Sozialgericht Stade
Urt. v. 27.03.2014, Az.: S 18 AS 937/12

Abmahnkosten wegen einer behaupteten Markenrechtsverletzung als eine Betriebsausgabe im Sinne des § 3 Abs 2 der Arbeitslosengeld-II-Verordnung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
27.03.2014
Aktenzeichen
S 18 AS 937/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 15968
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2014:0327.S18AS937.12.0A

Tenor:

Die beiden Bescheide vom 21. Juni 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2012 und des Änderungsbescheids vom 13. März 2014 werden dahingehend geändert, dass die Kläger nur noch einen Betrag in Höhe von insgesamt 294,74 EUR für den Leistungszeitraum 01. Oktober 2011 bis 31. März 2012 zu erstatten haben. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen. &8195;

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, inwieweit Abmahnkosten wegen einer behaupteten Markenrechtsverletzung eine Betriebsausgabe im Sinne des § 3 Abs 2 der Arbeitslosengeld-II-Verordnung (ALG-II-V) darstellen und sich entsprechend einkommensmindernd im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auswirken. Die Kläger sind eine Familie, bestehend aus den Eltern und vier Kindern, letztere geboren in den Jahren 1995, 1999, 2001 und 2006. Sie wohnen in N. und bezogen in der Vergangenheit als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Der Kläger zu 1. ist selbständig im Bereich Internet/Werbetechnik tätig und richtet in diesem Rahmen unter anderem sogenannte Apps ein und schreibt für Blogs. Die Klägerin zu 2. ist selbständig im Bereich der Tagespflege. Auf den Fortzahlungsantrag vom 12. September 2011 für den Leistungszeitraum ab Oktober 2011 hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Oktober 2011 Leistungen für den Zeitraum Oktober 2010 bis einschließlich März 2012. Die Bewilligung erfolgte mit Blick auf das in der Höhe noch nicht endgültig bekannte Einkommen vorläufig auf Grundlage des § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II i.V.m. § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). In der Folgezeit ergingen mehrere Änderungsbescheide. Seitens des Klägers zu 1. floss in die vorläufige Leistungsberechnung ein prognostiziertes Einkommen aus der Selbständigkeit in Höhe von monatlich im Durchschnitt 132,52 EUR, bereinigt 26,02 EUR, ein (Änderungsbescheid vom 26.03.2012). Im Herbst 2011 erhielt der Kläger zu 1. eine anwaltliche Abmahnung wegen einer angeblichen Markenrechtsverletzung zu Lasten der Fa. Schmidt-Spiele. Er soll konkret das geschützte Kniffelzeichen verwendet haben. Es wurden Abmahnkosten iHv 3.500,00 EUR geltend gemacht. Im Ergebnis der sich anschließenden Korrespondenz des Klägers zu 1. und der gegnerischen Anwälte schloss der Kläger zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens in dieser Angelegenheit einen Vergleich, wonach er 1.000,00 EUR als Abmahnkosten an die Rechtsanwälte zahlen würde, und zwar in Raten von je 100,00 EUR, beginnend ab März 2012. Aus den vorliegenden Kontoauszügen geht hervor, dass der Kläger zu 1. die erste Rate von 100,00 EUR am 28. Februar 2012 vereinbarungsgemäß anwies. Nach Bekanntwerden der tatsächlichen Einkommensverhältnisse im benannten Zeitraum setzte der Beklagte mit dem hier klagegegenständlichen Bescheid vom 21. Juni 2012 die Leistungen für den Zeitraum Oktober 2011 bis einschließlich März 2012 endgültig fest. Seitens des Klägers zu 1. wurde nunmehr ein Gewinneinkommen iHv 291,43 EUR, bereinigt auf 153,14 EUR, bei der Leistungsberechnung berücksichtigt. Insgesamt stand der Bedarfsgemeinschaft nach der Berechnung des Beklagten ein um 1.748,85 EUR höheres Einkommen als vorläufig berücksichtigt zur Verfügung. Mit gesondertem Bescheid vom 21. Juni 2012 machte der Beklagte eine Erstattungsforderung iHv 909,85 EUR gegenüber den Klägern geltend. Gegen beide Bescheide legten die Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2012 Widerspruch ein und machten insbesondere geltend, die Abmahnkosten in Höhe von 100,00 EUR müssten als weitere Betriebsausgabe gewinnmindernd anerkannt werden. Der Beklagte wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2012 als unbegründet zurück. Am 15. November 2012 haben die Kläger Klage erhoben, die sich neben der streitigen Betriebsausgabe auch auf die Höhe der anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung bezog. Bezüglich der Unterkunftskosten anerkannte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13. März 2014 im Laufe des Klageverfahrens das Klagebegehren, so dass sich die im Raum stehende Erstattungsforderung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auf nur noch 374,66 EUR vermindert hat. Zur Begründung der Klage tragen die Kläger vor, bei den Abmahnkosten ab März 2012 handele es sich um anzuerkennende Betriebsausgaben des Klägers zu 1. Aus seiner Sicht habe er keine Markenrechtsverletzung begangen. Den Vergleich sei er nur eingegangen, um ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die Abmahnung aufgrund der vermeintlichen Markenrechtsverletzung stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit. Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 21. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2012 und Abänderung des Bescheids vom 13. März 2014 zu verurteilen, für Februar und März 2012 weitere Betriebskosten in Höhe von jeweils 100,00 EUR monatlich zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Abmahnkosten könnten nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt werden, denn der Kläger habe diese Kosten schuldhaft verursacht. Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte durch die Kammer ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt hatten. Die zulässige und als isolierte Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG statthafte Klage hat Erfolg. Die angegriffene endgültige Festsetzung der Leistungen für den hier Klage gegenständlichen Zeitraum Oktober 2011 bis März 2012 und damit verbunden die Erstattungsforderung des Beklagten erweisen sich über das bereits erfolgte Anerkenntnis des Beklagten in Bezug auf die Kosten der Unterkunft hinaus als rechtswidrig und beschweren insoweit die Kläger im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Entgegen der Auffassung des Beklagten stellen die Abmahnkosten von 100,00 EUR monatlich ab März 2012 Betriebsausgaben seitens des Klägers zu 1. dar, was zu einer entsprechenden Verminderung des anzurechnenden Einkommens führt. Die angegriffene Bescheidlage war entsprechend zu ändern. Bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II kommt es im Rahmen des § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs 1 und 2 SGB II unter anderem darauf an, inwieweit zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 SGB II leistungsmindernd zu berücksichtigen ist. Im Falle einer selbständigen Tätigkeit ist dabei gemäß den Vorgaben in § 3 Abs 1 ALG II-V von den Betriebseinnahmen aus der selbständigen Arbeit auszugehen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Gemäß Abs 2 sind zur Berechnung des Einkommens von diesen Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Gemäß Abs 3 Satz 1 sollen tatsächliche Ausgaben nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende entsprechend. Die hier im Streit stehenden 100,00 EUR Abmahnkosten aufgrund einer behaupteten Markenrechtsverletzung stellen eine Betriebsausgabe im Sinne der genannten Vorschriften dar. Der Argumentation des Beklagten, der Kläger habe in Bezug auf die vermeintliche Markenrechtsverletzung schuldhaft gehandelt, so dass die Abmahnkosten den Charakter einer Strafzahlung hätten und daher nicht als Betriebsausgabe anerkannt werden könnten, vermag das Gericht nicht zu folgen. Nach Ansicht der Kammer besteht ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang der streitigen Kosten mit der konkreten betrieblichen Tätigkeit des Klägers zu 1. Der Kläger ist tätig im Bereich Internet und Werbetechnik, erstellt Apps und schreibt in Blogs. Er hat insoweit glaubhaft dargestellt, dass die behauptete Markenrechtsverletzung, die er selbst weiterhin bestreitet, im Rahmen dieser betrieblichen Tätigkeit erfolgt ist bzw nur erfolgt sein kann. Dies ist plausibel und angesichts des Inhalts der Tätigkeit auch schlüssig. Dass der Kläger bereit war, im Vergleichswege 1.000,00 EUR als Abmahnkosten wegen der behaupteten Markenrechtsverletzung auf sich zu nehmen und es nicht auf ein Gerichtsverfahren ankommen zu lassen, war eine betriebswirtschaftliche Abwägungsentscheidung. Die Schuldhaftigkeit der Markenrechtsverletzung, wenn eine solche angenommen wird, hindert die Anerkennung als Betriebsausgabe nicht. Denn es ist üblich und im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit auch nicht vermeidbar, durch schuldhaftes Handeln im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit zu Schadensersatz oder Vertragsstrafen herangezogen zu werden. So wird zB bei einem Handwerker, der im Rahmen seiner Tätigkeit Schäden am Eigentum eines Kunden verursacht, der entsprechende Schadensausgleich ohne weiteres als Betriebsausgabe anzuerkennen sein. Wird eine Vertragsstrafe fällig, weil zB vereinbarte Fristen nicht eingehalten wurden, ist auch dies eine Betriebsausgabe. Selbst steuerrechtlich werden solche Ausgaben üblicherweise als Betriebsausgaben anerkannt (vgl zB BFH, Urteil vom 22.06.2006 - VI R 5/03, zur Berücksichtigungsfähigkeit von Vertragsstrafen - veröffentlicht bei [...].de). Die Anerkennung der weiteren Betriebsausgabe in Höhe von 100,00 EUR ab März 2012 macht eine Neuberechnung des Leistungsanspruchs im betroffenen Zeitraum erforderlich. Der Beklagte war bislang von einem durchschnittlichen Einkommen des Klägers zu 1. in Höhe von 291,43 EUR ausgegangen, dh von einem Einkommen in den sechs hier betroffenen Leistungsmonaten in Höhe von insgesamt 1.748,58 EUR. Wird von dieser Summe die weitere Ausgabe von 100,00 EUR gewinnmindernd abgezogen und das Durchschnittseinkommen daraufhin neu berechnet, ergibt sich ein durchschnittliches monatliches Einkommen des Klägers zu 1. von 274,77 EUR. Nach Abzug des Grundfreibetrages gemäß § 11b Abs 2 Satz 2 SGB II und des Erwerbstätigenfreibetrags gemäß § 11b Abs 3 Nr 1 SGB II bleibt davon ein anzurechnendes monatliches Einkommen in Höhe von 139,82 EUR - im Gegensatz zu den zuvor vom Beklagten angesetzten 153,14 EUR. Die monatliche Differenz beträgt 13,32 EUR. Hochgerechnet auf die hier streitigen sechs Leistungsmonate sind damit rechnerisch 79,92 EUR zu viel angerechnet worden. Die nach Erlass des Änderungsbescheids vom 13. März 2014 noch im Raume stehende Erstattungsforderung in Höhe von 374,66 EUR war entsprechend um 79,92 EUR zu vermindern, woraus sich die im Tenor ausgeworfene Erstattungsforderung iHv 294,74 EUR ergab, die die Kläger noch an den Beklagten zurückzuzahlen haben.

Bei der Urteilsfindung ist das Gericht aufgrund des Vergleichs des Klägers mit den Anwälten der Gegenseite davon ausgegangen, dass die Abmahnkosten in Raten von 100,00 EUR ab März 2012 gezahlt wurden, und hat daher auch nur eine Rate im Leistungszeitraum berücksichtigt. Dabei wurde leider übersehen, dass die erste Rate bereits am 28. Februar 2012 abfloss, obwohl die Anerkennung als Betriebsausgabe ausdrücklich für Februar und März 2012 beantragt war. Bezüglich der zweiten Rate, die vermutlich Ende März 2012 gezahlt sein wird, lagen keine Zahlungsnachweise in Form von Kontoauszügen vor. An der Bewertung der Kammer dem Grunde nach ändert sich nichts, wenn die Anerkennung der Abmahnkosten erst im März und nicht schon im Februar 2012 einsetzt. Das Gericht geht davon aus, dass die Beteiligten das Urteil nicht nur für März 2012, sondern den gesamten Zeitraum der Zahlung der Raten für die Abmahnkosten berücksichtigen und umsetzen werden, so es im Ergebnis auf dasselbe hinauszuläuft, ob die Zahlungen ab Februar 2012 oder ab März eingerechnet werden. Die Kosten der Entscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umfang des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Die Kläger haben sowohl in Bezug auf die Unterkunftskosten als auch in Bezug auf die Anerkennung der Abmahnkosten als Betriebsausgabe vollumfänglich obsiegt. Die Berufung war auf Antrag der Kläger wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Frage der Anerkennung von Abmahnkosten oder, allgemeiner gefasst, von Strafzahlungen als Betriebsausgaben ist nach Kenntnis des Gerichts im Ergebnis seiner Recherchen obergerichtlich noch nicht geklärt.