Sozialgericht Stade
Urt. v. 22.05.2014, Az.: S 33 AY 22/12

Rechtswidrige Anordnung einer Sicherheitsleistung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
22.05.2014
Aktenzeichen
S 33 AY 22/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 21589
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2014:0522.S33AY22.12.0A

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 9. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 15. Mai 2012 wird aufgehoben und der Beklagte zur Auszahlung des sichergestellten Betrages in Höhe von 620,00 EUR an den Kläger verurteilt.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wehr sich gegen die Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß §§ 7, 7a Asylbe-werberleistungsgesetz (AsylbLG) und Einziehung eines Geldbetrags iHv 620,00 EUR, der bei einer Personenkontrolle bei ihm festgestellt wurde. Der Kläger, geboren im Juni 1983, stammt aus dem Sudan und war nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Juli 2010 bis 31. Oktober 2010 in der ZAAB G. untergebracht. Zum 01. November 2010 wurde er der Samtgemeinde H. im Zuständigkeitsbereich des beklagten Landkreises zugewiesen. Seitdem bezieht er Leistungen nach dem AsylbLG vom Beklagten. Die Zeugin I. stammt aus J., geboren im November 1975, lebt seit 2002 in der Bundesrepublik und bezog im Jahr 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom zuständigen Jobcenter K ... Die Zeugin war 2012 schwanger, errechneter Geburtstermin war der 01. September 2012. Am 09. März 2012, einem Freitag, führten Beamte der L. Polizei um 3.50 Uhr morgens auf dem S-Bahnhof Hamburg-M. beim Kläger eine Personenkontrolle durch. Laut Polizeibericht wurde beim Kläger dabei ein Geldbetrag in Höhe von 659,00 EUR festgestellt und auf Grund-lage der §§ 111 ff StPO iVm §§ 73ff StGB beschlagnahmt. Mit Bescheid vom 09. März 2012 ordnete der Beklagte eine Sicherheitsleistung in Höhe von 645,00 EUR in bar gemäß § 7a AsylbLG an und ordnete die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs 2 Nr 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) an. Im Bescheid erklärte der Beklagte, die Barmittel seien Vermögen und als solches für den Lebensunterhalt aufzubrauchen. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 28. März 2012 Widerspruch ein und teilte dazu mit, es sei nicht sein Geld gewesen. Laut Aktenvermerk sprach der Kläger am 24. April 2012 in Begleitung der Zeugin beim Beklagten vor. Die Zeugin habe dabei mitgeteilt, es han-dele sich um ihr Geld, das sie dem Kläger zum Kauf eines Kinderwagens gegeben habe. In der späteren Widerspruchsbegründung konkretisierte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass ein Betrag iHv 620,00 EUR im Eigentum der Zeugin stehe und der Restbetrag von 25,00 EUR Geld des Klägers aus den laufenden Leistungen nach dem AsylbLG sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2012 als unbegründet zurück und wies daraufhin, dass § 7 Abs 1 AsylbLG Einkommen und Vermögen vorrangig aufzubrauchen sei, bevor Leistungen nach dem AsylbLG gezahlt würden. Am 18. Juni 2012 hat der Kläger Klage erhoben, wobei sich die Klage iHv 25,00 EUR erledigt hat, die der Beklagte zwischenzeitlich noch an den Kläger ausgekehrt hat. Er trägt vor, bei dem eingezogenen Geld handele es sich in Höhe von 620,00 EUR um Geld der Zeugin und in Höhe von 25,00 EUR um eigenes Geld aus dem Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG. Die Zeugin sei seine Lebensgefährtin und habe ihm das Geld ausgehändigt, damit er einen Kinderwagen erwerbe. Er sei nach Hamburg gefahren, um einen Kinderwagen dort zu kaufen. Er war habe nicht gewusst, wo er dies tun solle und hätte einen Kinderwagen gekauft, sobald er einen gesehen hätte. In Hamburg habe er allerdings dann zunächst Freunde getroffen. Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09. März 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2012 zu verpflichten, den sichergestellten Geld-betrag in Höhe von 620,00 EUR an den Kläger freizugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bleibt dabei, dass es sich beim Vorbringen des Klägers nur um eine Schutzbehauptung handele. Der dargestellte Sachverhalt sei unplausibel und unschlüssig. Es sei davon auszu-gehen, dass es sich um Geld des Klägers gehandelt habe. Da dem Kläger in den folgenden Monaten weiterhin Leistungen nach AsylblG erbracht wurden, die den sichergestellten Betrag weit überschreiten, sei das Geld praktisch an den Kläger zurückgeflossen. Davon abgesehen sei der Kläger gar nicht klagebefugt, wenn es sich um Geld der Zeugin handeln würde, son-dern die Zeugin selbst müsste auf Herausgabe klagen.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2014 war, Bezug genommen. Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin I ...

Entscheidungsgründe

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage iSd § 54 Abs 1, Abs 4 SGG statthafte Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Kläger auch klagebefugt. Er kann als berechtigter Be-sitzer einen eigenen Besitzverschaffungsanspruch im Sinne des § 861 Abs 1 BGB gegenüber dem Beklagten geltend machen und verfolgt insoweit nicht fremde Rechte, hier eventuelle Rechte der Zeugin als Eigentümerin, in eigenem Namen. Die Klage hat Erfolg. Der Bescheid vom 09. März 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2012 über die Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 620,00 EUR und deren sofor-tiger Vollzug erweist sich als rechtswidrig und beschwert daher den Kläger iSd § 54 Abs 2 SGG. Der Kläger hat Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an den eingezogenen 620,00 EUR, da es sich nach Überzeugung des Gerichts tatsächlich um Geld der Zeugin handelte. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 620,00 EUR gemäß § 7a AsylbLG langen nicht vor. Bei dem eingezogenen Geld handelte es sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um Vermögen des Klägers iSd § 7 Abs 1 AsylbLG. Gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 AsylbLG sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden, von dem Leistungsberechtigten vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz auszubrau-chen. Gemäß § 7a AsylbLG kann von Leistungsberechtigten wegen der ihnen zu gewähren-den Leistungen nach diesem Gesetz Sicherheit verlangt werden, soweit Vermögen iSv § 7 Abs 1 Satz 1 vorhanden ist. Gemäß Satz 2 kann die Anordnung der Sicherheitsleistung ohne vorherige Vollstreckungsandrohung im Wege des unmittelbaren Zwangs erfolgen.

