Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.01.2024, Az.: 6 A 663/18

Führerscheinrichtlinie; Umtausch; Wohnsitzprinzip; (Entsprechende) Anwendung von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV bei einem Führerscheinumtausch

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.01.2024
Aktenzeichen
6 A 663/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 20879
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2024:0125.6A663.18.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV ist nicht nur bei vollständiger Erteilung der Fahrerlaubnis, sondern auch bei einem Führerscheinumtausch (zumindest entsprechend) anwendbar. Denn auch bei einem Umtausch handelt es sich um eine Erteilung im Sinne der Norm.

  2. 2.

    Einzelfall, in dem davon auszugehen war, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen (hier: polnischen) Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, dass ihn die ihm am 11. Oktober 2017 in Polen erteilte Fahrterlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige.

Das Amtsgericht Salzgitter entzog dem 1970 geborenen Kläger mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 4. Mai 2006 seine deutsche Fahrerlaubnis, weil er ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Kokain geführt hatte, und ordnete eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von acht Monaten Dauer an.

In dem Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis legte der Kläger ein medizinisch-psychologisches Gutachten des TÜV Nord vom 18. Januar 2007 vor, wonach zu erwarten sei, dass der Kläger zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss berauschender Mittel führen würde. Die Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde deswegen am 15. März 2007 versagt.

Im August 2017 legte der Antragsteller bei einer Verkehrskontrolle einen EU-Kartenführerschein vor, der am 8. April 2008 von der Gemeinde H. /Tschechische Republik ausgestellt worden war. Daraufhin fertigte der zuständige Polizeibeamte der Polizeiinspektion Goslar eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und bat die Beklagte um Überprüfung, inwieweit der Kläger mit dieser tschechischen Fahrerlaubnis fahren dürfe.

Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen legte der Kläger zwei Schriftstücken in tschechischer Sprache vor, die mit "DOKLAD O RODNÉM CÍSLE" bzw. "POTVRZENÍ O PRECHODNÉM POBYTU NA ÚZEMÍ" überschreiben waren. Insoweit wird auf Bl. 92 f. der Beiakte 001 Bezug genommen.

Eine seitens der Polizei durchgeführte Abfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass der Kläger seit dem 19. Oktober 1973 durchgängig unter der Adresse "B-Straße, B-Stadt" gemeldet war.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2017 bat die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt darum, die zuständige tschechische Behörde um Stellungnahme zu mehreren Fragen zu ersuchen, unter anderem zu der Frage, ob die Fahrerlaubnis unter Beachtung des Wohnsitzprinzips erteilt wurde. Daraufhin übersandte das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten ein durch Mitarbeiter des tschechischen Verkehrsministeriums am 6. Dezember 2017 unterzeichnetes Formular, in dem hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts auf die "POTVRZENÍ O PRECHODNÉM POBYTU" verwiesen wurde und die weiteren vorgegebenen Fragen u. a. zum Wohn- bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers mit "unbekannt" ("unknown") beantwortet worden waren. Einzig die Frage nach der Existenz einer Unterkunft ("existence of accomodation") wurde bejaht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Stellungnahme (Bl. 102 f. der Beiakte 001) verwiesen.

Mit Schreiben vom 6. Februar 2018 hörte die Beklagte den Kläger zu einer von ihr beabsichtigten Feststellung an, dass die tschechische Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtige bzw. von Beginn an nicht berechtigt habe, da Hinweise darauf bestünden, dass ihm die tschechische Fahrerlaubnis zu Unrecht erteilt worden sei. Sie bat insbesondere um Nachweise darüber, dass sich der Kläger nicht lediglich maximal für den Zeitraum vom 31. März bis 8. April 2008 in Tschechien aufgehalten habe.

Mit Schreiben seines vormaligen Prozessbevollmächtigten vom 13. März 2018 verwies der Kläger im Wesentlichen auf das Anerkennungsprinzip und machte geltend, dass die im Formular gestellten Fragen missverständlich seien. Jedenfalls lägen keine unbestreitbaren Informationen tschechischer Behörden dazu vor, dass er im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis keinen dem Wohnsitzerfordernis entsprechenden Wohnsitz in Tschechien gehabt habe. Die tschechischen Behörden hätten bestätigt, eine gültige Fahrerlaubnis ausgestellt zu haben. Zudem liege eine Meldebescheinigung vor, aus der hervorgehe, dass er mindestens 185 Tage in Tschechien gelebt habe. Wenn er gleichzeitig in Deutschland gemeldet gewesen sein sollte, liege hierin allenfalls ein Verstoß gegen das Meldegesetz.

