Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 11.09.2006, Az.: L 12 AL 183/06 ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.09.2006
- Aktenzeichen
- L 12 AL 183/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 43856
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0911.L12AL183.06ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 20 AL 201/06 ER
In dem Rechtsstreit
A.,
Antragsteller und Beschwerderführer,
gegen
Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch d. vorsitzende Mitglied der Geschäftsführung der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover,
Antragsgegnerin und Bescherdegegnerin,
hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 11. September 2006 in Bremen durch die Richter B. - Vorsitzender -, C. und D. beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 12. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
GRÜNDE
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 15. Januar 2001 bzw. 22. März 2002.
Der im Dezember 1944 geborene Antragsteller war bis zur Scheidung im Februar 2003 verheiratet. Er war in der Zeit vom 1. September 1994 zusammen mit seiner früheren Ehefrau und deren Sohn aus erster Ehe Mitgesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung - GmbH -, deren alleiniger Geschäftsführer er war und über deren Vermögen am 28. Oktober 1998 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Hinsichtlich der tatsächlichen Umstände und deren rechtlicher Bewertung, die zum Konkurs geführt haben, bestehen zwischen dem Antragsteller und den früheren Mitgesellschaftern sowie den Konkursverwaltern verschiedene Ansichten.
Mit Bescheid vom 13. August 2002 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA - jetzt: Deutsche Rentenversicherung - Bund -) nach einem Statusfeststellungsverfahren fest, dass der Antragsteller während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH dem Grunde nach versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gewesen sei. Der dagegen vom Konkursverwalter eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der BfA vom 19. März 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Auf die dagegen vom Konkursverwalter erhobene Klage hob das Sozialgericht Osnabrück mit Urteil vom 30. März 2006 (Aktenzeichen: S 13 KR 72/03) die statusfeststellenden Bescheide auf und stellte fest, dass der Kläger als Geschäftsführer der GmbH selbständig tätig gewesen sei. Über die dagegen eingelegte Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wurde - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden (Aktenzeichen: L 4 KR 134/06). Der Antrag des Antragstellers, die sofortige Vollziehung des statusfeststellenden Bescheides vom 13. August 2002 zu seinen Gunsten anzuordnen, wurde mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 11. April 2006 unter Hinweis auf das Urteil vom 30. März 2006 als unbegründet zurückgewiesen (Aktenzeichen: S 13 KR 213/04 ER). Die dagegen vom Antragsteller eingelegte Beschwerde wurde vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 26. Juli 2006 als unbegründet zurückgewiesen (Aktenzeichen: L 4 KR 142/06 ER). Zur Begründung wurde in diesem Beschluss ausgeführt, dass die Klage des Konkursverwalters gegen den zu Gunsten des Antragstellers ergangenen statusfeststellenden Bescheid vom 13. August 2002 keine aufschiebende Wirkung habe, da dies gesetzlich so geregelt sei.
Bereits am 15. Januar 2001 hatte sich der Antragsteller beim Arbeitsamt Osnabrück als arbeitslos gemeldet. Am 22. März 2002 sprach er erneut bei der Arbeitsverwaltung mit dem Begehren vor, ihm rückwirkend ab dem 15. Januar 2001 Alg zu gewähren. Auf den unter dem 24. April 2002 vom Antragsteller schriftlich eingereichten Formantrag forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Mai und 31. Juli 2002 den Antragsteller auf, näher bezeichnete Nachweise für eine beitragspflichtige Beschäftigungszeit sowie einen bestimmten Feststellungsbogen ausgefüllt vorzulegen.
Nachdem die Antragsgegnerin es zuvor schon abgelehnt hatte, Alg-Leistungen als Vorschuss zu gewähren (Bescheid vom 23. Juli 2002), lehnte sie es mit Bescheid vom 1. Juli 2004 ab, dem Antragsteller Alg zu gewähren, weil er nicht in erforderlicher Weise an der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen mitgewirkt habe. Dagegen legte der Antragsteller am 14. Juli 2004 Widerspruch ein, der von der Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2004 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der statusfeststellende Bescheid der BfA vom 13. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2003 für sie nicht bindend sei, da sie über die Frage, ob der Antragsteller als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht in seiner Tätigkeit als (Fremd-) Geschäftsführer unterlegen habe, in eigener Zuständigkeit zu entscheiden habe. Die dafür nötigen Feststellungen könnten aber nur auf der Grundlage der mit verschiedenen Schreiben angeforderten Tatsachen und Angaben des Antragstellers getroffen werden, so dass er - trotz Belehrung - der notwendigen Mitwirkung nicht nachgekommen sei. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller wohl am 11. Oktober 2004 Klage erhoben, über die - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden wurde (Aktenzeichen: S 20 AL 670/04).
Am 27. Juni 2006 hat sich der Antragsteller an das SG Osnabrück mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewandt und geltend gemacht, ihm müsse nunmehr auf seinen Antrag vom 22. März 2002 Alg gewährt werden. Denn tatsächlich verfüge die in Konkurs gefallene GmbH, deren Geschäftsführer er früher gewesen sei, nunmehr über die nötigen Finanzmittel, um für ihn die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge zu leisten. An verschiedenen Stellen während des Konkursverfahrens und auch später bei der Vollstreckung von Räumungstiteln zu seinen Lasten seien rechtswidrige Dinge geschehen. Zugleich beantragte er die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung einer bestimmten Rechtsanwältin und legte dar, dass er seit dem 1. Juli 2005 Leistungen nach dem SGB II - sog. Alg II - beziehe.
Das SG hat die Anträge mit Beschluss vom 12. Juli 2006 abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt, dass es am Anordnungsgrund fehle. Denn der Antragsteller begehre Leistungen für die Vergangenheit, da der Zeitraum, für den der Bezug von Alg für ihn denkbar sei, bereits verstrichen sei. Außerdem fehle es an einem Anordnungsanspruch, da entgegen der Ansicht des Antragstellers und den Feststellungen der BfA im Bescheid vom 13. August 2002 nicht davon ausgegangen werden könne, der Antragsteller habe als Geschäftsführer der GmbH in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III gestanden. Denn zutreffend habe das SG mit seinem Urteil vom 30. März 2006 die statusfeststellenden Bescheide aufgehoben.
Gegen den ihm am 14. Juli 2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 7. August 2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen und macht geltend, der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen habe in seinem Beschluss vom 26. Juli 2006 zutreffend festgestellt, dass die Klage des Konkursverwalters gegen den statusfeststellenden Bescheid der BfA vom 13. August 2002 keine aufschiebende Wirkung habe. Daran müsse sich auch die Antragsgegnerin halten.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Kdn.-Nr.: 264A094080) und die vom Antragsteller vorgelegten Kopien ergänzend Bezug genommen.
Gründe
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn zu Recht hat das SG im angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft dargetan hat.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung- ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache mit ihr nicht vorweg genommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m. w. N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das SG zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint. Denn das Begehren des Antragstellers läuft in der Sache darauf hinaus, dass er unter Vorgriff auf die Entscheidung, die Gegenstand des Klageverfahrens zum Aktenzeichen S 20 AL 670/04 ist, Alg für die Zeit ab dem 15. Januar 2001 bzw. dem 22. März 2002 erhält. Grundsätzlich darf aber durch die einstweilige Regelungsanordnung nicht eine Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen werden, was bei einer Stattgabe des Begehrens des Antragstellers aber der Fall wäre, da er zur Befriedigung seines Anspruchs Geldleistungen erhielte. Der Antragsteller käme also in den Genuss einer nur vorläufigen und summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage in einem abgekürzten Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG und könnte so die normale Prüfungsfolge eines Hauptsacheverfahrens umgehen. Deswegen wird zu Recht von der herrschenden Meinung die Ansicht vertreten, grundsätzlich bestehe ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, was nur dann nicht gelten soll, wenn ohne die einstweilige Anordnung sonst schwere und später nicht wieder rückgängig zu machende Folgen eintreten würden (vgl. Binder in: Hk - SGG, 2. Auflage Baden-Baden 2005, § 86 b SGG Rdn. 44 m. w. N). Vorläufiger Rechtsschutz ist bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art nur erforderlich zur Abwehr einer drohenden Notlage, also im Regelfall für zukünftige Leistungen. Denn durch den vorläufigen Rechtsschutz soll eine konkrete Notlage umgehend behoben werden, was grundsätzlich nur noch für die Zukunft geschehen kann. Betrifft der Anspruch jedoch vollständig in der Vergangenheit liegende Leistungen, so kann es im Regelfall dem Antragsteller angesonnen werden, den Ablauf und Gang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. April 2005 - L 8 AL 59/05 ER -). Zutreffend hat das SG im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass nach allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten der Anspruch des Antragstellers auf Alg jetzt bereits lange erschöpft wäre, selbst wenn man sich zu seinen Gunsten in der Sache auf seinen Standpunkt stellen würde, er sei seinerzeit in der GmbH nicht als Selbstständiger tätig gewesen, sondern habe in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Denn in jedem Fall war bei Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 27. Juni 2006 die denkbare Dauer des Anspruchs auf Alg im Umfang von 32 Monaten (vgl. § 127 Abs. 2 und 4 Halbsatz 2 SGB III) ausgeschöpft.
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen seit dem 1. Juli 2005 und gegenwärtig laufende Leistungen nach dem SGB II erhält, so dass seine wirtschaftliche Existenz gesichert ist.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 193 Abs. 1 SGG analog zurückzuweisen.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgssaussichten in der Sache zu versagen (vgl. § 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO).
Diese Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).