Nach Überzeugung des erkennenden Gerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht vor, denn im Ergebnis der Beweisaufnahme und nach Verneh-mung des Klägers selbst sieht das Gericht es als erwiesen an, dass es sich bei dem noch streitigen Betrag in Höhe von 620,00 EUR um Eigentum der Zeugin I. handelte, das der Kläger am 09. März 2012 berechtigt besaß. Der Kläger hat den Sachverhalt so dargestellt, dass er das Geld von der Zeugin I., seiner Le-bensgefährtin, in bar erhalten habe, um davon einen Kinderwagen zu kaufen, und dass er nach N. gefahren sei, um dort einen Kinderwagen zu erwerben. Er habe aber zunächst Freunde getroffen und das Ziel eines Kinderwagenkaufs noch nicht in die Tat umgesetzt, als er von der Polizei kontrolliert wurde. Die Zeugin I. hat bei ihrer Vernehmung im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2014 bestätigt, dass sie schwanger war, dass der Kläger ihr Lebensgefährte war bzw ist und dass sie ihm in den Tagen vor dem 09. März 2012 das Geld ausgehändigt habe, damit er davon einen Kinderwagen kaufe, wobei nicht unbedingt das gesamte Geld dafür ausgegeben werden sollte. Die Zeugin machte auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussage erschien glaubhaft. Die Sachverhaltsdarstellung der Klägers in Bezug auf das Geld, die Eigentumsverhältnisse und den Grund seines Besitzes wurde durch die Zeugin bestätigt. Das Gericht ist sich bewusst, dass eine Sachverhaltsdarstellung zwischen einem Kläger und einem Zeugen abgesprochen sein kann. Im Falle des Klägers und der Zeugin I. ergaben sich jedoch weder aus dem Inhalt der Aussagen noch aus der Art und Weise der Aussagen und dem Verhalten des Klägers und der Zeugin in der Verhandlung Anhaltspunkte für eine even-tuelle Absprache dahingehend, dass bewusst Unwahres erzählt werden sollte, um das Gericht über die wahren Eigentumsverhältnisse am Geld zu täuschen. Der dargestellte Sachverhalt erscheint auch nicht so unplausibel, dass den übereinstimmenden Aussagen des Klägers und der Zeugin schon allein deshalb kein Glauben hätte geschenkt werden können. Bei der Bewertung der Vorgänge muss berücksichtigt werden, dass sowohl der Kläger als auch die Zeugin aus einem anderen Kulturkreis stammen, in dem andere gesellschaftliche Maßstäbe und Gepflogenheiten herrschen. Die Zeugin hatte im Rahmen ihrer Vernehmung zu erkennen gegeben, dass es aus ihrer Sicht Sache des Mannes ist, einen Kinderwagen zu kaufen. Für das Gericht ergab sich daraus der Eindruck, dass es mög-licherweise in den Herkunftsländern des Klägers und der Zeugin in Afrika zur traditionellen Rollenverteilung gehört, dass der Mann sich um solche Dinge zu kümmern hat. Der Kläger hat diese Rolle offenbar auch ausfüllen wollen, gab aber selbst zu, gar nicht gewusst zu haben, wo und was für einen Kinderwagen er kaufen sollte. Er teilte mit, er hätte einen Kinderwagen gekauft, sobald er einen gesehen hätte. Soweit der Beklagte daran anknüpft, der dargestellte Sachverhalt sei nicht geeignet zu erklären, warum sich der Kläger nachts um 3.50 Uhr mit dem Geld auf einem Bahnhof in N. aufhielt, ist dagegen einzuwenden, dass die afrikanische Herangehensweise an Aufgaben eine andere sein kann als die norddeutsche. Aus Sicht des Gerichts erscheint es vor diesem Hintergrund nicht von vornherein unglaubhaft, wenn der Kläger mitteilt, er habe sich in Hamburg zunächst mit Freunden getroffen (anstatt zB gezielt zu einem Babyfachmarkt zu fahren). Niemand kann ausschließen, dass der Kläger nicht wirklich am nächsten Tag weiter nach einem Kinderwagen gesucht hätte. Bezüglich der Höhe des Betrags ist auch nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass die seit 2002 in Deutschland lebende Zeugin das Geld tatsächlich angespart hatte, wobei es für die Sache auch letztlich unerheblich ist, woher die Zeugin das Geld hatte, sofern ihr geglaubt wird, dass es tatsächlich ihres und nicht das des Klägers war. Wenn dem Kläger und der Zeugin zugestanden wird, sich anders verhalten zu können als ein norddeutsch geprägter Mitteleuropäer, gibt es keinen sachlichen Anhaltspunkt für Zweifel am dargestellten Sachverhalt. Die Vermutung, es habe sich um Geld des Klägers selbst gehandelt, das dieser aus anderen Gründen bei sich führte, entbehrt einer sachlichen Grundlage und stellte deshalb eine reine Spekulation dar. Erst recht können Zweifel an der Aussage des Klägers und der Zeugin nicht daraus abgeleitet werden, dass diese aus Afrika stammen. Im Ergebnis geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem beim Kläger seinerzeit sicher-gestellten Betrag iHv 620,00 EUR um Geld im Eigentum der Zeugin handelte, dass diese dem Kläger ausgehändigt hatte, so dass dieser berechtigter Besitzer war. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des beschlagnahmten Geldes waren nicht erfüllt, weil es sich nicht um Vermögen des Klägers im Sinne des § 7 Abs 1 Satz 1 AsylbLG handelte. Auf die weiteren Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Sicherheitsleis-tung und deren sofortigen Vollzug kam es nicht mehr an. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.