Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 16.12.2003, Az.: 3 A 27/02
Abschnittsbildung; Ausbau; Ausbaumaßnahme; Ausstattungsmerkmal; Beitragsbescheid; Eigenständigkeit; Einrichtung; Erschließungsanlage; Festsetzungsfrist; Gestaltungsmerkmal; Grunderwerb; Herstellungsmerkmale; Kosten; Kostenspaltung; Kostenspaltungsbeschluss; Regimeentscheidung; Sackgasse; Stichstraße; Straßenausbau; Straßenausbaubeitrag; öffentliche Einrichtung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 16.12.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 27/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48487
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 Nr 4b KAG ND
- § 6 Abs 1 S 1 KAG ND
- § 6 Abs 6 KAG ND
- § 169 Abs 2 S 1 AO 1977
- § 170 Abs 1 AO 1977
- § 124 BauGB
- § 242 Abs 1 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine "Regimeentscheidung" nach § 124 Abs. 1 BauGB hat keine Auswirkungen auf den straßenausbaubeitragsrechtlichen Einrichtungsbegriff.
2. Trotz funktioneller Abhängigkeit kann eine weniger als 100 m lange Stichstraße eine eigenständige öffentliche Einrichtung sein, wenn deren äußeres Erscheinungsbild erheblich vom Hauptzug abweicht und dies Ausdruck eines Planungskonzepts der Gemeinde ist.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines Beitrages für den Ausbau der Schulstraße in A..
Die Schulstraße ist Anfang der 60’er Jahre erstmals hergestellt worden. Die Straßenfläche befindet sich bis zum heutigen Tag im Privateigentum. Zur öffentlichen Straße gewidmet worden ist die Schulstraße mit der Auslegung des Bestandsverzeichnisses für die Gemeindestraßen in der Zeit vom 30. Dezember 1983 bis zum 30. Juni 1984.
Der erste Ausbau der Schulstraße erstreckte sich über mehrere Jahre und wurde schließlich im Jahr 1996 abgeschlossen. Die letzte Unternehmerrechnung ging am 3. September 1996 bei der Beklagten ein. Im Rahmen der Baumaßnahmen sind die Tragdeckschicht der Fahrbahn, die Straßenbeleuchtung und der westliche Gehweg erneuert, ein Gehweg auf der Ostseite neu angelegt und verkehrsberuhigende Gestaltungselemente - seitliche Aufpflasterungen, Fahrbahnverengungen, Bepflanzung - eingebaut worden. Ferner ist im Zuge der Gehwegarbeiten zur Verbesserung der Straßenentwässerung ein vorher vorhandener offener Graben verrohrt worden.
Von der ausgebauten Schulstraße gehen seitlich (nach Osten) zwei jeweils 47 m lange Stichstraßen ab, die einheitlich mit Verbundpflaster ausgelegt sind. Diese Stichstraßen sind Anfang der 90’er Jahre durch einen Erschließungsträger erstmals hergestellt worden; die letzte Unternehmerrechnung für diese Arbeiten ging am 11. November 1993 bei der Beklagten ein. Die Stichstraßen sind in den Ausbau des Hauptzuges der Schulstraße nicht einbezogen worden.
Am 5. Dezember 2000 beschloss der Rat der Gemeinde A. die Erhebung der Beiträge für den Ausbau der Schulstraße im Wege der Kostenspaltung und Abschnittsbildung. Zur Begründung wird in dem Beschluss ausgeführt, dass die Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen an der Schulstraße endgültig hergestellt und die anteiligen Kosten gesondert von den Beitragspflichtigen zu erheben seien. Der Grunderwerb für die „Straßenflächen“ hätte aber nicht abgeschlossen werden können. Deshalb könnten endgültige Straßenausbaubeiträge nicht erhoben werden. Es sei daher beabsichtigt, nur für die durchgeführten Straßenbaumaßnahmen im Wege der Kostenspaltung Straßenausbaubeiträge zu erheben. Sofern für den Grunderwerb der Straße der Gemeinde A. weitere Kosten entstünden, seien auch diese beitragsfähig. Der Abschnittsbildungsbeschluss sei erforderlich, weil das Ausbauprogramm der Gemeinde die zwei neu angelegten Stichstraßen nicht umfasse.
