Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.12.2007, Az.: 9 A 2131/07

Anrechnung; Ausbildung; Ausbildungserfolg; Ausbildungsförderung; Ausbildungsgefährdung; BaföG; Bewilligungszeitraum; Einkommen; Einkommensanrechnung; Eltern; Elterneinkommen; Härtefreibetrag; Vorausleistung; Zivilgericht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.12.2007
Aktenzeichen
9 A 2131/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71856
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Härtefreibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG kann nicht mehr gewährt werden, wenn das anrechenbare Einkommen der Eltern bereits durch eine Vorausleistung nach § 36 BAföG gewährt wird. Der Ausbildungserfolg ist im Bewilligungszeitraum auch ohne einen zusätzlichen Härtefreibetrag nicht gefährdet.

Die Überprüfung der richtigen Anrechnung des elterlichen Einkommens erfolgt durch das Zivilgericht.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Bewilligung die Bewilligung weiterer Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch die Gewährung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG.

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Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2002/2003 im Studiengang Sozialwesen an der Evangelischen Fachhochschule Hannover. Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 10/2002 bis 09/2003 in Höhe von 448,- EUR für den Monat 10/2002 bzw. in Höhe von 473,- EUR für den restlichen Bewilligungszeitraum. Darin enthaltenen war das anrechenbare Einkommen der Eltern des Klägers, das die Beklagte abzüglich des tatsächlich gewährten Unterhalts in Höhe von 287,41 EUR als Vorausleistung erbrachte, da es nach dem Stand der Ermittlungen sonst die Ausbildung des Klägers als gefährdet ansah. Die Ausbildungsförderung erfolgte zur Hälfte als Darlehen und zur Hälfte als Zuschuss. Nachdem das Land Niedersachsen im Unterhaltsprozess gegen die Eltern des Klägers vor dem Amtsgericht F. erfolgreich war, zahlte der Vater des Klägers den auf das Land übergegangenen Unterhaltsanspruch in Höhe von 3.448,92 EUR (12 x 287,41 EUR) vollständig an das Land.

3

Unter dem 10. September 2003 beantragte der Vater des Klägers die „außergewöhnlichen Belastungen der Eltern“ für den laufenden Bewilligungszeitraum zu berücksichtigen. Hierzu legte er Belege über 1.953,78 EUR vor, die sich u.a. aus Aufwendungen für Arztrechnungen, Arzneimittel, Zahnreinigung und Heilhilfsmittel zusammensetzen.

4

Die Beklagte erkannte nur 578,72 EUR als Aufwendungen an und bewilligte mit Bescheid vom 27. Juli 2004 nach Abzug eines Freibetrages gemäß Tz. 25.6.9 zu § 25 BAföG in Höhe von 368,16 EUR einen Härtefreibetrag in Höhe von 211,- EUR, den sie in Höhe von 17,59 EUR monatlich auf das zu berücksichtigende elterliche Einkommen anrechnete.

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Den gegen die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2006 zurück. Auf die Einzelheiten der Begründung wird verwiesen.

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Am 29. Juni 2006 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Die Beklagte habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die geltend gemachten Aufwendungen seinem Vater zwangläufig entstanden und vom Finanzamt F. als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des Einkommensteuerrechts anerkannt worden seien.

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Der Kläger beantragt,

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ihm Ausbildungsförderung unter Berücksichtigung der für seine Eltern vom Finanzamt F. jeweils für den Bewilligungszeitraum anerkannten außergewöhnlichen Belastungen zu bewilligen und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2004 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2006 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegen steht.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

15

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Bewilligung weiterer Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG wegen der seinem Vater entstandenen außergewöhnlichen Belastungen (§ 113 Abs. 5 VwGO).

16

Nach § 25 Abs. 6 BAföG kann zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben.

17

§ 25 Abs. 6 BaföG ist als Ausnahmevorschrift nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eng auszulegen. Der Verwaltungsaufwand durch eine individuelle Freibetragsfestsetzung soll nur in Kauf genommen werden, soweit die soziale Gerechtigkeit dies dringend gebietet. Dabei ist das Vorliegen einer unbilligen Härte grundsätzlich nach dem Grad der Gefährdung der Ausbildung zu beurteilen, d.h. ob der Auszubildende zumutbarerweise auf die Zurverfügungstellung des angerechneten Einkommensbetrags zur Abdeckung seines Ausbildungsbedarfs verwiesen werden kann (vgl. dazu z.B. auch Rothe/Blanke, BAföG, 5. Auflage Stand 28. Februar 2007, RdNr. 42.1 zu § 25). Eine Gefährdung der Ausbildung, der durch die Gewährung eines zusätzlich Härtefreibetrages entgegen gewirkt werden müsste, lag hier jedoch nicht vor.

18

Der Annahme einer unbilligen Härte infolge der bloßen Anwendung von § 21, § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 bis 5 BAföG steht im Falle des Klägers nämlich bereits durchgreifend die Gewährung des anrechenbaren Einkommens - soweit nicht tatsächlich ein Unterhaltsbeitrag gezahlt wurde - als Vorausleistung durch die Beklagte entgegen. Nach den Grundgedanken der staatlichen Ausbildungsförderung tritt die öffentliche Hand mit Haushaltsmitteln ein, um einzelnen jungen Menschen Ausbildungsmöglichkeiten zu eröffnen, die sie infolge zu geringer wirtschaftlicher Leistungskraft ihrer Familien andernfalls nicht wahrzunehmen vermögen. Die Ausbildungsförderung erfüllt ihre Funktion darum umso mehr, je enger sie auf die wirtschaftliche Situation der Auszubildenden und ihrer Familien im Bewilligungszeitraum abgestellt ist. Nur dann wird unter Beachtung des Gleichheitssatzes vermieden, dass entweder ein nicht benötigter oder ein noch zu geringer Förderungsbetrag geleistet wird. Das Ausbildungsförderungerecht reagiert auf von dieser Typisierung abweichende Sachverhalte an mehreren Stellen, sei es dass der Berechnungszeitraum für das Einkommen der Eltern oder Ehegatten nach § 24 Abs. 3 BAföG aktualisiert wird, sei es, dass in Härtefällen bestimmte Anrechnungsregeln zum Zuge kommen (z.B. § 23 Abs. 5, § 25 Abs. 6 BAföG) oder sei es, dass ein Ausgleich dafür geschaffen wird, dass die Eltern den ihnen rechnerisch angerechneten Unterhaltsbetrag nicht erbringen (§§ 36 f. BAföG). Der Zweck der Regelungen der §§ 36 f. BAföG besteht einerseits in der Ausfüllung der Lücke zwischen dem bürgerlichen Unterhaltsrecht und dem Ausbildungsförderungsrecht. Andererseits soll dem Auszubildenden geholfen werden, dessen Ausbildung dadurch gefährdet ist, dass seine Eltern den nach den Vorschriften des Ausbildungsförderungsgesetzes angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisten. Die Vorausleistung soll sicherstellen, dass der Auszubildende seine Ausbildung unbeeinträchtigt durchführen kann, ohne seine Eltern auf Unterhalt verklagen oder durch Arbeit seinen Unterhalt hinzuverdienen zu müssen. Die Förderungsverwaltung tritt in diesen Fällen als Vorleistender ein. Der Unterhaltsanspruch auf die von den Eltern zu leistenden Unterhaltsbeträge geht vom Auszubildenden auf die Behörde über. Ist ein solcher Fall eingetreten und bringt die Behörde an der Stelle der Eltern das anzurechnende Einkommen als Vorausleistung auf, entsteht aus der Sicht des Auszubildenden während des Bewilligungszeitraums keine finanzielle Lücke, die durch die zusätzliche Gewährung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG auszugleichen ist. Die Gefährdung der Ausbildung des Auszubildenden ist durch die Vorausleistung bereits abgewendet, denn er erhält ohne Abstriche den Gesamtbedarf, der nicht durch Leistungen seiner Eltern gedeckt ist, als Förderung.

19

So liegt es auch im vorliegenden Fall. Der Kläger erhielt als Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum tatsächlich einschließlich Vorausleistungen 448,- EUR bzw. 473,- EUR/Monat, so dass ihm unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen seiner Eltern in Höhe von 35,- EUR/Monat der errechnete Gesamtbedarf von 483,- EUR bzw. 508,- EUR uneingeschränkt zur Verfügung stand. Einer weiteren Freistellung des Einkommens der Eltern des Klägers nach § 25 Abs. 6 BAföG bedurfte es daher nicht, um seine Ausbildung im Bewilligungszeitraum nicht zu gefährden.

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Der Einwand des Klägers, es liege in seinem moralischen und finanziellen Interesse, dass das anrechenbare Einkommen seiner Eltern auch durch die Anwendung des § 25 Abs.6 BAföG zutreffend ermittelt werde, greift in dem vorliegenden Fall nicht durch. Denn eine finanzielle Besserstellung für den Bewilligungszeitraum kann der Kläger nicht erreichen. Die ihm zugeflossenen Leistungen entsprachen uneingeschränkt seinem Gesamtbedarf und bestanden ausschließlich aus den Förderungsleistungen des Staates. § 25 Abs.6 BAföG soll verhindern, dass den Eltern des Auszubildenden eine unbillige Härte um der Ausbildung der Kinder willen zugemutet wird. Dabei soll eine Gefährdung der Ausbildung vermieden werden, die dadurch entstehen könnte, dass die Eltern des Auszubildenden wegen einer sie treffenden Härte den Betrag nicht leisten. Das System der öffentlichen Ausbildungsförderung dient auch gerade dem Zweck, den Eltern solche Härtesituationen zu ersparen. Diese Situation kann bei einer Gewährung einer Vorausleitung für den Bewilligungszeitraum nicht eintreten. Ein finanzielles Interesse des Klägers wird nicht (mehr) berührt, nachdem sein Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern gemäß § 37 BAföG auf das Land übergegangen ist. Moralische Interessen sind rechtlich nicht geschützt. Die dem Kläger bewilligte und tatsächlich zugeflossene Ausbildungsförderung würde sich somit selbst dann für den streitigen Bewilligungszeitraum nicht zu seinen Gunsten ändern, wenn die Beklagte zu Unrecht den hier begehrten Härtefreibetrag nicht gewährt hätte. Auch dann erhielte er aus staatlichen Mitteln den errechneten Gesamtbedarf abzüglich der Unterhaltsleistungen.

21

Der Überlegung, dass das anrechenbare Einkommen der Eltern durch die fehlerhafte Nichtgewährung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG zu hoch angesetzt sein könnte, ist entgegenzuhalten, dass diese Fragen im Rahmen des Unterhaltsrechtstreites zwischen dem Land und den Eltern des Auszubildenden vom Zivilgericht zu klären sind (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, 5. Auflage Stand Januar 2006, RdNr. 8.2 zu § 36, m.w.N.). Einer doppelten Überprüfung der richtigen Anrechnung des elterlichen Einkommens bedarf es nicht.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.