Mit weiterem Schreiben vom 11. Juni 2018 teilte der Kläger mit, dass die tschechische Fahrerlaubnis vom 8. April 2008, die bis zum 8. April 2018befristet gewesen sei, in eine polnische Fahrerlaubnis "umgeschrieben" worden sei. Dabei sei der Führerschein bis zum Jahr 2032 verlängert worden. Ausweislich des im Verwaltungsvorgang befindlichen Ausdrucks einer RESPER-Auskunft vom 24. Juli 2018 und einer Kopie des Führerscheins wurde dieser dem Kläger am 11. Oktober 2017 durch die Behörde I. befristet bis zum 11. Oktober 2032 ausgestellt. Als Wohnort war unter der Nummer 8 der auf der Vorderseite des Führerscheins vermerkten Informationen "72-010 POLICE NADRBZEZNA 39" angegeben (Bl. 165 der Beiakte 001).

Daraufhin forderte die Beklagte den Kläger auch zur Vorlage einer polnischen Aufenthaltsbescheinigung auf und schrieb parallel erneut das Kraftfahrt-Bundesamt mit der Bitte an, die zuständige polnische Behörde um Stellungnahme zu mehreren Fragen zu ersuchen, unter anderem zu der Frage, ob die Fahrerlaubnis unter Beachtung des Wohnsitzprinzips erteilt worden sei.

In der Folgezeit übermittelte das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten ein durch Mitarbeiter einer polnischen Behörde am 22. August 2018 unterzeichnetes Formular, in dem die Frage, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt für mindestens 185 Tage im Jahr mit "Nein" ("no") und die Frage nach der Existenz einer Unterkunft ("existence of accomodation") mit "Ja" ("yes") beantwortet worden war, ohne dass eine Adresse dieser Unterkunft vermerkt worden war. Alle übrigen formularmäßig vorgegebenen Fragen u. a. zum Wohnort des Antragstellers wurden mit "unbekannt" ("unknown") beantwortet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Formular (Bl. 138 f. der Beiakte 001) verwiesen.

Mit Bescheid vom 21. November 2018 stellte die Beklagte fest, dass die am 11. Oktober 2017 von der Gemeinde I. (auf dem Wege der Umschreibung der durch die Gemeinde H. am 8. April 2008 erteilten tschechischen Fahrerlaubnis) erteilte polnische Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige. Sie forderte den Kläger zur Vorlage des Führerscheins zum Eintrag der Nichtberechtigung auf, drohte für den Fall der Nichtvorlage innerhalb von drei Tagen seit Zustellung des Bescheides die kostenpflichtige zwangsweise Einziehung des Führerscheins an und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Überprüfung ergeben habe, dass der Kläger die tschechische Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erhalten habe. Die polnische Fahrerlaubnis berechtige ihn nicht dazu, von dieser auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, weil die polnischen Behörden die Fahreignung des Antragstellers nicht erneut überprüft hätten. Nach nationalen Vorschriften sei zur Wiedererlangung der Kraftfahreignung ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erforderlich. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Dagegen hat der Kläger am 10. Dezember 2018 die vorliegende Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (gerichtliches Aktenzeichen: 6 B 664/18) gestellt. Zur Begründung führt er aus, dass weder im tschechischen noch im polnischen Führerschein ein deutscher Wohnsitz eingetragen sei. Er meint, durch einen im Führerschein eingetragenen Wohnort im Ausstellerstaat werde der volle Beweis für die Beachtung des Wohnsitzerfordernisses erbracht. Zudem dürfe vermutet werden, dass die in einer Auskunft des Ausstellungsstaats wiedergegebene melderechtliche Situation auch der tatsächlichen entspreche, wenn in dem Mitgliedstaat - wie in Tschechien der Fall - eine Meldepflicht bestehe. Die durch den tschechischen Staat gegebene Auskunft "unbekannt" spreche nicht für einen Wohnsitzverstoß, sondern sei neutral. Es sei schließlich möglich, in einem Industriestaat wie Tschechien zu leben, ohne Spuren bei Behörden zu hinterlassen. Sonstige Anhaltspunkte aus dem Ausstellerstaat über einen Wohnsitzverstoß lägen nicht vor. Eventuelle aus dem Inland stammende Informationen seien grundsätzlich erst dann berücksichtigungsfähig, wenn - anders als vorliegend - die Informationen aus dem Ausstellerstaat einen Wohnsitzverstoß anzeigten. Ein etwaiger Verstoß gegen Vorschriften des deutschen Melderechts könne deswegen vorliegend ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Es gäbe auch keinen Erfahrungssatz, dass das deutsche Melderegister gegenüber einem ausländischen Melderegister vorrangig sei bzw. verlässlichere Angaben beinhalte. Es sei nicht Aufgabe der Beklagten als "Superrevisionsbehörde" der tschechischen Fahrerlaubnisbehörde einzuschreiten. Vom 25. Juni 2007 bis 17. April 2008 sei er in Tschechien im Hotel J. untergebracht gewesen. Neben ihm seien dort auch Gastarbeiter mit Dauerwohnsitz eingemietet gewesen. Aus dem Umstand, dass es sich um ein Hotel gehandelt habe, folge nicht, dass er keinen Wohnsitz in Tschechien gehabt habe. Außerdem sei er schon einmal am 23. Dezember 2008 in K. von der Polizei kontrolliert worden. K. liege 22 Kilometer Luftlinie von der tschechischen Grenze entfernt. Dies zeige, dass er auch nach Ausstellung des Führerscheins noch häufiger in Tschechien gewesen sei. Er habe zahlreiche Freunde und Bekannte in Tschechien gehabt, die ihm nahegestanden hätten. Insofern verweise er auf deren schriftliche Stellungnahmen (vgl. Bl. 137 f. der Gerichtsakte).

