Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.11.1999, Az.: 2 K 775/98

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
17.11.1999
Aktenzeichen
2 K 775/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 34565
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:1117.2K775.98.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein Steuerbescheid darf gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO zugunsten eines Steuerpflichtigen nur geändert werden, wenn der Änderungsantrag vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt wird.

  2. 2.

    Wird der Antrag erst später gestellt, ist die Änderung nicht zulässig.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, einem nach Ergehen eines Urteils und vor Ablauf der Frist zur Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde gestellten Antrag auf schlichte Änderung zu entsprechen.

2

Die Klage des Klägers wegen Einkommensteuer 1993 ist mit Urteil vom 19.11.1997, dem Kläger (Kl.) am 08.01.1998 zugestellt, abgewiesen worden. Der Kl. legte hiergegen noch Nichtzulassungsbeschwerde ein, die allerdings vom BFH später zurückgewiesen wurde.

3

Am 19. 01.1998 stellte der Kl. beim Beklagten (Bekl.) unter Beifügung entsprechender Belege den Antrag, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung noch ein bisher nicht geltend gemachtes Disagio von 26.100,00 DM als Werbungskosten abzuziehen.

4

Der Bekl. wies den Antrag mit der Begründung zurück, der Einkommensteuerbescheid 1993 sei nach Ergehen des Urteils vom 19.11.1997 bestandskräftig, nach Eintritt der Bestandskraft sei eine Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO nicht mehr möglich.

5

Der Einspruch des Kl. hiergegen hatte keinen Erfolg. Der Bekl. begründete dies nunmehr damit, ein Antrag auf schlichte Änderung könne gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO nur vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt werden, nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung könne eine Steuerfestsetzung daher nicht mehr außerhalb eines Klageverfahrens geändert werden.

6

Mit der hiergegen gerichteten Klage vertritt der Kl. demgegenüber die Auffassung, aufgrund seiner Nichtzulassungsbeschwerde sei das Urteil zunächst noch nicht rechtskräftig geworden und, da er den Änderungsantrag noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gestellt habe, sei eine schlichte Änderung noch möglich.

7

Der Kl. beantragt,

  1. das Finanzamt zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1993 zu ändern und zusätzlich ein Disagio in Höhe von 26.000,00 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.

8

Der Bekl. beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Er hält an seiner Auffassung fest.

Gründe

10

Die Klage ist unbegründet.

11

Der Bekl. ist nicht verpflichtet, nach Ergehen des Urteils vom 19.11.1997 den Einkommensteuerbescheid 1993 nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO zu ändern.

12

1. Nach dem klaren Wortlaut des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO in der hier anzuwendenden Fassung des Grenzpendlergesetzes vom 24. 06.1994 ( BGBl I 1994, 1395 ; BStBl I 1994, 440 ) darf ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, soweit der Antrag vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt ist.

13

Da der Kl. den Änderungsantrag nach Ablauf der Einspruchsfrist, ja sogar erst nach abgeschlossenem Klageverfahren gestellt hat, ist die beantragte Änderung nicht zulässig.

14

2. Der Senat vermag insoweit nicht der von einem Teil der Literatur (Tipke-Kruse § 172 AO Tz. 37; Söffing u.a., DStR 1998, 68; v. Wedelstädt, DB 1996, 2523 ; Siegert, DStZ 1997, 319 ) und neuerdings auch vom Finanzgericht Sachsen-Anhalt (nicht rechtskräftiges Urteil vom 08.04.1999 1 K 393/96/Az. beim BFH: V R 69/99) vertretenen Auffassung zu folgen, wonach durch die Änderung des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO durch das Grenzpendlergesetz eine planwidrige Gesetzteslücke entstanden sei, die durch eine Gesetzesanalogie zugunsten des Steuerpflichtigen zu schließen sei mit der Folge, dass eine "schlichte" Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen auch nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung möglich sei, sofern der Antrag innerhalb der Klagefrist gestellt werde.

15

Zwar durfte nach der alten Fassung der Vorschrift (§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.1985, BGBl I 1985, 2436 ; BStBl I 1985, 735 ) ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen noch geändert werden, wenn der Antrag vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellt war, mithin auch noch nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung, weil unter den Begriff Rechtsbehelfsfrist nicht nur der Einspruch, sondern auch die Klage fällt, und ist nunmehr nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO i.d.F. des Grenzpendlergesetzes eine Änderung nur noch für den Fall des Antrags vor Ablauf der Einspruchsfrist zulässig.

