Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.09.2006, Az.: L 2 KN 19/06
Rentenrechtliche Regelungen in den neuen Bundesländern im November 1990; Unterschiedliche rentenrechtliche Systeme in den alten und in den neuen Bundesländern; Bedeutung des Ortes des gewöhnlichen Aufenthaltes für die Anwendung des jeweiligen Rentensystems ; Möglichkeit einer Rentengewährung nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes (FRG) zur damaligen Zeit ; Einreise aus der ehemaligen UdSSR in die neuen Bundesländer
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.09.2006
- Aktenzeichen
- L 2 KN 19/06
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2006, 25220
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0920.L2KN19.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 28.06.2006 - S 12 KN 26/02
Rechtsgrundlagen
- Art. 9 Abs. 2 EV
- Art. 8 EV
- § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I
- § 44 Abs. 1 SGB X
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. Juni 2006 und der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2002 werden aufgehoben. Der Bescheid vom 10. März 2005 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, die dem Ehemann der Klägerin bis zu dessen Tode gewährte Altersrente rückwirkend ab dem 1. Januar 1997 und die ihr nach seinem Tode gewährte Witwenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates neu zu berechnen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und ihres Ehemannes aus beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1929 geborene Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres am 24. August 1926 geborenen und am 17. Dezember 2004 verstorbenen Ehemanns die Gewährung einer höheren Altersrente und - für die Zeit nach dem Tode ihres Ehemanns - die Gewährung einer höheren Witwenrente.
Der Ehemann und die Klägerin trafen als Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR kommend am 23. November 1990 im Bundesgebiet ein. Nach einem Zwischenaufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung J. in K. wurden sie am 07. Januar 1991 dem Land L. zugewiesen. Dort lebten sie in den folgenden Jahren. Den Aufnahmebescheid nach dem BVFG erteilte das Bundesverwaltungsamt ebenfalls am 07. Januar 1991.
Am 02. Mai 1991 beantragte der Ehemann in M. die Gewährung einer Altersrente. Am 9. Oktober 1991 erteilte die Überleitungsanstalt Sozialversicherung für die Träger der Rentenversicherung dem Ehemann einen vorläufigen Rentenbescheid, wonach dieser ab dem 01. Mai 1991 Bergmanns-Altersrente in Höhe von 805 DM nach Maßgabe des Vertrages zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sozialwesens aus dem Jahre 1960 (GBl. DDR I 1960, 453; im folgenden: Vertrag von 1960) erhielt. Dabei legte sie als Durchschnittsverdienst des Ehemannes einen Betrag von 500,00 Mark zugrunde (vgl. Auskunft der LVA Thüringen vom 27. Januar 1993).
Mit Bescheid von Februar 1993 gewährte die Beklagte dem Ehemann eine Bergmannsaltersrente für die Zeit vom 01. Februar bis 31. Dezember 1991 in Höhe des bereits mit vorläufigem Bescheid vom 09. Oktober 1991 der damaligen Überleitungsanstalt Sozialversicherung zuerkannten Rentenbetrages.
Mit weiterem Bescheid vom 25. März 1993 gewährte die Beklagte dem Ehemann rückwirkend ab Januar 1992 eine Regelaltersrente in Höhe eines Zahlbetrages von (Stand: 01. Mai 1993) 1.027,02 DM.
Anfang 1994 verlegten die Klägerin und ihr Ehemann ihren Wohnsitz in die alten Bundesländer.
Mit Anwaltsschreiben vom 21. März 2001 begehrte der Ehemann eine Überprüfung des Rentenbescheides und machte insbesondere eine unzulässige Kürzung der in der früheren UdSSR zurückgelegten Versicherungszeiten um 1/6 in Anwendung der Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG) geltend.
Dieses Begehren lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2002 mit der Begründung ab, dass die gesetzlichen Vorschriften keinen Raum für eine Rentenneuberechnung nach Maßgabe des FRG ließen.
