Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.10.2020, Az.: L 7 AS 505/19

Bedarf nicht unabweisbar; einmaliger oder laufender Bedarf der iPads; iPad-Klassen; keine analoge Anwendung des Härtefallmehrbedarfes; keine atypische Lebenssituation

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.10.2020
Aktenzeichen
L 7 AS 505/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71541
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 05.07.2019 - AZ: S 48 AS 1478/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1.) Der Kauf eines iPads zwecks Teilnahme an einer iPad-Klasse ist nicht vom Jobcenter gemäß § 21 Abs. 6 SGB II als Zuschuss zu übernehmen, weil es sich um einen einmaligen Bedarf handelt, der prognostisch nicht in jedem Schuljahr wieder anfällt.
2.) Eine atypische Lebenssituation liegt im Vergleich zu Haushalten knapp oberhalb des SGB II-Bedarfs und Beziehern von Kinderzuschlag nicht vor.
3.) Der Bedarf ist nicht unabweisbar, wenn alternativ zum Sofortkauf über die Schule die Möglichkeit besteht, das iPad als Mietkauf bei 36 Monatsraten in Höhe von 11,00 EURO zu erwerben.
4.) Eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II kommt nicht in Betracht, weil keine Regelungslücke besteht und dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würde, wonach für diese Ausstattung die Schulverwaltungen zuständig sind.
5.) Die Bevorzugung eines bestimmten Herstellers ohne Ausschreibung stellt einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht einer Schule dar, der dem Einsatz öffentlicher Mittel nach § 73 SGB XII entgegensteht.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgericht Hannover vom 5. Juli 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für ein iPad zwecks Verwendung im Schulunterricht streitig.

Die am 27. September 2005 geborene Klägerin lebt mit ihrer 1972 geborenen Mutter und ihrem 2004 geborenen Bruder, dem Kläger im Berufungsverfahren L 7 AS 543/19, in einer Bedarfsgemeinschaft in F. zusammen, die seit Jahren beim Beklagten im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehen. Ihnen wurde im Streitzeitraum Arbeitslosengeld II für Dezember 2016 in Höhe von 1.289 EURO monatlich und für Januar - Juli 2017 in Höhe von 1.334,42 EURO monatlich bewilligt (Bescheid vom 7. Dezember 2016). Die Klägerin erhielt ferner die Schülerbedarfspauschale in Höhe von 100 EURO gemäß § 28 Abs. 3 SGB II (Bescheide vom 15. Juni und vom 7. Dezember 2016).

Die Klägerin besuchte im Schuljahrgang 2016/2017 die 5. Klasse in der Oberschule G.. Das didaktische Unterrichtskonzept der Oberschule G. beinhaltet den Einsatz eines Tablet-Computers des Herstellers Apple, der nicht von der Schule, sondern von den Eltern gestellt werden muss. Dabei bereitet Apple die iPads für eine Bildungseinrichtung vor, die in gesperrter Form bei der Schule ankommen, dort mit einer Geräteverwaltungssoftware aktiviert und mit den für den Schulgebrauch benötigten Apps „gepusht“ und einem Schüler zugewiesen werden. Für die Anwendungsverwaltung und Datenspeicherung setzt die Oberschule G. auf iClouds. Apple erlaubt Bildungseinrichtungen, speziell verwaltete Apple-IDs einzurichten, welche bis zu 200 GB kostenlosen iCloud-Speicherplatz bereitstellen. Die logistische Beschaffung und die technische Vorbereitung hat die Oberschule G. an die Gesellschaft für digitale Bildung mbH übertragen, die das iPad als Paket mit einer Schutzhülle und einer Versicherung anbietet. Bei Bedarf kann die Anschaffung der Geräte nach sozialen Kriterien gefördert werden. Neben dem Sofortkauf bietet die Gesellschaft für digitale Bildung mbH den Mietkauf bei 36 Monatsraten bzw. eine Geräteanmietung über eine Laufzeit von 24, 36 oder 48 Monaten an.

Im Februar 2017 beantragte die Klägerin die Erstattung der Kosten für ein am 1. Dezember 2016 erworbenes Apple iPad Air II 32 GB in Höhe von 380 EURO und legte eine Bestätigung der Schule vom 7. Februar 2017 über zwei Kaufvarianten vor. Dabei war das Kästchen zu dem Feld: “Kauf 380 € einmalig“ angekreuzt, während das weitere Feld: “Mietkauf 11 € monatlich (36 Monate)“ freigeblieben war. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. Februar 2017 und Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 den Antrag ab, weil die Klägerin die Ausstattung des persönlichen Schulbedarfs bereits erhalten habe und § 28 SGB II keine Rechtsgrundlage für darüberhinausgehende Aufwendungen vorsehe. Eine Kostenübernahme könne nur im Rahmen eines Darlehens gemäß § 24 SGB II erfolgen.

Am 5. Oktober 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Hannover Klage erhoben und vorgetragen, eine Schwester ihrer Mutter habe das Geld für den Kauf darlehensweise zur Verfügung gestellt, die den Betrag zwischenzeitlich zurückerhalten habe. Die Variante des Mietkaufes habe ihre Mutter nicht gewählt, weil das teurer gewesen wäre. Die Möglichkeit, über die Gesellschaft für digitale Bildung ein günstigeres Tablet für SGB II-Empfänger zu erhalten, sei nicht bekannt gewesen. Schulbücher würden in der Klasse nicht mehr gebraucht. Stattdessen werde mit einer Guthabenkarte die Software über eine App zur Verfügung gestellt. Stifte und ähnliches Schulmaterial würden ebenfalls nicht mehr benötigt. Für Kunst sei für dieses Schuljahr kein zusätzlicher Bedarf angefallen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass ein iPad eine einmalige Leistung darstelle, die nur über ein Darlehen finanziert werden dürfe.

