Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.10.2020, Az.: L 8 AY 21/17

Übernahme von Fahrtkosten und Übernachtungskosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins in einem Asylverfahren; Rechtsmissbräuchliches Verhalten; Verlängerung der Aufenthaltsdauer

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.10.2020
Aktenzeichen
L 8 AY 21/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 47497
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 24.06.2021 - AZ: B 7 AY 5/20 R

Redaktioneller Leitsatz

Von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG kann in objektiver Hinsicht ausgegangen werden bei unredlichem, von der Rechtsordnung missbilligtem Verhalten, das subjektiv vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung geprägt ist, und dies liegt schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann.

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. Juli 2017 und der Bescheid der Stadt Hildesheim vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19. Dezember 2016 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern 191,25 EUR zu zahlen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Verfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Im Streit ist die Übernahme von Fahrt- und Übernachtungskosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins im Asylverfahren in Höhe von 191,25 EUR.

Die 1987 und 1982 geborenen Kläger sind ukrainische Staatsangehörige, verheiratet und die Eltern eines 2013 geborenen Sohnes. Mitte Juli 2014 reiste die Familie mit einem Besuchsvisum nach Deutschland ein und hielt sich zunächst bei der Mutter des Klägers in der im Kreisgebiet des Beklagten gelegenen Stadt Hildesheim auf. Im Oktober 2014 suchten sie um Asyl nach und wurden dem Landkreis G. zugewiesen; die Antragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgte wegen übermäßiger Arbeitsbelastung des Amtes Anfang Juni 2015. Hintergrund der Asylanträge war die Einberufung des im Alter von 18 Jahren aus medizinischen Gründen zunächst als wehruntauglich eingestuften Klägers zum Wehrdienst in seinem Heimatland Anfang Juli 2014. Auf seine (anfängliche) Weigerung, den Wehrdienst anzutreten, sei er in einem Militärkommissariat über Nacht inhaftiert und bedroht worden und habe schließlich aus der Not heraus der Einberufung zugestimmt. Im Juli 2015 wurden die Kläger, die während des Asylverfahrens über Aufenthaltsgestattungen verfügten, nach Hildesheim umverteilt (Bescheid der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen - Standort Braunschweig - vom 20.7.2015). Ihre Asylanträge wurden vom BAMF abgelehnt (Bescheide vom 22.5.2017).

Ende Juni 2016 legten die Kläger beim Sozialamt der Stadt Hildesheim die Ladung des BAMF zur Anhörung vom 24.6.2016 für den 5.7.2016, 8.00 Uhr, in Ingolstadt vor und erkundigten sich wegen der Übernahme von Fahrt- und Hotelkosten. Nachdem sie - im Ergebnis erfolglos - die Verlegung der Anhörung zu der Außenstelle des BAMF in Braunschweig beantragt hatten (Schreiben vom 30.6.2016), begaben sie sich mit ihrem Sohn und der Mutter des Klägers - in deren Pkw - am Vortag der Anhörung nach Ingolstadt und übernachteten dort in einem Hotel. Die Kosten für die Fahrt und das Familienzimmer wurden (zunächst) von der Mutter des Klägers getragen. Den bei der Stadt Hildesheim am 8.7.2016 eingegangenen (schriftlichen) Antrag auf Kostenübernahme lehnte der Beklagte u.a. mit der Begründung ab, die geltend gemachten Benzin- und Hotelkosten in Höhe von (geschätzt) 107,25 EUR bzw. 84,00 EUR (Gesamtkosten: 191,25 EUR) seien aus den den Klägern gewährten Regelsätzen zu bestreiten. § 6 AsylbLG finde bei einer Leistungsberechtigung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG keine Anwendung (Bescheid der Stadt Hildesheim vom 15.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19.12.2016). Tatsächlich bezogen die Kläger vom Beklagten lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem AsylbLG, seit November 2015 bewilligt durch die insoweit herangezogene Stadt Hildesheim nach § 2 AsylbLG, für Juli 2016 unter Anrechnung des Erwerbseinkommens der Klägerin von ca. 570,00 EUR (netto) bzw. in anrechenbarer Höhe von 395,58 EUR (Bescheid der Stadt Hildesheim vom 1.8.2016).