16

Ob damit allerdings der Fall des nach Ablauf der Einspruchsfrist, aber vor Ablauf der Klagefrist gestellten Antrags ungeregelt geblieben ist und deshalb eine gegebenenfalls wegen Rechtsähnlichkeit beider Fälle durch Analogie zu schließende Regelungslücke entstanden ist, das Gesetz insoweit planwidrig unvollständig ist, hängt wesentlich davon ab, ob sich hinreichende Anhaltspunkte dafür finden, dass dem Gesetzgeber insoweit ein gesetzgeberisches Versehen unterlaufen ist.

17

Der Senat teilt insofern die Auffassung des Finanzgerichts Köln (Urteil vom 19.11.1997 12 K 908/97 - EFG 1989, 345 [FG München 22.02.1989 - I 20/86 E] -; Revision durch Rücknahme erledigt), wonach die Entstehungsgeschichte des Grenzpendlergesetzes eher den Schluß zuläßt, daß die Einschränkung der schlichten Änderung durch das Grenzpendlergesetz vom Willen des Gesetzgebers gedeckt ist, wenn auch nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/7427, 38) die Ersetzung des Begriffs "Rechtsbehelfsfrist" durch den Begriff "Einspruchsfrist" nur eine redaktionelle Anpassung des Gesetzeswortlauts als Folge der Zusammenfassung von Einspruch und Beschwerde zu einem einheitlichen Rechtsbehelf darstellen sollte. Denn es war, wie das Finanzgericht Köln (a.a.O.) ausführt, auch Anliegen des Gesetzesvorhabens, mit der Vereinheitlichung des außergerichtlichen Rechstbehelfsverfahrens dieses insgesamt zu vereinfachen und schlägt dieser Vereinfachungsgedanke letztlich auch auf die hier zu beurteilende Einschränkung der schlichten Änderung durch, sofern man den klaren Wortlaut der Vorschrift beachtet. Denn gerade weil sich die Erwartungen des Gesetzgebers, die er mit der Neufassung des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 verbunden hatte, nämlich eine Vielzahl von förmlichen Einspruchsverfahren entbehrlich zu machen, nicht erfüllt hatten, sich vielmehr eine Vielzahl von zusätzlichen verfahrensrechtlichen Fragen ergeben hatte, hatte der dem Grenzpendlergesetz zugrundeliegende Referentenentwurf ( BMF v. 04.03.1992 ) u.a. auch vorgesehen, dass § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO wegfallen sollte, wenn es dazu auch nicht gekommen ist.

18

Soweit die Gegenmeinung in der Regelung des unverändert gebliebenen § 172 Abs. 1 S. 2 AO einen Widerspruch zu § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO erkennen will, der ebenfalls auf eine planwidrige Unvollständigkeit schließen lasse, kann dem nicht gefolgt werden. Nach § 172 Abs. 1 S. 2 AO gilt dies, d.h. der gesamte S. 1 des Abs. 1, auch, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. Hierin muß aber deshalb kein Widerspruch liegen, weil dieser Satz 2 auf alle in Satz 1 geregelten Fälle verweist, ja selbst im Rahmen des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO weiterhin bei dessen 1. Alternative von Bedeutung bleibt, wenn es nämlich um die Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen geht. Außerdem enthält § 172 Abs. 1 S. 2 AO keinen eigenständigen Korrekturtatbestand, sondern ist lediglich eine Verweisungsnorm, die im Bereich der 2. Alternative des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO nun lediglich ins Leere geht (v.Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler § 172 AO Rn. 146).

19

Auf der anderen Seite schlägt allerdings der vom FG Köln (a.a.O.) für seine Auffassung angeführte Einwand, die wortgetreue Auslegung sei auch deshalb angezeigt, weil andernfalls die durch das Grenzpendlergesetz in die AO eingefügten Präklusionsvorschriften des § 364 b AO durch Anträge auf schlichte Änderung nach Erlaß der Einspruchsentscheidung unterlaufen werden könnten, nicht durch. Zutreffend hält dem das FG Sachsen-Anhalt (a.a.O.) entgegen, dieser Problematik könne ausreichend im Rahmen des bei der Entscheidung über einen Antrag auf schlichte Änderung eingeräumten Ermessens Rechnung getragen werden.