Selbst wenn der tschechische Führerschein unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden sein sollte, so habe jedenfalls Polen die Fahrerlaubnis geprüft und selbst eine neue Fahrerlaubnis erteilt. Dies zeige sich daran, dass die polnische Behörde den Führerschein in zeitlicher Hinsicht erweitert habe und zusätzlich zu den ursprünglich umfassten Fahrerlaubnisklassen A und B noch die Klasse AM (mit Befristung) eingetragen habe. Jedenfalls müsse die umgeschriebene Fahrerlaubnis in Deutschland anerkannt werden, denn grundsätzlich sei bei jeder Umschreibung des Führerscheins die Fahreignung zu überprüfen, was auch den Fahrerlaubnisbehörden anderer EU-Staaten zuzubilligen sei. Bei einer Umschreibung oder Verlängerung sei zudem die 185-Tage-Regelung nicht einschlägig.

Zudem könne der Bescheid der Beklagten dadurch nichtig sein, dass der polnische Führerschein neben der Klasse B auch auf die Klassen AM und A2 umfasse, ihm im angefochtenen Bescheid indes nur verboten werde, von der Fahrerlaubnis der Klasse B Gebrauch zu machen.

Schließlich habe er sich über einen Zeitraum von 7 Monaten mit jeweils negativem Ergebnis auf den Konsum von Betäubungsmitteln testen lassen und nehme seit dem Vorfall, der Gegenstand des vor dem Amtsgericht Salzgitter geführten Verfahrens war, keine Betäubungsmittel mehr ein.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt wörtlich,

die Klage abzulehnen.

Zur Begründung verweist sie auf ihren Feststellungsbescheid vom 21. November 2018. Ergänzend führt sie aus, dass es sich bei dem auf den 25. Juni 2007 datierten Dokument, das anlässlich der Verkehrskontrolle im August 2017 den Polizeibeamten übergeben worden sei, nach der Übersetzung ins Deutsche nicht um eine Meldebescheinigung handele, sondern um eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung. Diese Bescheinigung spreche gegen einen Wohnsitz in Tschechien, da ein solcher in der Regel auf Dauer angelegt sei. Sie gehe davon aus, dass es sich bei der Bestätigung der Existenz einer Unterkunft in Tschechien vom 10. April 2019 um eine Auskunft auf melderechtlicher Grundlage handele, da EU-Bürger in Tschechien bereits bei einem länger als 30 Tage andauernden Aufenthalt im Land gesetzlich verpflichtet seien, sich bei der zuständigen Polizei zu melden. Eine behördliche Auskunft über einen gemeldeten Wohnsitz oder über eine Zulassung zum vorübergehenden Aufenthalt (ausländerbehördliche Erfassung) bestätige aber nicht das Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes, da sie regelmäßig auf einer entsprechenden Erklärung des Betreffenden beruhe und damit kein unwiderlegbares Indiz darstelle. Die Stellungnahmen der angeblichen Freunde des Klägers bestätigten eher noch den Verdacht eines Scheinwohnsitzes als diesen zu entkräften. So schreibe Herr L. u. a., dass beide gemeinsam regelmäßig nach Tschechien gefahren seien. Bereits die in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis habe die Klassen A, AM, A1, A2, B und B1 (national) beinhaltet. Sie sei durch die Umschreibung in Polen nicht erweitert worden. Soweit im Feststellungsbescheid lediglich die Klasse B benannt worden sei, handele es sich um Übertragungsfehler, da in der Praxis oftmals nur die größte erworbene Klasse benannt werde. Die Entscheidung des Eufach0000000030s vom 24. Oktober 2019 (- 3 B 26.19 -, juris Rn. 26 ff.) führe zu keiner Änderung der rechtlichen Bewertung, da der Kläger insbesondere einen etwaigen Wohnsitz in Tschechien kurz nach Erhalt des Führerscheins aufgegeben, keine substantiierten Angaben zu seinen persönlichen und beruflichen Bindungen gemacht und gleichzeitig seinen Wohnsitz in Deutschland beibehalten habe. Zudem weise die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Bestätigung des Innenministeriums der tschechischen Republik lediglich einen vorübergehenden Aufenthalt vom 25. Juni 2007 bis zum 15. April 2008 "zwecks Sonstiges (Touristik, Transit, Handel)" aus. Zudem bestünden im Hinblick auf die am 11. Oktober 2017 in Polen erteilte Fahrerlaubnis ebenfalls erhebliche Zweifel an einem tatsächlichen dauerhaften Wohnsitz des Klägers in Polen. Laut Auskunft des ausstellenden Staates vom 22. Oktober 2018 habe ausdrücklich kein gewöhnlicher Aufenthalt über mindestens 185 Tage in Polen bestanden, was für sich allein Zweifel an einem dauerhaften Wohnsitz in Polen begründe.