Der klägerische Verein ist Eigentümer des an der Schulstraße anliegenden und mit dem Schützenhaus bebauten Grundstücks, das aus den Flurstücken 11/22, 11/25, 10/68, 11/28 und 11/30 der Flur 4 der Gemarkung A. besteht und 3.405 m² groß ist.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2001 zog die Beklagte den Kläger zu einem Beitrag zu den Kosten des Ausbaus der Schulstraße in Höhe von 14.174,46 DM heran.
Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Beitragsforderung verjährt sei, weil bereits 1996 sämtliche Rechnungen für die durchgeführten Baumaßnahmen vorgelegen hätten und die Verjährungsfrist deshalb schon mit dem Jahr 2000 abgelaufen gewesen sei. Der Abschnittsbildungsbeschluss ändere hieran nichts, weil die Stichstraßen als selbständige Anlagen zu qualifizieren seien und der Abschnittsbildungsbeschluss deshalb nicht notwendig gewesen sei. Auch der Kostenspaltungsbeschluss sei nicht erforderlich gewesen, weil der Grunderwerb nach der Satzung der Beklagten nicht zu den Voraussetzungen für die Entstehung der Beitragspflicht gehöre. Darüber hinaus sei für die bereits im Jahr 1988 durchgeführten Baumaßnahmen die Verjährung schon im Jahr 1992 eingetreten. Im übrigen seien die Kosten der Schulbushaltestelle und des Parkplatzes gegenüber der Gemeindeverwaltung und die Kosten der Grabenverrohrung, soweit sie auf die beiden Stichstraßen entfielen, nicht beitragsfähig.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2002 zurück. Zur Begründung führte sie an, dass die Beitragspflicht hier erst mit dem Abschnittsbildungs- und Kostenspaltungsbeschluss entstanden sei, weil die Stichstraßen wegen ihrer Länge von nur 47 m unselbständige Teile der Schulstraße seien und der Kostenspaltungsbeschluss zudem deshalb notwendig gewesen sei, weil die gesamte Schulstraße sich nach wie vor in Privateigentum befinde und es sich bei den abgerechneten Baumaßnahmen nicht nur um Erneuerungsmaßnahmen handele. Zwar seien im Jahr 1988 erste Baumaßnahmen begonnen worden, diese seien dann aber erst 1991 weiter geführt und im Jahr 1996 beendet worden. Bushaltestellen stellten öffentliche Verkehrsflächen dar, deren Kosten ebenso beitragsfähig seien, wie die Kosten des unselbständigen öffentlichen Parkplatzes gegenüber der Gemeindeverwaltung. Die Kosten der Grabenverrohrung im Bereich der Stichstraßenüberfahrten seien herausgerechnet worden.
Der Kläger hat am 13. Februar 2002 Klage erhoben, zu deren Begründung er das Widerspruchsvorbringen wiederholt und weiter vorträgt, dass die Stichstraßen zu einer Zeit hergestellt worden seien, als mit dem Ausbau der Schulstraße bereits begonnen worden sei. Es sei daher von vornherein klar gewesen, dass sich der Ausbau nur auf die Erschließungsanlage Schulstraße und nicht auf die beitragsrechtlich selbständigen Stichstraßen beziehen würde. Der Abschnittsbildungsbeschluss sei daher nicht notwendig gewesen. Auch der Kostenspaltungsbeschluss sei nicht notwendig gewesen, weil auch für die Erweiterungsmaßnahmen nur die bereits vorher für die Straße (einschließlich Seitenraum) in Anspruch genommenen Straßengrundstücke benötigt worden seien.
Der Kläger beantragt,
den Straßenausbaubeitragsbescheid vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 15. Januar 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt im wesentlichen die Begründung des Widerspruchsbescheides und betont nochmals, dass die Stichstraßen wegen ihrer Länge und ihrer gleichen Einstufung als Anliegerstraßen zusammen mit der Schulstraße eine öffentliche Einrichtung bildeten und deshalb der Abschnittsbildungsbeschluss notwendig gewesen sei. Im Zuge der Baumaßnahme habe sich herausgestellt, dass sich der überwiegende Teil der Schulstraße im Fremdeigentum befinde und etwaige Grunderwerbskosten in den beitragsfähigen Aufwand einzurechnen seien. Darauf hin sei ein Zwangsversteigerungsverfahren für die besagten Flächen beantragt worden. Es habe „sehr bewusst“ das laufende Zwangsversteigerungsverfahren abgewartet werden sollen. Da sich dieses in die Länge gezogen habe, habe die Gemeinde beschlossen, den Straßenausbaubeitrag vorzeitig im Wege der Kostenspaltung zu erheben. Deshalb sei auch der Kostenspaltungsbeschluss notwendig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, verletzen den Kläger in seinen Rechten und sind deshalb aufzuheben gewesen (§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Denn die Festsetzungsfrist nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) NKAG i.V.m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beitragsbescheides am 12. Januar 2001 abgelaufen gewesen.
Die Frist für die Festsetzung von Beiträgen beginnt nach den genannten Vorschriften mit Ablauf des Jahres, in dem die Beitragspflicht entstanden ist, und beträgt vier Jahre.
I. Die sachliche Beitragspflicht entsteht grundsätzlich mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Gemeinde (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 37 Rdnr. 8). Hier ist die letzte Unternehmerrechnung bei der Beklagten am 3. September 1996 eingegangen. Der angefochtene Bescheid ist jedoch erst am 12. Januar 2001 erlassen worden. Zu diesem Zeitpunkt war die vierjährige Festsetzungsfrist bereits abgelaufen.
II. Der wegen des fehlenden Ausbaus der Stichstraßen gefasste Abschnittsbildungsbeschluss vom 5. Dezember 2000 ist dagegen für die Entstehung der Beitragspflicht für die verfahrensgegenständlichen Baumaßnahmen ohne Bedeutung. Denn diese Abschnittsbildung ist nicht notwendig gewesen, um die Beitragspflicht zum Entstehen zu bringen, weil die Stichstraßen, die Gegenstand dieses Beschlusses sind, eigenständige öffentliche Einrichtungen bilden.
Grundsätzlich können nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Straßenausbaubeiträge nur erhoben werden, wenn der Beitragstatbestand auf der gesamten Länge der ausgebauten Straße verwirklicht worden ist, also die Ausbaumaßnahmen die Straße in voller Länge und mit allen Teileinrichtungen umfassen (Urt. v. 7.9.1999 - 9 L 393/99 -, Nds.VBl. 2000, 66 m.w.N. zur Rechtsprechung des 9. Senats). Deshalb ist eine Abschnittsbildung erforderlich, wenn nur eine Teilstrecke der Straße ausgebaut werden soll.
Hier stellen die beiden von der Schulstraße seitlich (Richtung Osten) abgehenden Stichstraßen jedoch eigenständige öffentliche Einrichtungen i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG dar.
1. Erschließungsbeitragsrechtlich sind diese jeweils 47 m langen Stichstraßen unabhängig von ihrem äußeren Erscheinungsbild selbständige Anbaustraßen.
Grundsätzlich ist im Erschließungsbeitragsrecht (wie im Straßenausbaubeitragsrecht) nach der „natürlichen Betrachtungsweise“ zu beurteilen, ob eine oder mehrere Erschließungsanlagen vorliegen (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 12 Rdnr. 4 f., 10 ff). Hier sind die beiden Stichstraßen jedoch schon aus folgenden „Rechtsgründen“ - unabhängig von der natürlichen Betrachtungsweise - erschließungsbeitragsrechtlich selbständige Erschließungsanlagen:
a) Denn unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen ist aus der Sicht des Erschließungsbeitragsrechts eine befahrbare Stichstraße stets als selbständige Anbaustraße zu qualifizieren, wenn sie erst nach der endgültigen Herstellung der Haupterschließungsstraße angelegt worden ist, weil ansonsten die Kosten der Herstellung der Stichstraße auf die Grundeigentümer nicht umgelegt werden könnten (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 12 Rdnr. 15). Hier ist die Schulstraße Anfang der 60’er Jahre erstmals hergestellt worden (siehe hierzu noch die Ausführungen unter Punkt III. 1.). Die Stichstraßen sind erst Anfang der 90’er Jahre erstmals hergestellt worden und sind deshalb aus den genannten Gründen erschließungsbeitragsrechtlich selbständige Anbaustraßen.
b) Zudem sind die Stichstraßen von einem Erschließungsträger aufgrund eines Erschließungsvertrages hergestellt worden. Mit dieser „Regimeentscheidung“ nach § 124 BauGB hat die Gemeinde die Beitragserhebung nach §§ 127 ff. BauGB für diese Stichstraßen ausgeschlossen (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 6 Rdnrn. 26 ff.).
2. Auch nach Straßenausbaubeitragsrecht stellen die Stichstraßen eigenständige öffentliche Einrichtungen dar.
Der Begriff der öffentlichen Einrichtung i.S.d. § 6 NKAG ist grundsätzlich identisch mit dem Begriff der Straße i.S.d. Erschließungsbeitragsrechts (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: September 2003, § 8 Rdnr. 91). Die „Rechtsgründe“, die nach dem oben Gesagten zu der Annahme von mehreren eigenständigen Anlagen führen, können hier jedoch aus folgenden Gründen nicht auf das Straßenausbaubeitragsrecht übertragen werden:
Hinsichtlich der oben unter Punkt 1. a) genannten Begründung für die Annahme von mehreren selbständigen Anbaustraßen im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts - die Kosten der Herstellung der Stichstraße können ansonsten nicht auf die Grundeigentümer umgelegt werden - ergibt sich dies daraus, dass diese Gründe mit der endgültigen Herstellung und erschließungsbeitragsrechtlichen Abrechnung der Stichstraßen entfallen sind. Im Hinblick auf eine spätere Ausbaumaßnahme stellt sich dieses „Finanzierungsproblem“ unter dem Gesichtspunkt des Straßenausbaubeitragsrechts nicht mehr.
Im Hinblick auf die oben unter Punkt 1. b) genannte Begründung für die Annahme von mehreren selbständigen Anbaustraßen ergibt sich dies daraus, dass die Regimeentscheidung keinen „Ewigkeitscharakter“ hat. Liegen wegen der Regimeentscheidung für eine kurze Sackgasse an einer Anbaustraße zwei öffentliche Einrichtungen im Rechtssinne vor, beschränkt sich diese Wertung auf das Erschließungsbeitragsrecht und erschöpft sich in diesem Anwendungsbereich. Denn eine dem § 124 BauGB entsprechende Vorschrift fehlt im für das Straßenausbaubeitragsrecht maßgeblichen Niedersächsischen Kommunalabgabengesetz. Nach § 124 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde nur „die Erschließung“ einem Dritten übertragen. Daraus folgt eine rechtlich beschränkte Wirkung der Regimeentscheidung auf das Erschließungsbeitragsrecht.
Hier ist demnach nach der natürlichen Betrachtungsweise zu beurteilen, ob eine oder mehrere Straßen vorliegen.
Maßgebend für die natürliche Betrachtungsweise sind vor allem Straßenlänge, Straßenbreite, Straßenführung, Straßenausstattung und die äußere Gestaltung der Straße (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 12 Rdnr. 10). Entscheidend ist, ob sich der Straßenzug - nach Abschluss der nach dem Bauprogramm auszuführenden Arbeiten (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 8 Rdnr. 97) - nach seinem äußeren Erscheinungsbild als ein einheitliches abgegrenztes Element des Straßennetzes der Gemeinde darstellt (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 8 Rdnr. 111 a). Das äußere Erscheinungsbild, d. h. der Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln, ist auch maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob eine Stichstraße eine selbständige Anlage oder nur ein „Anhängsel“ des Hauptzuges darstellt (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 12 Rdnr. 13). Auch für die Beantwortung der Frage, ob eine Stichstraße in diesem Sinne selbständig ist, kommt es demnach auf den durch sie vermittelten Gesamteindruck, insbesondere auf ihre Ausdehnung, ihre Beschaffenheit, die Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke und auf das Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße, in der sie mündet, an (BverwG, Urt. v. 9.11.1984 - 8 C 77.83 -, BVerwGE 70, 247, 250). Hiervon ausgehend ist eine öffentliche, für das Befahren mit Kraftfahrzeugen aller Art vorgesehene Sackgasse nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel als erschließungsrechtlich selbständig zu qualifizieren, wenn sie entweder länger als 100 m ist oder vor Erreichen dieser Länge (mehr oder weniger) rechtwinkelig abknickt oder sich verzweigt (BVerwG, Urt. v. 23.6.1995 – 8 C 30.93 -, DÖV 1996, 31; ebenso Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 12 Rdnr. 14). Hinsichtlich einer weniger als 100 m langen Stichstraße stellt dies allerdings nur die Regel dar (BVerwG, Urt. v. 9.11.1984, a.a.O., S. 251), von der beispielsweise abgewichen werden kann, wenn die Stichstraße auf beiden Fahrbahnseiten eine erhebliche „Bebauungsmassierung“ aufweist, sie aus diesem Grunde nicht mehr den Charakter einer „typischen Zufahrt“ aufweist und deshalb als erschließungsrechtlich selbständig zu qualifizieren ist (BVerwG, Urt. v. 23.6.1995, a.a.O., S. 32).
Die hier in Rede stehenden Stichstraßen sind jeweils nur 47 m lang und nicht verzweigt, was dafür spricht, sie nach der genannten Regel als unselbständig zu qualifizieren. Auch kann bei derartigen Stichstraßen nicht erwartet werden, dass sie in jeder Hinsicht in derselben Weise wie der Hauptzug ausgebaut sind. Verkehrsberuhigende Elemente ergeben in einer solchen Stichstraße beispielsweise in der Regel keinen Sinn.
Hier bestehen jedoch zwischen Hauptzug und Stichstraßen keinerlei „verbindende“ Ausstattungs- und Gestaltungsmerkmale. Der Ausbauzustand ist (nach den von der Beklagten vorgelegten Fotos) völlig verschieden: Der Hauptzug der Schulstraße ist unterteilt in Fahrbahn (mit Asphaltdeckschicht) und einem (Platten-) Gehweg auf der einen und einem kombinierten Rad- und Gehweg aus grauem Verbundpflaster auf der anderen Seite, die jeweils mit Hochborden von der Fahrbahn abgesetzt sind. Weiter sind verkehrsberuhigende Gestaltungselemente - seitliche Aufpflasterungen, Fahrbahnverengungen, Bepflanzung - eingebaut worden. Die Stichstraßen sind einheitlich - ohne Unterteilung oder Gestaltungseinrichtungen wie im Hauptzug - mit rotem Verbundpflaster ausgelegt.
Nach dem äußeren Erscheinungsbild liegen daher mehrere selbständige Straßen vor.
Zudem entspricht die Annahme von verschiedenen Straßen dem objektiv zum Ausdruck gekommenen Planungswillen der Gemeinde. Gemeinden können ihr Straßennetz in gewisser Bandbreite gestalten; sie können einer Straße eine bestimmte Zweckbestimmung geben und ihr etwa die Funktion einer Anliegerstraße oder einer Durchgangsstraße geben. Der planerische Gestaltungswille zeigt sich nicht nur in Ausbauplänen, Generalverkehrsplänen oder ähnlichem, sondern auch in anderen Erklärungen, Handlungen oder Konzepten, die einen funktionsbestimmenden Willen der Gemeinde zum Ausdruck bringen. Sofern es sich hierbei nur um interne Willensbildungen und -bekundungen handelt, haben diese im Verhältnis zu der nach dem oben Gesagten maßgeblichen natürlichen Betrachtungsweise eines unbefangenen Beobachters nur ein untergeordnetes Gewicht. Die Willensbildung einer Gemeinde gewinnt für die Festlegung der öffentlichen Einrichtung aber dann eine über den internen Bereich hinausgehende Bedeutung, wenn sie ihren Niederschlag in äußerlich erkennbaren Gegebenheiten findet, wie etwa der Gestaltung der Straße, und sie auf diese Weise das tatsächliche Erscheinungsbild prägt. Die interne Funktionsbestimmung der Gemeinde muss also, um maßgeblich zu werden, nach außen erkennbar zu einem Element des äußeren Erscheinungsbildes der Straße werden (Nds. OVG, Beschl. v. 13.6.2000 - 9 M 1349/00 -, NStN 2000, 242).
Hiervon ausgehend ist das unterschiedliche Erscheinungsbild der Schulstraße und der Sackgassen nicht „zufällig“ darauf zurückzuführen, dass sie zu weit auseinander fallenden Zeitpunkten - Anfang der 60’er Jahre und Anfang der 90’er Jahre - mit unterschiedlichen Anschauungen und Anforderungen hinsichtlich der Ausgestaltung einer Straße erstmals hergestellt worden sind, sondern Ausdruck eines funktionsbestimmenden Willens der Gemeinde. Denn der Hauptzug der Schulstraße ist - wie sich aus den von der Beklagten vorgelegten Rechnungen ergibt - von 1988 an über mehrere Jahre und parallel zu der Herstellung der Stichstraßen ausgebaut worden. Der Hauptzug ist von der Gemeinde selbst ausgebaut, die Stichstraßen sind von einem Erschließungsträger hergestellt worden. Die Einrichtungen haben zudem ein völlig unterschiedliches Erscheinungsbild erhalten. Es ist daher insoweit von vornherein ein Konzept der Gemeinde zu erkennen gewesen, dass Hauptzug und Sackgassen als unterschiedliche Straßen im Rechtssinne hergestellt bzw. ausgebaut werden sollten.
Trotz der (funktionellen) Abhängigkeit der Stichstraßen vom Hauptzug der Schulstraße sind sie daher nach dem Gesamteindruck, den sie in der Zusammenschau mit dem Hauptzug der Schulstraße vermitteln, als selbständige öffentliche Einrichtungen i.S.d. § 6 NKAG zu qualifizieren.
Da bereits nach der sowohl im Erschließungs- als auch im Straßenausbaubeitragsrecht maßgeblichen natürlichen Betrachtungsweise mehrere öffentliche Einrichtungen vorliegen, kommt es hier nicht auf die Besonderheit im Straßenausbaubeitragsrecht an, wonach dann, wenn Stichstraße und Hauptzug unterschiedliche Verkehrsfunktionen (hier möglicherweise unterschiedliche Verkehrsfunktionen wegen konventionellen Ausbaus einerseits und Mischflächen andererseits) haben, im Hinblick auf die damit verbundenen unterschiedlich hohen Anliegeranteile von zwei öffentlichen Einrichtungen auszugehen ist (siehe hierzu Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 31 Rdnr. 9).
Sind demnach die Stichstraßen selbständige öffentliche Einrichtungen, so hängt der Abschnittsbildungsbeschluss des Rates der Gemeinde A. vom 5. Dezember 2000 gleichsam „in der Luft“ und ist für die Entstehung der Beitragspflicht ohne Bedeutung. Es bleibt folglich bei dem unter I. dargestellten Entstehen der Beitragspflicht mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Beklagten am 3. September 1996.
III. Auch der im Hinblick auf den nicht abgeschlossenen Grunderwerb für die Straßenflächen gefasste Kostenspaltungsbeschluss vom 5. Dezember 2000 vermag an diesem Zeitpunkt für die Entstehung der Beitragspflicht nichts zu ändern.
1. Der Kostenspaltungsbeschluss vom 5. Dezember 2000 ist zum einen insoweit nicht notwendig gewesen, als er sich auf den nachträglichen Erwerb der „alten“ Straßenflächen - die Flächen, die schon vor den hier verfahrensgegenständlichen Ausbaumaßnahmen für die Straße benötigt worden sind - bezieht und im Hinblick auf den im Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung der Schulstraße Anfang der 60’er Jahre und auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht abgeschlossenen Grunderwerb für diese Straßenflächen gefasst worden ist.
Denn für die Einstufung der Schulstraße als vorhandene Erschließungsanlage ist es unerheblich, dass die Straßenflächen zum Zeitpunkt ihrer Herstellung nicht im Eigentum der Gemeinde gestanden haben, da der Grunderwerb nur dann zu den Herstellungsmerkmalen zählt, wenn die Erschließungsbeitragssatzung dies vorsieht (BVerwG, Urt. v. 8.2.1974 - BVerwG IV C 21.72 -, Buchholz Nr. 406.11 § 132 BBauG Nr. 15), was bei einer vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes vorhandenen Straße mangels Satzung grundsätzlich nicht der Fall ist. Wird dann später im Zusammenhang mit einer Ausbaumaßnahme an einer solchen „vorhandenen“ Straße im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB das bisher im Privateigentum stehende Straßenland aufgekauft, ohne dass zusätzliche Flächen für die Straße gewonnen werden, sind diese Erwerbskosten nicht beitragsfähig, weil sie nur anlässlich einer beitragsfähigen Maßnahme entstehen, ohne mit ihr selbst in einer untrennbaren Verbindung zu stehen. Die Kosten für den Erwerb von bereits vor dem Ausbau als Straße genutztem Gelände sind daher nicht beitragsfähig (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 8 Rdnr. 332).
Im übrigen wäre der Kostenspaltungsbeschluss hinsichtlich der „alten“ Straßenflächen selbst dann nicht notwendig gewesen, wenn es sich bei der Schulstraße nicht um eine vorhandene Erschließungsanlage handeln würde. Denn die Herstellung dieser Straße war hinsichtlich der (gemäß dem damaligen „Bauprogramm“) technisch - „unstreitig“ - endgültig hergestellten Teileinrichtungen erschließungsbeitragsrechtlich insoweit abgeschlossen und weitere Ausbaumaßnahmen, die diese bereits fertiggestellten Teileinrichtungen betreffen, beurteilen sich daher unabhängig von dem Vorliegen eines Kostenspaltungsbeschlusses ausschließlich nach Ausbaubeitragsrecht (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.1968 - IV C 82.67 -, KStZ 1969, 199; Preußisches OVG, Urt. v. 10.9.1940 - II.C.87/39 -, E 105, 39; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 2 Rdnr. 22).
2. Der Kostenspaltungsbeschluss hat jedoch auch insoweit keinen Einfluss auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht, als er sich - möglicherweise - auch auf den Erwerb zusätzlich für die hier verfahrensgegenständlichen Ausbaumaßnahmen in Anspruch genommener Straßenflächen bezieht.
Die Beklagte hat diesbezüglich in ihrem Schriftsatz vom 30. September 2002 ausgeführt, dass die gesamte Schulstraße sich nach wie vor in Privateigentum befinde und es hier nicht nur um Erneuerungsmaßnahmen gehe. Die Gemeinde A. habe in ihrem Bauprogramm festgelegt, einen neuen Gehweg, Bushaltestellen und neue Parkflächen außerhalb der alten Straßentrasse herzustellen. Der Kläger hat jedoch bestritten, dass für diese Maßnahmen über die ohnehin bereits für die Straße mit (unbefestigten) Seitenflächen in Anspruch genommenen Grundstücke hinaus neue Flächen benötigt worden sind. Die Beklagte hat keine Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass tatsächlich zusätzliche Grundstücke in Anspruch genommen worden sind, die nicht bereits für die alte Straßentrasse benötigt worden waren. Diese Frage kann hier jedoch offen bleiben.
Denn im Zusammenhang mit einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme angefallene Grunderwerbskosten sind nur insoweit beitragsfähig, als sie entstanden sind, bevor gerade diese Maßnahme beendet und damit in der Regel eine sachliche Beitragspflicht für sie begründet worden ist. Wann eine beitragsfähige Maßnahme beendet ist, richtet sich - weil Straßenausbaubeitragssatzungen regelmäßig (wie hier) keine Regelung über die Merkmale der endgültigen Herstellung enthalten - nach dem für sie aufgestellten Bauprogramm. Folgt aus dem Bauprogramm nicht, dass die Maßnahme erst nach Abschluss eines etwa erforderlichen Grunderwerbs beendet sein soll, hat der Grunderwerb keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der „Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme“ i.S.d. § 6 Abs. 6 NKAG. Denn der Grunderwerb ist nicht schon kraft Gesetzes Voraussetzung für die Beendigung einer beitragsfähigen Maßnahme und das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, a.a.O., § 33 Rdnr. 30). Die Erforderlichkeit des Grunderwerbs muss sich deshalb eindeutig aus dem Bauprogramm ergeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 3.11.1980 - 9 OVG B 108/80 -). Dies gilt hier besonders auch deshalb, weil die gesamte Straße sich im Privateigentum befindet und sich für die Gemeinde daher die Frage gestellt hat (und nach wie vor stellt), ob sie überhaupt Grunderwerb tätigen will mit dem Risiko, diese Kosten nicht auf die Anlieger umlegen zu können. Hier ist daher der Grunderwerb keine „Selbstverständlichkeit“ und deshalb erst recht eine klare Aussage des Bauprogramms hierzu zu fordern.
