Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.10.2020, Az.: L 7 AS 11/20 B

Abrechnung; Prozesskostenhilfe; Synergieeffekt; Verfahrensgebühr; Verjährung; Vorschuss

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.10.2020
Aktenzeichen
L 7 AS 11/20 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71531
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 19.12.2019 - AZ: S 85 SF 60/19 E

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ungeschriebene Voraussetzung für die Gewährung einer Vorschusszahlung nach § 47 RVG a.F. ist über die Entstehung der Gebühr hinaus auch noch die fehlende Fälligkeit der Gebühr.
2. Ein Gebührentatbestand – wie z.B. der Tatbestand für die Verfahrensgebühr - kann wiederholt verwirklicht werden.
3. Ein Rechtsanwalt, der aufgrund eingetretener Verjährung die Gebühr nicht mehr fordern kann, in der Folge aber wieder Tätigkeiten entfaltet, durch die der Gebührentatbestand wieder verwirklicht wird, kann die Gebühr erneut fordern.

Tenor:

Der die Erinnerung zurückweisende Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 19. Dezember 2019 und der die Gewährung eines Vorschusses ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. April 2019 werden abgeändert und der der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit in dem Verfahren S 57 AS 2409/19 aus der Staatskasse zu gewährende Vorschuss auf 185,64 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Vorschusses auf die Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren.

Der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss vom 14. September 2009 im Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Hannover zum dortigen Aktenzeichen S 57 AS 432/08 den dortigen, seinerzeit minderjährigen drei Klägern als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. In dem am 11. Februar 2008 zunächst allein für die Mutter der Kläger anhängig gemachten Klageverfahren stritten die dortigen Beteiligten im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) darum, ob das Einkommen des in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners der Mutter der Kläger bei diesen bedarfsmindernd berücksichtigt werden dürfe oder nicht. Nach der Klageerhebung, die noch keine Begründung enthielt, reichte die Beschwerdeführerin am 8. Mai 2008 eine dreieinhalbseitige Klagebegründung nach, in der sie den Sachverhalt darstellte und sich mit der aus ihrer Sicht anzunehmenden Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auseinandersetzte. Auf Anfrage des SG vom 16. Oktober 2008, ob die Kinder als Kläger eigene Ansprüche geltend machen wollten, reichte die Beschwerdeführerin am 16. Januar 2009 zunächst lediglich ihre Vollmacht und am 1. Februar 2009 einen weiteren Schriftsatz zur Akte, in dem sie auf die Frage des SG nicht einging. Stattdessen setzte sie sich mit einer zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) auseinander, das mit Urteil vom 13. November 2008 (Az. B 14 AS 2/08 R) entschieden hatte, dass die Anrechnung des Einkommens des Partners nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht verfassungswidrig sei. Mit gerichtlicher Verfügung vom 10. Februar 2009 teilte das SG mit, dass es eine Rubrumsberichtigung beabsichtige und zwar dergestalt, dass nur die Kinder Kläger seien, nicht aber die Mutter. Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2009 teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass hiergegen keine Einwände bestünden. Nachdem gegen die Entscheidung des BSG eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt worden war, empfahl das SG den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 14. September 2009, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG ruhend zu stellen. Damit erklärten sich sowohl die Beschwerdeführerin für die Kläger als auch der Beklagte einverstanden, weshalb das SG mit Beschluss vom 17. November 2009 gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) das Ruhen des Verfahrens anordnete. Der Beschluss wurde den Beteiligten jeweils am 26. November 2009 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 beantragte die Beschwerdeführerin beim SG die Gewährung eines Vorschusses auf die Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Klageverfahren S 57 AS 432/08. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine nach Nr. 1008 erhöhte Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von insgesamt 272,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 55,48 Euro, insgesamt also 347,48 Euro.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) legte den Antrag der Bezirksrevisorin vor, die – nach Einholung der Einwilligung des Präsidenten des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen – für den Beschwerdegegner die Einrede der Verjährung erhob.