Der Kläger hat dem Gericht - jeweils in Kopie in tschechischer Sprache und mit einer Übersetzung ins Deutsche - eine Betätigung des Hotels J., wonach er dort in der Zeit vom 25. Juni 2007 bis zum 17. April 2008 untergebracht gewesen sei, die bereits im polizeilichen Ermittlungsverfahren eingereichte "POTVRZENÍ O PRECHODNÉM POBYTU NA ÚZEMÍ" (Bl. 58 ff. der Gerichtsakte), einen Auszug aus der tschechischen Fahrzeugführerkarte vom 11. April 2019, eine Auskunft der Polizeibezirksdirektion Ústi vom 10. April 2019, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Folien Bl. 76b der Gerichtsakte), eine Bestätigung des Innenministeriums der Tschechischen Republik über den Aufenthalt des Klägers vom 24. Oktober 2022 (Bl. 183 f. der Gerichtsakte) sowie eine Kopie seines tschechischen Führerscheins - das Original ist vernichtet worden - (Bl. 214 der Gerichtsakte) vorgelegt. Außerdem hat er Kopien einer Bescheinigung der "Jugend- und Drogenberatung M." vom 26. November 2009 (Bl. 63 der Gerichtsakte), aus der sich ergibt, dass er in dem Zeitraum zwischen dem 20. Februar und dem 18. September 2009 durch Urinkontrollen unter Sicht auf unterschiedliche Substanzen negativ getestet worden ist (Cannabis, Methadon, Benzodiazepine, Kokain, Morphium und Amphetamine), Stellungnahmen seiner Bekannten N. und O. vom 31. August 2019 (Bl. 137 der Gerichtsakte) sowie P. vom 3. August 2019 (Bl. 138 der Gerichtsakte) und Bescheinigungen über die ärztliche Untersuchung gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) - Teil 2 - und nach § 11 Abs. 9 und § 48 Abs. 4 und 5 FeV des Dr. med. Q. vom 19. Dezember 2019 (B. 179 f. der Gerichtsakte) vorgelegt.

Mit Beschluss vom 26. April 2019 (gerichtliches Az.: 6 B 664/18) hat das erkennende Gericht den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Juli 2019 (12 ME 88/19) zurückgewiesen.

Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das erkennende Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage der unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheides getroffenen Feststellung der Beklagten ist § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV.

Durchgreifende Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen nicht. Der Kläger ist insbesondere vor Bescheiderlass gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i. V. m. § 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Nds. VwVfG) angehört worden. Die Beklagte hat den Kläger zwar mit Schreiben vom 6. Februar 2018 lediglich zu ihrer damaligen Absicht angehört, festzustellen, dass die tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtige bzw. berechtigt habe. Nachdem der Kläger seinen tschechischen Führerschein in Polen hat umschreiben und verlängern lassen, hat die Beklagte zwar nicht ausdrücklich - zumindest nicht schriftlich - ihre Absicht dargelegt, die Feststellung hinsichtlich des nun vorliegenden polnischen Führerscheins zu erklären, und den Kläger insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Allerdings ist diese Absicht für den bereits im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertretenen Kläger, der selbst auf den Umtausch hingewiesen hat, aus den Gesamtumständen und insbesondere dem Schreiben der Beklagten vom 2. August 2018, in dem sie auf den Führerscheinumtausch eingegangen ist, den Kläger um Stellungnahme zu einem Wohnsitz in Polen und der Ankündigung, auch eine Anfrage über das Kraftfahrt-Bundesamt an die polnischen Behörden zu richten, hinreichend deutlich gewesen. Zudem hat sich der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren umfassend geäußert.

Die durch die Beklagte verfügte Feststellung, dass die am 11. Oktober 2017 in I. ausgestellte Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige, ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Bescheid ist entgegen der Andeutung des Klägers nicht etwa nach § 44 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG nichtig. Der Bescheid leidet nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Soweit der Kläger meint, die Beklagte verbiete ihm, von der Fahrerlaubnis der Klasse B Gebrauch zu machen, obwohl der Führerschein sich auch auf die Klassen AM und A2 sowie der tschechische Führerschein auf die Klasse A erstrecke, verkennt der Kläger bereits, dass die Beklagte eine solche Einschränkung auf die Klasse B im Tenor unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheides nicht vorgenommen hat. Auch aus dem Betreff lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Zwar hat die Beklagte unter dem Tenor Nr. 2 verfügt, den polnischen Führerschein der Klasse B zum Eintrag der Nichtberechtigung vorzulegen und auch im Rahmen der Begründung lediglich die Klasse B benannt. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine Beschränkung auf diese Fahrzeugklasse hat vornehmen wollen, sind jedoch nicht ersichtlich. Dementsprechend hat auch die Beklagte nachvollziehbar darauf verwiesen, dass es sich insoweit um einen Übertragungsfehler handele, da in der Praxis oftmals nur die größte erworbene Klasse benannt werde.

Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV kann die Behörde in den Fällen des § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - Kraftfahrzeuge im Inland in dem Umfang ihrer Berechtigung führen. Diese Berechtigung gilt gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie - was hier unstreitig nicht der Fall ist - als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben.

Der Anwendbarkeit dieser Regelung steht nicht entgegen, dass die polnischen Behörden die dem Kläger zuvor von den tschechischen Behörden am 8. April 2008 erteilten Führerschein umgetauscht und einen neuen Führerschein ausgestellt haben. Soweit die polnischen Behörden erstmals die Klassen AM und A2, befristet bis zum 11. Oktober 2023 aufgenommen haben, dürfte dies der Annahme eines Umtauschs nicht entgegenstehen, da jedenfalls die Klasse A2 (Krafträder mit einer Motorleistung von bis zu 35 kW und einem Leistungsgewicht bis zu 0,2 KW/kg, die nicht von einem Fahrzeug mit mehr als der doppelten Motorleistung abgeleitet sind) und wohl auch die Klasse AM (Kleinkrafträder) in Klasse A (Krafträder) aufgehen (vgl. Art. 4 Nr. 2 und 3 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein - nachfolgend: 3. EU-Führerschein-Richtlinie -; vgl. im deutschen Recht auch § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 FeV). Insbesondere aber ergibt sich aus dem Führerschein selbst, dass dieser im Wege des Umtauschs ausgestellt worden ist. Nach den Bestimmungen unter Nr. 3 des Anhangs I der 3. EU-Führerschein-Richtlinie enthält Seite 2 des Führerscheins ggf. Zusatzangaben oder Einschränkungen in kodierter Form neben der betroffenen Klasse. Hierfür werden harmonisierte Gemeinschaftscodes verwendet. Für Code 70 gilt "Umtausch des Führerscheins Nummer..., ausgestellt durch ... (EU/UN-Kennzeichnung im Falle eines Drittlandes, z.B. 70.0123456789.NL)". Einen solchen Eintrag, aus dem sich ein Umtausch des in Tschechien ausgestellten Führerscheins ergibt, enthält der polnische Führerschein des Klägers, denn auf dessen Seite 2 ist unter Punkt 12 allgemein, d. h. nicht bezogen auf eine einzelne Fahrerlaubnisklasse, sondern in einer einheitlichen Zeile unterhalb der einzelnen Fahrerlaubnisklassen eingetragen: 70.ED4857.44CZ, wobei CZ ausweislich der o. g. Regelung für die Tschechische Republik steht.

