Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.01.2024, Az.: 11 A 1/23

Ausdehnung; Disziplinarmaßnahmeverbot; Disziplinarverfahren; Einheit des Dienstvergehens; Einheitliches Dienstvergehen; Einleitungsverbot; Einstellung Disziplinarverfahren; Feststellung eines Dienstvergehens; Legalitätsprinzip; Ruhestandsbeamter

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
18.01.2024
Aktenzeichen
11 A 1/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 11350
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2024:0118.11A1.23.00

Amtlicher Leitsatz

Maßnahmeverbot nach § 16 Abs. 1 NDiszG bei späterer Ausdehnung nach § 20 Abs. 1 NDiszG.

Urteil
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 11. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Struß, die Richterin am Verwaltungsgericht Lindhorst-Schrippnick sowie die ehrenamtliche Richterin E. für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einstellungsbescheid der Beklagten vom 20.01.2023 wird insofern aufgehoben, als darin ein Dienstvergehen auch im Hinblick auf den Vorwurf der Aktenmanipulation festgestellt wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beteiligten können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem ein gegen ihn am 10.09.2021 eingeleitetes Disziplinarverfahren eingestellt worden ist. Der Tenor des Bescheids enthält die Feststellung, dass der Kläger ein Dienstvergehen begangen habe. Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Der 1976 in Frankfurt am Main geborene Kläger studierte nach Ableisten seines Wehrdienstes ab 1996 in Marburg und Bayreuth Rechtswissenschaften. Im Jahr 2001 legte er sein erstes und im Jahr 2003 sein zweites juristisches Staatsexamen ab. Anschließend erwarb er den Abschluss des Wirtschaftsjuristen an der Universität Bayreuth und wurde 2006 mit einer Arbeit zum Thema Konnexitätsprinzip in der bayerischen Verfassung promoviert. Der Kläger war 2003 und 2004 als freier Mitarbeiter eines Bayreuther Bauunternehmens und ab 2004 als Rechtsanwalt in Bayreuth tätig. Gleichzeitig war er Geschäftsführer eines Luftfahrtunternehmens. Von 2011 bis 2021 war der Kläger Oberbürgermeister der Stadt A-Stadt. Seit Anfang 2022 ist er Ruhestandsbeamter. Zum Sommersemester 2022 übernahm er eine Vertretungsprofessur im Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Kommunalrecht an der Hochschule Harz (Hochschule für angewandte Wissenschaften). Dort ist er Tarifbeschäftigter im öffentlichen Dienst.

Disziplinarisch ist der Kläger nicht in Erscheinung getreten.

Mit E-Mail vom 23.07.2020 wandte sich eine Frau F. an die Beschwerdestelle des MI. Sie thematisierte das Verhalten des Klägers in Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf eines städtischen Grundstücks. Sie nahm Bezug auf die Veräußerung des Grundstücks G.. Nach der Beseitigung von Altlasten sollten dort Wohnungen errichtet werden. Zwei Investorengruppen hatten Angebote abgegeben. Den Zuschlag erhielt die H., deren Anteile zu 100% die Klosterkammer Hannover hält.

Das Referat 32 des MI (Kommunalaufsicht) leitete Vorermittlungen (sog. Verwaltungsermittlungen) ein, die sich zunächst auf die Frage konzentrierten, ob dem Kläger vorgeworfen werden könne, das an seine private E-Mail Adresse gerichtete Schreiben der anderen Interessenten, der Investorengruppe I. } vom 24.02.2016 nicht zu den Akten genommen zu haben. In dem Brief der A-Stadter Interessenten wurde die sich anbahnende Entscheidung zugunsten der J. kritisiert und um ein Gespräch mit dem Kläger gebeten. Das Schreiben befindet sich nicht in den Verwaltungsakten. Über den Brief und das am 29.02.2016 mit dem Investor geführte Gespräch gibt es auch keinen Aktenvermerk. An dem Gespräch nahmen neben dem Kläger, der Zeuge K. als Leiter der Wirtschaftsförderung, Herr L. und mit Herrn M. ein Mitarbeiter der Interessenten teil. Der Vorwurf wird durchgehend als "Aktenmanipulation" bezeichnet. Auf diese Tatsache sowie angebliche weitere Unregelmäßigkeiten im Verfahren zur Veräußerung des Grundstücks G. wies fast ein Jahr später auch der Ratsherr der Stadt A-Stadt N. in einem Schreiben vom 29.06.2021 hin. Die in der Zwischenzeit geführten Ermittlungen bestanden vor und nach dem Schreiben des Ratsherrn vor allem darin, die Stadt A-Stadt - Adressat der Schreiben war jeweils der Stellvertreter des Klägers, der 1. Stadtrat O. - zu Stellungnahmen aufzufordern.