Mit Beschluss vom 4. April 2019 lehnte die UdG daraufhin den Antrag ab. Die Staatskasse habe die Einrede der Verjährung erhoben. Die Vergütung sei gemäß § 8 i.V.m. § 55 RVG mit Beendigung des Klageverfahrens fällig geworden, sodass die Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 Ziffer 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit dem 31. Dezember 2013 abgelaufen sei.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 18. April 2019 Erinnerung eingelegt. Ihr sei nicht bekannt, dass der Beschwerdegegner die Einrede der Verjährung erhoben hätte. Jedenfalls sei ihr dies nicht mitgeteilt worden. Die Verletzung rechtlichen Gehörs werde daher gerügt. Im Übrigen habe eine Verjährung gar nicht eintreten können, weil das Klageverfahren gar nicht beendet, sondern lediglich ruhend gestellt worden sei. Die Behauptung der Verjährung durch die UdG sei daher rechtsfehlerhaft und zeuge von grober Unkenntnis des Sachverhalts sowie von einer erschreckend nachlässigen Bearbeitung. Dass das SG den Rechtsstreit nach mehr als sechsmonatigem Ruhen statistisch als „auf sonstige Weise erledigt“ ansehe, stehe dem Anspruch auf Vorschuss nicht entgegen. Denn das Verfahren sei nur statistisch, nicht aber tatsächlich erledigt. Die Beteiligten hätten weder eine Erledigungserklärung abgegeben noch sei eine Klagerücknahme erfolgt noch liege eine die Instanz beendende Entscheidung vor.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2019 nahm die Beschwerdeführerin für die Kläger das Klageverfahren wieder auf, das beim SG seitdem unter dem neuen Aktenzeichen S 57 AS 2409/19 geführt wird. Das SG lud daraufhin das Verfahren für den 26. November 2019 zur mündlichen Verhandlung. Mit Schriftsatz vom 21. November 2019 bat die Beschwerdeführerin um Terminsverlegung, weil eine Kontaktaufnahme mit den Klägern noch nicht möglich gewesen sei. Mit gerichtlicher Verfügung vom 25. November 2019 wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung vom SG aufgehoben und zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführerin aufgegeben, die ladungsfähige Anschrift der Klägerin zu 2.) mitzuteilen. Nach einem Fristverlängerungsantrag vom 25. November 2019 aufgrund einer Erkrankung der Beschwerdeführerin reichte diese am 19. Dezember 2019 einen sechseinhalbseitigen Schriftsatz zur Gerichtsakte, in dem sie die ladungsfähige Anschrift der Klägerin zu 2.) mitteilte, einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid widersprach, den Sachverhalt noch einmal darstellte, sich sodann erneut mit der von ihr angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auseinandersetzte, wobei das Vorbringen insoweit wortwörtlich dem Vorbringen aus der Klagebegründung vom 8. Mai 2008 entsprach, und dann auf knapp drei Seiten auf die Entscheidung des BSG vom 13. November 2008 einging, die sie inhaltlich nicht teilte. Außerdem beantragte sie Akteneinsicht in die Verwaltungsakte, die ihr mit gerichtlicher Verfügung vom 3. Januar 2020 gewährt wurde. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2020 kündigte die Beschwerdeführerin weiteren Vortrag bis zum 23. Februar 2020 an, den sie dann aber mehrfach (Schriftsätze vom 24. Februar 2020, 23. März 2020, 14. April 2020 und 7. Mai 2020) verschob.

