Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 17.12.2003, Az.: 3 A 84/02

Aufenthaltsverbot; Castor-Transport; Durchfahrtszeitpunkt; Platzverweis; Schienenbesetzer; Straftat; verbotenes Camp

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
17.12.2003
Aktenzeichen
3 A 84/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48327
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen eines Platzverweises nach § 17 Abs. 2 (jetzt Abs. 4) NGefAG.

Tatbestand:

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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Platzverweises.

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Im November 2001 fand ein Castortransport nach Gorleben statt. Am 9. November 2001 fuhren gegen 17:00 Uhr zwei Kraftfahrzeuge, zu deren Insassen auch die Klägerin gehörte, am Grundstück A. Nr. 3 vor, auf welchem bei vorhergehenden Castortransporten das sogenannte Camp A. stattgefunden hatte. Eine erneute Errichtung dieses Camps im November 2001 war von der Beklagten mit Verfügung vom 6. November 2001 untersagt worden. Beide Fahrzeuge waren mit Schlafsäcken, „ Isomatten “ und Proviant beladen.

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Polizeibeamte der Beklagten teilten der Klägerin und den sie begleitenden Personen mit, dass das Beziehen des Camps verboten sei und sie deshalb das Grundstück nicht betreten dürften. Der Klägerin wurde sodann ein handschriftlich ausgefülltes Formularschreiben ausgehändigt. Darin heißt es unter anderem, dass es sich um eine Platzverweisung gemäß § 17 Abs. 2 NGefAG – „Aufenthaltsverbot“ handele, der Platzverweis sich auf den örtlichen Bereich des Camps A. und einen Radius von 1000 m um diesen Bereich beziehe und vom 9. November 2001 bis zur Durchfahrt des Castor-Transports gelte. Als Grund für die Maßnahme wurde „versuchtes Beziehen eines verbotenen Camps“ angegeben. In dem vorgedruckten Text heißt es weiter, Tatsachen würden die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person in diesem Bereich eine Straftat begehen werde. Die Klägerin selbst strich in dem Verfügungstext das Wort „Straftat“ durch und verweigerte die Unterschrift unter diese Verfügung. Sie verließ sodann das betreffende Gebiet.

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Am 16. November 2001 legte die Klägerin Widerspruch gegen diese Verfügung ein. Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 13. Dezember 2001 darauf hin, dass sie über den Widerspruch nicht entscheiden werde, da sich die Maßnahme mittlerweile erledigt habe.

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Die Klägerin hat am 21. Februar 2002 Klage erhoben und trägt vor, aus Gründen der Rehabilitierung ein Interesse daran zu haben, dass die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt werde. Die Behauptung der Beklagten, sie habe versucht, ein verbotenes Camp zu beziehen, sei unrichtig und damit für sie diskriminierend. Sie habe weder die Absicht geäußert noch tatsächlich gehabt, an der Errichtung des Camps A. mitzuwirken. Sie habe mit ihren Begleitern einen Infopunkt in A., von dem sie aus dem Internet erfahren habe, für circa eine halbe Stunde aufsuchen wollen. Nachdem sie aus dem Fahrzeug gestiegen sei, seien sofort Polizeibeamte herbei geeilt und hätten ihren Personalausweis kontrolliert. Danach sei ihr dann mitgeteilt worden, dass sie versucht habe, ein verbotenes Camp zu beziehen. Dies sei mit den im Auto befindlichen Rucksäcken begründet worden. Obwohl sie den Polizeibeamten ihre wirkliche Absicht mitgeteilt habe, seien die Polizisten bei der Platzverweisung geblieben und hätten sie aufgefordert, das Formular zu unterschreiben. Sie habe dies mit der Begründung verweigert, dass sie niemals die Absicht geäußert habe, eine Straftat begehen zu wollen. Die Polizisten hätten ihr dann erlaubt, das Wort "Straftaten" aus dem Formular zu streichen. Es hätten keine Tatsachen vorgelegen, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass sie in dem betreffenden Bereich eine Straftat begehen wollte. Selbst wenn sie am Camp A. hätte teilnehmen wollen, hätte dies gemäß § 29 Abs. 1 VersammlG lediglich eine Ordnungswidrigkeit dargestellt.