Nachdem der Beklagte einen Bericht des Rechnungsprüfungsamtes der Stadt A-Stadt zu dem Vorhaben P. erhalten hatte (Prüfung vom Kläger veranlasst), wurden die Vorermittlungen ausgedehnt auf die Frage, ob der Kläger am 29.11.2018 rechtswidrig eine Eilentscheidung nach § 89 NKomVG getroffen habe und seine Pflicht zur Leitung und Beaufsichtigung der Verwaltung aus § 85 Abs. 3 Satz 1 NKomVG verletzt habe, indem er das Vorhaben mit einem unzulänglichen Projektmanagement durchgeführt habe. Schließlich kam nach einem von seiner Ehefrau am 28.04.2021 verursachten Verkehrsunfall mit seinem Dienstwagen, einem Audi A6, eine möglicherweise rechtswidrige Überlassung des Dienstwagens an seine Ehefrau hinzu.

Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG sah das Referat 32 Anfang September 2021 zunächst nur im Hinblick auf den Vorwurf der Aktenmanipulation. Die damalige Referatsleiterin vertrat die Rechtsauffassung, einer Einleitung des Disziplinarverfahrens stehe das Maßnahmeverbot nach § 16 Abs. 1 NDiszG entgegen, weil das Dienstvergehen der unvollständigen Aktenführung bereits nach dem Investorengespräch vollendet gewesen sei. Dafür spreche jedenfalls mehr als für die Annahme, die Pflichtverletzung sei danach fortgeführt worden, weil der Kläger später immer noch die Gelegenheit gehabt habe, sein Fehlverhalten zu korrigieren, bzw., dass er in einer Ratssitzung vom 08.06.2021 sein Verhalten als rechtmäßig bezeichnet und damit seine Pflichtverletzung wiederholt habe. Sie riet in einem Vermerk dringend von der Einleitung des Disziplinarverfahrens ab. Der Beklagte vertrat letztlich die Rechtsmeinung, wonach ein Maßnahmeverbot der Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht entgegenstehe.

Mit Verfügung vom 10.09.2021, abgesandt am selben Tag und zugestellt am 15.09.2021, leitete er gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG wegen des Vorwurfs der Aktenmanipulation ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein. Dieser erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 12.09.2021 fand im Rahmen der Kommunalwahlen in A-Stadt die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters statt. Der Kläger kam in die Stichwahl, aus der am 24.09.2021 Frau Q. als Siegerin hervorging. Sie trat ihr Amt als Oberbürgermeisterin am 01.01.2022 an. Der Kläger wurde gem. § 83 NKomVG in den Ruhestand versetzt.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte mit Verfügung vom 04.01.2022 ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 StGB gegen den Kläger gem. § 170 Abs. 2 StPO ein, weil das dem Kläger vorgeworfene Unterdrücken des Schreibens vom 24.02.2016 unabhängig von dem Vorliegen der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr verfolgbar sei, da die Tat spätestens Anfang März 2021 verjährt sei.

Der Kläger bat in der Folgezeit drei Mal um die Einstellung des Verfahrens. Der Beklagte verwies auf andauernde Vorermittlungen zum Komplex P. und zur Dienstwagennutzung der Ehefrau. Der Kläger stellte bei der erkennenden Kammer einen Antrag auf Fristsetzung zum Abschluss des Disziplinarverfahrens gemäß § 57 NDiszG, den die damalige Berichterstatterin mit Beschluss vom 25.05.2022 ablehnte (11 E 5/22).

Mit Verfügung vom 03.05.2022 wurde das Disziplinarverfahren gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 NDiszG auf weitere Sachverhalte ausgedehnt, wozu der Kläger nach Anhörung erklärte, die Ausdehnung als solche sei unzulässig.

Der Beklagte sah nun insgesamt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Verletzung von Dienstpflichten im Hinblick auf folgende Vorwürfe (Formulierung nach Bericht Ermittlungsführerin v. 20.10.2022, s. u.):

1. Der Kläger habe ein Schreiben der Investorengruppe R. vom 24.02.2016 nicht zur betroffenen städtischen Akte genommen, obwohl dies gem. § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zu seinen Pflichten gehört hätte,

2. er habe am 29.11.2018 eine Eilentscheidung getroffen, obwohl nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Voraussetzungen des § 89 NKomVG vorgelegen hätten,

3. er habe gegen seine Pflicht zur Leitung und Beaufsichtigung der Verwaltung aus § 85 Abs. 3 Satz 1 NKomVG verstoßen, indem er es unterlassen habe, dafür zu Sorge zu tragen, dass die Vorgaben der DA Bau vom 01.04.1987 eingehalten werden und, dass diese, da veraltet, rechtzeitig überarbeitet wurde. Zudem solle er es unterlassen haben, darauf hinzuwirken, dass Regeln für ein verbindliches Projektmanagement bei dem bereichsübergreifenden Großprojekt erlassen wurden, eine federführende Führungskraft zu bestellen, sowie für einen angemessenen Personaleinsatz zu sorgen. Diese mangelnde Projektorganisation könne zudem ursächlich dafür sein, dass eine überplanmäßige Ausgabe ohne den notwendigen Gremienbeschluss in Anspruch genommen wurde,

4. er solle gegen einen Ratsbeschluss verstoßen haben, indem er seinen Dienstwagen seiner Ehefrau zur privaten Nutzung überlassen habe.