Hierauf kommt es letztlich aber nicht entscheidungserheblich an, da § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht nur bei "vollständiger" Erteilung der Fahrerlaubnis, sondern auch bei einem Führerscheinumtausch (zumindest entsprechend) anwendbar ist (vgl. BVerwG, U. v. 27.9.2012 - 3 C 34/11 -, juris Rn. 13 ff.; VG Trier, B. v. 22.2.2016 - 1 L 270/16.TR -, juris Rn. 6 ff.; Neu, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 01/2024, § 28 FeV Rn. 70.). Denn auch bei einem Umtausch handelt es sich um eine Erteilung im Sinne der Norm. Durch den Umtausch der tschechischen Fahrerlaubnis in einen polnischen Führerschein hat der Kläger nicht lediglich ein polnisches Ausweispapier erhalten, das eine tschechische Fahrerlaubnis dokumentiert. Vielmehr hat der Umtausch zu einer eigenständigen polnischen Fahrerlaubnis im Sinne der Norm geführt, ohne dass es insoweit eines selbständigen Erteilungsakts bedurft hat (vgl. ausführlich zur 2. EU-Führerschein-Richtlinie BVerwG, U. v. 27.9.2012 - 3 C 34/11 -, juris Rn. 18).

Hierfür sprechen insbesondere die unionsrechtlichen Regelungen zum Umtausch eines "Führerscheins" nach Wohnsitznahme des Inhabers in einem anderen Mitgliedstaat. Gemäß Art. 11 Abs. 1 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie kann der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen, wenn er seinen ordentlichen Wohnsitz (vgl. Art. 12 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie) in einem anderen Mitgliedsstaat begründet hat; es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist. Der Aufnahmemitgliedstaat - hier Polen - stellt damit keinen dem Umfang der Berechtigung nach vollkommen deckungsgleichen, sondern einen lediglich gleichwertigen "Führerschein" unter Berechtigung dessen nationaler Regelungen aus. Auch der Sinn und Zweck des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV spricht für die Annahme eines weiten Verständnisses des Begriffs der Erteilung, der auch die Umschreibung einschließt. Denn dieser statuiert eine Ausnahme vom unionsrechtlichen Grundsatz der Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine aus Art. 2 Abs. 1 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie. Diese Norm unterscheidet aber gerade nicht danach, ob der Führerschein nach Maßgabe von Art. 7 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie oder infolge eines Umtauschs nach Art. 11 Abs. 1 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie ausgestellt worden ist (EuGH, U. v. 29.4.2021 - C-47/20 -, juris Rn. 29). Auch materiell-rechtlich setzen sowohl die Erteilung nach Art. 7 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie in dessen Abs. 1 Buchstabe e. als auch der Umtausch nach Art. 11 Abs. 1 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie jeweils das Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes i. S. v. Art. 12 der 3. EU-Führerschein-Richtlinie voraus. Für diese Auslegung spricht im vorliegenden Fall zudem, dass mit der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis die Gültigkeitsdauer der Fahrerlaubnis verlängert wurde und damit auch die Fahrerlaubnis in zeitlicher Hinsicht erweitert wurde. In diesem Sinne versteht auch das deutsche Fahrerlaubnisrecht die Wirkung eines Umtausches, wenn in Deutschland ein ausländischer Führerschein umgetauscht wird. In § 30 Abs. 1 FeV ist ebenfalls von der Erteilung einer "Fahrerlaubnis" für die entsprechende Klasse die Rede (BVerwG, U. v. 27.9.2012 - 3 C 34.11 -, juris Rn. 18).

Vorliegend hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland.

Zu den Maßstäben des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2019 (- 3 B 26/19 -, juris Rn. 19 ff.) aus:

"Der Berechtigungsausschluss folgt bereits aus der Nichtbeachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Vorschriften für sich, eines Verkehrsverstoßes oder sonstiger Voraussetzungen bedarf es nicht (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:050718U3C9.17.0] - BVerwGE 162, 308 Rn. 35). Er gilt unmittelbar kraft Gesetzes, ohne dass hierfür ein konstitutiver Verwaltungsakt im Einzelfall erforderlich wäre (BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - 3 C 25.10 - BVerwGE 140, 256 Rn. 16 ff.).

Die Regelung - und insbesondere die eingeschränkte Prüfbefugnis des Aufnahmemitgliedstaats - geht auf unionsrechtliche Vorgaben zurück (vgl. BR-Drs. 851/08 S. 6 sowie BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - 3 C 25.10 - BVerwGE 140, 256 Rn. 11).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nur der Ausstellungsmitgliedstaat für die Überprüfung zuständig, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere die Voraussetzungen hinsichtlich des ordentlichen Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung diese Ausstellungsvoraussetzungen erfüllte. Andere Mitgliedstaaten sind daher nicht befugt, die Beachtung der unionsrechtlich aufgestellten Anforderungen nachzuprüfen (EuGH, Urteil vom 28. Februar 2019 - C-9/18 [ECLI:EU:C:2019:148], Meyn - Rn. 29 f.).