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Die Klägerin beantragt,

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festzustellen, dass der Platzverweis vom 9. November 2001 rechtswidrig gewesen ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor, dass die Klägerin auf Nachfrage angegeben habe, dass sie und die sie begleitenden Personen auf das Grundstück A. Nr. 3 wollten. Aus dieser Aussage und aus den von ihnen mitgeführten Gegenständen sei der Rückschluss gezogen worden, dass die Klägerin und die sie begleitenden Personen sich an dem Camp A. beteiligen wollten. Trotz des Hinweises der Polizeibeamten, dass das Beziehen des Camps verboten sei und deshalb auch das Grundstück nicht betreten werden dürfe, sei die Klägerin nicht bereit gewesen, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Daher sei es hinreichend wahrscheinlich gewesen, dass die Klägerin das Camp beziehen und sich sodann an der Vorbereitung und Durchführung von Straftaten beteiligen wollte. Es hätten Erkenntnisse dazu vorgelegen, dass das Camp A. Ausgangspunkt für Straftaten, insbesondere für Schienenbeschädigungen sein sollte. Die Maßnahme sei verhältnismäßig gewesen. Sie sei sowohl örtlich als auch zeitlich beschränkt gewesen. Sie sei geeignet gewesen, die Klägerin an der erwarteten Vorbereitung und Begehung von Straftaten zu hindern. Die Maßnahme habe sowohl die Betroffene als auch die Allgemeinheit am geringsten beeinträchtigt, da eine mildere Maßnahme nicht denkbar gewesen sei. Der Nachteil, den die Klägerin habe erleiden müssen, stehe nicht außer Verhältnis zu dem erstrebten Erfolg.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich aus einem Rehabilitationsinteresse im Hinblick auf die Begründung des Platzverweises, der auf Gefahr einer Straftat seitens der Klägerin gestützt worden ist. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse daran, von dem mit dieser Begründung verbundenen „Makel“ befreit zu werden.

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II. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Platzverweis vom 9. November 2001 rechtmäßig gewesen ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt hat (§ 113 Abs. 1 VwGO).

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1. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 NGefAG, auf dem der Platzverweis beruht, sind erfüllt gewesen.

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a) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG müssen für einen qualifizierten Platzverweis nach dieser Vorschrift Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person eine Straftat begehen wird. Bloße Vermutungen, Behauptungen oder subjektive Einschätzungen reichen nicht aus (Saipa, NGefAG, Kommentar, Stand: März 2002, § 17 Rdnr. 2). Nach Ziffer 17.2 der Ausführungsbestimmungen (AB) zum NGefAG ist dabei grundsätzlich auf die einzelne Person und ihr Verhalten abzustellen. Anhaltspunkte für die bevorstehende Begehung einer Straftat liegen danach beispielsweise vor, wenn bei der betreffenden Person oder ihrer Begleitperson Waffen, Werkzeuge, oder sonstige Gegenstände aufgefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden. Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist nach Ziffer 17.2 der AB ferner die Gesamtsituation zu betrachten: Wenn z. B. andere Personen in dem örtlichen Bereich bereits Straftaten begangen haben oder dies unmittelbar bevorsteht, ist dies bei der Prognose nach § 17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG zu berücksichtigen, da in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch die einzelne, hinzutretende Person eine Straftat begehen wird. Nach Ziffer 17.2 letzter Satz der AB entspricht dies dem Grundsatz, dass mit zunehmender Gefährdungsintensität und zunächst ungeklärter Gefahrensituation an die Prognosegenauigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind.