Das SG hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 die Erinnerung zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Vorschusses auf die PKH-Vergütung. Hierfür sei Voraussetzung, dass die Gebühren entstanden seien. Aus der Rechtsnatur der Vorleistung folge darüber hinaus, dass die Vergütung selbst noch nicht fällig sein dürfe. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verfahrensgebühr sei indes bereits fällig gewesen, so dass hierauf keine Vorschussleistungen mehr erbracht werden könnten. Die bis zum Zeitpunkt des Ruhens entstandenen Gebühren (hier die Verfahrensgebühr) seien gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG am 17. Februar 2010 fällig gewesen, nämlich drei Monate nach Erlass des Ruhensbeschlusses vom 17. November 2009. Einer endgültigen Festsetzung der Verfahrensgebühr stehe die durch den Beschwerdegegner erhobene Verjährungseinrede entgegen. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 RVG habe die Hemmung der Verjährung drei Monate nach Eintritt der Fälligkeit (17. Mai 2010) geendet. Der Vergütungsanspruch verjähre entsprechend §§ 195, 199 BGB in drei Jahren ab Schluss des Kalenderjahres der Fälligkeit und hätte bis zum 31. Dezember 2013 geltend gemacht werden müssen. Wenn das Verfahren später fortgesetzt werde, berühre dies die Fälligkeit der Gebühren, die bis zur Anordnung des Ruhens des Verfahrens entstanden seien, nicht. Weitere Gebühren und Auslagen, für die ein Vorschuss gewährt werden könnte, seien bisher von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht worden.

Gegen den am 20. Januar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die am 3. Februar 2020 eingelegte Beschwerde. Das SG habe in seinem Beschluss nicht berücksichtigt, dass durch die Wiederaufnahme des Klageverfahrens der Vorschussanspruch neu entstanden sei. Dass der Vorschussantrag noch vor der Wiederaufnahme eingereicht worden sei, ändere nichts daran, dass mit Wiederaufnahme des Verfahrens der Vorschussanspruch neu entstanden sei und dass es nach der Wiederaufnahme des Verfahrens, auch nach der Erteilung eines neuen Aktenzeichens, keinen Grund dafür gebe, den bis dahin nicht rechtskräftig abgelehnten Vorschussantrag nunmehr nicht positiv zu bescheiden. Die PKH-Bewilligung bestehe weiterhin fort. Hinzu komme, dass auch weiterhin keine Rechtskraft eingetreten sei und dass während des laufenden Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens das Klageverfahren durch weitere anwaltliche Arbeit weiterbetrieben worden sei, somit erst recht ein Anspruch auf Vergütungsvorschuss bestehe.

Der Beschwerdegegner hat zu der Beschwerde keine Stellungnahme abgegeben.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakten Bezug genommen.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist fristgemäß nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung des SG eingelegt worden. Der nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 200,00 Euro wird auch überschritten, weil die Beschwerdeführerin eine um 347,48 Euro höhere Vergütungsfestsetzung begehrt.

2.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Zusammensetzung der drei Berufsrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, nachdem der Berichterstatter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

3.

 Der Rechtsstreit richtet sich nach der vor dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2.KostRMoG, BGBl. I 2586) am 1. August 2013 geltenden Rechtslage, weil der Auftrag zur Prozessvertretung an die Beschwerdeführerin vor dem 1. August 2013 erteilt worden war (§ 60 RVG iVm. Art. 50 2.KostRMoG), im vorliegenden Fall konkret nach dem RVG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und anderer Gesetze (2. JGGuaÄndG) vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I, S. 2894, im Folgenden: RVG a.F.).

4.

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die Beschwerdeführerin hat gegenüber dem Beschwerdegegner einen Anspruch auf Auszahlung eines Vorschusses auf die ihr zustehende PKH-Vergütung, allerdings nur in Höhe von 185,64 Euro, nicht in Höhe der von ihr beantragten 347,48 Euro.