Hat ein Aufnahmemitgliedstaat triftige Gründe, die Ordnungsgemäßheit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, so hat er dies dem Ausstellungsmitgliedstaat mitzuteilen. Es ist allein Sache dieses Mitgliedstaates, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber die vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllten (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a. [ECLI:EU:C:2008:366], Wiedemann und Funk - Rn. 56 f.).

cc) Zu der eigenständigen Entscheidung, dem in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung zu versagen, ist ein Aufnahmemitgliedstaat jedoch befugt, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die unionsrechtlich vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung nicht beachtet wurde (EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a., Wiedemann und Funk - Rn. 72 und - C-334/06 u.a. [ECLI:EU:C:2008:367], Zerche u.a. - Rn. 69 sowie vom 26. April 2012 - C-419/10 [ECLI:EU:C:2012:240], Hofmann - Rn. 48 ff. m.w.N.).

Um derartige Auskünfte darf der Ausstellungsmitgliedstaat ersucht werden (EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - C-445/08 [ECLI:EU:C:2009:443], Wierer - Rn. 58 sowie Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10 [ECLI:EU:C:2012:112], Akyüz - Rn. 71 f.). Sie können auch dann berücksichtigt werden, wenn sie erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eingeholt worden sind (BVerwG, Urteile vom 25. Februar 2010 - 3 C 15.09 - BVerwGE 136, 149 Rn. 19 ff., vom 30. Mai 2013 - 3 C 18.12 - BVerwGE 146, 377 Rn. 24 und vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 - BVerwGE 162, 308 Rn. 34).

Ob die von nationalen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats herrührenden Informationen belegen, dass der Inhaber des Führerscheins zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellungsmitgliedstaat hatte, muss vom zuständigen Gericht bewertet und beurteilt werden. Ergeben die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen Hinweise auf einen Verstoß gegen die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im maßgeblichen Zeitpunkt, kann es alle Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10, Akyüz - Rn. 74 f.). Ist die durch die Ausstellung des Führerscheins begründete Annahme, das Wohnsitzerfordernis sei zum Ausstellungszeitpunkt erfüllt gewesen, durch aus dem Ausstellungsmitgliedstaat herrührende Informationen erschüttert, können deshalb auch die Einlassungen des Führerscheininhabers sowie Erkenntnisse aus Quellen des Aufnahmemitgliedstaates, wie etwa den Meldebehörden, miteinbezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 - 3 C 18.12 - BVerwGE 146, 377 Rn. 30).

Für die Begründung entsprechender Zweifel reicht es nicht aus, wenn die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats mitteilen, dass sie die Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft hätten (EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - C-445/08, Wierer - Rn. 55). Die bloße Nichtprüfung schafft kein positives Indiz, das zur Erschütterung der durch die Führerscheinausstellung begründeten Vermutung erforderlich wäre. Entsprechendes gilt daher für die Auskunft, dass Einzelheiten zu den tatsächlichen Gegebenheiten der Wohnsitznahme nicht bekannt sind (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 9. Januar 2018 - 16 B 534/17 - juris 22; zu weitgehend daher OVG Koblenz, Beschluss vom 15. Januar 2016 - 10 B 11099/15 - NJW 2016, 2052 Rn. 6 sowie OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. März 2018 - 12 ME 15/18 - NJW 2018, 1769 Rn. 8).

Ausreichende Hinweise für einen Verstoß gegen die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes können sich aber aus der vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Information ergeben, dass der Inhaber des Führerscheins sich nur kurze Zeit im Gebiet dieses Staates aufgehalten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10, Akyüz - Rn. 75). Ergibt sich aus den vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen, dass die Wohnungsmeldung die erforderliche Mindestdauer nur wenig überschreitet und erst kurz vor der Ausstellung des Führerscheins stattfand oder bereits kurz nach Erwerb des Führerscheins wieder aufgegeben wurde (vgl. UA Rn. 26 sowie VGH München, Beschluss vom 4. März 2019 - 11 B 18.34 - juris Rn. 23), oder verneinen die zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats auf Nachfrage einen mindestens 185-tägigen Aufenthalt sowie persönliche oder berufliche Bindungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 - 3 C 18.12 - BVerwGE 146, 377 Rn. 23 ff.), sind ausreichende Zweifel an der Richtigkeit des durch die Führerscheinausstellung begründeten Anscheins eines ordentlichen Wohnsitzes begründet. Derartige Umstände weisen darauf hin, dass der Inhaber des Führerscheins nur einen fiktiven Wohnsitz zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen.

Es obliegt dann dem Inhaber der Fahrerlaubnis, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 - 3 C 18.12 - BVerwGE 146, 377 Rn. 30). Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Inhaber des Führerscheins gleichzeitig einen Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 3 B 21.14 - DAR 2015, 30 Rn. 3)."

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestehen aufgrund vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen Hinweise auf einen Verstoß gegen die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung in Polen am 11. Oktober 2017. Zwar ergeben sich aus dem polnischen Führerschein selbst keine Hinweise auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis. Insbesondere ist nicht etwa die deutsche Anschrift des Klägers auf dem Führerschein vermerkt, sondern auf der Vorderseite unter Ziffer 8. "72-010 POLICE NADRBZEZNA 39" als Wohnort eingetragen. B-Stadt ist in dem polnischen Führerschein lediglich unter 3., d. h. als Geburtsort, angegeben. Zudem haben die polnischen Behörden in ihrer von der Beklagten über das Kraftfahrt-Bundesamt eingeholten Formularerklärung vom 22. August 2018 die Existenz einer Unterkunft ("existence of accomodation") bejaht. Allerdings haben sie gerade die bedeutsame Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt für mindestens 185 Tage eindeutig und unmissverständlich mit "no", also nein, beantwortet. Da diese von den polnischen Behörden herrührende Information, dass sich der Kläger nicht für mindestens 185 Tage gewöhnlich in Polen aufgehalten hat, bereits für sich betrachtet einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis belegt, zumindest aber nahelegt, können alle weiteren bekannten Umstände des vorliegenden Einzelfalls berücksichtigt werden. So spricht gegen einen ordentlichen Wohnsitz des Klägers in Polen vor allen Dingen, dass er bereits seit dem 19. Oktober 1973 durchgehend unter der Adresse "B-Straße, B-Stadt" in der Bunderepublik Deutschland gemeldet ist.

Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit sein ehemaliger Prozessbevollmächtigter - allerdings bezogen auf Tschechien - darauf hinweist, dass man seinem Mandanten einen darin zu sehenden Verstoß gegen deutsche melderechtliche Vorschriften nachsehen möge, ist darin kein substantiierter Vortrag zu erkennen. Die Möglichkeit, an mehr als einem Ort zu leben, kommt auch für den Kläger in Betracht; auch ist in Art. 12 der Führerscheinrichtlinie geregelt, welcher Ort als ordentlicher Wohnsitz anzusehen ist, wenn sich Führerscheininhaber wegen beruflicher oder persönlicher Bindungen an verschiedenen Orten in zwei oder mehr EU-Staaten aufhalten müssen. Der Kläger hat einen solchen Sachverhalt aber nicht vorgetragen, so dass das Gericht keine Grundlage für die Feststellung hat, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt in Polen seinen Wohnsitz gehabt hat. Er hat weder explizit behauptet noch ergeben sich Hinweise darauf, dass er im Zeitpunkt der Ausstellung des polnischen Führerscheins auch nur einen Zweitwohnsitz in Polen gehabt hätte. Aus seinem Vorbringen zu einem behaupteten zweiten Wohnsitz in Tschechien ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einen rechtlich relevanten Bezug zu Polen hätte. Hierzu hat sich der Kläger gar nicht verhalten. Er hat nicht einmal eine etwaige Absicht, seinen ordentlichen Wohnsitz in Polen zu begründen, konkret - geschweige denn substantiiert - behauptet oder entsprechende, von ihm bereits getroffene Vorkehrungen vorgetragen. Das Erfordernis einer substantiierten Darlegung hat dem anwaltlich vertretenen Kläger auch spätestens seit der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2019 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (- 12 ME 88/19 -, S. 8 ff. des Beschlussabdrucks) bewusst sein müssen. Gleichwohl hat er sich hierzu bis heute nicht weiter erklärt. Dies geht zu seinen Lasten.

Nach alledem kommt es nicht mehr auf die weitere Frage an, ob vorliegend bereits die ursprüngliche tschechische Fahrerlaubnis des Klägers unter einem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden ist, der in dem umgetauschten Führerschein fortwirkt.

Die weitere Verfügung der Beklagten, den polnischen Führerschein zum Eintrag der Nichtberechtigung vorzulegen, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 6 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit § 47 Abs. 2 Satz 1, 2 FeV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Fahrerlaubnisentziehungsverfahren (höchster Einzelwert der betroffenen Fahrerlaubnisklassen nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beil. 2013, 57 ff. - hier 5.000,00 EUR bzgl. Klasse B -). Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass die angefochtene Feststellung für den Kläger die gleiche Bedeutung hat, als würde ihm eine (deutsche) Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen.