Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.10.2020, Az.: L 3 KA 31/20
Genehmigung einer Entlastungsassistentin zur Betreuung eines Kindes; Altersbeschränkung für Kinder
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.10.2020
- Aktenzeichen
- L 3 KA 31/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 50926
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BSG - 14.07.2021 - AZ: B 6 KA 15/20 R
Rechtsgrundlage
- § 32 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Ärzte-ZV
Fundstellen
- GesR 2021, 330-332
- MedR 2021, 377-380
Redaktioneller Leitsatz
Eine Altersbeschränkung des "Kindes" i.S.v. § 32 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Ärzte-ZV bezieht sich auf Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Genehmigung einer Entlastungsassistentin abgelehnt worden war.
Die Klägerin nimmt als Frauenärztin mit Praxissitz in G. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie und ihr Ehemann haben den am 1. Oktober 1999 in H. geborenen I. (im Folgenden: J.) und den am 24. Dezember 2005 ebenda geborenen K. (im Folgenden: L.) adoptiert. Am 16. Juli 2015 beantragte die Klägerin bei der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), ab sofort die Tätigkeit der Ärztin M. N. als Entlastungsassistentin für 20 Stunden wöchentlich bis zum 30. September 2017 zu genehmigen. Zur Begründung gab sie an, in Hinblick auf ihren Sohn J. bestehe für die Zeit der Pubertät des Adoptivkindes die Gefahr einer Retraumatisierung, woraus sich ein Zeitbedarf ergebe, der sich nicht mit einer vollen Arbeitstätigkeit als Selbstständige vereinbaren lasse.
Mit Bescheid vom 31. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, unter den Begriff des "Kindes" in § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) seien in Anlehnung an die Definition in § 1 Abs 1 des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) zur Abgrenzung vom "Jugendlichen" nur Personen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zu verstehen. Da das Adoptivkind vorliegend bei Antragstellung bereits 15 Jahre alt gewesen sei, sei es demnach inzwischen als Jugendlicher anzusehen.
Hiergegen legte die Klägerin am 14. September 2015 Widerspruch ein. In demselben Schreiben beantragte sie eine Entlastungsassistenz zur Betreuung ihres Sohnes L. zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Mit Bescheid vom 28. September 2015 erteilte die Beklagte der Klägerin die Genehmigung, die Ärztin N. in der Zeit vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2018 im Umfang von 20 Wochenstunden als Entlastungsassistentin in ihrer Praxis zu beschäftigen und bezog sich dabei auf den Antrag bezüglich der Betreuung des Adoptivkindes L ... Den Widerspruch vom 14. September 2015 lehnte sie mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2015 ab. Zur Begründung führte sie an, dass der Adoptivsohn J. bereits das 16. Lebensjahr erreicht habe und nach § 1 Abs 2 JuSchG deshalb als Jugendlicher anzusehen sei. Aus diesem Grund könne er nicht mehr als "Kind" iSv § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV angesehen werden. Diese Regelung sei auch sachgerecht. Denn dem Zweck der Regelung in der Ärzte-ZV, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, werde mit der Beschränkung einer Entlastungsassistenz für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr ausreichend Rechnung getragen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es auch die Möglichkeit der Beschränkung des Versorgungsauftrags, der Beschäftigung eines Kollegen mit Leistungsbegrenzung und der Verlängerung des in § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV vorgesehenen 36-Monatszeitraums gebe.
