für den Arbeitsplatz "Safariwagen - Panzer Leopard II" mit scharfen Schuss seien für einen Kraftfahrer maximal 15 Tage/Jahr realistisch.
Unter dem 09.09.2015 hat Dr. V. ein hnoärztliches Zusammenhangsgutachten erstattet (Bl. 63 ff. SG-Akte). Darin hat er zunächst ausgeführt, dass beim Kläger beidseitig eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit vorliegen würde, deren Ausprägung mit einer Schallschädigung des Gehörs vereinbar sei. Es würde sich auch um einen Hörverlust mit Betonung der hohen Frequenzen, der beide Ohren in gleicher Weise betreffen würde und symmetrisch ausgebildet sei, handeln. Auch eine Schädigung der äußeren Haarzellen sei nachweisbar, ebenso ein positives sog. Metz-Recruitment. Die Schwerhörigkeit habe sich während der beruflichen Tätigkeit entwickelt und nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit nicht verschlimmert. Insgesamt sei die berufliche Tätigkeit des Klägers über die Jahre geeignet gewesen, die heutige Schwerhörigkeit zu begründen. Dabei sei nicht der Tageslärmexpositionspegel für die einzelnen Tage, sondern die erhebliche Impulshaltigkeit der einzelnen Ereignisse entscheidend. Aufgrund der vorliegenden arbeitstechnischen Ermittlungen sei der Kläger an einigen Tagen im Jahr Schalldruckpegeln von bis zu 150 dB (Lcpeak) und in Extremfällen 160 dB (Lcpeak) ausgesetzt gewesen. Derartig hohe Schalldruckpegel seien geeignet, das Gehör unmittelbar zu schädigen. Unter Wertung der vorliegenden arbeitstechnischen Stellungnahmen sei es möglich, dass sich derartige Schallereignisse über die Jahre im Sinne eines wiederkehrenden Knalltraumas summiert haben könnten. Hierzu seien jedoch weitere Auskünfte hinsichtlich der genauen Anzahl der genannten Schallereignisse erforderlich.
Daraufhin hat Dr. Bauermeister unter dem 08.06.2016 eine weitere Stellungnahme abgegeben und ausgeführt, dass nach dem Messbericht vom 16.05.1986 bei Schalldruckmessungen des Panzers Leopard II als lärmintensivste Waffe bei einem Abstand von 100 m ein durchschnittlicher Spitzenschalldruckpegel von 152 dB (Lp) festgestellt worden sei. Bei den Messreihen hätten die Spitzenschalldruckpegel zwischen 147,7 dB und 153,1 dB gelegen. Diese Messungen würden sich auf Spitzenschalldruckpegel im freien Gelände ohne Abschirmung eines Fahrzeugs beziehen. Für die abschirmende Wirkung eines Fahrzeugs müssten 5-10 dB abgezogen werden. Bei einem Abstand von 50 m seien bei einem freien Schallfeld und einer punktförmigen Schallquelle infolge der Abstandshalbierung 6 dB zu genannten Werten hinzuzurechnen, so dass sich Spitzenschalldruckpegel zwischen 153,7 und 159,1 dB - ohne Abzug einer Schirmwirkung - ergeben würden. Für einen Schießtag könnten außerdem 10 Einzelschüsse mit dem geringsten Abstand in Ansatz gebracht werden. Die Tage, an denen der Kläger als Kraftfahrer des Safari Wagens oder eines Begleitfahrzeug solche Einsätze durchgeführt hat, könnten mit maximal 15/Jahr angegeben werden (Bl. 93 SG ff.).
In der ergänzenden Stellungnahme vom 14.07.2016 führte Dr. V. aus, dass die genannte Schallbelastung geeignet gewesen sei, durch ein sich wiederholendes akutes Schalltrauma die vorliegende beidseitige Innenohrschwerhörigkeit zu verursachen. Die Schwerhörigkeit sei daher entsprechend einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anzuerkennen.
Daraufhin hat die Beklagte weitere Ermittlungen durchgeführt. In der Stellungnahme vom 06.08.2016 hat sich Dr. I. zunächst den Ausführungen von Dr. V. vollinhaltlich angeschlossen. Als Folge der Berufskrankheit sei eine "beidseitige, gering- bis mittelgradige überwiegende Hochton-Schallempfindungsschwerhörigkeit nach multiplen Knalltraumata" anzuerkennen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (= MdE) sei in Übereinstimmung mit Dr. V. mit 20 % einzuschätzen. Auch die Versorgung mit Hörgeräten sei medizinisch berechtigt und rechtlich wesentlich auf die Folgen der Berufskrankheit zurückzuführen (Bl. 160 f. SG-Akte).
Allerdings hat Herr Dipl.-Ing. W. (Aufsichtsperson im Geschäftsbereich Arbeitsschutz und Prävention der Unfallversicherung Bund und Bahn) in der Stellungnahme vom 06.10.2016 die Ansicht vertreten, dass eine realistische Einschätzung nur Tageslärmexpositionspegel in einer Spannbreite von 90 dB (A) bis maximal 96 dB (A) ergeben würde. Aufgrund der Impulshaltigkeit des Lärms seien jedoch nur maximal 2 sog. Lärmjahre zu berücksichtigen. Außerdem sei zu bezweifeln dass in den Fahrerkabinen Spitzenschalldruckpegel von 150 dB auftreten würden. Ein Spitzenpegel von 120 dB über wenige Millisekunden würde realistischer erscheinen. Außerdem könnten die Spitzenschalldruckpegel im 50 m-Abstand seines Erachtens nicht mit Anwendung des Kugelabstandsgesetzes und einer Erhöhung von 6 dB gegenüber den in 100 m Entfernung gewonnenen Messergebnissen errechnet werden (Bl. 142 f. SG-Akte). Daraufhin gelangte Dr. I. in der ergänzenden Stellungnahme vom 04.11.2016 zu dem Ergebnis, dass unter der Voraussetzung eines Tagesexpositionspegel von 90 - 96 dB in insgesamt nur 2 Lärmjahren eine beruflich entstandene Hörschädigung nicht mehr festgestellt werden könne, auch wenn die audiometrischen Befunde nach wie vor mit einem lärmtraumatischen Hörschaden vereinbar seien.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend ausgeführt, dass sich seines Erachtens die bisherigen Stellungnahmen der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen zu sehr auf das Modul "Safariwagen - Panzer Leopard II" konzentriert hätten. Er sei jedoch in erheblichem Umfang auch bei anderen Schießübungen vor Ort eingesetzt gewesen. Dies würde insbesondere für den Artilleriegeschosslärm am Truppenübungsplatz O. gelten. Die Intensität und Vielzahl der Schüsse, die damals abgegeben worden seien, könne man sich heute nicht mehr vorstellen. Seiner Erinnerung nach habe er arbeitstäglich mindestens 20 Schüsse mit extremer Lärmbelastung erlebt. In diese Belastung seien die Schüsse mit Maschinengewehr, Pistole etc. nicht eingerechnet. Er habe sich dabei auch regelhaft in einem Abstand von unter 100 m zu den genannten Geschossen aufhalten müssen. Dies sei erforderlich gewesen, weil ansonsten der Feuerwerker, der für die Sicherheit der Schießübungen zuständig gewesen sei, zu weite Wege zu Fuß hätte zurücklegen müssen. Er selbst sei praktisch der Chauffeur des Feuerwerkers gewesen. Wenn er bspw. einen Funkspruch erhalten habe, dass eine Schussübung nicht ordnungsgemäß verlaufen sei, habe sich der Feuerwerker zu Fuß zum Leitungspanzer begeben müssen, um mit dem Sicherheitsoffizier die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Es sei zutreffend, dass ca. 20 sog. Sicherheitsfahrer bei der Standortverwaltung beschäftigt gewesen seien. Für die Fahrten mit dem Funk- bzw. Safariwagen seien jedoch nur maximal 6 Mann abgestellt gewesen. Während seiner Dienstzeit seien zweimal die Frontschreiben der Begleitfahrzeuge durch den hohen Schalldruck kaputtgegangen. Einmal habe er dies auch selbst erlebt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
- 1.)
den Bescheid der Beklagten vom 29.03.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 aufzuheben,
- 2.)
festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit gemäß der Ziffer 2301 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist rechtswidrig, da beim Kläger eine BK 2301 und als deren Folge "eine beidseitige gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit" vorliegen. Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit bzw. von Berufskrankheitenfolgen gelten in der gesetzlichen Unfallversicherung folgende Grundsätze: Danach müssen die gesundheitsschädlichen beruflichen Einflüsse, d. h. hier die arbeitstechnischen Voraussetzungen, und die Erkrankung als solche mit Gewißheit bewiesen werden. Für die Feststellung eines Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und den beruflichen Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) und den Zusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) ist darüber hinaus ein hinreichender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich. Dieser ist nach der Rechtsprechung erst dann erreicht, wenn bei einem vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hinweisenden Faktoren deutlich überwiegen (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Entstehungsmöglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn//Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, § 8 SGB VII, Rz. 10, m. w. N.).
Bei Anwendung dieser Kriterien war hier eine BK 2301 anzuerkennen. Dies ergibt sich aus den vorliegenden arbeitstechnischen Ermittlungsberichten und den Expertisen der Dres. V. und I ... Es wird darauf hingewiesen, dass auch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten und Stellungnahmen im sozialgerichtlichen Verfahren verwertbar sind (vgl. BSG, Urt. v. 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87; BSG, SozR Nr. 66 zu § 128 SGG). Sie sind insbesondere keine Parteigutachten, da die Sozialversicherungsträger im Rahmen des für sie geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes zur Objektivität verpflichtet sind (§§ 20 SGB X, 17 SGB I). Gleiches gilt für die in einem Klageverfahren von einem Beteiligten vorgelegten Gutachten bzw. Stellungnahmen. Diese sind als qualifizierter Sachvortrag zu würdigen (vgl. LSG Niedersachsen, Urt. v. 25.10.1999 - L 6 U 26/99; BSG SozR Nr. 68 zu § 128 SGG).
Dr. V. hat zunächst überzeugend ausgeführt, dass beim Kläger eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit vorliegt, deren Ausprägung dem typischen Bild einer Schallschädigung des Gehörs entspricht. Auch die sonstigen Parameter, die für eine Lärmschwerhörigkeit sprechen, sind erfüllt. So handelt es sich um einen Hörverlust mit Betonung der hohen Frequenzen, der beide Ohren in gleicher Weise betrifft und symmetrisch ausgebildet ist. Weiterhin ist eine Schädigung der äußeren Haarzellen nachweisbar, ebenso ein positives sog. Recruitment (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. S. 333 ff.). Auch die Krankheitsentwicklung ist typisch für eine Lärmschwerhörigkeit, da sich die Schwerhörigkeit mit einer typischen Latenzzeit während der beruflichen Tätigkeit entwickelt und nach Beendigung der Lärmexposition nicht weiter verschlimmert hat. Darüber hinaus existieren keine Hinweise auf konkurrierende Ursachen. Diese Einschätzung wurde im Übrigen auch von Dr. I. vollinhaltlich bestätigt.
Auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind erfüllt. Dies bedeutet, dass der Kläger Schalldruckpegeln ausgesetzt war, die geeignet waren, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen. Zwar kann eine Lärmschwerhörigkeit grundsätzlich erst aufgrund einer langjährigen Lärmeinwirkung ab einem äquivalenten Dauerschallpegel von 85 dB (A) bei einem 8 Stundentag entstehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 328). Dabei ist zu beachten, dass die Einheit "dB" einen logarithmisch abgestuften Maßstab darstellt, bei dem eine Verdoppelung des Schalls jeweils eine Erhöhung von 3 dB ergibt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 322). Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. V., die auch insoweit von dem beratenden HNO-Arzt der Beklagten, Dr. I., vollinhaltlich geteilt werden, ist allerdings auch eine Vielzahl von Einzelereignissen mit erheblicher Impulshaltigkeit und Schalldruckpegeln von 150 dB (Lcpeak) und mehr in der Lage, ein entsprechendes Schadensbild zu verursachen. Auch dadurch werden insbesondere die Haarzellen geschädigt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 323 ff.). Die Kammer sieht daher keine Hinderungsgründe, das beim Kläger vorliegende Schadensbild unter die BK 2301 zu subsumieren.
Dr. V. hat dabei die von der Beklagten (zunächst) zugestandene Lärmbelastung (10 Ereignisse/Tag mit einem Schalldruck von 150 - 160 dB (Lcpeak) an 15 Tagen/Jahr über eine Zeit von 30 Jahren) als ausreichend angesehen, den Gehörschaden zu verursachen. Die Kammer legt dabei Wert auf die Feststellung, dass allein bei diesem Ansatz der Kläger während seiner Dienstzeit mindestens 4.500 Mal extremen Schallereignissen ausgesetzt war (10 x 15 x 30 = 4.500), von denen bereits jedes einzelne geeignet war, eine akute unmittelbar Hörstörung zu verursachen. An dem hohen Schädigungspotential der beruflichen Lärmexposition können daher keine Zweifel bestehen.
Die Kammer sieht auch keine Hinderungsgründe, diesem Ansatz zu folgen. Zwar ist eine exakte Ermittlung der schädigenden Lärmereignisse nicht mehr möglich, weil entsprechende Messungen an den Arbeitsplätzen des Klägers nicht vorgenommen wurden und daher die Anzahl und Intensität der extremen Lärmereignisse nur im Wege der Schätzung festgestellt werden kann. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind jedoch nicht daran gehindert, den Eigentümlichkeiten des Falles dadurch Rechnung zu tragen, dass sie an den Beweis verminderte Anforderungen stellen (BSGE 19, 52, 56 [BSG 29.03.1963 - 2 RU 75/61]). Dies gilt insbesondere dann, wenn die konkreten Arbeitsplatzbedingungen des Versicherten nur anhand vom Schätzungen rekonstruiert werden können (vgl. hierzu LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 20.02.2006 - L 8 U 49/04, abgedruckt in Breithaupt, 2007, 130, 132). So liegt es auch hier. Dabei ist zu beachten, dass nach der Messreihe vom 16.05.1986 bereits bei einer Entfernung von 100 m von dem Geschütz des Panzers Leopard II ein durchschnittlicher Schalldruckpegel von 152 dB (Lcpeak) festgestellt wurde (Bl. 93 ff. SG-Akte). Dies alleine wäre bereits ausreichend, die von Dr. V. geforderten Vorgaben zu erfüllen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nach der Stellungnahme von Herrn T. vom 15.07.2013 der Leiter des Truppenübungsplatzes M. den durchschnittlichen Abstandswert mit 50 m eingeschätzt und somit die Angaben des Klägers bestätigt hat (Bl. 24 ff. SG-Akte). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auch schlüssig dargelegt, dass bei einem regelmäßigen Abstand von 100 m die Fußwege des von ihm chauffierten Feuerwerkers zum Sicherheitsoffizier im Leitungspanzer zu weit gewesen wären, um etwa bei auftretenden Problemen in ausreichender Schnelligkeit zu den Gesprächspartnern zu gelangen. Die Ausführungen von Herrn Dr. N. in der Stellungnahme vom 11.09.2011, nach der die Notwendigkeit für eine geringere Entfernung als 100 m von dem Geschütz nicht zu erkennen sei, können daher nicht nachvollzogen werden. Auch die von der Beklagten angeführte Schalldämmung in den vom Kläger geführten Fahrtzeugen hält die Kammer nicht für belegt. Der Kläger hat vielmehr schlüssig dargelegt, dass es sich bei den vom ihm geführten Kfz nicht um geschlossene Fahrzeuge mit festen Aufbauten, sondern i. d. R. um solche mit einem Planenverdeck gehandelt hat ("Wolf, DKW Munga, VW 181 und VW Iltis"). Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Plane den Schall nur sehr geringfügig abhält. Die Kammer hält es auch für plausibel, dass sich im Sommer das Fahrzeug unter der Plane so extrem aufgeheizt hat, dass man es dort nur mit geöffneten Fenstern aushalten konnte. Eine signifikante Schalldämmung war daher nicht mehr möglich. Es ist daher bei einer Vielzahl der Lärmereignisse, denen der Kläger ausgesetzt war, zu einer Lärmexposition von deutlich über 150 dB (Lcpeak) gekommen. Die hohe Lärmintensität und das damit verbundene Schädigungspotential wird im Übrigen auch dadurch belegt, dass nach den Ausführungen von Dr. T. die Druckwelle bei einem Abstand von unter 50 m "das Material des Safariwagens über Gebühr belastet hätte" (Bl. 24 ff. BA). Dem entsprechend sind nach den glaubhaften Angaben des Klägers während seiner Dienstzeit auch zweimal die Frontscheiben der Fahrzeuge aufgrund des hohen Schalldrucks zu Bruch gegangen. Die Einwände von Herrn Dipl.-Ing. X. hält die Kammer demgegenüber für nicht stichhaltig. Zum einen hat Dr. V. - wie oben bereits ausgeführt - überzeugend dargelegt, dass im vorliegenden Fall die Ermittlung eines Tagesexpositionspegels aufgrund der Impulshaltigkeit und der Höhe des Schalldrucks nicht der zutreffende medizinische Ansatz ist, da Schalldruckpegel von 150 dB und mehr bereits für sich alleine geeignet sind, das Gehör unmittelbar zu schädigen. Zum anderen gibt Herr Dipl.-Ing. X. für seine Vermutung, dass der Kläger nur Spitzenschalldruckpegeln von 120 dB ausgesetzt gewesen sein soll, keine nachvollziehbare Begründung. Seine Ansicht basiert im Übrigen nicht auf den zum Panzer Leopard II durchgeführten Messungen vom 16.05.1986 (Bl. SG-Akte) und ignoriert sogar deren Ergebnisse. Die Stellungnahme von Herrn Dipl.-Ing. X. ist insbesondere nicht geeignet, die Stellungnahmen von Herrn Dipl.-Ing. K. vom 23.07.2013, von Herrn T. vom 15.07.2013 und von Dr. N. vom 08.06.2016 zu entkräften. Die Kammer sieht daher auch keine Veranlassung, weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen durchzuführen.
Dies gilt auch für die Frage, ob die berufliche Lärmbelastung des Klägers tatsächlich größer gewesen ist. Zwar ist im vorliegenden Fall unschwer zu erkennen, dass die Angaben des Klägers zu seiner beruflichen Lärmexposition einerseits (arbeitstäglich 20 schwere Lärmereignisse sowie zusätzliche Lärmexposition durch Klein- und Großwaffen aller Art und Motorenlärm) und die der Beklagten andererseits (10 Einzelschüsse/Tag an 15 Tagen/Jahr) in extremer Weise differieren. Auch die Kammer konnte sich dabei nicht des Eindrucks erwehren, dass die Lärmbelastung des Klägers durch die Beklagte bagatellisiert wurde, da lediglich die Fahrten mit dem Funk- bzw. Safariwagen i. V. m. dem Panzer Leopard und das Schießen von der sog. Platte in die Überlegungen der Beklagten Eingang fanden. Nicht berücksichtigt wurde demgegenüber, dass der Kläger nicht nur in R., sondern auch in O. bei der Artillerie sowie auf den Truppenübungsplätzen in P. und Q. eingesetzt war. Er hat darüber hinaus auch an Schießübungen von NATO-Partnern teilgenommen. Auch Lärmeinwirkungen von Kleinwaffen, Gewehren und Maschinengewehren tauchen in den arbeitstechnischen Ermittlungen nicht auf. Da aber bereits mit den in der Stellungnahme von Dr. N. vom 08.06.2016 genannten bzw. zugestandenen Lärmspitzenpegeln die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, muss nicht weiter geprüft werden, ob die Lärmbelastung des Klägers tatsächlich wesentlich größer gewesen ist.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass gem. § 9 Abs. 3 SGB VII für den Fall, dass Versicherte, die infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach § 9 Abs. 1 SGB VII genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit erkranken, vermutet wird, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist, wenn sich Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht finden lassen. Nach Auffassung der Kammer sind diese Voraussetzungen hier ebenfalls erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.