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Hier ist die Klägerin zusammen mit anderen Personen in zwei Kraftfahrzeugen mit Rucksäcken, Schlafsäcken, Isolationsmatten und Proviant direkt vor das Grundstück, auf dem das verbotene „Schienenbesetzercamp“ A. hätte stattfinden sollen, vorgefahren. Hieraus haben die Polizeibeamten zu Recht den Schluss gezogen, dass diese Personengruppe entgegen dem Verbot das Camp beziehen wollte. Dies ergab sich konkret aus der Örtlichkeit (= Ort des verbotenen Camps), der Zahl der anreisenden Personen (die Klägerin allein hätte wohl kaum ein Camp gründen können, die Insassen von gleich zwei Kraftfahrzeugen aber durchaus) und aus der „Campingausstattung“, mit der diese Personen anreisten und die auf einen beabsichtigten mehrtägigen (Proviant) Aufenthalt unter freiem Himmel (Isolationsmatten) schließen ließ.

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Auch wenn es zutreffen sollte, dass nach dem Inhalt einer Internetseite ein „Info-Punkt“ in dem Haus auf dem betreffenden Grundstück sich befunden und die Klägerin den Polizeibeamten die Absicht, diesen Punkt für eine halbe Stunde aufsuchen zu wollen, mitgeteilt haben sollte, ändert dies nichts an der Beurteilung der Gesamtsituation. Denn zum einen liegt die Annahme nahe, dass mit der Deklaration des Grundstücks als „Info-Punkt“ ein Sammeln von Castorgegnern auf diesem Grundstück unter Umgehung des Campverbots „legalisiert“ werden sollte, um so Schienenbesetzungsaktionen von diesem „strategisch“ günstig gelegenen Ort (in der Nähe der Transportstrecke, in einem schwer kontrollierbaren bewaldeten Gebiet, in dem die Transportstrecke in einer mehrere Meter tiefen „Schlucht“ verläuft) doch noch zu ermöglichen. Zum anderen hat auch gerade die „Campingausstattung“ der anreisenden Fahrzeuge einschließlich Isolationsmatten und Proviant - aus der Sicht der diese Situation beurteilenden Polizeibeamten - gezeigt, dass die Insassen der Fahrzeuge einschließlich der Klägerin mehr beabsichtigten, als sich lediglich zu informieren.

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Angesichts dieser Gesamtsituation und unter Berücksichtigung der umfangreichen Erfahrungen mit derartigen Camps (siehe hierzu die Seiten 3 bis 5 der „Verbotsverfügung“ betreffend das Camp A. vom 6.11.2001, Bl.18 bis 20 der GA) und insbesondere der Anhaltspunkte, die dafür sprachen, dass auch das Camp A. Ausgangspunkt für Straftaten (Beschädigung der Schienen) sein sollte (Seite 5 der „Verbotsverfügung“ vom 6.11.2001, Bl. 20 der GA; vgl. zur Einschätzung des Camps A. als „Schienenbesetzercamp“ auch den Beschluss der 7. Kammer vom 23.3.2001 - 7 B 18/01 -), haben die Polizeibeamten zu Recht angenommen, dass an diesem Ort die Gründung eines „Schienenbesetzercamps“ oder zumindest die Sammlung von Castorgegnern auf diesem Grundstück mit dem Ziel der Durchführung von „Schienenbesetzungs-, Schienenbeschädigungs- und / oder Ankettaktionen“ zu erwarten gewesen ist.

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Derartige Schienenbesetzungen oder Schienenankettaktionen können - zumindest dann, wenn sie kurz vor Eintreffen des Castorzuges begangen werden - Straftaten darstellen, und zwar je nach den konkreten Tatumständen entweder eine Nötigung nach § 240 StGB, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB oder zumindest eine Störung öffentlicher Betriebe nach § 316 b StGB (siehe hierzu auch die von der Beklagten vorgelegten Urteile des Amtsgerichts Lüneburg). Schienenbeschädigungen stellen eine nach § 303 StGB strafbare Sachbeschädigung dar.

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Daher ist - aus der Sicht der diese Situation beurteilenden Polizeibeamten - aufgrund der vorhandenen Tatsachen zu erwarten gewesen, dass es zu Straftaten auch durch die Klägerin kommen wird, die mit ihrem Erscheinen an gerade diesem Ort und zu dieser Zeit (wenige Tage vor der Durchfahrt des Castortransports) mit der beschriebenen „Ausrüstung“ und in Begleitung weiterer Castorgegner den begründeten Verdacht auf sich lenkte, ebenso wie die Teilnehmer früherer „Schienenbesetzercamps“ Schienenbesetzungen und/oder Schienenbeschädigungen von diesem konkreten Ort aus durchführen zu wollen.