Hiergegen hat die Klägerin am 10. Januar 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte die Genehmigung der Entlastungsassistentin N. wegen deren Kündigung mit Wirkung zum 30. September 2017 aufgehoben (Bescheid vom 12. Oktober 2017). Mit Bescheid vom 6. April 2018 hat sie die Beschäftigung von Dr. O. als Entlastungsassistentin vom 1. April 2018 bis 31. März 2019 genehmigt. Einen weiteren Antrag der Klägerin (vom 1. Juli 2019), die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten bzw einer Entlastungsassistentin zu genehmigen, hat die Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 2020 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2020) abgelehnt und zur Begründung ua darauf hingewiesen, § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV sei nicht einschlägig, weil es sich nunmehr auch in Hinblick auf den Sohn L. nicht um die Erziehung eines Kindes handele, nachdem dieser inzwischen 14 Jahre alt geworden sei.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ausgeführt, soweit der Bescheid vom 31. August 2015 sich erledigt habe, stehe ihr ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu, weil mittlerweile die Fachärztin für Frauenheilkunde Dr. P. ihre Bereitschaft zur Tätigkeit als Entlastungsassistentin erklärt habe, die Beklagte aber an ihrer in dem Bescheid vom August 2015 geäußerten Rechtsauffassung festhalte. Dieser Bescheid sei rechtswidrig gewesen, weil der Wortlaut der Regelung in § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV die Zeiten der Erziehung von Kindern nicht in Hinblick auf das Lebensalter von Kindern begrenze. Das JuSchG, aus dem die Beklagte eine Altersgrenze von 14 Jahren ableiten wolle, verfolge gänzlich andere Ziele und Zwecke und könne deshalb vorliegend als Auslegungskriterium nicht herangezogen werden. Näher liege ein Rückgriff auf das Bundeskindergeldgesetz (BKGG), das in seiner Zweckrichtung mit § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 der Ärzte-ZV zu vergleichen sei. Sinn und Zweck dieser Regelung sei es, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, gerade im Hinblick auf die Erziehung von Kindern. Auch in Hinblick auf die besondere Situation bei Adoptivkindern, noch dazu mit afrikanischen Wurzeln und ungeklärter Herkunft, ende die Erziehungsphase und die Verantwortung keinesfalls mit dem 14. Lebensjahr. Schließlich sei auch auf die Regelungen der KÄV Q. zu verweisen, die davon ausgehe, dass § 32 Ärzte-ZV auch Erziehungsleistungen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes erfasse.
Mit Urteil vom 26. Februar 2020 hat das SG festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2015 rechtswidrig ist. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, weil sich das ursprüngliche Begehren der Klägerin vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens erledigt habe. Die Klägerin habe auch ein berechtigtes Interesse unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr dargelegt. Sie habe für das jetzt allein noch minderjährige Kind L. zwar bereits Genehmigungen für 36 Monate erhalten, eine unrechtmäßige Verweigerung der Assistentengenehmigung für das Kind J. müsse aber bei der Ermessensausübung über eine Verlängerung der Genehmigung über den 36. Monat hinaus berücksichtigt werden. Denn der Rechtsanspruch auf Genehmigung von 36 Monaten nach § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV bestehe pro zu betreuendem Kind. Der Bescheid vom 31. August 2015 sei auch rechtswidrig, weil sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ein Anspruch auf Genehmigung bei Erziehung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ergebe. Damit werde allgemein an das Erziehungs- und Pflegerecht und die entsprechende Pflicht der Eltern angeknüpft, die erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres endeten. Auch aus systematischen Erwägungen folge nichts anderes. Insbesondere bestünden keine zwingenden Gründe für einen Gleichlauf zwischen dem Recht abhängig beschäftigter Arbeitnehmer auf Elternzeit (§ 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)) und dem Anspruch selbstständig tätiger Vertragsärzte auf Genehmigung zur Beschäftigung von Assistenten. Denn während die hier streitige Beschäftigungsgenehmigung nur mit dem Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung in Einklang zu bringen sei, habe der Normgeber bei der Ausgestaltung des Elternzeitanspruchs auch die Interessen unmittelbar betroffener Dritter (Arbeitgeber) zu berücksichtigen gehabt. Schließlich ergäben sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung. Allein der in der Gesetzesbegründung enthaltene Hinweis auf die Zeit nach der Geburt rechtfertige keine andere Bewertung, weil einer Begrenzung des Anspruchs auf die ersten 36 Lebensmonate der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegenstehe.
Gegen das ihr am 3. März 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. März 2020 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt, die dort am 31. März 2020 eingegangen ist. § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV stelle eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht eines Vertragsarztes zur persönlichen Leistungserbringung dar und sei daher nicht über Wortlaut bzw Sinn und Zweck der Vorschrift hinaus auszudehnen. Die Beschränkung des Begriffs "Kind" auf Personen unter 14 Jahren ergebe sich aus dem JuSchG und aus § 7 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Die Ausführungen des SG über die Regelungen des § 15 BEEG könnten nicht überzeugen, zumal in der Literatur unter Bezugnahme auf die entsprechenden Regelungen sogar eine Genehmigungsmöglichkeit nach § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV nur bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes angenommen werde. Die KÄV dürfe die Beschäftigung eines Belastungsassistenten auch nur zur Behebung eines vorübergehenden Zustandes gestatten, was einer uneingeschränkten Assistenz bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zuwiderlaufen würde. Schließlich könne auch den Ausführungen des SG zur Anrechnung der Zeiten für das Kind J. auf die Assistentengenehmigung für das jüngere Kind L. nicht gefolgt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Februar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer erstinstanzlich geäußerten Auffassung fest und tritt den Gründen des SG-Urteils vom 26. Februar 2020 bei. Soweit die Beklagte darauf hinweise, dass § 32 Ärzte-ZV nur die Möglichkeit zur Behebung einer vorübergehenden Verhinderung schaffen wolle, sei dies kein tragendes Argument. Denn die "Befristung" werde bereits dadurch gewährleistet, dass die Beschäftigung von Assistenten während der Zeiten der Erziehung von Kindern bis zu einer Dauer von 36 Kalendermonaten begrenzt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid vom 31. August 2015 rechtswidrig ist.
I. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig.
1. Die an sich gegen die Versagung der begehrten Genehmigung statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) konnte nicht mehr erhoben werden, weil sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2015 vorher erledigt hatte. Eine Erledigung "auf andere Weise" iSv § 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) tritt bei Ablehnungsbescheiden ein, soweit dem Antrag durch einen späteren Bewilligungsbescheid stattgegeben worden ist (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-3500 § 21 Nr 1; Roos/Blüggel in: Schütze, SGB X, 9. Aufl, § 39 Rn 14). Diese Wirkung ist vorliegend durch den Erlass des Verwaltungsakts vom 28. September 2015 eingetreten, mit dem der Klägerin die ursprünglich versagte Genehmigung einer Beschäftigung der Assistentin N. für die Zeit ab Oktober 2015 erteilt worden ist, und zwar für den gesamten ursprünglich (mit Antrag vom 16. Juli 2015) geltend gemachten Zeitraum bis zum 30. September 2017. Im Hinblick auf den hiervon nicht erfassten Zeitraum bis zum 30. September 2015 ist - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - Erledigung durch Zeitablauf eingetreten, weil eine Genehmigung für zurückliegende Zeiträume im Vertragsarztrecht ausgeschlossen ist (st BSG-Rspr, zuletzt Urteil vom 12. Februar 2020 - B 6 KA 1/19 R - juris, mwN).
Erledigt sich der umstrittene Verwaltungsakt, ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht nur anstelle einer Anfechtungsklage möglich, sondern auch - in entsprechender Anwendung des § 131 Abs 1 S 3 SGG - anstelle einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 3). Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist schließlich auch statthaft, wenn sich der betroffene Verwaltungsakt - wie vorliegend - bereits vor Klageerhebung erledigt hatte (BSG SozR 4-2500 § 34 Nr 20), ohne dass er vorher bereits bestandskräftig geworden war (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) E 109, 203 (206)).
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des umstrittenen Bescheids iSv § 131 Abs 1 S 3 SGG, und zwar in Hinblick auf die von ihr geltend gemachte Wiederholungsgefahr (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG. 13. Aufl, § 131 Rn 10b mwN). Die Gefahr, dass die Beklagte auch weiterhin die Genehmigung von Assistentinnen wegen der ihrer Ansicht nach gegebenen Altersbegrenzung bei Kindern iSv § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV ablehnen wird, hat sich bereits realisiert, weil die Beklagte auch mit Bescheid vom 7. Februar 2020 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2020) einen entsprechenden Antrag (mittlerweile bezogen auf die als Assistentin benannte Ärztin Dr. R.) abgelehnt hat, weil der (nunmehr betroffene) Sohn L. das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat. Dabei ist diese Frage rechtlich weiterhin von Bedeutung, obwohl die in § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV vorgesehene Höchstdauer von 36 Monaten durch die genehmigten Assistenzzeiten für L. vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2017 und vom 1. April 2018 bis 31. März 2019 ausgeschöpft sind. Denn nach § 32 Abs 2 S 4 Ärzte-ZV kann die KÄV diesen Zeitraum auch verlängern.
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Der Bescheid vom 31. August 2015 war rechtswidrig, weil die Beklagte die am 16. Juli 2015 beantragte Genehmigung einer Assistententätigkeit der Ärztin N. hätte erteilen müssen.
1. Gemäß § 32 Abs 2 S 2 Ärzte-ZV darf der Vertragsarzt einen Vertreter oder einen Assistenten nur beschäftigen, (1.) wenn dies im Rahmen der Aus- oder Weiterbildung oder aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt, (2.) während Zeiten der Erziehung von Kindern bis zu einer Dauer von 36 Monaten, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend genommen werden muss, und (3.) während der Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung bis zu einer Dauer von 6 Monaten; die KÄV kann die genannten Zeiträume gemäß § 32 Abs 2 S 4 Ärzte-ZV verlängern.
Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen von § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV bei Erlass des Bescheides vom 31. August 2015 gegeben. Denn die Klägerin erzog zu diesem Zeitpunkt ihren Sohn J., ohne dass sie vorher entsprechende Erziehungszeiten in Anspruch genommen hatte. Dabei hatte J. aufgrund der Adoption durch die Klägerin und ihren Ehemann nach § 1754 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten erlangt.
2.a) An diesem Ergebnis ändert nichts, dass J. im Zeitpunkt der Antragstellung bereits 15 Jahre alt war. Eine ausdrückliche Altersbegrenzung enthält die Vorschrift des § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV nicht. Insbesondere folgt daraus, dass die Genehmigung nur bis zu einer Dauer von 36 Monaten erteilt werden kann, nicht, dass das Kind höchstens 3 Jahre alt sein darf. Denn die entsprechenden Zeiten müssen - wie in § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 ausdrücklich vorgesehen ist - "nicht zusammenhängend genommen werden", was die Möglichkeit eröffnet, die Unterstützungsleistungen durch Assistenten auf einen längeren Zeitraum als 3 Jahre zu verteilen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2013 - L 11 KA 8/13 B ER - juris).
b) Eine Altersbeschränkung ergibt sich auch nicht aus der Wortlautbedeutung des Begriffs "Kind". Diese ist nicht eindeutig bestimmt. Unter einem Kind kann einerseits (biologisch) ein junger Mensch (etwa bis zum Eintritt der Geschlechtsreife) - in Abgrenzung zum Jugendlichen - verstanden werden, andererseits (genealogisch) aber auch eine von einem anderen Menschen abstammende Person, die auch in höherem Alter noch "Kind" im Verhältnis zu ihren Eltern ist (vgl Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl, Stw "Kind"). Auch der Gesetzgeber gebraucht den Begriff "Kind" in beiden Bedeutungen. So kann nur (altersunabhängig) der Abkömmling gemeint sein, wenn § 103 Abs 4 S 5 Nr 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bei der Auswahl im Nachbesetzungsverfahren (ua) darauf abstellt, ob der Bewerber ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist. Auch der die Sonderrechtsnachfolge in § 56 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) betreffende Kindesbegriff ist im genealogischen Sinne zu verstehen. In anderen Vorschriften, zB in § 34 Abs 1 S 5 Nr 1 oder §§ 26 Abs 1 S 1 und 75 Abs 1a S 8 SGB V bzw - außerhalb des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung - § 7 Abs 1 Nr 1 SGB VIII wird unter einem Kind dagegen ein besonders junger Mensch im erstgenannten Sinne verstanden, was überwiegend schon daraus folgt, dass das Gesetz eine konkrete Altersgrenze vorsieht (zB 12 Jahre in § 34 Abs 1 S 5 Nr 1 SGB V oder 14 Jahre in § 7 Abs 1 Nr 1 SGB VIII). Bereits aus diesen unterschiedlichen Bedeutungen im SGB ergibt sich jedenfalls, dass § 7 Abs 1 Nr 1 SGB VIII - entgegen der Auffassung der Beklagten - keine allgemeingültige Definition des "Kindes" im sozialrechtlichen Sinn zu entnehmen ist.
c) Eine Altersbeschränkung des "Kindes" iSv § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV ist jedoch aus dem Zusammenhang der Regelung abzuleiten, soweit sie auf die "Erziehung von Kindern" abstellt. Hieraus ergibt sich, dass nur Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs unter § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV fallen (ebenso Scholz in: BeckOK Sozialrecht, Stand: 1. September 2020, § 32 Ärzte-ZV Rn 27; Dahm in: MedR 2013, 560 [LSG Nordrhein-Westfalen 27.02.2013 - L 11 KA 8/13 B ER]). Denn in welchem Zeitraum eine Erziehung stattfinden kann, ist eindeutig im BGB geregelt. Nach § 1626 Abs 1 S 1 BGB haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (Personensorge). Die Personensorge umfasst nach § 1631 Abs 1 BGB insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Minderjährig ist das Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs, weil mit diesem Zeitpunkt gemäß § 2 BGB die Volljährigkeit eintritt. Bis zu diesem Zeitpunkt sind das Recht und die Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, gemäß Art 6 Abs 2 S 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich geschützt (vgl Badura in: Maunz/Dürig, GG, Stand: August 2018, Art 6 Rn 111).
d) Eine demgegenüber einschränkende Auslegung, dass die "Erziehung von Kindern" iSv § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV nicht den gesamten derart bestimmten Zeitraum bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs umfassen soll, lässt sich nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ableiten. Der Gesetzgeber hat § 32 Abs 2 S 2 Ärzte-ZV durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl I 2983) eingeführt. Zur Begründung ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs 17/6906, S 105) ausgeführt, dass die Änderungen im zweiten Absatz einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen. Um Vertragsärzten und -ärztinnen auch nach der Geburt eine bessere zu den jeweiligen Bedürfnissen und Erfordernissen ausgerichteten Balance zwischen ihrer freiberuflichen Tätigkeit und ihrer Familie zu ermöglichen, werde die Möglichkeit für die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten für die Erziehung von Kindern für bis zu 36 Monate geschaffen. Die ausdrückliche Nennung der Zeit "nach der Geburt" ist dabei nicht so aufzufassen, dass die Genehmigung eines Vertreters oder Assistenten nur für die Erziehung von Kleinkindern ermöglicht werden soll. Mit dieser Formulierung wird vielmehr an die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 32 Abs 1 S 3 Ärzte-ZV angeknüpft, wonach sich eine Vertragsärztin in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung bis zu einer Dauer von 12 Monaten vertreten lassen kann. Dass die hier strittige Entlastungsassistenz nicht nur für kleine bzw jüngere Kinder gelten soll, ergibt sich im Übrigen daraus, dass ausdrücklich geregelt worden ist, dass der Zeitraum von 36 Monaten nicht zusammenhängend genommen werden muss und gemäß § 32 Abs 2 S 4 Ärzte-ZV auch darüber hinaus verlängert werden kann. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte umfassende Entlastung von familiären Pflichten zeigt sich weiterhin aus der gleichzeitig eingeführten Regelung in § 32 Abs 2 S 2 Nr 3 Ärzte-ZV, wonach der Vertragsarzt einen Vertreter oder einen Assistenten auch während der Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung (bis zu einer Dauer von 6 Monaten) beschäftigen darf. Dass eine Balance zwischen freiberuflicher Tätigkeit und Familie auch bei Kindern erforderlich sein kann, die das biologische Jugendlichenalter erreicht haben - zB im Zusammenhang mit Entwicklungsproblemen in der Zeit der Pubertät bzw der Adoleszenz oder in Hinblick auf Schwierigkeiten in Schul- und Berufsausbildung (vgl Scholz aaO Rn 25: schlechte Schulnoten, Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten) - bedarf keiner näheren Darlegung. Auf die besondere mit Adoption und Migrationshintergrund zusammenhängende Problematik im vorliegenden Fall kommt es deshalb nicht entscheidend an.