Am 31.05.2022 wurde eine Ermittlungsführerin aus dem Referat 12 (Allgemeines Beamtenrecht, Personalvertretungsrecht) bestellt. Diese befragte Herrn K. als Teilnehmer des Gesprächs vom 29.02.2016 schriftlich als Zeugen. Herr K. nahm mit Schreiben vom 03.09.2022 Stellung, konnte sich aber an Äußerungen zu dem Schreiben vom 24.02.2016 nicht erinnern. Die Ermittlungsführerin legte am 20.10.2022 einen Bericht vor (Ergebnis der Ermittlungen). Der Bericht enthielt lediglich eine rechtliche Würdigung etwaiger Pflichtverletzungen, wobei die Vorwürfe jeweils als zutreffend angesehen wurden. Ausführungen zu einer möglichen Disziplinarmaßnahme enthielt der Bericht nicht.

Der Kläger konnte zu dem Ergebnis der Ermittlungen Stellung nehmen. Er äußerte sich mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2022. Darin führt er u. a. aus, es habe keine Verpflichtung bestanden, das Schreiben vom 24.02.2016 zu den Akten zu nehmen. Der Rat habe die Eilentscheidung vom 29.11.2018 in seiner Sitzung vom 18.12.2018 gebilligt. Die Vertretung sei im Übrigen seit der Mitteilung 2018/383 vom 05.12.2018 über die Eilentscheidung informiert gewesen. Kein Ratsmitglied habe sich dagegen gewandt. Er verweise zu beiden Sachverhalten ergänzend auf die Stellungnahmen der Stadt A-Stadt. Hinsichtlich der Projektdurchführung P. sei unklar, zu welchen Zeitpunkten die behaupteten Dienstpflichtverletzungen konkret erfolgt seien. Eine Zurechnung etwaiger Defizite im Sinne eines schuldhaften Verhaltens als Hauptverwaltungsbeamter sei nicht möglich. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liege auch nicht in Bezug auf die Dienstwagennutzung seiner Ehefrau vor. Auch insoweit werde auf die Stellungnahme der Stadt A-Stadt Bezug genommen. Im Übrigen machte er erneut ein Maßnahmeverbot nach § 16 NDiszG geltend. Die Ausdehnung nach § 20 NDiszG auf schon längst bekannte Sachverhalte sei unzulässig gewesen.

Das Referat 32 befasste sich nun mit der disziplinarrechtlichen Würdigung der Dienstpflichtverletzungen und gelangte zu dem Ergebnis, es sei bei dem einheitlichen Dienstvergehen insgesamt von einem minderschweren Fehlverhalten auszugehen, für das ein Verweis als disziplinarische Reaktion ausreichend sei. Da diese Maßnahme nach § 6 Abs. 2 NDiszG aber nicht gegen einen Ruhestandsbeamten verhängt werden dürfe, sei das Disziplinarverfahren nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NDiszG einzustellen. Das hindere den Beklagten jedoch nicht, in der Einstellungsverfügung festzustellen, dass der Kläger ein Dienstvergehen begangen habe.

Der Kläger nahm erneut Stellung. Er bat darum, dass Verfahren jetzt endlich einzustellen.

Mit Bescheid vom 20.01.2023 stellte der Beklagte das Disziplinarverfahren gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 NDiszG ein. Er stellte fest, dass der Kläger ein Dienstvergehen begangen habe und legte ihm die Kosten des Verfahrens auf. Gleichzeitig befindet sich im Tenor des Bescheides der Satz: "Von Seiten des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport werden vorliegend keine Kosten geltend gemacht."

Der Kläger hat am 23.02.2023 Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, die Disziplinarverfügung vom 20.01.2023 sei rechtswidrig, soweit darin ein Dienstvergehen festgestellt werde. Das Disziplinarverfahren habe schon nicht wegen des Vorwurfs der Aktenmanipulation eingeleitet werden dürfen. Denn es habe ein Maßnahmeverbot nach § 16 NDiszG hinsichtlich dieser etwaigen bereits 5 Jahre zurückliegenden Dienstpflichtverletzung bestanden. Soweit der Beklagte wiederholt darauf hinweise, er habe nach 2016 immer wieder Gelegenheit gehabt, sein Fehlverhalten zu korrigieren, und dieses noch in der Ratssitzung vom 08.06.2021 bestätigt, werde aus einem Unterlassen ein aktives Handeln konstruiert. Das sei rechtlich nicht haltbar. Es handele sich um einen einaktigen Vorgang und nicht um ein Dauerdelikt. Andernfalls könnten Pflichtverletzungen in Form des Unterlassens nie unter das Maßnahmeverbot fallen.

Die Ausdehnungsverfügung vom 03.05.2022 sei ebenfalls rechtswidrig. Sämtliche Sachverhalte seien der Beklagten schon bei Einleitung des Disziplinarverfahrens bekannt gewesen. Es lägen auch gar keine Dienstpflichtverletzungen vor.

Das Disziplinarverfahren sei vorwiegend aus politischen und damit zweckfremden Gründen eingeleitet worden, um ihm im Wahlkampf zu schaden. Bei Einleitung des Verfahrens seien die Ermittlungen der Beklagten zum Gesamtkomplex P. noch gar nicht abgeschlossen gewesen. Es sei nur darum gegangen, ihn im Wahlkampf öffentlich zu diskreditieren.

Der Kläger beantragt,

den Einstellungsbescheid des Beklagten vom 20.01.2023 aufzuheben, soweit festgestellt wird, dass er ein Dienstvergehen begangen hat.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertieft zur Begründung seine Rechtsauffassung aus dem Einstellungsbescheid vom 20.01.2023. Ein Maßnahmeverbot nach § 16 Abs. 1 NDiszG habe bei Einleitung des Verfahrens nicht bestanden, weil die Dienstpflichtverletzung bis zu der Äußerung in der Ratssitzung angedauert habe. Die Ausdehnung des Verfahrens sei rechtmäßig erfolgt, weil die Ermittlungen zu dem Komplex P. vorher noch nicht abgeschlossen gewesen seien. In solchen Fällen bis zum Abschluss der Ermittlungen hinsichtlich jeder Einzelheit zu warten, verstoße gegen das Beschleunigungsgebot des Disziplinarverfahrens. Im Übrigen sei auf die Einheit des Disziplinarverfahrens zu verweisen. Sämtliche, dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzungen seien im Hinblick auf etwaige Persönlichkeitsmängel bzw. generalpräventive Gründe zusammen zu würdigen. Das Dienstvergehen sei erst mit der letzten vorgeworfenen Pflichtverletzung im Sinne des § 16 Abs. 1 NDiszG vollendet. Das sei hier die rechtswidrige Überlassung des Dienstwagens an die Ehefrau des Klägers, die erst mit deren Verkehrsunfall im April 2021 beendet worden sei. Den Vorwurf sachfremder Motive für die Einleitung des Verfahrens weise er zurück. Vielmehr müsse die Disziplinarbehörde nach dem Legalitätsprinzip jedem Verdacht einer Dienstpflichtverletzung nachgehen. § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NDiszG habe der Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht entgegengestanden, weil nicht festgestanden habe, dass ein Maßnahmeverbot bestehe. Es habe hierzu verschiedene Rechtsauffassungen gegeben. Insofern sei auch auf den Beschluss der Kammer vom 25.05.2022 (11 E 5/22) in dem Verfahren nach § 57 NDiszG zu verweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Der Kläger kann sich auf eine Klagebefugnis nach § 4 NDiszG i. V. m. § 42 Abs. 2 VwGO berufen, weil er durch die Feststellung eines Dienstvergehens und die Kostenentscheidung beschwert ist (vgl. allg. VG Hannover, Urt. v. 14.07.2020 - 18 A 1173/19 -; VG Münster, Urt. v. 17.06.2014 - 20 K 2835/13.BDG -, juris Rn. 19).

Die Klage ist nur teilweise begründet. Im tenorierten Umfang ist der Einstellungsbescheid des Beklagten vom 20.01.2023 - soweit er angefochten worden ist - rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 4 NDiszG i. V. m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist er - soweit das Gericht darüber zu entscheiden hatte - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ergeben sich insofern noch nicht aus der Tatsache, dass der Beklagte im Tenor des Bescheids ein Dienstvergehen festgestellt hat. In § 32 NDiszG, der die Einstellungsverfügung regelt, ist eine solche Feststellung nicht vorgesehen. Eine Disziplinarbehörde muss im Rahmen der Begründung der Einstellungsverfügung, welche § 32 Abs. 1 Satz 3 NDiszG ausdrücklich vorschreibt, bei einem Maßnahmeverbot nach § 15 NDiszG oder § 16 NDiszG ausführen, ob ein Dienstvergehen vorliegt und gegebenenfalls auch, welche Disziplinarmaßnahme verhängt worden wäre. Nur so ist beispielsweise die Einstellung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NDiszG zu begründen. Der Beklagte hat hier die Auffangvorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NDiszG herangezogen. Danach stellt die Disziplinarbehörde das Disziplinarverfahren ein, wenn das Disziplinarverfahren oder eine Disziplinarmaßnahme aus sonstigen Gründen unzulässig ist. Auch zur Begründung der Einstellung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NDiszG sowie zur Begründung der Kostenentscheidung waren Ausführungen zum Dienstvergehen und zur Disziplinarmaßnahme unerlässlich. Der Einstellungsbescheid vom 20.01.2023 enthält bereits mit der Begründung der Einstellung eine gerichtlich mit der Anfechtungsklage überprüfbare Beschwer. Die zusätzliche Aufnahme der Feststellung des Dienstvergehens in den Tenor bedeutet, wenn überhaupt, nur eine geringfügige zusätzliche Beschwer. Sie ist rechtlich zulässig.

2. Ist die Hervorhebung des Dienstvergehens im Tenor für sich genommen rechtlich nicht zu beanstanden, so ist die Feststellung eines Dienstvergehens nur teilweise rechtmäßig. Ein Dienstvergehen begehen Beamtinnen und Beamte nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Das Dienstvergehen ist immer ein einheitliches Dienstvergehen, d. h. sämtliche Pflichtverstöße, die Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, unterliegen einer einheitlichen Bewertung nach § 14 NDiszG im Hinblick auf das Gesamtverhalten des betroffenen Beamten (vgl. zum einheitlichen Dienstvergehen BVerwG, u. a. Beschl. v. 29.07.2009 - 2 B 15.09 -, juris).

Im Hinblick auf den Klageantrag ist für die rechtliche Bewertung eines vom Kläger begangenen Dienstvergehens nach den einzelnen, ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen zu differenzieren.

a) Der Beklagte durfte in dem Einstellungsbescheid den Vorwurf der Aktenmanipulation bei der Feststellung eines Dienstvergehens nicht berücksichtigen. Insofern bestand bereits ein Einleitungshindernis nach § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NDiszG. Nach dieser Vorschrift wird ein Disziplinarverfahren nicht eingeleitet, wenn feststeht, dass nur eine Disziplinarmaßnahme in Betracht kommt, die nach § 15 oder § 16 nicht ausgesprochen werden darf. Das war hier der Fall. Denn hinsichtlich des Vorwurfs der Aktenmanipulation bestand ein Disziplinarmaßnahmeverbot gemäß § 16 Abs. 1 NDiszG. Diese Bestimmung sieht vor, dass ein Verweis oder eine Geldbuße nicht mehr ausgesprochen werden darf, wenn seit Vollendung des Dienstvergehens mehr als zwei Jahre vergangen sind. Für das dem Kläger vorgehaltene Unterlassen - das Schreiben der Investorengruppe R. vom 24.02.2016 nicht zum Verwaltungsvorgang genommen zu haben - wäre isoliert betrachtet nur ein Verweis nach § 7 NDiszG in Betracht gekommen, wenn eine Disziplinarmaßnahme überhaupt als notwendig und zweckmäßig angesehen worden wäre. Die Kammer lässt offen, ob insofern eine Dienstpflichtverletzung vorlag, wofür allerdings einiges spricht, weil ein solches Schreiben in einem Interessenbekundungsverfahren auch bei Zusendung an die private E-Mail-Adresse des Klägers bei einer ordnungsgemäßen Aktenführung (Grundsatz aus § 29 VwVfG) spätestens nach dem Gespräch vom 29.02.2016 zum Verwaltungsvorgang hätte genommen werden müssen.

b) Der Beklagte hatte Anfang September lediglich die Vorermittlungen zu dem Teilaspekt des nicht zur Akte gelangten Schreibens abgeschlossen. Insoweit sah er zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, weshalb er eine Einleitung des Disziplinarverfahrens nach § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG für geboten hielt. Zu diesem Zeitpunkt bildete allein die Aktenmanipulation das Dienstvergehen im Sinne des § 18 NDiszG bzw. den "Sachverhalt" (siehe den Begriff in § 20 NDiszG), aus dem sich tatsächliche Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen ergaben. Denn weitere Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit dem Komplex P. oder der Dienstwagenüberlassung waren zwar möglich. Insoweit hatte der Beklagte aber - das ergibt sich aus verschiedenen Mails und Schreiben in dem Verwaltungsvorgang - die Ermittlungen gerade noch nicht abgeschlossen. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG lagen diesbezüglich noch nicht vor. Deshalb konnte noch nicht von einem Dienstvergehen ausgegangen werden, das sich auf den gesamten Vorgang P. und/oder die Dienstwagenüberlassung erstreckte. Dies folgt auch aus dem Hinweis auf Seite 4 der Einleitungsverfügung vom 10.09.2021, dass der gesamte Verwaltungsvorgang Grundstücksverkauf G. derzeit einer dienstrechtlichen Überprüfung unterzogen werde, sodass es gegebenenfalls noch zu einer Ausweitung des Disziplinarverfahrens kommen könne.

c) Die (mögliche) Dienstpflichtverletzung der Aktenunterdrückung war spätestens nach dem Gespräch mit den Investoren am 29.02.2016 abgeschlossen. Denn danach musste der Kläger das Schreiben der Investorengruppe vom 24.02.2016 zeitnah dem Vorgang zuführen, um die Akte zu vervollständigen. Strafrechtlich sah auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig eine Vollendung einer etwaigen Straftat zu diesem Zeitpunkt. In den folgenden Jahren gab es kein Ereignis, das rechtfertigen würde, eine Fortdauer der Dienstpflichtverletzung oder eine neue, damit unmittelbar in Zusammenhang stehende Pflichtverletzung anzunehmen. Erst in der Ratssitzung vom 08.06.2021 hat der Kläger zu dem Vorwurf Stellung genommen und sein Verhalten gerechtfertigt. Er hat - nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung - überrascht von dem Vorwurf, die Rechtsauffassung vertreten, sich im Hinblick auf das Investorenschreiben korrekt verhalten zu haben. Die Kammer sieht in der rechtfertigenden Meinungsäußerung keine "Fortsetzung" des (Ende Februar 2016 abgeschlossenen) Unterlassens und auch keine neue Pflichtverletzung.

Richtig ist darüber hinaus die Argumentation des Klägers, ein Pflichtverstoß in Form eines Unterlassens unterliege niemals dem Zeitablauf für ein Maßnahmeverbot, wenn angenommen werde, dass Unterlassen könne jederzeit beendet werden. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 16 NDiszG, kleinere Pflichtverstöße nach einer gewissen Zeit nicht mehr zu verfolgen.

Damit lag zur Aktenmanipulation ein (mögliches) vollendetes Dienstvergehen spätestens Ende Februar 2016 vor. Seit März 2018 greift das Maßnahmeverbot des § 16 Abs. 1 NDiszG.

d) Das Maßnahmeverbot stand auch im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG fest. Vernünftige Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 NDiszG bei isolierter Betrachtung des Vorwurfs der Aktenmanipulation vorlagen, bestanden bei Einleitung im September 2021 nicht. Es lag auf der Hand, dass der Verwaltungsvorgang G. bereits seit Ende Februar 2016 aufgrund einer Entscheidung des Klägers unvollständig war. Der Umstand, dass der Kläger an diesem Zustand in der Folgezeit nichts änderte, konnte beamten- und diszplinarrechtlich keinen neuen Vorwurf begründen (s. o.). Der Beschluss der Kammer vom 25.05.2022 zu den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG schließt im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf § 16 Abs. 1 NDiszG auf der Grundlage des Vorbringens des Beklagten zwar die Möglichkeit nicht aus, nach der Ratssitzung vom 08.06.2021 sei das Unterlassen fortgesetzt worden (S. 6 oben). Im vorliegenden Klageverfahren hat die Kammer indessen keine Zweifel daran, dass das Tatbestandsmerkmal des "Feststehens" in § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG erfüllt war.

e) Der Verstoß gegen § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG ist nicht durch die Erweiterung des Disziplinarverfahrens nach § 20 Abs. 1 Satz 1 NDiszG mit Verfügung vom 03.05.2022 geheilt worden. Dies könnte angenommen werden, wenn auf das einheitliche Dienstvergehen als Gegenstand des Disziplinarverfahrens abgestellt wird. Auf dieser Grundlage könnte erörtert werden, ob sämtliche Dienstpflichtverletzungen in Zusammenhang mit dem Projekt P. Gegenstand der disziplinarischen Überprüfung wurden, als noch nicht "verjährte" Tatsachen in das Verfahren einbezogen wurden. Die Kammer folgt dieser Argumentation nicht. Zwar wird bei mehreren Pflichtverstößen davon ausgegangen, dass kleinere, weiter zurückliegende Verfehlungen einbezogen werden müssen, sofern ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit späteren Pflichtverstößen besteht. Es gehe darum, das Gesamtverhalten des Beamten zu würdigen. Das Maßnahmeverbot greift dann nicht für die ersten Pflichtverstöße (BVerwG, st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 14.11.2007 - 1 D 6.06 -, NVwZ 2008, 1375, 1378, Rn. 57 - 59; Bieler/Lukat, NDiszG, Stand: November 2022, § 16 Rn. 14; Hummel/Köhler/Mayer, BDG. 5. Aufl., A. I. 2. Rn. 15; kritisch zu dieser Aufhebung des Maßnahmeverbots Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: November 2023, § 15 Rn. 8).

Auch entfällt die Sperrwirkung eines Einleitungsverbots wie in § 17 Abs. 2 Satz 1 BDG oder § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG, wenn nachträglich neue Handlungen bekannt werden, die nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gemeinsam mit derjenigen Handlung bewertet werden müssten, bezüglich derer wegen eines zu erwartenden Maßnahmeverbots zunächst von der Einleitung des Disziplinarverfahrens Abstand genommen worden ist. In diesem Fall muss das Verfahren hinsichtlich aller Vorwürfe eingeleitet werden (Gansen, a. a. O., § 17 Rn. 40a; Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl., § 15 Rn. 26).

Hier liegt der Fall jedoch anders. Obwohl der Sachverhalt zum Komplex P. nicht ausermittelt wurde, leitete der Beklagte bereits vorab ein Disziplinarverfahren zu einem abgeschlossenen länger zurückliegenden Vorfall ein. In einer solchen Konstellation genießt das Maßnahmeverbot aus § 16 NDiszG Vorrang gegenüber dem Legalitätsprinzip aus § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG. Der Verstoß gegen § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG muss berücksichtigt werden. Dafür spricht auch, dass der Beklagte das Verfahren bzgl. der Aktenmanipulation nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NDiszG hätte einstellen müssen, wenn bei den weiteren Ermittlungen ab September 2021 keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG gefunden worden wären. Der Kläger wäre dann gegen das Maßnahmeverbot, das ihn hier schützte, unnötig mit einem Disziplinarverfahren belastet worden.

Im vorliegenden Verfahren einer Anfechtungsklage gegen den Einstellungsbescheid kann der Verstoß gegen § 18 Abs. 2 Satz 1 NDiszG nur in der Weise berücksichtigt werden, dass dem Beklagten insoweit eine den Kläger belastende Feststellung untersagt wird. Deshalb muss der Einstellungsbescheid vom 20.01.2023 aufgehoben werden, soweit darin ein Dienstvergehen auch im Hinblick auf die Aktenmanipulation festgestellt wird.

4. Das Gericht teilt nicht die Rechtsauffassung des Klägers, die weiteren, über die Ausdehnung in das Verfahren gelangten Vorwürfe hätten nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens werden dürfen, weil der Sachverhalt insoweit bereits bei Einleitung am 10.09.2021 bekannt gewesen sei. Nach dem vorgelegten Bericht des Rechnungsprüfungsamts und Stellungnahmen der Stadt A-Stadt waren die Geschehnisse als solche selbstverständlich bekannt. Dem Beklagten lagen viele Einzelinformationen vor. Ob sich der Kläger als Hauptverwaltungsbeamter beamtenrechtliche Pflichtverletzungen vorwerfen lassen musste, war aber noch nicht geklärt. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG konnte der Beklagte - wie ausgeführt - noch nicht sicher darlegen. Es gibt keine Vorschrift und auch keinen Rechtsgrundsatz, dass in solchen Fällen das Disziplinarverfahren nicht schon wegen einer bereits ausermittelten Teilfrage eingeleitet werden darf (sofern nicht ein Maßnahmeverbot besteht). Dies kann zur Beschleunigung des Disziplinarverfahrens geboten sein. Es kann nach Ermessen der Disziplinarbehörde aber auch richtig sein, zunächst abzuwarten und das Disziplinarverfahren erst später einzuleiten. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist bei beiden Varianten zu berücksichtigen.

Hier ist das Disziplinarverfahren zwar unter Missachtung des Maßnahmeverbots eingeleitet worden. Daraus ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass weitere, nicht dem Maßnahmeverbot unterliegende Vorwürfe nicht in dem schon eingeleiteten Disziplinarverfahren untersucht werden durften. Nach dem Legalitätsprinzip, das nicht nur § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG, sondern auch § 20 NDiszG zugrundeliegt, war etwaigen Anhaltspunkten nachzugehen. Hier lagen die Voraussetzungen für die Einleitung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG zwar nicht im September 2021, wohl aber im Mai 2022 vor. Deshalb ist die Ausdehnungsverfügung vom 03.05.2022 aus heutiger Sicht rechtlich wie eine Einleitungsverfügung zu den drei neuen Vorwürfen zu bewerten.

5. Der Ausdehnung stand für das einheitliche Dienstvergehen das Maßnahmeverbot gem. § 16 NDiszG nicht entgegen. Da bei einem minderschweren Vergehen allerdings auch die beiden anderen Pflichtverstöße in Zusammenhang mit dem Projekt G. (Eilentscheidung 29.11.2018; Projektmanagement) dem Maßnahmeverbot unterliegen würden, ist auf die erst mit dem Verkehrsunfall der Ehefrau am 28.04.2021 beendete Dienstwagenüberlassung zurückzugreifen.

6. Den Vorwurf der Aktenmanipulation ausgenommen, ist die Feststellung, der Kläger habe in seinem Amt als Oberbürgermeister ein Dienstvergehen im Sinne des § 47 BeamtStG begangen, zutreffend.

a) Der Kläger hat mit der Eilentscheidung vom 29.11.2018 rechtswidrig gehandelt, weil die Voraussetzungen für eine Eilentscheidung nach § 89 NKomVG nicht vorlagen. Eine vorherige Entscheidung der Vertretung, d. h. des Rats der Stadt A-Stadt, konnte nach § 89 Satz 1 NKomVG eingeholt werden, so dass schon keine Rechtsgrundlage für eine etwaige Entscheidung des Hauptausschusses bestand, der nach § 89 Satz 2 NKomVG auch nicht hätte übergangen werden dürfen. Daran konnte die Kenntnisnahme des Vorgehens durch den Rat in der Sitzung vom 18.12.2018 nichts mehr ändern. Im Übrigen verweist die Kammer nach § 4 NDiszG i. V. m. § 117 Abs. 5 VwGO zu der fahrlässig begangenen Pflichtverletzung auf die Ausführungen in dem Bescheid vom 20.01.2023 (S. 4 - 6).

b) Ferner hätte der Kläger im Rahmen der Umsetzung des Projekts G. nach Ziff. 3.23 der damals geltenden Dienstanweisung für die Vorbereitung, Ausführung und Abrechnung von Baumaßnahmen von 1987 einen Grundsatzbeschluss und einen Projektfeststellungsbeschluss des Rats herbeiführen müssen. Damit hat er fahrlässig gegen seine Pflicht als Hauptverwaltungsbeamter, die Verwaltung zu leiten und zu beaufsichtigen (§ 85 Abs. 3 Satz 1 NKomVG) verstoßen. Auch insoweit wird gem. § 4 NDiszG i. V. m. § 117 Abs. 5 VwGO zu den Einzelheiten auf den Bescheid vom 20.01.2023 (S. 6 - 8) Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren unter II. 1. c. aa. bbb. bis ddd. genannten Aspekte der mangelnden Personalausstattung, des mangelnden Projektmanagements und der überplanmäßigen Verausgabung eines Teilbetrags ohne Haushaltsermächtigung vermag die Kammer keine Rechtsverletzung des Klägers als Hauptverwaltungsbeamter festzustellen. Insofern sind zwar durch den Bericht des Rechnungsprüfungsamts Defizite in genannten Bereichen zutage getreten. Ein Verstoß des Klägers gegen seine Pflichten im Rahmen der Leitungszuständigkeit nach § 85 Abs. 3 Satz 1 NKomVG ergibt sich daraus aber nicht. Infolgedessen hat er insoweit auch nicht gegen die Pflichten aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtStG und § 36 Abs. 1 BeamtStG verstoßen.

c) Dem Kläger ist aber zuzurechnen, dass er den Dienstwagen seiner Ehefrau zur privaten Nutzung überlassen hat, obwohl nach dem Wortlaut des Beschlusses des Rats der Stadt A-Stadt vom 29.11.2011 nur dem Kläger die anteilige Privatnutzung des Dienstwagens gestattet wurde und auch die von der Stadt A-Stadt angewandte Richtlinie über Dienstkraftfahrzeuge in der Landesverwaltung (Kfz-Richtlinie) die Nutzung durch die Ehefrau nicht deckte. Der Kläger hätte als Hauptverwaltungsbeamter und Jurist die unzureichende Rechtsgrundlage für die Überlassung erkennen müssen, auch wenn ansonsten niemand daran Anstoß nahm und er für die Fahrten der Ehefrau eine Entschädigung zahlte. Der Kläger handelte daher fahrlässig. Das Gericht sieht einen leichten Verstoße gegen die Pflicht zur uneigennützigen und gewissenhaften Amtsführung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und verweist ergänzend wiederum auf den Bescheid vom 20.01.2023 (S. 10, § 4 NDiszG i. V. m. § 117 Abs. 5 VwGO).

7. Das Gericht teilt die rechtliche Würdigung der o. g. Pflichtverstöße im Rahmen der hier letztlich nur theoretisch vorzunehmenden Maßnahmebemessung nach § 14 NDiszG, wonach für den Kläger als Ruhestandsbeamten heute lediglich noch eine milde disziplinarische Reaktion in Form eines Verweises nach § 7 NDiszG notwendig wäre. Das gilt allerdings auch, wenn die so genannte Aktenmanipulation außer Betracht bleibt. Auf den Bescheid wird im Übrigen verwiesen (S. 11 - 14, § 4 NDiszG i. V. m. § 117 Abs. 5 VwGO). Ein Verweis gehört nicht zu den Disziplinarmaßnahmen, die nach § 6 Abs. 2 NDiszG auch gegen Ruhestandsbeamte verhängt werden dürfen. Das Disziplinarverfahren war deshalb einzustellen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 69 Abs. 1 NDiszG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei das Gericht die dem Kläger vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen gleich gewichtet.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 4 NDiszG i. V. m. § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert ist gem. § 3 Nr. 1 NDiszG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG auf den Auffangwert festgesetzt worden.