Gemäß § 47 Satz 1 RVG a.F. kann der Rechtsanwalt, wenn ihm wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht, für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.

a)

Die Beschwerdeführerin ist mit Beschluss des SG Hannover vom 14. September 2009 im dortigen Klageverfahren mit dem damaligen Aktenzeichen S 57 AS 432/08 den dortigen, seinerzeit minderjährigen drei Klägern als Prozessbevollmächtigte beigeordnet worden. Diese Beiordnung besteht für das am 17. November 2009 ruhend gestellte und am 24. Juli 2019 wiederaufgenommene Klageverfahren unverändert fort und ist nicht durch die zwischenzeitliche statistische Erledigung des Klageverfahrens entfallen. Die Zuteilung des neuen Aktenzeichens S 57 AS 2409/19 nach der Wiederaufnahme des Klageverfahrens ändert nichts daran, dass es sich immer noch um ein und dasselbe Klageverfahren handelt, das am 11. Februar 2008 durch Klageerhebung eingeleitet worden war und zunächst das Aktenzeichen S 57 AS 432/08 trug.

b)

Zwar hat die Urkundsbeamtin die Gewährung eines Vorschusses für die Tätigkeiten der Beschwerdeführerin im Klageverfahren zunächst zu Recht abgelehnt. Denn ungeschriebene Voraussetzung für die Gewährung einer Vorschusszahlung nach § 47 RVG a.F. ist über die Entstehung der Gebühr hinaus auch noch die fehlende Fälligkeit der Gebühr. Ist die Gebühr nämlich schon fällig, besteht für die Beantragung eines Vorschusses kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Die beigeordnete Rechtsanwältin kann in einem solchen Fall vielmehr bereits die endgültige Festsetzung der fälligen Gebühr beantragen. Zum Zeitpunkt der Beantragung des Vorschusses am 14. Dezember 2018 ruhte das Klageverfahren bereits seit über neun Jahren, mit der Folge, dass die aufgrund der bisherigen Tätigkeit der Beschwerdeführerin in dem Klageverfahren entstandene Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG a.F. gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG a.F. schon lange fällig geworden war.

c)

Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass die Verfahrensgebühr für die bisherigen Tätigkeiten der Beschwerdeführerin im Klageverfahren bis zu dessen Ruhendstellung nicht nur fällig, sondern bei Stellung des Antrags auf Gewährung eines Vorschusses sogar nach § 8 Abs. 2 Satz 3 RVG a.F. in Verbindung mit § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verjährt war, und die Beschwerdeführerin das Klageverfahren danach wiederaufgenommen hat.

Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 RVG a.F. ist die Verjährung der Vergütung für eine Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren gehemmt, solange das Verfahren anhängig ist. Ruht jedoch das Verfahren, endet die Hemmung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 RVG a.F. drei Monate nach Eintritt der Fälligkeit. Die Verjährungsfrist beträgt dabei drei Jahre (§ 195 BGB, vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 8 RdNr. 33) und war hier bei der Antragstellung am 14. Dezember 2018 bereits lange abgelaufen. Der Beschwerdegegner hat im Festsetzungsverfahren die Erhebung der Verjährungseinrede ausdrücklich erklärt.

Durch die Wiederaufnahme des ruhenden Klageverfahrens am 24. Juli 2019 hat die Beschwerdeführerin in dem Klageverfahren neue anwaltliche Tätigkeiten entfaltet, die eine neue, von der Verjährung nicht erfasste Verfahrensgebühr ausgelöst haben. Denn ein Gebührentatbestand – wie z.B. der Tatbestand für die Verfahrensgebühr - kann wiederholt verwirklicht werden (Bundessozialgericht <BSG> Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 50/15 RSozR 4-1300 § 63 Nr 25 = juris RdNr. 23). Dies folgt schon aus der Regelung des § 15 Abs. 2 RVG, der anordnet, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern darf. Die Vorschrift setzt denknotwendig voraus, dass der Gebührentatbestand an sich in derselben Angelegenheit mehrfach verwirklicht werden kann (Verwaltungsgerichtshof <VGH> Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – 11 S 1124/16 – juris RdNr. 4).

Aufgrund der eingetretenen Verjährung kann die Beschwerdeführerin die Verfahrensgebühr für ihre Tätigkeiten in dem Klageverfahren bis zur Ruhendstellung nicht mehr fordern, so dass die Geltendmachung der Verfahrensgebühr für die neuen Tätigkeiten in dem Klageverfahren seit der Wiederaufnahme mit der Regelung des § 15 Abs. 2 RVG a.F. im Einklang steht. Andere Vorschriften im RVG, die der Geltendmachung der Verfahrensgebühr durch die Beschwerdeführerin entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Dementsprechend ist in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass ein Rechtsanwalt, der aufgrund eingetretener Verjährung die Gebühr nicht mehr fordern kann, in der Folge aber wieder Tätigkeiten entfaltet, durch die der Gebührentatbestand wieder verwirklicht wird, die Gebühr erneut fordern kann (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – 11 S 1124/16 – juris RdNr. 4; Oberlandesgericht <OLG> Köln, Urteil vom 6. Mai 1992 – 17 U 1 /92 - juris RdNr. 4; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 8 RdNr. 35; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 8 RdNr. 30; Gierl in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, § 8 RdNr. 68; Enders, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, § 8 RdNr. 39; H. Schmidt, AnwBl 1979, 382).

Da die neu entstandene Verfahrensgebühr mangels erneuten Ruhens des Klageverfahrens auch noch nicht fällig ist, besteht seit der Wiederaufnahme des Klageverfahrens auch wieder ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Vorschusszahlung der Staatskasse nach § 47 RVG a.F.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung eines Vorschusses bei Antragstellung am 14. Dezember 2018 wegen der noch nicht erfolgten Wiederaufnahme des Klageverfahrens noch zurecht von der Urkundsbeamtin abgelehnt worden war und erst später durch die Wiederaufnahme des Klageverfahrens am 24. Juli 2019 wieder zulässig und begründet wurde. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Vorschussantrags ist - weil es sich um einen Leistungsantrag handelt - der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats, nicht der Zeitpunkt der Entscheidung der Urkundsbeamtin. Tatsächliche und rechtliche Änderungen sind deshalb bei der Entscheidung zu berücksichtigen.

d)

Die Beschwerdeführerin hat allerdings nur Anspruch auf einen Vorschuss in Höhe von 185,64 Euro. Der von der Beschwerdeführerin beantragte Vorschuss von 347,48 Euro ist überhöht.

Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt Rahmengebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie ggf. eines besonderen Haftungsrisikos nach billigem Ermessen, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann. Ausgangspunkt bei der Bemessung einer Rahmengebühr ist grundsätzlich die so genannte Mittelgebühr, d.h. die Hälfte von Höchst- zzgl. Mindestgebühr als Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens (vgl. Bundesozialgericht <BSG>, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R - SozR 4-1935 § 14 Nr. 2; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. April 2006 - L 4 B 4/05 KR SF -; Mayer in Gerold/Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 24. Aufl. 2019, § 14 Rn 18 ff.). Bei von einem Dritten zu ersetzenden Gebühren ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich und entsprechend zu korrigieren, wenn sie unbillig ist. Dies ist der Fall, wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von circa 20% zur tatsächlich objektiv angemessenen Gebührenhöhe überschreiten (vgl. BSG, aaO.).

Unter Berücksichtigung der ausgeführten Kriterien ist die von der Beschwerdeführerin erfolgte Gebührenansetzung für die Tätigkeit in dem wiederaufgenommenen Verfahren unbillig. Die maßgeblichen Gebührenbemessungskriterien rechtfertigen nicht die Vorschussfestsetzung in der von der Beschwerdeführerin beantragten Höhe.

Die Beschwerdeführerin hat als Vorschuss eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr (170,00 Euro) nach Nr. 3103 VV RVG a.F., erhöht nach Nr. 1008 VV RVG um 0,6 wegen der Tätigkeit für insgesamt drei Auftraggeber, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG a.F. in Höhe von 20,00 Euro sowie die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG a.F. in Höhe von 55,48 Euro angesetzt. Dies ist vor dem Hintergrund des bislang entfalteten Tätigkeitsumfangs seit der Wiederaufnahme des Verfahrens und vor dem Hintergrund der Synergieeffekte, die der Beschwerdeführerin aus ihrer vorherigen, allerdings nicht mehr abrechenbaren Tätigkeit in dem Klageverfahren anzurechnen sind, nicht zu rechtfertigen.


Maßgeblich für diese Beurteilung ist zunächst, dass der ersichtliche anwaltliche Tätigkeitsumfang vor dem SG seit der Wiederaufnahme bislang als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen ist. Nach Wiederaufnahme des Klageverfahrens am 24. Juli 2019 hat die Beschwerdeführerin zwar zahlreiche Schriftsätze zur Gerichtsakte gereicht. Von diesen insgesamt acht Schriftsätzen beinhaltete aber nur ein einziger Sachvortrag, nämlich der vom 19. Dezember 2019, Sachvortrag. Alle anderen Schriftsätze enthielten dagegen lediglich Fristverlängerungsanträge bzw. – der Schriftsatz vom 21. November 2019 – einen Antrag auf Terminsverlegung. Der am 19. Dezember 2019 eingereichte sechseinhalbseitige Schriftsatz der Beschwerdeführerin ist insofern der einzige, der hinsichtlich des entfalteten Tätigkeitsumfangs wirklich relevant ist. In diesem kam sie der Aufforderung des SG zur Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift der dortigen Klägerin zu 2.) nach und widersprach der vom SG angedachten Entscheidung durch Gerichtsbescheid, um danach den Sachverhalt noch einmal darzustellen, sich erneut mit der von ihr angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auseinanderzusetzen und dann auf knapp drei Seiten auf die Entscheidung des BSG vom 13. November 2008 einzugehen. Die Darstellung des Sachverhalts und die von ihr angenommene Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II entsprach allerdings wortwörtlich dem Vorbringen aus der Klagebegründung vom 8. Mai 2008, so dass diese anwaltlichen Tätigkeiten aufgrund der genutzten Synergieeffekte bei der Gebührenbemessung nicht zu berücksichtigen sind (vgl. zur Berücksichtigung von Synergieeffekten auch die Beschlüsse des Senats vom 1. Juni 2017 – L 7 AS 6/16 B – und vom 7. April 2016 – L 7/14 AS 35/14 B). Es verbleibt daher lediglich ein knapp dreiseitiger neuer Vortrag. Dies reicht nicht aus, um einen wenigstens durchschnittlichen Tätigkeitsumfang anzunehmen.

Eine besondere Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist nicht erkennbar. Sie ist vielmehr als durchschnittlich einzustufen.


Die Bedeutung der Streitsache ist für die Antragsteller als überdurchschnittlich einzustufen, weil hier um die bedarfsmindernde Anrechnung von Partnereinkommen der Mutter der Kläger bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen gestritten wurde. Sie wird jedoch durch die deutlich unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger kompensiert.

Insgesamt und bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien ist vor diesem Hintergrund die Verfahrensgebühr lediglich in Höhe der halben Mittelgebühr angemessen als Vorschuss anzusetzen. Eine höhere Gebühr ergibt sich dabei auch nicht unter Berücksichtigung der Toleranzgrenze, weil die von der Beschwerdeführerin bestimmte Gebühr die angemessene Gebührenhöhe um deutlich mehr als 20% übersteigt.

Es ergibt sich damit folgende Vorschussfestsetzung:

Verfahrensgebühr Nr. 3103, 1008 VV RVG a.F.:

136,00 Euro

Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG a.F.

 20,00 Euro

19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG a.F.

 29,64 Euro

Summe 

185,64 Euro

5.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

6.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).