e) Wenn die Beklagte sich demgegenüber auf § 1 Abs 1 Nr 1 JuSchG beruft, wonach Kinder Personen sind, die noch nicht 14 Jahre alt sind, übersieht sie die von § 32 Abs 2 Ärzte-ZV abweichende Zielsetzung des JuSchG. Denn dieses bezweckt nicht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Interesse von selbstständig Tätigen zu fördern, sondern dient dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren in der Öffentlichkeit und in Medien, die geeignet sind, diese sozialethisch zu desorientieren oder in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen (Liesching, Jugendschutzgesetz, 1. Online-Aufl, Einl Rn 2). Auch das SGB VIII hat eine andere Zielrichtung als § 32 Abs 2 Ärzte-ZV. Denn die Kinder- und Jugendhilfe soll - soweit sie nicht ohnehin den Interessen und dem Schutz junger Menschen dient - Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen (vgl § 1 Abs 3 Nr 2 SGB VIII) und geht damit weit über den bereichspezifischen Zweck des § 32 Abs 2 Ärzte-ZV hinaus. Die Begriffsbestimmung in § 7 Abs 1 Nr 1 SGB VIII, wonach Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, ist damit im vorliegenden Fall nicht einschlägig (aA Harwart/Thome in: Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl, § 32 Rn 57), zumal die dort vorgenommene Abgrenzung des Kindes vom Jugendlichen im Kontext des Jugendhilferechts nur der Klarstellung dient, ab welchem Lebensalter im SGB VIII vorgesehene besondere Regelungen für Jugendliche (vgl zB § 35 SGB VIII) gelten sollen.
Auch das sich aus § 15 Abs 2 S 2 BEEG ergebende Höchstalter von Kindern, für deren Betreuung und Erziehung Elternzeit beansprucht werden kann (vollendetes 8. Lebensjahr), kann zur Auslegung von § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV nicht herangezogen werden (aA Ladurner, Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV, § 32 Ärzte-ZV Rn 47). Wie bereits das SG überzeugend dargelegt hat, gilt § 15 BEEG nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die dort vorgegebenen Altersgrenzen dienen dementsprechend (auch) dem Ausgleich der im Hinblick auf die Unterbrechung von Arbeitszeiten gegenläufigen Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern. Demgegenüber enthält § 32 Abs 2 Ärzte-ZV eine Regelung zum Ausgleich der Pflicht von Vertragsärzten, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs 1 S 1 Ärzte-ZV), und dazu in Konkurrenz stehender familiärer Verpflichtungen.
f) Die Möglichkeit, einen Assistenten wegen der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres anzustellen, widerspricht auch nicht dem Grundsatz, dass die Beschäftigung von Vertretern und Assistenten nur zur Behebung eines vorübergehenden Entlastungsbedarfs möglich ist. Denn wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, wird diesem Grundsatz bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Beschäftigung von Vertretern und Assistenten gemäß § 32 Abs 2 S 2 Nr 2 Ärzte-ZV (grundsätzlich) auf den Zeitraum von 36 Monaten begrenzt ist.
Dabei folgt der Senat nicht der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts (und des Schrifttums, vgl Harwart/Thome aaO), dass der Anspruch auf Beschäftigung eines Assistenten bis zu einer Dauer von 36 Monaten für jedes zu erziehende Kind des Vertragsarztes bzw der Vertragsärztin besteht. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung, dass die Beschäftigung eines Vertreters oder eines Assistenten bis zu einer Dauer von 36 Monaten während Zeiten der Erziehung "von Kindern" besteht und dadurch pauschal die Erziehung auch mehrerer Kinder abgegolten wird. Das ergibt sich auch aus der abweichenden Formulierung in § 32 Abs 2 S 2 Nr 3 Ärzte-ZV, wo die Vertreter- bzw Assistentenbeschäftigung während der Pflege "eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen " bis zu einer Dauer von 6 Monaten ermöglicht wird, sodass die Pflege eines weiteren nahen Angehörigen eine weitere Vertreter- bzw Assistentenzeit eröffnen kann.
Die Möglichkeit der Vertreter- bzw Assistentenbeschäftigung für insgesamt 3 Jahre für jedes Kind wäre zwar familienfreundlich, würde aber bei der Betreuung mehrerer Kinder zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung führen, der für die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung grundlegend ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 24). Dass dieser Grundsatz auch bei der Genehmigung von Vertretern bzw Assistenten zu beachten ist, ergibt sich aus § 32 Abs 2 S 6 Ärzte-ZV, wonach die Dauer der Beschäftigung zu befristen ist. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz entspricht es der stRspr der Sozialgerichtsbarkeit, dass nur vorübergehende Umstände die Beschäftigung von Vertretern bzw Assistenten rechtfertigen können (BSGE 8, 256 (260) [BSG 21.11.1958 - 6 RKa 18/57]; Thüringer LSG, Beschluss vom 9. September 1999 - L 4 KA 388/99 ER - bzw Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - L 6 B 28/01 KA ER - beide juris; Senatsurteil vom 26. Mai 2010 - L 3 KA 69/09). Bereits ein Zeitraum von 4 bis 5 Jahren ist vom erkennenden Senat in diesem Zusammenhang als nicht mehr "vorübergehend" gewertet worden (Urteil vom 31. März 2004 - L 3 KA 37/02 - juris).
Auch bei Berücksichtigung nur kleiner Kinder hätte aber schon die Erziehung von zwei oder drei Kindern bei einer Summierung entsprechender Ansprüche Vertreter- bzw Assistentenzeiten von sechs bis neun Jahren zur Folge. Dies wäre mit dem dargelegten Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung nicht zu vereinbaren. Besonderen familiären Belastungssituationen kann in anderer Weise Rechnung getragen werden. Ergibt sich wegen der Erziehung mehrerer Kinder ein über den Gesamtzeitraum von 36 Monaten hinausgehender Betreuungsbedarf, kann die betroffene Vertragsärztin bzw der Vertragsarzt eine Verlängerung der Vertreter- bzw Assistentenzeit nach § 32 Abs 2 S 4 Ärzte-ZV unter Darlegung der besonderen Bedarfssituation beantragen. Außerdem bestehen die Möglichkeiten, einen Dauerassistenten bzw einen Praxispartner nach den Grundsätzen der sog Jobsharing-Praxis aufzunehmen (§ 101 Abs 1 S 1 Nr 5 bzw § 95 Abs 9 S 2 SGB V), die Zulassung (uU teilweise) ruhen zu lassen (§ 95 Abs 5 SGB V) oder den Versorgungsauftrag zu beschränken (§ 19a Abs 2 S 1 Ärzte-ZV).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Senat hat gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG die Revision zugelassen.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung der §§ 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG, 47 Abs 1 S 1 und 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG). -