Zur Begründung der am 10. April 2002 erhobenen Klage hat der Ehemann geltend gemacht, dass der Vertrag aus dem Jahre 1960 mit Ablauf des 02. Oktober 1990 und damit bereits vor ihrem Eintreffen im Bundesgebiet völkerrechtlich erloschen sei. Soweit die Bundesregierung gestützt auf Art. 3 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II 885) in der Verordnung über die vorübergehende weitere Anwendung verschiedener völkerrechtlicher Verträge der Deutschen Demokratischen Republik vom 03. April 1991 (BGBl. II 614) in Art. 1 Ziff. 4. die vorübergehende weitere Anwendung des Vertrages von 1960 angeordnet habe, könne sich dies nicht auf Aussiedler beziehen, die - wie er dem Bundesland L. - den neuen Bundesländern gegen ihren Willen zugewiesen worden seien.
Nach dem Tode ihres Ehemanns hat die Klägerin den Rechtsstreit fortgeführt.
Mit Urteil vom 28. Juni 2006, der Klägerin zugestellt am 03. Juli 2006, hat das Sozialgericht Hannover die Klage insbesondere mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte zutreffend davon ausgehe, dass Grundlage für die Berechnung der der Klägerin zustehenden Altersrente nach Maßgabe des damaligen Übergangsrechts weiterhin der Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sozialwesens aus dem Jahre 1960 sei.
Zur Begründung der am 14. Juli 2006 eingelegten Berufung hebt die Klägerin hervor, dass die in der Verordnung vom 03. April 1991 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. II 1231) vorgesehene vorübergehende Weitergeltung des Vertrages von 1960 sich nicht habe auf Aussiedler erstrecken sollen, die gegen ihren Willen den neuen Bundesländern zugewiesen worden seien. Bezeichnenderweise betreffe die in diesem Zusammenhang herangezogene Entscheidung des BSG vom 30. April 1996 (8 RKn 2/95) einen ganz anderen Sachverhalt.
Das Abkommen aus dem Jahre 1960 sei im vorliegenden Zusammenhang um so weniger anzuwenden, als der Ehemann sonst gleichheitswidrig im Vergleich zu Aussiedlern benachteiligt würde, die den alten Bundesländern zugewiesen worden seien. Zumindest hätten die zuständigen Behörden bereits im Zuge der Betreuung des Ehemanns in der Aufnahmeeinrichtung J. in K. ihm zu einer umgehenden Rentenantragstellung raten müssen, damit er in den Genuss einer nach Maßgabe des FRG zu berechnenden Rente gekommen wäre.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts vom 28. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2002 aufzuheben und den Bescheid vom 10. März 2005 über die Gewährung einer Witwenrente zu ändern und
- 2.
die Beklagte zu verpflichten, die ihrem Ehemann gewährte Altersrente und die ihr nach dessen Tode gewährte Witwenrente nach Maßgabe des Fremdrentengesetzes in der am 23. November 1990 geltenden Fassung, hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates, rückwirkend ab 01. Januar 1997 neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat insofern Erfolg, als die Beklagte nach § 44 Abs. 1 SGB X zur Neuberechnung der dem Ehemann gewährten Altersrente und der nach dessen Tod der Klägerin gewährten Witwenrente rückwirkend ab dem 01. Januar 1997 (vgl. § 44 Abs. 4 S. 2 SGB X) zu verpflichten ist. Zwar hat die Beklagte im Ansatz zutreffend erkannt, dass dem Ehemann zunächst eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechnete Rente zustand, für die ab 1992 Entgeltpunkte nach Maßgabe des § 307a SGB VI zu ermitteln waren. Für die hiervon abweichend zunächst von dem Ehemann und inzwischen von der Klägerin als seiner Rechtsnachfolgerin angestrebte Rentenberechnung nach Maßgabe des FRG fehlt die erforderliche gesetzliche Grundlage. Bei der Berechnung der Rente des Ehemanns nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets und insbesondere des Vertrages zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sozialwesens aus dem Jahre 1960 ist der Rentenanspruch des Ehemanns jedoch verkürzt worden; dementsprechend ist auch die der Klägerin seit seinem Tode zustehende Witwenrente fehlerhaft berechnet worden.
1.
Bei der Einreise des Ehemanns in das Bundesgebiet im November 1990 galten in den alten und neuen Bundesländern unterschiedliche Regelungssysteme über die Rentengewährung: Nach Art. 8 des Einigungsvertrages i.V.m. der Anlage I Kapitel VIII waren die seinerzeit in den alten Bundesländern geltenden Bestimmungen insbesondere des Reichsknappschaftsgesetzes, des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, des Arbeiterentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Fremdrentengesetzes in den neuen Bundesländern noch nicht anzuwenden. Dort waren vielmehr nach Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertrages i.V.m. der Anlage II weiterhin die Erste Rentenverordnung der ehemaligen DDR vom 23. November 1979 und - gemäß der von der Bundesregierung gestützt auf Art. 3 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II 885) erlassenen Verordnung über die vorübergehende weitere Anwendung verschiedener völkerrechtlicher Verträge der Deutschen Demokratischen Republik vom 03. April 1991 (BGBl. II 614; geändert durch Verordnung vom 18. Dezember 1992, BGBl. II, 1231) - u.a. auch der Vertrag von 1960 den Rentengewährungen zugrundezulegen.
Der Einigungsvertrag hat den Geltungsbereich dieser beiden Rechtssysteme in den Art. 8 und 9 Abs. 2 territorial in Abhängigkeit davon abgegrenzt, ob das in Art. 3 des Vertrages genannte "Gebiet" (vgl. Art. 8 des Vertrages) oder das sonstige Bundesgebiet betroffen war. Mangels anderweitiger gesetzlicher Abgrenzungskriterien sind diese Vorgaben in Bezug auf Rentenversicherungsansprüche dahingehend zu konkretisieren, dass - entsprechend allgemeinen rentenrechtlichen Grundsätzen (vgl. etwa § 110 Abs. 2 SGB VI) - der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes des Rentenbewerbers maßgeblich sein sollte. Dieses Kriterium gewährleistet eine sachgerechte Abgrenzung. Es hätte dem Willen der Vertragspartner des Einigungsvertrages widersprochen, wenn auch ein nur kurzfristiger - den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts unberührt lassender - Wechsel des Aufenthaltsorts von den neuen in die alten Bundesländer (oder umgekehrt) zur Anwendbarkeit des jeweils anderen Rentensystems geführt hätte.
Hiervon ausgehend konnte die dem Ehemann im Jahre 1991 gewährte Rente schon deshalb nur nach Maßgabe des früheren Rechts der DDR und insbesondere auch des Vertrages zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sozialwesens aus dem Jahre 1960 berechnet werden, weil der Ehemann im Bundesgebiet einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I erstmals in den neuen Bundesländern begründet hat. Der vorausgegangene nur wenige Wochen umfassende Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung J. in K., der insbesondere der erst noch vorzunehmenden Verteilung innerhalb des Bundesgebiets diente, hatte von vornherein nur vorübergehenden Charakter, so dass J. nicht den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes bildete.
Da der Ehemann vor der Rentengewährung in den alten Bundesländern keinen Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes hatte, kam eine Rentengewährung nach Maßgabe des FRG zur damaligen Zeit nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig vom Zeitpunkt und vom Ort der Rentenantragstellung. Dementsprechend vermag die Klägerin von vornherein nicht mit dem Ansatz durchzudringen, dass ihr Ehemann durch eine fehlerhafte Beratung der beteiligten Behörden zu einer Antragstellung an einem für sie ungünstigen Ort bzw. zu einem ungünstigen Zeitpunkt bewogen worden sei und daher nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so stellen sei, als ob er den Antrag zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt an einem für ihn vorteilhaften Ort gestellt hätte.
Die genannten gesetzlichen Vorgaben differenzieren entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht nach den für die Wahl des Ortes des gewöhnlichen Aufenthaltes maßgeblichen Beweggründen. Namentlich enthielten sie keine Ausnahmeregelung des Inhalts, dass den neuen Bundesländern zugewiesene Vertriebene eine Rentenberechnung nach den Vorgaben des FRG beanspruchen konnten.
2.
Die Regelung des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über die vorübergehende weitere Anwendung verschiedener völkerrechtlicher Verträge der Deutschen Demokratischen Republik vom 03. April 1991 (in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992), wonach bei der Feststellung einer Rente u.a. unter Heranziehung des Vertrages von 1960 durch den deutschen Träger der Rentenversicherung "im Rahmen des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches" insbesondere Vorschriften des FRG anzuwenden sind, hilft der Klägerin nicht weiter. Mit der Formulierung "im Rahmen des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches" hat der Verordnungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass das FRG nur bei der Feststellung einer Rente nach dem SGB VI, nicht aber in solchen Fällen Anwendung finden soll, in denen die Rente namentlich nach der Rentenverordnung der ehemaligen DDR festzustellen war (vgl. auch Abendroth, Beendigung der Sozialversicherungsabkommen der DDR, DAngVers 1993, 209, 214).
3.
Da dem Ehemann bereits vor dem 31. Dezember 1991 ein Rentenanspruch zustand, kommt eine Rentenberechnung nach Maßgabe des FRG auch nicht unter Heranziehung der Regelung des Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG in Betracht. Die von der Klägerin des weiteren herangezogene Vorschrift des § 4 Abs. 2 FANG bestimmt lediglich für diejenigen Fallgestaltungen, in denen sich - anders als im vorliegenden Fall - ein Rentenanspruch nach dem FRG bemisst, die bei der Berechnung anzuwendende maßgebliche Fassung dieses Gesetzes.
4.
Mit Bescheid vom 25. März 1993 hat die Beklagte die zuvor gewährte Altersrente zutreffend in Anwendung des § 307a SGB VI umgewertet. Eine Neufestsetzung nach Maßgabe der Vorgaben des SGB VI und des FRG hat das Gesetz hingegen für Fälle der vorliegenden Art nicht angeordnet. Namentlich liegt keiner der Tatbestände des § 307a Abs. 9 oder 10 SGB VI vor.
Der Ehemann konnte auch keine Neuberechnung nach § 307b SGB VI beanspruchen, da ihm keine nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzüberführte Rente zustand.
5.
Auch die Verlegung des Ortes des gewöhnlichen Aufenthalts in die alten Bundesländer zu Beginn des Jahres 1994 begründete keinen Anspruch des Ehemanns auf Neuberechnung seiner Rente nach Maßgabe des FRG. Der Gesetzgeber hat einen daran anknüpfenden Neufeststellungsanspruch nicht normiert.
6.
Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der vorstehend erläuterten gesetzlichen Vorgaben vermag der Senat nicht zu erkennen.
a)
Soweit der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des FRG die Begründung von Rentenansprüchen insbesondere für Vertriebene auch ohne vorausgegangene Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung vorsieht, handelt es sich um einen Akt besonderer staatlicher Fürsorge, auf den von Verfassungs wegen kein Anspruch besteht (BVerfG, B. v. 13. Juni 2006 - 1 BvL 9/00, 1 BvL 11/00, 1 BvL 12/00, 1 BvL 5/01, 1 BvL 10/04 -). Dementsprechend fehlt es von vornherein an einer Grundlage für einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf eine Rentengewährung nach Maßgabe des FRG.
Im übrigen ist auch dem Ehemann eine Rente ohne vorausgegangene Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung gewährt worden, nur dass insoweit nicht das FRG, sondern die erläuterten Bestimmungen des Vertrages von 1960 herangezogen worden sind.
b)
Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG hätte dem Ehemann auch dann keinen Anspruch auf eine Berechnung der Rente nach Maßgabe des FRG gewährt, wenn eine solche Rentenberechnung - was der Senat ausdrücklich offen lässt - im Ergebnis für ihn günstiger gewesen wäre als die von der Beklagten herangezogene Berechnung.
Der gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns lag im Zeitpunkt der erstmaligen Rentengewährung in den neuen Bundesländern. Es bestand für den Gesetzgeber kein Anlass, seinen Anspruch nach anderen rechtlichen Vorgaben zu bemessen als nach denjenigen, die auch sonst für die Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern maßgeblich waren. Namentlich konnte der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland dem Aufnahmeersuchen des Ehemanns aus humanitären Gründen entsprochen hat, von vornherein keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine Besserstellung im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung des ihm zugewiesenen Bundeslandes begründen.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind um so weniger anzumelden, als der Gesetzgeber bei der Verwirklichung der deutschen Einheit vor allem im Bereich von Leistungsgesetzen, deren Leistungsansprüche nicht auf einer eigenen Beitragsleistung beruhen und aus Steuermitteln oder mit den Beiträgen anderer Versicherter finanziert werden müssen, einen sehr weiten Gesetzgebungsspielraum hatte, um die außergewöhnlichen sozialen Aufgaben bewältigen, Lasten tragen und Prioritäten bei begrenzten Finanzmitteln setzen zu können (vgl. BSG, U. v. 30.04.1996 - 8 RKn 2/95 - E 78, 168).
7.
Allerdings hat die Beklagte verkannt, dass die von ihr übernommene und fortgeschriebene Berechnung des anfänglichen Rentenanspruchs des Ehemanns durch die Überleitungsanstalt Sozialversicherung diesen Anspruch verkürzt hat.
a)
Da der Ehemann nach der Übersiedlung nicht mehr gearbeitet hat, war die ihm zu gewährende Rente nach Art. 5 Abs. 5 des Vertrages von 1960 nach dem durchschnittlichen Einkommen zu berechnen, das ein Werktätiger mit einer entsprechenden Qualifikation und Tätigkeit des Landes, in das sie übergesiedelt war, zum Zeitpunkt der Rentengewährung erzielt. Maßgeblich ist also das Einkommen, das ein Werktätiger in den neuen Bundesländern zum Zeitpunkt der Rentengewährung in Anwendung des Vertrages von 1960, d.h. im Februar 1991, erzielt hat.
Dabei ist allerdings weiter zu berücksichtigen, dass § 5 Abs. 1 der Ersten Rentenverordnung der DDR (dem später Art. 2 § 31 RÜG nachgebildet worden ist, vgl. auch Verbandskommentar zu Art. 2 § 31 RÜG Rn. 3) für die Rentenberechnung nicht nur auf das zuletzt erzielte Einkommen eines Rentenbewerbers, sondern auf das in den letzten 20 Jahren erzielte Einkommen abstellte. Hiervon ausgehend kann unter Berücksichtigung des mit dem Vertrag von 1960 verfolgten Integrationsziel auch im vorliegenden Zusammenhang nicht allein auf das im Zeitpunkt der Rentengewährung übliche Einkommen eines Werktätigen mit einer entsprechenden Qualifikation und Tätigkeit abgestellt werden, vielmehr ist in die Rentenberechnung das in den letzten 20 Jahren vor der Rentengewährung jeweils übliche Einkommen eines Werktätigen mit einer entsprechenden Qualifikation und Tätigkeit einzustellen.
Eine Auslegung der vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben in diesem Sinne ist insbesondere deshalb geboten, um eine vom Willen der Vertragspartner nicht gedeckte Besserstellung der Rentenbewerber aus dem jeweils anderen Abkommensstaat zu vermeiden. Auch in der früheren DDR war über die Jahre hinweg eine stetige Anhebung des Lohnniveaus zu verzeichnen.
Dies verdeutlichen insbesondere auch die Anlagen 13 und 14 zum SGB VI. Diese beruhen auf statistische Angaben, die seit 1950 in der früheren DDR erhoben wurden. Bei Anwendung der genannten Tabellenwerte ist allerdings zu berücksichtigen, dass die zugrunde liegenden statistisch erhobenen Werte zunächst um 5/6 gekürzt und sodann mit dem sich für das jeweilige Jahr aus der Anlage 10 zum SGB VI ergebenden Korrekturfaktor multipliziert worden sind (vgl. dazu Polster in Kasseler Kommentar, § 256b Rn. 11). Um aus den Werten der Anlagen 13, 14 das tatsächliche Einkommensniveau für die einzelnen Berufsgruppen ermitteln zu können, wie dieses der Rentenberechnung nach der Ersten Rentenverordnung der DDR zugrunde zu legen war, sind dementsprechend die Einkommensangaben der Tabelle 14 jeweils durch den sich für das betroffene Kalenderjahr aus der Anlage 10 ergebenden Korrekturfaktor zu dividieren und mit 6/5 zu multiplizieren. Auch nach einer entsprechenden Korrektur verdeutlichen die Tabellenwerte aber eine deutliche langfristige Lohnsteigerung.
In der UdSSR hat der Kläger in den letzten Jahren vor der dortigen Berentung schwerpunktmäßig als Elektromechaniker gearbeitet. Auch wenn diese Tätigkeit nur der Qualifikationsgruppe 4 im Sinne der Anlagen 13 und 14 zum SGB VI zuzurechnen sein dürfte, ergibt sich unter Heranziehung der Einkommenswerte der Tabelle 7 der Anlage 14 zum SGB VI in dem maßgeblichen 20-Jahres-Zeitraum von Februar 1971 bis Januar 1991 auch nach der vorstehend erläuterten Umrechnung (Division durch den sich für das betroffene Kalenderjahr aus der Anlage 10 ergebenden Korrekturfaktor und Multiplikation mit 6/5) ein deutlich höheres monatliches Durchschnittseinkommen als der von der Überleitungsanstalt Sozialversicherung herangezogene Betrag von lediglich 500 Mark.
b)
Auch im übrigen hat die Überleitungsanstalt Sozialversicherung vom 10. Oktober 1991 diesen Anspruch verkürzt hat. Die Überleitungsanstalt hat bei der Ermittlung des Rentenanspruchs des Ehemanns nach Art. 5 des Vertrages von 1960 lediglich darauf abgestellt, welchen herkömmlichen Rentenanspruch ein Versicherter in der DDR bei vergleichbarer Qualifikation und gleichen Versicherungszeiten erworben hätte. Damit haben die Überleitungsanstalt und ihr folgend die Beklagte jedoch nicht dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Absicherung allein nach Maßgabe der herkömmlichen Altersrente von den zuständigen Organen der DDR jedenfalls seit Anfang der 70er Jahre als unzureichend bewertet worden war.
Hiervon ausgehend wurde eine - von den Beschäftigten ganz überwiegend in Anspruch genommene - freiwillige Versicherung auf Zusatzrente bei der Sozialversicherung (durch Verordnung vom 15. März 1968 - GBl DDR II 154 - i.d.F. der ab 1. März 1971 in Kraft getretenen Verordnung über die Verbesserung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung und der Leistungen der Sozialversicherung bei Arbeitsunfähigkeit vom 10. Februar 1971, GBl DDR II 121) eingeführt.
Art. 2 des Vertrages von 1960 verpflichtete die Organe der DDR, die betroffenen Bürger der UdSSR in "allen Fragen der sozialen Versorgung" den eigenen Bürgern "in vollem Umfang" gleichzustellen. Hieran anknüpfend verlangt Art. 4 des Vertrages auch eine vollumfängliche Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten für die Gewährung von Renten "in vergünstigter Höhe". Die Partner des damaligen Vertrages haben damit das Ziel einer vollkommenen Integration von übersiedelnden Bürgern in das Rentensystem des Aufnahmestaates deutlich zum Ausdruck gebracht.
Auch wenn der 1960 geschlossene Vertrag keine ausdrückliche Bestimmung hinsichtlich der - erst später in der DDR eingeführten - freiwilligen Zusatzrente (FZR) enthalten konnte, ist die sich daraus ergebende Regelungslücke unter Berücksichtigung des erläuterten einvernehmlich vereinbarten Regelungsziels dahingehend zu schließen, dass Renten für Übersiedler aus der UdSSR so zu berechnen sind, als ob sie sie der FZR beigetreten seien und auch entsprechende Beiträge zur FZR entrichtet hätten.
Nur auf diesem Wege konnte das vertraglich angestrebte Ziel einer vollkommenen Integration in das Rentenversicherungssystem der DDR erreicht werden (vgl. auch BSG, U. v. 30. April 1996 a.a.O.).
Hinsichtlich des bei einer solchen Rentenberechnung zugrundezulegenden (fiktiven) Zeitpunkts eines Beitritts zur FZR und der Höhe der nachfolgend anzunehmenden Beiträge sind unter Heranziehung der letzten in der UdSSR ausgeübten Beschäftigung entsprechend dem Integrationsziel die bei Beschäftigten mit vergleichbarer Qualifikation in der früheren DDR üblichen Verhältnisse maßgeblich. Abzustellen ist darauf, wann diese jedenfalls in ihrer Mehrheit der FZR beigetreten sind und in welcher Höhe von ihnen üblicherweise Beiträge zur FZR entrichtet worden sind. Auf dieser Grundlage ist neben dem bereits ermittelten herkömmlichen Altersrentenanspruch auch die Höhe eines einem vergleichbaren Versicherten in der DDR bei Antragstellung im Februar 1991 zustehenden Zusatzrentenanspruchs zu ermitteln und nach Maßgabe des § 315b Nr. 3 SGB VI fortzuschreiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben. Namentlich fehlt der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung im Hinblick darauf, dass die Entscheidung sich aus der Anwendung von Übergangsvorschriften ergibt, bezüglich derer eine Relevanz für eine größere Zahl weiterer noch anhängiger Rechtsstreitigkeiten nicht ersichtlich ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 160 Rn. 7b).-