Das Sozialgericht Hannover hat mit Urteil vom 5. Juli 2019 die angegriffenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Leistungen in Höhe von 380 EURO für ein iPad Air II zu gewähren, sowie die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin aus § 21 Abs. 6 SGB II ergebe. Es handele sich bei den Kosten für das iPad um einen besonderen Bedarf in einer Sondersituation, der nicht von der statistischen Durchschnittsberechnung umfasst werde. Die Klägerin benötige das iPad für ihre Schulausbildung, weil die Oberschule G. dies verpflichtend vorgeschrieben habe. Der Bedarf werde nicht durch die bereits gewährte Schülerpauschale gedeckt. Da in dieser Schule keine (an sich vom Beklagten zu übernehmenden) Schulbücher benötigt würden, weil diese in digitaler Form auf dem iPad über eine Guthabenkarte aufgespielt werden, sei die Anschaffung des iPads eine Art Schlüssel zur Nutzung der digitalen Schulbücher und könne deshalb vom Schulbuchbedarf nicht getrennt werden. Vielmehr müssten beide als Einheit angesehen werden. Es handele sich um einen laufenden und nicht nur einmaligen Bedarf. Da das Tablet in Bezug auf den Schulbuchbedarf mit den zur Freischaltung der digitalen Schulbücher benötigten Karten eine Einheit darstelle, seien in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal beide gemeinsam zu betrachten. Auch in den folgenden Schuljahren müssten die für den jeweiligen Jahrgang digital vorgesehenen Schulbücher freigeschaltet werden. Der Bedarf sei unabweisbar gewesen. Die Mutter der Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass ihr die Möglichkeit eines vergünstigten Kaufes nicht bekannt gewesen sei. Da sie die Berechtigungsscheine für Leistungen auf Bildung und Teilhabe vorgelegt habe, hätte sie erwarten können, dass die Schule sie von etwaigen Sonderregelungen für sozial schwache Familien informiert hätte.

Gegen das am 8. August 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. August 2019 Berufung eingelegt. Beim iPad handele es sich um einen einmaligen Bedarf, der nicht über § 21 Abs. 6 SGB II abgewickelt werden könne. Das Tablet könne für die gesamte weitere Schulzeit bis zur 10. Klasse genutzt werden, sodass eine Wiederkehr der Bedarfslage nicht zu erwarten sei. Mit dem einmaligen Erwerb des Tablets habe sich die diesbezügliche Mangellage dauerhaft erledigt. Die Guthabenkarten für die Freischaltung der benötigten Schulbuchsoftware auf dem Tablet müssten von den Schülern für jedes Schuljahr jeweils gesondert erworben werden und bildeten mit dem Tablet keine Einheit. Die Schulbedarfspauschale erfasse auch höherwertige technische Geräte, wie die ausdrückliche Erwähnung von Taschenrechnern in der gesetzlichen Begründung zeige. Eine deutliche Bedarfsunterdeckung liege nicht vor. Da in Niedersachsen eine insgesamt zwölfjährige Schulpflicht bestehe, habe die Klägerin für die nächsten sieben Jahre einen Anspruch auf die Schülerbedarfspauschale von ca. 700 EURO, wobei sich der Kauf eines Großteils der in der Begründung zu § 28 Abs. 3 SGB II aufgeführten Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien nahezu vollständig erübrige. Hinzu kämen die Regelbedarfsanteile in der Abteilung 09 EVS von ca. 96 EURO monatlich, sodass für die Jahre der Schulpflicht der Klägerin prognostisch für Schulbedarfe einschließlich Datenverarbeitungsgeräte ein Betrag von 1.370 EURO zur Verfügung stehe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Hannover vom 5. Juli 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Der Schulleiter der Oberschule G., Herr H., hat auf Anfrage des Senates am 21. September 2020 folgendes mitgeteilt: Die Entscheidung für die Geräte der Fa. Apple sei unter Einschaltung sämtlicher Gremien getroffen worden, weil dies die günstigste Variante gewesen wäre. Bei Geräten anderer Hersteller müsste zusätzlich weitere Software angeschafft werden, um den gleichen technischen Stand zu erreichen, was teurer geworden wäre. Der Schulelternrat habe der Umstellung auf den digitalen Unterricht für die gesamte Schule zugestimmt. Andere Klassen ohne iPad seien seitdem nicht mehr vorgesehen. Da die Geräte auch für den privaten Gebrauch bestimmt seien, habe die Schule die Möglichkeit einer Leihe nicht in Erwägung gezogen, weil die Eigentumsrechte beim jeweiligen Nutzer verbleiben müssten. Die Berechtigung der Klägerin auf Leistungen für Bildung und Teilhabe sei der Gesellschaft für digitale Bildung angezeigt worden. Auf die weitere Frage, aus welchen Gründen die Schule der Klägerin ein iPad GB 32 (380 EURO), ihrem Bruder - Berufungsverfahren L 7 AS 543/19 - aber ein iPad GB 64 (510 EURO) vorgeschrieben habe, teilt der Schulleiter mit, es gäbe grundsätzlich Empfehlungen für die technische Spezifikation der Geräte.

Wegen des vollständigen Vorbringens der Beteiligten und des umfassenden Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die kraft Zulassung durch das Sozialgericht statthafte und im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Klageabweisung, weil die Klägerin keine Kostenübernahme für den Sofortkauf eines iPad 9.7 (32 GB) sowie einer Schutzhülle und einer Versicherung als Zuschuss verlangen kann. Eine Rechtsgrundlage für dieses Begehren ist nicht ersichtlich.

1. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 7. Dezember 2016 für den Leistungszeitraum Dezember 2016 – Juli 2017 der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2017 über die zusätzliche Schülerausstattung (iPad, Schutzhülle und Versicherung) in Höhe von 380,00 EURO. Kein Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die darlehensweise Leistungsgewährung nach § 24 Abs. 1 SGB II, weil die Klägerin diese Leistungsform nicht begehrt.

2. Die Klägerin erfüllt die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II; ein Ausschlusstatbestand liegt nicht vor. Die ihr zustehenden Leistungen aus dem SGB II sind mit dem Bewilligungsbescheid vom 7. Dezember 2016 richtig berechnet worden. Ein darüber hinaus gehender Anspruch steht der Klägerin neben der zusätzlich bewilligten Schülerpauschale nach § 28 Abs. 3 SGB II nicht zu.

3. Kosten für digitale Geräte sind zum einen bereits vom Regelbedarf im Sinne des § 20 Abs. 1 SGB II erfasst. Bei den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in der Abteilung 09 für Kinder von 6 bis unter 14 Jahren wird unter der laufenden Nummer 49 der Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 ein Betrag von 2,88 EURO monatlich für Datenverarbeitungsgeräte sowie System- und Anwendungssoftware (einschließlich Downloads und Apps) angeführt. Als weitere einschlägige Positionen werden in derselben Abteilung 09 unter der laufenden Nummer 50 ein Betrag von 2,64 EURO monatlich für Bild-, Daten- und Tonträger sowie unter der laufenden Nummer 62 ein Betrag von 2,88 EURO monatlich für sonstige Gebrauchsgüter für Schule, Büro, Unterhaltung und Freizeit angeführt (Bundestagsdrucksache 18/9984 S. 66 und 67). Unerheblich ist es für den hier zu beantwortenden systematischen Zusammenhang, dass dieser Bedarf nicht unter der Rubrik Bildung (Abteilung 10) erfasst wird, weil es allein darauf ankommt, dass entsprechende Bedarfe vom Regelsatz erfasst sind, nicht aber, unter welcher Abteilung, zumal der Regelbedarf nach eigenem Gutdünken eingesetzt werden kann selbst für Dinge, die in der EVS gar nicht erfasst werden. Neben der Schülerbedarfspauschale entfallen mithin 8,40 EURO monatlich (100,80 EURO jährlich) auf das hier streitige Verbrauchsverhalten der Klägerin. Selbst wenn bei der Datenerhebung im Jahre 2013 Tablets ggf. noch nicht weit verbreitet waren, muss ein iPad der Rubrik „Datenverarbeitungsgerät“ zugeordnet werden. Denn diese erfasst jedes entsprechende Gerät unabhängig von der Frage, ob Daten durch einen fest installierten PC, ein Laptop oder ein Tablet verarbeitet werden. Dies bedeutet, dass der geltend gemachte Bedarf grundsätzlich vom Regelbedarf erfasst wird, auch wenn möglicherweise in unzureichender Höhe. Dies zu entscheiden obliegt dem Gesetzgeber. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht, weil ein Tablet nicht zur Sicherung des Existenzminimums eines Schülers zwingend erforderlich ist.

4. Zum anderen sind auch in dem der Klägerin bereits bewilligten sog. Schülerstarterpaket nach § 28 Abs. 3 SGB II in der bis zum 31. Juli 2019 gültigen Fassung (a.F.) Kosten für die digitale Ausstattung von Schülerinnen und Schülern enthalten. Ein darüber hinaus gehender Anspruch der Klägerin besteht ebenfalls nicht. Nach § 28 Abs. 3 SGB II a.F. erhalten Schüler und Schülerinnen für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf zum 1. August 70,00 EURO und zum 1. Februar eines jeden Jahres 30,00 EURO. Anknüpfend an die Vorläuferregelung des § 24a SGB II a.F. verfolgt das Schülerstarterpaket das Ziel, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen und Leistungsberechtigte bei der Erlangung einer höheren Qualifikation zu unterstützen, damit Schülerinnen und Schülern die Anschaffung von Materialien ermöglicht wird, die für den Schulbesuch benötigt werden (Bundestagdrucksache 16/13429 S. 49). Zwar sollen Schülerbedarfspauschalen nach der Gesetzesbegründung neben dem Schulranzen in erster Linie die jährlich benötigten Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien abdecken (Bundestagsdrucksache 16/10809 S. 16). Die Erhöhung der Schülerpauschale um 30,00 EURO ab dem 1. August 2019 hat der Gesetzgeber aber damit begründet, dass insbesondere der zunehmenden Digitalisierung in der Schule Rechnung getragen werde und ein damit einhergehender erhöhter Bedarf erfasst werden müsse. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber schon nach alter Rechtslage, wenn auch in geringerer Höhe, die anfallenden Kosten eines digitalen Einsatzes in der Schule mit der Schülerpauschale erfassen wollte.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Höhe des Regelsatzes in § 20 Abs. 1 SGB II und der Leistungen zur Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II grundsätzlich nicht als in verfassungswidriger Weise zu niedrig angesehen (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 -, SozR 4-4200 § 20 Nr. 20, Rdn. 122ff.). Es kann schon deshalb offen bleiben, ob die Schülerpauschale auskömmlich ist, weil – wie später zu zeigen sein wird (Ziffer 6) – der Gesetzgeber sich bei der hier streitigen Versorgung von Schülern mit Tablets anlässlich eines digitalen Unterrichts nicht für den Weg über das SGB II entschieden, sondern die Ausstattung über die Länder/Schulverwaltungen, die entsprechende Haushaltsmittel erhalten, vorgezogen hat.

5. Ein Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II liegt nicht vor.

a) Bei Leistungsberechtigten wird nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Die Härteklausel ist auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 – (SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) zurückzuführen, wonach ein in Sonderfällen auftretender Bedarf nicht erfasster Art oder atypischen Umfanges in der EVS nicht aussagekräftig ausgewiesen wird und deshalb durch eine besondere Regelung aufgefangen werden muss. Er entsteht aber erst, wenn der Bedarf so erheblich und untypisch ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt.

b) Als erste Anspruchsvoraussetzung nach § 21 Abs. 6 SGB II ist eine laufende und nicht nur einmalige Bedarfslage erforderlich.

aa) - Das ist der Fall, wenn der Bedarf regelmäßig wiederkehrt oder dauerhaft oder längerfristig besteht; für die Beurteilung der Regelmäßigkeit ist auf den Bewilligungsabschnitt abzustellen (Bundestagsdrucksache 17/1465 S. 9). Die Neuanschaffung muss deshalb innerhalb eines Jahres nicht nur einmal getätigt worden sein. Um dem systematischen Zusammenhang im Leistungsregime des SGB II Rechnung zu tragen, wonach regelmäßig laufende Bedarfe, die nicht vom Regelsatz ausreichend erfasst sind, zusätzlich über die Härtefallklausel des § 21 Abs. 6 SGB II zu decken sind, während einmalige Bedarfsspitzen für Kosten, die aus dem Regelsatz zu bestreiten sind, nur darlehensweise gemäß § 24 Abs. 1 SGB II abgedeckt werden, ist der Anwendungsbereich des § 21 Abs. 6 SGB II nicht eröffnet, wenn ein Verbrauchsgut nur einmal erworben wird, auch wenn die Nutzung sich auf einen längeren Zeitraum erstreckt (BSG, Urteil vom 12. September 2018 - B 4 AS 33/17 R -, SozR 4-4200 § 20 Nr. 24, Rdn. 38).

bb) - Unzutreffend ist die Auffassung des Sozialgerichts, dass iPad und Schulsoftware als Einheit und somit beide als laufender Bedarf anzusehen seien. Das Tablet ist als Hardware von der Unterrichtssoftware, die zusätzlich in jedem Schuljahr erworben werden muss und insoweit mit den Schulbüchern vergleichbar ist, strikt zu unterscheiden. Eine Trennung ist unproblematisch möglich. Die Waschmaschine als klassischer, einmaliger Bedarf (vgl. Bundestagsdrucksache 17/1465 S. 8) wird auch nicht zum laufenden Bedarf, weil in der Folgezeit Strom, Wasser und Spülmittel benötigt werden bzw. Wartung und Reparaturen anfallen.

cc) - Für die Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II genügt jedoch, wenn der geltend gemachte Mehrbedarf prognostisch typischerweise nicht nur ein einmaliger Bedarf ist (ausführlich: Köhler in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: März 2020, § 21 Rdn. 74). Das trifft z. B. auf den Bedarf für Schulbücher zu, die bei fehlender Lernmittelfreiheit typischerweise nicht nur einmalig oder auch nicht nur einmalig in einem Schuljahr anzuschaffen sind, sondern prognostisch laufend während des mehrjährigen Schulbesuches (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 31, Rdn. 29). Erforderlich ist weiterhin, dass der Zeitpunkt der Neuanschaffung im Voraus genau feststeht und dass diese Ausgabe mehrmals anfallen wird. Anders als die Schulbücher wird das hier streitige iPad jedoch nur einmal erworben und nicht in jedem Schuljahr laufend von neuem. Es ist davon auszugehen, dass die Lebensdauer der Geräte sechs Jahre beträgt. Die Eltern sind von der Schule darüber informiert worden, dass sie für die folgenden Schuljahre kein weiteres Gerät anschaffen müssen.

c) § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II verlangt ferner, dass der Bedarf in einer atypischen Lebenslage entstanden ist. Die Atypik kann sich sowohl daraus ergeben, dass der Bedarf bereits seiner Art nach nicht bei der Ermittlung des Regelbedarfes berücksichtigt wurde, als auch daraus, dass er an sich zwar vom Regelbedarf erfasst ist, aber aufgrund besonderer Lebensumstände seiner Höhe nach in atypischem Umfang anfällt (Bundestagsdrucksache 17/1465 S. 8). Der Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II hat aber nicht die Funktion, unzureichende Regelleistungen aufzustocken, auch wenn dies aus sozialpolitischer Sicht sinnvoll wäre.

aa) - Eine derartige Atypik ist hier nicht feststellbar. Der digitale Schulbedarf eines Kindes ist, wie ausgeführt, dem Grunde nach im Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 SGB II und in den Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 3 SGB II aF erfasst, deren Höhe nicht evident unzureichend ist. Zwar hat das BSG eine Atypik und einen strukturell unzutreffend erfassten Bedarf für Schüler angenommen, die – wie in Niedersachsen – Schulbücher mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 31). Diese Entscheidung mag auf die Software und auf die Lizenz für die verwendeten Apps im Digitalunterricht übertragbar sein – was hier offenbleiben kann -, nicht aber auf das Tablet selbst. Denn die Deckung von Bedarfen für den Schulunterricht, die der Durchführung des Unterrichts selbst dienen, liegt in der Verantwortung der Schule und darf von den Schulen oder Schulträgern nicht auf das Grundsicherungssystem abgewälzt werden (BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R -, SozR 4-4200 § 28 Nr. 8 juris Rdn. 27). Folglich muss ein Tablet in einer iPad-Klasse wie bei der sonstigen Logistik, z.B. einer Tafel oder einem Overheadprojektor, von der Schule selbst gestellt werden. Die Anschaffung der Hardware für den digitalen Schulunterricht durch die Eltern betrifft Länder mit Lernmittelfreiheit und ohne eine solche gleichermaßen. Entscheidet sich eine niedersächsische Schule zur Einrichtung von iPad-Klassen, muss sie nach dem Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 1. Januar 2013 den Erziehungsberechtigten sowie den volljährigen Schülerinnen und Schülern anbieten, Lernmittel gegen ein Entgelt auszuleihen, wobei Empfänger von Leistungen nach dem SGB II von der Zahlung des Entgelts freizustellen sind.

bb) - Die Atypik kann darüber hinaus nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Bedarf eines Schülers in einer iPad-Klasse erheblich von dem typischen Bedarf eines sonstigen Schülers abweicht und in überdurchschnittlicher Höhe anfällt. Das BSG hat nämlich bei einem grundsätzlich vom Regelbedarf umfassten einmaligen Bedarf Unterdeckungen in erheblicher Höhe, nämlich von 217,00 EURO (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 33/17 R –, SozR 4-4200 § 20 Nr. 24, Rdn. 35 f.) und sogar von 600,00 bis 750,00 EURO (BSG, Urteil vom 29. Mai 2019 – B 8 SO 8/17 R -, SozR 4-4200 § 24 Nr. 8, vgl. dazu den vollständigen Tatbestand in LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. April 2017 - L 8 SO 234/16 -), als unproblematisch angesehen. Zwar geht es bei der Anschaffung von Tablets, insbesondere bei den hochpreisigen Geräten der Firma Apple, wie vorliegend die Schule dies vorschreibt, um beachtliche Beträge, deren Finanzierung zusätzlich zu den laufenden Lebenshaltungskosten nicht nur in Haushalten von Empfängern von Grundsicherungsleistungen erhebliche Anstrengungen erfordert. Eine atypische Lebenssituation ist aber insbesondere nicht im Vergleich zu den Beziehern von Kinderzuschlag oder den Familien darstellbar, die trotz Erwerbstätigkeit der Eltern nur geringfügig die Schwelle zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II überschreiten. Zudem ist oben bereits hervorgehoben worden, dass im Regelbedarf für Kinder bis zu 14 Jahren jährlich ca. 100,00 EURO im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Schulunterrichts enthalten sind. Hinzu kommt die Schülerpauschale gemäß § 28 Abs. 3 SGB II a.F. in Höhe von 100,00 EURO im Jahr. Da zur Deckung der Digitalisierungsbedarfe also zusätzlich zu der Ansparrate des Regelsatzes jährlich die genannten Leistungen zufließen, das iPad aber nur einmalig als Bedarf anfällt, ist nur sicher zu stellen, dass die einmalige Anschaffung im Bedarfsfall durch Darlehen gemäß § 24 Abs. 1 SGB II zwischenfinanziert wird. Dadurch wird auch SGB II – Leistungsempfängern ermöglicht, an einer iPad – Klasse teilzunehmen und eine Stigmatisierung dieses Personenkreises ist deshalb nicht zu befürchten.

cc) – Eine Atypik kann ferner nicht durch die nachträglichen Erfahrungen des online-Schulbetriebs im Frühjahr anlässlich der COVID 19 – Pandemie begründet werden. Trotz Befreiung von der Präsenzpflicht verfügten die Schüler in dieser Zeit bereits über Schulbücher, Arbeitshefte, Atlanten usw., mit denen sie weiterhin zu Hause arbeiten konnten. Ein Tablet war während dieser Phase nicht erforderlich, auch nicht, um eventuelle online-Schulangebote in Anspruch zu nehmen. Die Schüler haben lediglich eine Möglichkeit benötigt, um mit den Lehrern zu kommunizieren und sich auf die Schulplattform einwählen zu können, damit sie über Hausaufgaben und Ähnliches informiert werden. Hierfür wurden allenfalls ein PC und möglicherweise ein Drucker benötigt, die, falls im elterlichen Haushalt nicht vorhanden, gebraucht beide unter 100 EURO (www.gebrauchtcomputer24.de) - also in Höhe der Pauschale für den persönlichen Schulbedarf - erworben werden konnten. Anders als bei einer iPad-Klasse wurde während des pandemiebedingten online-Schulbetriebs von keinem Schüler verlangt, dass er zusätzlich zu den reinen Anschaffungskosten auch interne Aufwendungen der Schule für die weitere Logistik und Betreuung - vgl. unten zu d) cc) - übernehmen muss, was die erhebliche Differenz zwischen dem Handelspreis eines Tablets und dem an den Dienstleister der Schule abzuführenden Betrag erklärt. Ein Vergleich mit der besonderen Situation während der COVID 19 – Pandemie ist deshalb nicht schlüssig.

d) Schließlich ist ein unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II nicht feststellbar.

aa) - Grundsätzlich ist bei Anwendung des Statistikmodells für die Ermittlung des Regelbedarfes davon auszugehen, dass der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestaltet, insbesondere durch den Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen und durch das Zurückgreifen auf das Ansparpotential, dass er mit dem Pauschalbetrag auskommt. Ein statistisch nicht erfasster laufender Bedarf ist jedoch über die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II aufzufangen, soweit dieser unabweisbar ist. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Regelsatz-Entscheidung davon aus, dass ein solch unabweisbarer Bedarf „im Angesicht seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen wird“ (Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 -, SozR 4-4200 § 20 Nr. 12 Rdn. 208). Der Kauf eines Tablets zwecks Teilnahme an einer iPad-Klasse stellt keinen unabweisbaren Bedarf dar, um im Einzelfall das menschenwürdige, soziokulturelle Existenzminimum eines Schülers zu sichern.

bb) - Es steht außer Streit, dass ein notwendiger Schulbedarf, also Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten, der zwingend anlässlich der Schulbildung von Kindern und Jugendlichen entsteht, unabweisbar und grundsätzlich über SGB II-Leistungen zu liquidieren ist. Ob ein Schulbedarf notwendig ist, muss allerdings nach objektiven Kriterien bestimmt werden und darf nicht durch die einzelnen Schulen normativ und grundsicherungsrechtlich verbindlich vorgegeben werden. Beim unabweisbaren Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II muss nämlich hinsichtlich des Standards auf die herrschenden Lebensgewohnheiten unter Berücksichtigung einfacher Verhältnisse abgestellt werden (BSG, Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 45/08 R -, SozR 4-4200 § 23 Nr. 5; BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R -, SozR 4-4200 § 28 Nr. 8 Rdn. 29). Nach diesen Maßstäben stellt die Anschaffung eines Tablets, solange nicht alle Schüler, insbesondere die aus einkommensschwachen Familien knapp oberhalb des SGB II-Bezuges oder auch Bezieher von Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz, von der Schulverwaltung mit einem iPad versorgt werden, einen Luxus dar und keinen im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II notwendigen Schulbedarf. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Herausforderung des digitalen Wandels auch eine spezifische digitale Bildung erfordert. Denn der Umgang und das Lernen mit digitalen Medien vermitteln Schlüsselkompetenzen für eine digital geprägte Welt und bereiten auf die Qualifikationsanforderungen der digital geprägten Arbeitswelt vor. Das bedeutet aber, dass Bildungsgerechtigkeit die digitale Teilhabe aller Schüler einkommensschwacher Familien voraussetzt und nicht nur der SGB II –Leistungsbezieher. Das gilt umso mehr, als die Schulen sich für hochpreisige Geräte einer einzelnen Firma entschieden haben und der dafür aufzuwendende Betrag je nach Schule für das im Wesentlichen gleiche Gerät (32 GB) erheblich voneinander abweicht (Berufungssache L 7 AS 219/19: 575 EURO, L 7 AS 66/19: 320 EURO, L 7 AS 505/19: 380 EURO, L 7 AS 199/19: 330 EURO, bei der BBS Rinteln: 289 EURO). Die Bundesregierung hat übrigens bei der Berechnung des 5,5 Milliarden umfassenden Digitalschule-Pakets von Bund und Ländern im August 2020 einen Betrag von 150 EURO pro Endgerät zugrunde gelegt (www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/digitalpaket-schule-das-smarte-klassenzimmer).

Zu unterschiedlich ist auch die Handhabung durch die jeweilige Schule, die nicht immer – wie vorliegend – ihre Verantwortung auf die Eltern bzw. auf das Jobcenter abwälzt. So hat z.B. die Integrierte Gesamtschule I. (Berufungsverfahren L 7 AS 219/19) neben der Option eines Sofortkaufes bzw. Ratenkaufes über die Gesellschaft für digitale Bildung mbH vorbildlich die Möglichkeit eines privatrechtlichen Leihvertrages mit der Schule selbst zur Verfügung gestellt. Dabei bleibt das Leihgerät Eigentum der Schule und muss lediglich auf Aufforderung der Schulleitung während der Ferien in der Schule verbleiben. Von den Schülern zu entrichten ist dafür eine einmalige Leihgebühr von 50 EURO, die bei endgültiger Rückgabe des Gerätes erstattet wird.

cc) Zweifel an der Unabweisbarkeit des Bedarfs bestehen auch deshalb, weil infolge der Abwicklung durch einen externen Dienstleister die Klägerin nicht nur die Kosten für die Anschaffung eines Tablets zu zahlen hat, sondern auch für interne Kosten der Schule aufkommen müsste, die eindeutig nicht dem Leistungskatalog des SGB II zuzuordnen sind. Mit dem im Vergleich zum üblichen Handelspreis überhöhten Betrag zahlt der Schüler nicht nur den Wert des Tablets, sondern auch Leistungen, die die Fa. Apple bzw. die Gesellschaft für digitale Bildung mbH an die Schule erbringt, z.B. die Steuerung über einen Zentralrechner, Administration, Konfiguration, Verwaltung von Apps und iClouds, Betreuung und Schulung des Lehrkörpers. Allein deswegen ist die sonst naheliegende Schlussfolgerung, der unabweisbare Bedarf ergebe sich zwingend daraus, dass die Schule die Verwendung eines iPads vorschreibe, nicht überzeugend. Der wesentliche Unterschied zu der Definitionsmacht der Schule anlässlich Schulausflügen und Klassenfahrten in § 28 Abs. 2 SGB II besteht nämlich darin, dass es dort um die Vermittlung von Lerninhalten durch bestimmte Schulaktivitäten geht, während bei den iPad – Klassen die technische Ausstattung der Schule und die Bereitstellung eines neuen Lernhilfsmittels im Vordergrund stehen.

dd) - Die Annahme eines unabweisbaren Bedarfs scheitert vorliegend auch daran, dass die Teilnahme der Klägerin an einer iPad-Klasse nicht zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich war. Der Begriff der Unabweisbarkeit des Bedarfes beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG, dass der Bedarf auch nicht durch alternative Handlungen abgewendet oder vermindert werden kann (BSG, Urteil vom 1. Juni 2010 – B 4 AS 63/09 R -). Ihren Bildungsabschluss hätte die Klägerin auch an anderen Schulen ohne iPad-Klassen erreichen können, zudem sie keinen konkreten Grund angeben konnte, warum sie keine Schule an ihren Wohnort besucht, sondern eine 20 km weiter entfernte Schule in der Region. Die Teilnahme an einer iPad-Klasse war weder schulrechtlich vorgeschrieben noch ist sie grundsicherungsrechtlich in der Weise geschützt, dass alle SGB II - Leistungsempfänger vom Jobcenter ein Tablet erhalten müssen. Es darf nicht übersehen werden, dass der SGB II - Gesetzgeber nicht jede Kostenübernahme anlässlich der Entscheidung der Eltern, welche Schule mit welchem Schwerpunkt ihre Kinder besuchen sollen, in Aussicht stellt, wie die differenzierte Regelung für die Schülerbeförderungskosten in § 28 Abs. 4 SGB II zeigt. Der Klägerin war deshalb zuzumuten, in eine Klasse ohne iPad-Nutzung zu wechseln, weil der Senat vor diesem Hintergrund einen Schulwechsel nicht von vornherein als unzumutbar ansieht.

ee) - Ein unabweisbarer Bedarf ist schließlich auch deshalb zu verneinen, weil für die mittellose Familie der Klägerin selbst bei deren Teilnahme an dem schulischen Angebot einer iPad-Klasse kein Sofortkauf eines Tablets angezeigt war. Als zumutbare Alternative zum Sofortkauf kam der Mietkauf eines iPads in Betracht. Die auf 36 Monate anfallenden Raten von 11,00 EURO monatlich sind im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers in § 42 a Abs. 2 SGB II, Darlehensforderungen durch monatliche Aufrechnungen in Höhe von 10 Prozent des Regelbedarfes zu tilgen, nicht zu beanstanden. Im Übrigen hat die Mutter der Klägerin gezeigt, dass sie die von ihrer Schwester geliehenen ca. 900 EURO für den Kauf der iPads für beide Kinder in kurzer Zeit aus den erhaltenen SGB II – Leistungen zurückzahlen konnte.

6. Eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II ist ausgeschlossen, weil digitaler Schulbedarf – wie ausgeführt - dem Grunde nach vom Regelsatz oder von den ergänzenden Bedarfen für den Schulbesuch in § 28 SGB II erfasst wird und deshalb eine planwidrige Regelungslücke nicht zu erkennen ist (Wietfeld, NZS 2019, 801, 807; Schwabe in Gagel, SGB II/SBG III, Stand: März 2020, § 28 SGB II Rdn. 20; Knickrehm in Festschrift Kothe, S. 733). Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke würde dem Zweck dieser Vorschrift, Bedarfsspitzen für einmalige Anschaffungen, die dem Grunde nach durch die Regelleistung erfasst werden, durch einen Zuschuss aufzufangen, und dem systematischen Zusammenhang dieser Vorschrift mit § 24 Abs. 1 SGB II zuwiderlaufen, wonach laufende Bedarfe, die eigentlich durch die Regelleistung erfasst sein müssten, durch Darlehen gedeckt werden. Eine analoge Anwendung würde ferner dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widersprechen, der die Ausgaben für Datenverarbeitungsgeräte in der Regelleistung und den zusätzlichen digitalen Schulbedarf in der Schulbedarfspauschale in § 28 Abs. 3 SGB II erfasst hat. Zudem spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke die vom Gesetzgeber während der COVID 19 – Pandemie bestätigte Zuordnung der hier streitigen Bedarfe an ein Leistungssystem außerhalb des SGB II. Die Parlamentsmehrheit hat die von vielen Stellen geforderte (vgl. z.B. Bundestagsdrucksache 19/18945) einmalige Erhöhung der Schülerbedarfspauschale für Kinder und Jugendliche einkommensarmer Haushalte zum Kauf eines schulgebundenen mobilen Endgeräts, um nach den Schulschließungen den online-Austausch mit den Lehrern zu ermöglichen, mit der Begründung abgelehnt, dies sei Aufgabe der Schulverwaltungen, und stattdessen den Ländern 5,5 Milliarden EURO als Bedarfspaket „Digitales Klassenzimmer“ zur Verfügung gestellt (vgl. https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/47-millionen-euro-fur-digitale-endgerate-188407.html). Hält ein Gericht diese Gesamtregelungen im Hinblick auf das durch das SGB II zu sichernde soziokulturelle Existenzminimum für nicht auskömmlich, muss es diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Das Gericht darf aber nicht im Wege einer analogen Anwendung seine eigene Meinung an die Stelle der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung setzen.

7. Soweit Entscheidungen vereinzelt einen Anspruch auf bestimmte, nach dem Leistungsregime des SGB II nicht als Zuschuss vorgesehene Schulbedarfe mit Hinweis auf die Stellung des Jobcenters als „Ausfallbürgen“ begründen, liegt diesem Ansatz ein Missverständnis höchstrichterlicher Rechtsprechung zugrunde, die folglich nicht auf iPad-Klassen übertragbar ist. Der 14. Senat des BSG hat in seiner Schulbuch-Entscheidung (Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 6/18 R -, Rdn. 31) die Figur des Jobcenters als „Ausfallbürgen“ nur für die Sondersituation des vom Regelbedarf nicht erfassten und atypischen Bedarfes für Schulbücher bemüht, wenn in einem Bundesland keine Lernmittelfreiheit besteht. Ein iPad wird aber als Datenverarbeitungsgerät vom Regelbedarf erfasst und tangiert die Frage der fehlenden Lernmittelfreiheit in Niedersachsen nicht. Nichts Anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung des 8. Senates des BSG zum Eingliederungshilferecht. Danach hat der Sozialhilfeträger bei einem wesentlich behinderten Kind eine nachrangige Leistungspflicht für die Kosten eines Schulbegleiters (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 - B 8 SO 8/15 R -, SozR 4-3500 § 53 Nr. 5, Rdn 30) bzw. für die Schülerbeförderung (BSG, Urteil vom 21. August 2017 - B 8 SO 24/15 R -, SozR 4-3500 § 54 Nr. 16, Rdn. 18), selbst wenn der Schulträger (möglicherweise rechtswidrig) diese Leistungen nicht erbringt, aber nur dann, wenn eine Hilfe außerhalb des Kernbereichs pädagogischer Arbeit im Streit steht. Selbst wenn vorliegend die Umstellung auf den digitalen Schulunterricht den Kernbereich pädagogischer Arbeit nicht berühren sollte, unterscheiden sich die vom BSG entschiedenen Fälle zu der vorliegenden Fallkonstellation darin, dass ohne Schulassistenz bzw. ohne Beförderung zur Schule mit einem Spezialfahrzeug das behinderte Kind überhaupt nicht an irgend einem Schulbetrieb hätte teilnehmen können. Bei dem hier streitigen Verbraucherverhalten sind aber auch ohne Teilnahme an einer iPad-Klasse der Schulbesuch sowie das Erreichen des Schulabschlusses möglich. Eine über die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II hinausgehende Einstandspflicht des Grundsicherungsträgers als „Ausfallbürgen“ besteht für den Kauf eines iPad nach geltendem Recht nicht.

8. Als Anspruchsgrundlage scheidet § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) aus, obwohl diese Regelung gemäß § 5 Abs. 2 SGB II auch bei Leistungsberechtigten nach dem SGB II grundsätzlich Anwendung findet. Danach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Diese Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt. Zwar erfasst § 73 SGB XII anders als § 21 Abs. 6 SGB II auch einmalige Bedarfe. Der Einsatz öffentlicher Mittel nach dieser Vorschrift ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Bedarfssituation einer „sonstigen Lebenslage“ vorliegt, die thematisch den Bedarfslagen des SGB II nicht zuzuordnen sind (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Februar 2020, § 73 Rdn. 4; BSG, Urteil vom 29. Mai 2019 - B 8 SO 8/17 R -, SozR 4-4200 § 24 Nr. 8 Rdn.15).

Der Bedarf für den Schulunterricht ist – wie ausgeführt – von Leistungen des SGB II erfasst. Schon daher rechtfertigt die Anschaffung von hochpreisigem Schulmaterial zwecks Teilnahme an einem Schulangebot wie bei einer iPad-Klasse keinen Einsatz von Sozialhilfeleistungen nach § 73 SGB XII.

Es kommt hinzu, dass die Oberschule G. durch die Vorgabe, nur Geräte eines bestimmten Herstellers zu dulden, gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen hat. Anders als bei den Schulbüchern, die jedes Schuljahr gewechselt und somit jederzeit bei einem anderen Verlag bestellt werden können, ist diese Option bei einem iPad und den damit durch Lizenz verbundenen Anwendungen eines bestimmten Herstellers für die Folgejahre nicht gegeben. Des Weiteren wird dieser Hersteller durch die Schule nicht nur mit einer exklusiven, ohne jegliche Ausschreibung veranlassten Schulausstattung begünstigt; vielmehr verschafft ihm die Schule durch die Produktplatzierung seines Einstiegsgeräts am Markt zu Lasten der Mitbewerber einen zusätzlichen Kundenstamm, damit die Schüler später weitere, teure, aber mit dem iPad vernünftigerweise zu verbindende Produkte der Fa. Apple (z.B. iPhone, Apple-Watch) erwerben können. Dieser Rechtsbruch darf nicht durch den Einsatz öffentlicher Mittel nach § 73 SGB XII unterstützt werden.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.