Die gegen die Ablehnung der Kostenübernahme am 6.1.2017 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim nach persönlicher Anhörung der Klägerin und Vernehmung der Mutter des Klägers, der Zeugin H., durch Urteil vom 13.7.2017 abgewiesen und u.a. zur Begründung ausgeführt, die Kosten für die Wahrnehmung des Anhörungstermins seien zwar dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt gewesen und nicht vom Regelbedarf zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts (27b Abs. 2 SGB XII) umfasst. Hilfen in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII (analog) kämen gleichwohl nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber für Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 AsylbLG - wie die Kläger - einen Anspruch nach § 6 AsylbLG, der eine Hilfegewährung zur Erfüllung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten ermögliche, ausdrücklich ausgeschlossen habe und insoweit keine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom SG zugelassene Berufung der Kläger vom 24.7.2017. Sie machen einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 73 Satz 1 SGB XII geltend. Entgegen den Ausführungen des SG könne aus dem Regelungszusammenhang des § 6 AsylbLG und des § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 73 SGB XII nicht (zwingend) geschlossen werden, dass der Gesetzgeber einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins im Asylverfahren überhaupt regeln bzw. gar ausschließen wollte. Dies belege auch der Hinweis in der Ladung zu dem Termin, dass das BAMF etwaige Fahrtkosten nicht übernehme und deswegen bei der zuständigen Sozialbehörde vorgesprochen werden könne. Die Fahrt- und Hotelkosten seien dem Grunde und der Höhe nach angemessen. Die Kläger seien irrig davon ausgegangen, auch ihr Sohn müsse bei der Anhörung anwesend sein; die Mutter des Klägers habe die Eltern zur Betreuung ihres Sohnes begleitet.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13.7.2017 und den Bescheid der Stadt Hildesheim vom 15.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19.12.2016 aufzuheben und

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, ihnen 191,25 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG im Ergebnis für zutreffend, macht aber weiterhin geltend, dass die Kosten teilweise nicht erforderlich gewesen seien, weil es den Klägern - ohne Begleitung von Kind und Mutter (des Klägers) - zumutbar gewesen sei, die Fahrt nach I. ohne Hotelübernachtung durchzuführen. Entgegen der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung seien die Kosten für die Wahrnehmung des Termins im Regelbedarf enthalten. Eine abweichende Festlegung des Regelsatzes zugunsten der Kläger nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII komme aber wegen des im Juli 2016 nur einmaligen Bedarfs nicht in Frage, ebenso eine Hilfegewährung nach § 73 SGB XII, weil die geltend gemachten Kosten gerade mit den den Klägern gewährten Leistungen abgegolten seien. Im Übrigen wäre bei einer Anwendbarkeit des § 73 SGB XII das in der Rechtsfolge eingeräumte Ermessen, die Geldleistungen als Darlehen oder als Beihilfe zu erbringen (Satz 2), nicht auf Null reduziert. Auch eine analoge Anwendung des § 6 AsylbLG komme nicht in Betracht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 18. und 28.9.2020).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungs- und Ausländerakten verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, wegen der Zulassung durch das SG auch statthafte (§§ 143, 144 Abs. 3 SGG) Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kläger haben gegen den Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 73 SGB XII einen Anspruch auf Übernahme der für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren geltend gemachten Kosten.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und (unechten) Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) ist der Bescheid der Stadt Hildesheim vom 15.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19.12.2016 (§ 95 SGG), durch den der Antrag der Kläger auf Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren am 5.7.2016 in Ingolstadt abgelehnt worden ist. Für die Beurteilung der Leistungsklage ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Kosten im Juli 2016 maßgeblich. Nach allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts ist für die Beurteilung des Anspruchs auf ein Verwaltungshandeln zwar grundsätzlich auf die letzte mündliche Verhandlung der Tatsacheninstanz abzustellen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 40b, 34). Dies gilt allerdings nicht für Ansprüche auf Geldleistungen zum Zwecke des Kostenersatzes, bei denen regelmäßig - wie auch hier - die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschaffung der Leistung maßgeblich ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R - juris Rn. 10).

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist der beklagte Landkreis wegen der Umverteilung der Kläger nach Hildesheim Mitte 2015 (Bescheid der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen - Außenstelle Braunschweig - vom 20.7.2015) für die Durchführung des AsylbLG nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Nds. AufnG) vom 11.3.2004 (Nds. GVBl. S. 100; geändert zum 1.1.2007 durch Gesetz vom 13.12.2007, Nds. GVBl. S. 710) und § 10a Abs. 1 Satz 1, § 10 Satz 1 AsylbLG sachlich und örtlich zuständig. Er hat die Stadt Hildesheim gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nds. AufnG durch öffentlich-rechtlichen Vertrag herangezogen, die die Aufgaben nach dem AsylbLG im Namen des Beklagten durchführt; über Widersprüche entscheidet der Beklagte (§ 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 1 Satz 1 der Heranziehungsvereinbarung vom 16.2.2016).

Der Bescheid ist materiell rechtswidrig und daher aufzuheben. Die Kläger haben einen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der geltend gemachten Kosten zur Wahrnehmung des Termins zur persönlichen Anhörung in voller Höhe gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 73 SGB XII.

Die Kläger sind im Juli 2016 als Inhaber von Aufenthaltsgestattungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem AsylbLG gewesen.

Ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Kosten kommt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylbLG, nach dem sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden können, wenn sie im Einzelfall zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind, nicht in Betracht, weil sich der Anspruch der Kläger auf lebensunterhaltssichernde Leistungen zu dem Zeitpunkt, in dem die Reisekosten angefallen sind, also Anfang Juli 2016, nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (hier in der ab 6.8.2016 geltenden Fassung vom 31.7.2016, BGBl. I 1939, im Weiteren a.F.) bemessen hat. Danach war abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und der Bedeutung des Leistungsrechts nach §§ 3, 3a, 4 und 6 AsylbLG als eigenständiges Sicherungssystem zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris) können Leistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG aus § 6 AsylbLG keine Rechte herleiten. So liegt der Fall hier. Die Wartefrist von 15 Monaten hatten die bereits im Juli 2014 nach Deutschland eingereisten Kläger erfüllt. Zudem haben sie die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann. Angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG genügt aber nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen (BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 33). Die objektive Beweislast für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten trägt der Leistungsträger (Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 AsylbLG Rn. 140).

Die Kläger haben im Juli 2016 noch die Asylverfahren betrieben und aus diesem Grund über Aufenthaltsgestattungen verfügt. Anhaltspunkte für ein vorwerfbar verspätetes Asylgesuch, das hier zum Ende der Geltungsdauer der Visa im Oktober 2014 erfolgt ist, oder fehlerhafte Identitätsangaben liegen nicht vor. Es stellt sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. dar, dass die Kläger mit einem Besuchsvisum nach Deutschland eingereist sind und womöglich von vorneherein nicht die Absicht hatten, sich nur vorübergehend zu Besuchszwecken in Deutschland aufzuhalten. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Einreise nach Deutschland selbst keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer darstellt, sondern erst den Aufenthalt begründet (Beschluss vom 12.9.2019 - L 8 AY 12/19 B ER - juris Rn. 22).

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Leistungen nach dieser Vorschrift, die zu den "Hilfen in anderen Lebenslagen" nach dem Neunten Kapitel des SGB XII gehören, erfordern eine besondere, atypische Situation. Eine sonstige Lebenslage i.S. des § 73 Satz 1 SGB XII zeichnet sich dadurch aus, dass sie von keinem anderen Leistungsbereich des SGB XII erfasst ist und damit einen Sonderbedarf (atypische Bedarfslage) darstellt (BSG, Urteile vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 - juris Rn. 14 m.w.N. und - B 8 SO 14/17 R - juris Rn. 11; BSG, Urteil vom vom 16.12.2010 - B 8 SO 7/09 R - juris Rn. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R - juris Rn. 24). Nach diesen Maßgaben stellen die wegen der Wahrnehmung des Anhörungstermins am 5.7.2016 in Ingolstadt entstandenen Fahrt- und Übernachtungskosten einen atypischen Bedarf i.S. des § 73 SGB XII dar.

Nach § 27a Abs. 1 SGB XII (hier in der vom 1.1. bis 31.12.2016 geltenden Fassung vom 21.12.2015, BGBl. I 2557) umfasst der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung (Satz 1). Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft; dies gilt in besonderem Maß für Kinder und Jugendliche (Satz 2). Für Schülerinnen und Schüler umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die erforderlichen Hilfen für den Schulbesuch (Satz 3). Gemäß § 27a Abs. 2 Satz 1 SGB XII ergibt dieser gesamte notwendige Lebensunterhalt mit Ausnahme der Bedarfe nach dem Zweiten bis Vierten Abschnitt (Mehrbedarfe, einmalige Bedarfe etc.) den monatlichen Regelbedarf. Nach Absatz 3 der Vorschrift sind zur Deckung der Regelbedarfe, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII ergeben, monatliche Regelsätze als Bedarf anzuerkennen (Satz 1). Der Regelsatz stellt einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs dar, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen (Satz 2).

Die Grundsätze für die Ermittlung der Regelbedarfe sind in § 28 Abs. 2 bis 4 SGB XII (hier in der vom 1.1.2011 bis 31.12.2016 geltenden Fassung vom 24.3.2011, BGBl. I 453) geregelt. Danach sind bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Abs. 2 SGB XII Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen (Abs. 2 Satz 1). Grundlage hierfür sind die durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nachgewiesenen tatsächlichen Verbrauchsausgaben unterer Einkommensgruppen (Abs. 2 Satz 2), soweit sie in den Sonderauswertungen nach § 28 Abs. 3 SGB XII für Referenzhaushalte ausgewiesen und als regelbedarfsrelevant anzusehen sind (vgl. § 28 Abs. 4 SGB XII). Die konkrete Ermittlung der Regelbedarfe erfolgt durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (hier in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung vom 24.3.2011, BGBl. I 453, im Folgenden RBEG 2011; vgl. auch BT-Drs. 17/3404, S. 121 Zu § 28).

Danach sind die geltend gemachten Kosten bei der Ermittlung der Regelbedarfe nach dem RBEG zwar im Grundsatz berücksichtigt worden. In Abteilung 7 der EVS 2008 sind die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Referenzhaushalte für "fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne im Luftverkehr/ohne auf Reisen)" u.a. Personenbeförderung im Öffentlichen Personennahverkehr und Schienenverkehr (Eisenbahn, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn) in ungekürzter Höhe als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben für Erwachsene anerkannt worden (vgl. BSG, Urteil vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Verbrauchsausgaben für einen (eigenen) Pkw sind ausdrücklich nicht als existenzsichernd angesehen worden (BT-Drs. 17/3404, S. 59). Insoweit sind diese Kosten bei der Bemessung des Regelsatzes in der Weise berücksichtigt worden, dass sie nicht zu einer Erhöhung der Leistungen führen. Ebenso verhält es sich mit den geltend gemachten Übernachtungskosten. Bei den in Abteilung 11 der EVS 2008 berücksichtigten Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen ist nur ein Teil (28,5 %) der durchschnittlichen Ausgaben als regelbedarfsrelevant eingestuft worden und zwar für Speisen und Getränke in Restaurants, Cafés und an Imbissständen sowie in Kantinen und Mensen. Die Position "Übernachtungen" ist dagegen nicht als regelbedarfsrelevant bewertet worden, weil diese Ausgaben dem nicht der Existenzsicherung dienenden Bereich Urlaub zuzuordnen seien; bei Besuchen von Verwandten sei von privaten und kostenlosen Übernachtungsmöglichkeiten auszugehen (BT-Drs. 17/3404, S. 62 f.; vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - juris Rn. 14).

Zugleich wird aber aus der Begründung, warum der Bedarf an Übernachtungsmöglichkeiten bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen nicht erhöhend berücksichtigt worden ist, deutlich, dass die Bedarfslage der Kläger unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Anhörung im Asylverfahren (dazu gleich) qualitativ und der Höhe nach eine andere ist, als diejenige, die bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt (zu der im Einzelfall besonderen Bedarfslage etwa bei der Wahrnehmung des Umgangsrechts, die sich ebenfalls auf Übernachtungs- und Fahrtkosten beziehen kann, grundlegend BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - juris Rn. 21 ff.; BSG, Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - juris Rn. 15 ff. oder zum Besuch eines nahen Angehörigen BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - juris Rn. 13 ff.; zum Ganzen vgl. auch Böttiger in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 73 Rn. 78 ff. m.w.N.).

Die formale Anhörung des Ausländers nach § 25 AsylG ist ein Kernstück des Asylverfahrens und beruht auf unionsrechtlichen Verfahrensgarantien (vgl. etwa Art. 13 Abs. 3 und 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, RL 2005/85/EG; zur besonderen Bedeutung der persönlichen Anhörung durch die Asylbehörde ausführlich BVerwG, Urteil vom 11.7.2018 - 1 C 18/17 - juris Rn. 37; zur Anhörung im gerichtlichen Verfahren vgl. auch EuGH, Urteil vom 25.7.2018 - C-585/16, Alheto - Rn. 114 ff.). Ein unentschuldigtes Nichterscheinen zur Anhörung kann dazu führen, dass ein späteres Vorbringen des Ausländers unberücksichtigt bleibt (§ 25 Abs. 3 Satz 1 AsylG), sowie zu einer Entscheidung des BAMF über den Asylantrag nach Aktenlage, wobei auch die Nichtmitwirkung des Ausländers zu berücksichtigen ist (§ 25 Abs. 4 Satz 5 AsylG). Es kann sogar wegen Nichtbetreibens (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) zu einer Verfahrenseinstellung nach § 32 AsylG führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2019 - 1 C 46.18 - juris und die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2019 Anm. 6).

Die Bedarfslage, die auf erforderliche Kosten für eine persönliche Anhörung im Asylverfahren zurückzuführen ist, ist grundsätzlich eine besondere, die bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen nicht in gleicher Weise auftritt. Nach ihrer Bedeutung ist sie vergleichbar mit der im Hinblick auf das Gebot effektiven und gleichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) grund- und völkerrechtlich (Art. 6 EMRK) relevanten Gewährung von Reiseentschädigungen für mittellose Parteien zur Anreise zu Gerichtsterminen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.2.2008 - 19 C 08.1 - juris Rn. 8 m.w.N.), die auf dem sog. Armenrecht und auf einer bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift der Landesjustizverwaltungen beruht (vgl. hierzu und zum Ganzen Tiedemann, jurisPR-ArbR 47/2019 Anm. 6 m.w.N.). Nach der Verwaltungsvorschrift über die Gewährung von Reiseentschädigungen (VwV Reiseentschädigung, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 20.1.2014, BAnz AT 29.1.2014 B1; in Niedersachsen und für Verfahren vor dem LSG Niedersachsen-Bremen in Kraft getreten am 1.7.2006 durch AV d. MJ v. 26.5.2006 - 5110 - 204. 26 - Nds. Rpfl. 2006, 177, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 28.1.2014, Nds. Rpfl. 2014, 88) ist eine nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewährende Entschädigung so zu bemessen, dass sie die notwendigen Kosten der Hin- und Rückreise deckt (Nr. 1.1.2 VwV Reiseentschädigung). Danach gehören zu den Reisekosten entsprechend den Vorschriften des JVEG neben den Fahrtkosten gegebenenfalls auch Übernachtungskosten (entsprechend § 6 Abs. 2 JVEG), ferner gegebenenfalls Reisekosten für eine notwendige Begleitperson sowie Kosten für eine notwendige Vertretung (entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 2 JVEG).

Da der Bedarf, der auf die zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen erforderlichen Reisekosten zurückzuführen ist, im Grundsatz als ein atypischer, nicht von den Leistungen der Grundsicherung (SGB II/SGB XII) umfasster Bedarf anerkannt ist, kann die Rechtsprechung des BSG, nach der die Kosten für die Beschaffung eines Passes auch für ausländische Bezieher von Leistungen der Grundsicherung (SGB II/SGB XII) vom Regelbedarf grundsätzlich umfasst seien (BSG, Urteil vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - juris Rn. 15 ff.; BSG, Urteil vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R - juris Rn. 13 ff.; BSG, Urteil vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R - juris Rn. 10 ff.), nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Vielmehr muss wegen der vergleichbaren Interessenslage in entsprechender Weise für mittellose Personen, die einen Termin zur persönlichen Anhörung im Asylverfahren wahrnehmen möchten, im Einzelfall sichergestellt sein, dass ihnen - soweit eine Kostenübernahme durch Dritte oder andere staatliche Stellen nicht erfolgt (dazu gleich) - die hierzu erforderlichen Reisekosten gemäß § 73 SGB XII aus Sozialhilfemitteln erstattet werden können.

Ob etwas anderes gilt, wenn in diesem Zusammenhang wegen der Wohnortnähe zu einer Außenstelle des BAMF verhältnismäßig geringe Reisekosten anfallen und es dem Betroffenen im Einzelfall zuzumuten ist, diese Kosten aus eigenen Mitteln, sprich aus dem Regelsatz (für Verkehrsdienstleistungen nach Abteilung 7 der EVS, s.o.), zu bestreiten (vgl. Nr. 1 VwV Reiseentschädigung), kann offen bleiben. Ein solcher Fall liegt hier wegen der Höhe der Kosten von fast 200,00 EUR (dazu später) auch unter Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit der Klägerin nicht vor. Sie ist einer geringfügigen Beschäftigung mit einem Verdienst im Juli 2016 von 714,00 EUR (brutto) bzw. 570,31 EUR (netto) nachgegangen. Nach Berücksichtigung des Einkommens bei den Leistungen nach dem AsylbLG ist nur ein Betrag von 169,53 EUR anrechnungsfrei geblieben, weil der Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII fehlerhaft nicht auf Grundlage des Bruttoeinkommens (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 201/10 R - juris Rn. 20; BSG, Urteil vom 25.4.2018 - B 8 SO 24/16 R - juris Rn. 19), sondern nach dem Nettolohn berechnet worden ist (vgl. Bescheid der Stadt Hildesheim vom 1.8.2016). Eine auch nur teilweise Anrechnung dieses freigelassenen Betrages auf den geltend gemachten Bedarf kommt wegen dessen nur geringen Höhe und der sozialpolitischen Funktion des Freibetrags nach § 82 Abs. 3 SGB XII, einen Anreiz zu schaffen, Arbeit aufzunehmen, die Arbeitsleistung zu steigern und den Arbeitswillen zu erhalten (BSG, Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 - juris Rn. 35 m.w.N.; zu den weitergehenden Zwecken im SGB II vgl. BSG, Urteil vom 25.4.2018 - B 8 SO 24/16 R - juris Rn. 24 m.w.N.) nicht in Betracht. Die Kläger haben sich auch erfolglos um die Verlegung des Termins zur Außenstelle des BAMF in Braunschweig bemüht.

Schließlich verfängt nicht das Argument des SG, der Gesetzgeber habe durch den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 4 AsylbLG möglichen Anspruch auf sonstige Leistungen, die zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind, im Umkehrschluss zum Ausdruck gebracht, dass ein entsprechender Anspruch für Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen sei. Dieser Schluss ist wegen der unterschiedlich ausgestalteten Leistungen nach §§ 3, 4 und 6 AsylbLG einerseits und nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII andererseits in der Sache weder geboten noch gerechtfertigt. Die Anerkennung eines existentiellen Bedarfs im Bereich der Grundleistungen kann im Grundsatz auch für dessen rechtliche Relevanz im Rahmen der sog. Analog-Leistungen sprechen. Ohnehin ist bei der Annahme, dem Gesetz könne in Einzelfragen eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zur Abgrenzung der Leistungssysteme entnommen werden, wegen der unterbliebenen Erhebung von bedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG (vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 20; krit. dazu Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3 Rn. 52 m.w.N.) und der nur rudimentären Ausgestaltung des AsylbLG besondere Zurückhaltung geboten.

Da das BAMF als für das Asylverfahren zuständige Stelle die für die Wahrnehmung des Anhörungstermins erforderlichen Kosten nicht übernommen hat, greift insoweit nicht der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII, der nach h.M. ohnehin keinen eigenständigen Ausschlusstatbestand darstellt (vgl. dazu Coseriu in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 8 ff., 11 m.w.N.; kritisch Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Juni 2020, K § 2 Rn. 12 ff.). In diesem Zusammenhang steht dem Anspruch der Kläger auch nicht der Umstand entgegen, dass die Kosten zunächst von der Mutter des Klägers beglichen worden sind. Der Nachrang der Sozialhilfe greift nicht, wenn ein Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt worden ist, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl. zu dieser Voraussetzung insbesondere für die Vererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen etwa BSG, Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - juris Rn. 12). So liegt der Fall hier. Nach den Umständen des Einzelfalles ist die Mutter des Klägers hinsichtlich der als angemessen anzusehenden Kosten (dazu auch gleich) wegen der ausstehenden Entscheidung des Beklagten über die Kostenübernahme nur in Vorleistung getreten. Hierfür spricht grundlegend, dass die Anhörung eine höchstpersönliche Angelegenheit der Kläger (gewesen) ist, aber auch deren vorherige Vorsprache bei der Stadt Hildesheim Ende Juni 2016 und der Hinweis auf eine mögliche Kostenübernahme durch eine Sozialbehörde in der Terminmitteilung des BAMF. Insoweit ist die Annahme, die Mutter des Klägers habe die Kosten (endgültig) selbst tragen wollen, nicht gerechtfertigt.

Die geltend gemachten Kosten sind sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erforderlich und verhältnismäßig. Dies gilt zunächst für die Fahrtkosten in Höhe von 107,25 EUR. Sie beruhen auf einer überschlägigen Berechnung der mit der Hin- und Rückfahrt einhergegangenen Benzinkosten, bei der für eine Fahrtstrecke von insgesamt etwa 1.100 km ein Verbrauch von 7,5 l Benzin auf 100 km (Gesamtverbrauch: 82,5 l) und ein Literpreis für Benzin von 1,30 EUR zu Grunde gelegt worden sind. Ohne Berücksichtigung von weiteren Betriebskosten des PKW fällt der Betrag sehr viel niedriger aus als ein Fahrtkostenersatz nach Nr. 1.1.2 VwV Reiseentschädigung i.V.m. den Regelungen des JVEG. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 JVEG werden bei Benutzung eines eigenen oder unentgeltlich zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeugs mindestens 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer ersetzt zuzüglich der durch die Benutzung des Kraftfahrzeugs aus Anlass der Reise regelmäßig anfallenden baren Auslagen, insbesondere der Parkentgelte. Danach wäre hier ein Kostenersatz für die Hin- und Rückfahrt von Hildesheim nach Ingolstadt (ca. 1.100 km) in einer Höhe von bis zu 275,00 EUR jedenfalls verhältnismäßig. Auch im Vergleich zu den Kosten des öffentlichen Personenverkehrs (Deutsche Bahn) fällt der von den Klägern geltend gemacht Betrag niedrig aus. An der Wirksamkeit der Vereinbarung, dass die Kläger diesen (konkreten) Betrag der Mutter des Klägers zur Abgeltung der Fahrtkosten zahlen sollten, bestehen keine Zweifel (vgl. zur Berücksichtigung von Bedarfen aufgrund von Vereinbarungen unter Verwandten, wenn ein entsprechender rechtlicher Bindungswille besteht, vgl. BSG, Beschluss vom 25.8.2011 - B 8 SO 1/11 B - juris Rn. 7; zum SGB II: BSG, Urteil vom 7.5.2009 - B 14 AS 31/07 R - juris Rn. 18 und 20 und BSG, Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 37/08 R - juris Rn. 27).

Entsprechendes gilt für die entstandenen Übernachtungskosten. Die Übernachtung in Ingolstadt vor dem Anhörungstermin am 5.7.2016 ist notwendig gewesen, weil es den Klägern entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zuzumuten gewesen ist, die nach einer Internetrecherche gut fünf Stunden dauernde Fahrt von Hildesheim zu dem um 8.00 Uhr morgens in Ingolstadt angesetzten Termin in der Nacht anzutreten. Die besondere Bedeutung der persönlichen Anhörung erfordert es, gut vorbereitet, ausgeruht und vor allem pünktlich zu dem Termin zu erscheinen. Die Kläger hatten Unwägbarkeiten aufgrund eines nächtlichen Fahrtantritts nicht in Kauf zu nehmen. Es ist auch gerechtfertigt gewesen, dass sie ein womöglich im Vergleich zu einem Doppelzimmer etwas teureres Familienzimmer gebucht haben. Die Kläger sind mit der Mutter des Klägers und ihrem 2013 geborenen Sohn nach Ingolstadt gefahren in der irrigen Annahme, sie müssten bei der Anhörung in Begleitung ihres Sohnes erscheinen, und haben aus diesem Grund gemeinsam (zu viert) in einem Hotel ein Familienzimmer zu einem Preis von 84,00 EUR bezogen. Der Frage, ob dieser Irrtum vermeidbar gewesen ist und bei einer Anreise nur der Kläger ggf. geringere Kosten angefallen wären, muss nicht weiter nachgegangen werden. Die Entscheidung der Kläger, dass ihr dreijähriger Sohn und die Mutter des Klägers sie nach Ingolstadt begleiten, ist bereits aufgrund des Alters des Kindes zu respektieren. Etwaige Mehrkosten sind wegen der insoweit notwendigen Begleitung durch die Mutter des Klägers zur (kostenfreien) Kindesbetreuung zu übernehmen (Rechtsgedanke aus § 7 Abs. 1 Satz 2 JVEG). Ohnehin liegen die geltend gemachten Kosten - auch für zwei Personen - in einem verhältnismäßigen Rahmen.

Der Anspruch auf Kostenübernahme bezieht sich in der Rechtsfolge auf eine Geldleistung, die hier als Beihilfe zu gewähren ist. Das durch § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 73 Satz 2 SGB XII grundsätzlich eingeräumte Ermessen, Geldleistungen als Beihilfe oder als Darlehen zu erbringen, ist entgegen der Auffassung des Beklagten auf Null reduziert. Insoweit gelten wegen der vergleichbaren Interessenlage in entsprechender Weise die Modalitäten betreffend Reiseentschädigungen zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, die ebenfalls als Beihilfe gewährt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und betrifft die Kosten des gesamten Verfahrens, einschließlich der notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 5a m.w.N.).

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.