Es steht im Ermessen der Gemeinde, darüber zu befinden, wer in welcher Form das Bauprogramm aufstellt. In der Regel ergibt sich das Bauprogramm aus den Beschlüssen, die der Rat und/oder der zuständige Ausschuss über eine beitragsfähige Maßnahme getroffen haben, sowie aus den der Auftragsvergabe zugrunde liegenden Unterlagen; im Einzelfall kann das Bauprogramm auch formlos durch die Verwaltung aufgestellt werden (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, a.a.O., § 8 Rdnr. 320).
Ein Beschluss des Rates der Gemeinde liegt hier nur in der Form des Abschnittsbildungs- und Kostenspaltungsbeschlusses vom 5. Dezember 2000 vor. Darin wird ausgeführt, dass die Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen an der Schulstraße endgültig hergestellt und die anteiligen Kosten gesondert von den Beitragspflichtigen zu erheben seien (Kostenspaltung). In der Begründung wird weiter ausgeführt, dass der Grunderwerb für die „Straßenflächen“ nicht hätte abgeschlossen werden können und deshalb endgültige Straßenausbaubeiträge nicht erhoben werden könnten. Es sei daher beabsichtigt, nur für die durchgeführten Straßenbaumaßnahmen im Wege der Kostenspaltung Straßenausbaubeiträge zu erheben. Sofern für den Grunderwerb der Straße weitere Kosten der Gemeinde entstünden, seien auch diese beitragsfähig.
Aus diesem Beschluss geht zum einen nicht hinreichend deutlich hervor, auf welche konkreten Straßenflächen sich der noch ausstehende Grunderwerb beziehen soll. Vor allem aber ist dieser Beschluss erst am 5. Dezember 2000 gefasst worden, also zu einem Zeitpunkt als die technischen Baumaßnahmen bereits längst abgeschlossen waren und auch die letzte Unternehmerrechnung bereits eingegangen war (3. September 1996).
Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung der Gemeinde während des Ausbaus des Hauptzuges der Schulstraße gar nicht bewusst gewesen sei, dass sich die Straßenflächen nicht in ihrem Eigentum befänden. Dies sei erst später bei der Abrechnung der Baumaßnahmen aufgefallen. War der Gemeinde demnach dieses Problem gar nicht bekannt, so konnte der Eigentumserwerb folglich auch nicht zu ihrem Bauprogramm gehört haben.
Hier hat nach allem zum Zeitpunkt der Beendigung der Baumaßnahmen im September 1996 kein Bauprogramm mit einer Aussage zu einem noch erforderlichen Grunderwerb vorgelegen. Die nachträgliche, in den Kostenspaltungsbeschluss vom 5. Dezember 2000 eingegangene Erkenntnis der Gemeinde, dass „etwas fehlt“, vermag an einer einmal entstandenen Beitragspflicht nichts mehr zu ändern.
Demnach gehören hier die - zukünftigen - Aufwendungen für den Grunderwerb sowohl hinsichtlich der „alten“ Straßenflächen als auch hinsichtlich der möglicherweise neu für die verfahrensgegenständlichen Baumaßnahmen in Anspruch genommenen Flächen nicht zum beitragsfähigen Aufwand. Der Kostenspaltungsbeschluss vom 5. Dezember 2000 hat damit ebenfalls keinen Einfluss auf die Entstehung der Beitragspflicht.
Die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 b) NKAG i.V.m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist nach allem zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides am 12. Januar 2001 abgelaufen gewesen.