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b) Hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des Platzverweises bestehen keine rechtliche Bedenken.

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Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 NGefAG muss sich der Platzverweis nach dieser Vorschrift auf einen bestimmten örtlichen Bereich beziehen. Dies kann ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder das Gemeindegebiet selbst sein (Saipa, a.a.O., § 17 Rdnr. 2). Hier ist mit der getroffenen Beschreibung im Platzverweis - „Camp A.“ mit einem Radius von 1000 m um diesen Bereich - ein genauer örtlicher Bereich umgrenzt worden.

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Angesichts der Örtlichkeiten - A. besteht lediglich aus wenigen von Feldern und Wald umgebenen Häusern - ist die räumliche Ausdehnung des Platzverweises einerseits für die Klägerin nicht unzumutbar und andererseits notwendig gewesen, um der oben beschriebenen Gefahr in diesem Bereich wirksam begegnen zu können. Denn ein Platzverweis, der allein auf das für das „Camp A.“ vorgesehene Grundstück beschränkt gewesen wäre, hätte die Gründung eines solchen Camps im Bereich dieser Ortschaft (auf den umliegenden Feldern oder im Wald) nicht verhindern können.

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Der Platzverweis nach dieser Vorschrift ist ferner für eine „bestimmte Zeit“ auszusprechen. Hier ist der genaue Endzeitpunkt der Geltungsdauer des Platzverweises mit der Formulierung - bis zur Durchfahrt des Castorzuges - zwar nicht festgelegt worden, dies ist jedoch auf die Besonderheiten des Castortransports zurückzuführen, mit dem der vorliegende Platzverweis in einem untrennbaren Zusammenhang steht (die dem Platzverweis zugrundeliegende Gefahr entfiel mit der „Durchfahrt“ des Castorzugs). Denn wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Störungen durch Castorgegner und dadurch bedingter Verzögerungen ist der „Durchfahrtzeitpunkt“ des Zuges, also der Zeitpunkt des Passierens der Ortschaft A., nicht genau bestimmbar gewesen. Andererseits ist mit der gewählten Beschreibung der zeitlichen Geltungsdauer für die Klägerin ohne weiteres erkennbar gewesen, ab welchem Zeitpunkt sie sich wieder ungehindert in diesem Bereich bewegen konnte. Daher hat auch die zeitliche Ausdehnung der Verfügung die Klägerin nicht unzumutbar belastet.

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2. Der Platzverweis verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot.

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Ein milderes ebenso geeignetes Mittel ist nicht vorhanden gewesen. In der oben beschriebenen Situation haben die Polizeibeamten nicht abwarten können, was geschehen wäre, wenn sie die Klägerin und ihre Begleiter auf das Grundstück gelassen hätten. Denn dann hätte die Polizei in der gleichen Weise verfahren müssen, wenn noch andere Castorgegner zu diesem angeblichen „Info-Punkt“ angereist wären. Die Situation wäre dann für die Polizei nicht mehr kontrollierbar gewesen. Denn es kann (auch angesichts begrenzter personeller Kapazitäten) insofern nicht erwartet werden, dass die Polizei das Grundstück fortlaufend - Tag und Nacht - beobachtet hätte, um erst im Falle von „Aktivitäten“ - also im Falle der Realisierung der abzuwehrenden Gefahren - einzuschreiten.

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Die räumliche und zeitliche Ausdehnung des Platzverweises verstößt aus den bereits

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oben (unter 1. b) dargestellten Gründen nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot, insbesondere ist damit auch keine unzumutbare Belastung für die Klägerin verbunden gewesen.

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Auch steht der angestrebte Zweck der Verfügung - Verhinderung von Straftaten - nicht außer Verhältnis zu den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Klägerin.

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3. Schließlich sind auch Ermessensfehler nicht ersichtlich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.