20

Gegen eine planwidrige Gesetzeslücke und damit für die hier vertretene Auffassung spricht weiter die Regelung des § 348 Nr. 1 AO . In dem dort ausgesprochenen Verbot, Einspruchsentscheidungen wiederum mit dem Einspruch anzugreifen, ist nämlich eine gesetzgeberische Tendenz erkennbar, die Einspruchsentscheidung als "letztes Wort" der Verwaltung zur Regelung eines Steuerrechtsverhältnisses anzusehen und weitere Klärung nur noch im Klageverfahren zuzulassen (so ausdrücklich: v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 172 AO , Rn. 146, der im Ergebnis ebenfalls eine Auslegung des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO über dessen Wortlaut hinaus oder eine Gesetzesanalogie ablehnt).

21

3. Aber auch wenn man der hier abgelehnten Auffassung im Grundsatz folgen wollte, könnte die Klage keinen Erfolg haben.

22

a) Im Urteil des Finanzgerichts Sachen-Anhalt (a.a.O.) wird die Analogie damit begründet, der geregelte Fall des Antrags auf schlichte Änderung ohne Einspruch und der - nach der dort vertretenen Auffassung - ungeregelte Fall des Antrags nach Einspruch und vor Ablauf der Klagefrist seien deshalb rechts-ähnlich, weil Steuerbescheide und Einspruchsentscheidungen gleichermaßen Verwaltungsakte und als solche hinsichtlich der Bestandskraft identisch seien, weil sie eben die Wirkungen lediglich eines Verwaltungsaktes im Gegensatz zu denen eines Gerichtsurteils entfalteten (Hinweis auf BFH-Urteil vom 22.03.1988 VII R 8/84 , BFHE 152, 430 , BStBl II 1988, 517 [BFH 22.03.1988 - VII R 8/84] ).

23

In dem (hier zu entscheidenden) Fall, in dem bereits ein gerichtliches Urteil ergangen ist, fehlt es mithin an einer solchen Rechtsähnlichkeit, die erst den Analogieschluß vom geregelten Fall auf den ungeregelten ermöglichte.

24

b) Abgesehen davon wäre eine schlichte Änderung aufgrund eines nach Ergehen eines erst-instanzlichen Urteils gestellten Antrags auch nach Sinn und Zweck der Regelungen über die schlichte Änderung ausgeschlossen.

25

Das Steuerbereinigungsgesetz 1986 wollte mit der Änderung des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a AO (durch Ausweitung des Änderungsbereichs gegenüber der vorherigen Fassung der Vorschrift) eine Vielzahl von Einspruchsverfahren und auch Klageverfahren entbehrlich machen. Bei Beachtung dieses Gesetzeszwecks muß die Grenze der schlichten Änderung da gezogen werden, wo die Änderung weiter ginge, als sie im förmlichen Rechtsbehelfsverfahren des Einspruchs, der Klage oder der Revision zu erreichen wäre.

26

Diesem Zweck würde aber eine Analogie oder Auslegung über den klaren Wortlaut der hier zu beurteilenden Gesetzesfassung hinaus auf den Fall, dass der Antrag auf schlichte Änderung erst nach Ergehen eines erstinstanzlichen Urteils gestellt wird, widersprechen.

27

Denn mit einer Revision kann ein Kläger - abgesehen davon, daß eine solche ohnehin nur ein engen Grenzen statthaft ist - sein Klagebegehren in der Regel nicht über den Umfang des erstinstanzlichen Klageantrags ( § 96 Abs. 1 S. 2 FGO ) hinaus das Klagebegehren erweitern, weil wegen des hinzukommenden Teils noch keine Entscheidung der Erstinstanz vorliegt, die vom Revisionsgericht rechtlich geprüft werden könnte (ständige Rspr.: z.B. BFH-Urteil vom 21.12.1993 VIII R 13/89 , BFHE 174/328, BStBl II 1994, 734 [BFH 21.12.1993 - VIII R 13/89] m.w.Nachw.; Gräber, § 123 FGO Rn. 2 m. Rechtsprechungshinweisen).

28

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .