Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.08.2017, Az.: S 30 AS 211/17 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
28.08.2017
Aktenzeichen
S 30 AS 211/17 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53642
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 100 € zu gewähren.

Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu 1/4 zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von zusätzlichen Leistungen für Schulbedarf zugunsten seines Sohnes. Er trägt vor, die 70 Euro Pauschale, welche vom Antragsgegner gewährt werden, reichen nicht aus, um den Schulbedarf seines Sohnes zu decken. Bereits der benötigte Grafiktaschenrechner liege kostenmäßig über 100 Euro. Dies könne er vom Regelbedarf nicht bestreiten. Zum Nachweis legte er eine Liste der zu beschaffenden Bücher, Arbeitshefte und Materialien der Schule vor. Aus diesem Grund begehre er eine Barauszahlung von 400 Euro.

Der Antragsgegner trägt vor, dem Sohn des Antragstellers seien mit Bescheid vom 06. März 2017 Leistungen für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von 70 Euro zum 01. August 2017 bewilligt worden. Entsprechend der Regelung in § 28 Abs. 3 SGB II sei die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von 70 Euro zum 01. August und 30 Euro zum 01. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt worden. Von der Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf seien alle Gegenstände umfasst, die für den Schulbesuch bzw. die Teilnahme am Schulunterricht benötigt werden. Hierzu zählten nach den Gesetzesmaterialien Gegenstände wie Schulranzen, Schulrucksack, Turnbeutel, Sportzeug oder in der Schule benutzte Instrumente wie z.B. eine Blockflöte. Des Gleichen gehörten dazu Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien wie z.B. Füller inklusive Tinte, Kugelschreiber, Bleistifte, Malstifte, Taschenrechner, Geodreieck, Mappen, Radiergummis etc. . Es liege in der Natur einer pauschalierten Gewährung, dass eine abweichende Festlegung der Bedarfe nach oben oder unten ausgeschlossen sei. Durch die Pauschalierung des Bedarfs entstehende Engpässe müssten zusätzlich mit den ansonsten zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden. Die Gewährung eines Darlehens nach § 24 SGB II komme nicht in Betracht, da ein solches Darlehen nur erbracht werden könne, wenn ein vom Regelbedarf umfasster unabweisbarer Bedarf vorliegt. Der Regelbedarf umfasse jedoch keine Leistungen für Bildung und Teilhabe, da diese abschließend in § 28 SGB II festgesetzt seien.

Mit Bescheid des Antragsgegners vom 17. August 2017 wurden die vom Antragsteller beantragten höheren Leistungen für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf abgelehnt. Widerspruch wurde bisher nicht erhoben.

II.

Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Zwar ist es der Antragsteller selbst, der den Antrag auf weitere Leistungen für Schulbedarf gestellt hat, nicht sein Sohn, die Kammer geht jedoch davon aus, dass der Antragsteller als Vertreter seines minderjährigen Sohnes handelt und das Verfahren zulässig ist.

Im vorliegenden Fall ist liegt ein Anordnungsanspruch in Form der Gewährung eines Darlehens in Höhe von 100 € vor.

In § 28 Abs. 3 SGB II ist geregelt, dass für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 01. August und 30 Euro zum 01. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt werden. Der Antragsteller hat vorgetragen und nachgewiesen, dass der Bedarf seines Sohnes diesen Betrag übersteigt. Bereits die Kosten für die von der Schule verlangten Materialien ohne den grafikfähigen Taschenrechner dürften den Betrag von 70 € nach Auffassung der Kammer ausschöpfen. Die Kammer hat dies zwar nur geschätzt, im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung hält sie dies jedoch für ausreichend. Auf der Homepage des Gymnasiums C. ist für die 8. Klasse als benötigtes Material unter anderem ein grafikfähiger Taschenrechner einer bestimmten Marke und Ausführung angegeben. Die Kammer hat mithilfe von Recherchen im Internet festgestellt, dass sich die Kosten für diesen Taschenrechner auf ca. 100 € belaufen. Um diesen Betrag übersteigt der Bedarf des Sohnes des Antragstellers die Pauschale aus § 28 Abs. 3 SGB II.

Es ist bereits umstritten, ob die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe im Rahmen einer Pauschale den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09) genügt, da es zweifelhaft ist, ob die gewährte Pauschale den tatsächlichen Bedarf tatsächlich abdecken kann (Gagel/Thommes, RN 15 zu § 28 SGB II m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung festgestellt, dass durch die Erfüllung der Schulpflicht Kindern einen besonderer existenzieller Bedarf entsteht. Ohne den Erwerb der notwendigen Schulmaterialien wie Schulbücher, Schulhefte oder Taschenrechner etc. können Kinder die Schule nicht erfolgreich besuchen. Durch den Ausschluss dieser Kosten droht den Kindern daher der Verlust von Lebenschancen (BVerfG a.a.O.). Soweit daher nachgewiesen ist, dass durch die Pauschale des § 28 Abs. 3 SGB II der schulische Bedarf des Kindes nicht gedeckt werden kann, wäre die Verweigerung von Leistungen verfassungswidrig.

Nach Auffassung der Kammer ist in Fällen wie diesem eine Anwendung des § 24 SGB II und damit die Gewährung eines Darlehens geboten. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, mit der Pauschale des § 28 Abs. 3 SGB II wäre der gesamte Regelbedarf für Leistungen für Bildung und Teilhabe umfasst, ist dies unzutreffend. Aus der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 3 SGB II (Bundestagsdrucksache 17/3404) ergibt sich, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen ist, dass der Schulbedarf teilweise bereits bei der Ermittlung des Regelbedarfs berücksichtigt wurde. Darüber hinaus ist das Bildungswesen – wozu auch die schulische Bildung gehören dürfte – auch als regelbedarfsrelevanter Anteil der EVS ausgewiesen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass § 28 Abs. 3 SGB II keineswegs den vollständigen schulischen Bedarf in jedem Einzelfall umfasst. Vielmehr ist es möglich, dass im Einzelfall ein Bedarf entsteht, der als schulischer Bedarf vom Regelsatz erfasst wird, aber durch die Pauschale des § 28 Abs. 3 SGB II oder den Regelsatz nicht gedeckt wird. Im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung ist dann die Gewährung eines Darlehens nach § 24 SGB II geboten. Eine andere Auslegung würde dazu führen, dass ein existenziell notwendiger Bedarf nicht gedeckt würde, was verfassungswidrig wäre.

Im vorliegenden Fall ist dies hinsichtlich des grafikfähigen Taschenrechners der Fall. Da dessen Kosten etwa 100 € betragen, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung eines Darlehens in dieser Höhe.

Soweit der Antragsteller vorträgt, sein Sohn benötige einen Laptop, dessen Kosten er nicht zahlen könne, hat der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass die Schule das Vorhalten eines Laptops vorschreibt. Auch auf der Internetseite der Schule ist für die Klassenstufe des Sohnes des Antragstellers der Besitz eines Laptops nicht vorgeschrieben. Auch, wenn dieser möglicherweise nützlich sein für kann das Vorankommen im Unterricht, reicht diese Annahme allein im vorliegenden Fall nicht aus, um einen entsprechenden Bedarf nachzuweisen. Hierfür bedürfte es einer entsprechenden Anforderung der Schule.

Weitere Kosten, welche von der Pauschale des § 28 Abs. 3 SGB II nicht erfasst werden sollten und die Gewährung von 400 €, wie vom Antragsteller beantragt, rechtfertigen würden, wurden nicht nachgewiesen.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass es dem Sohn des Antragstellers ohne den grafikfähigen Taschenrechner erheblich erschwert sein dürfte, dem Unterricht zu folgen. Eine zeitnahe Anschaffung ist daher im Interesse der schulischen Bildung des Kindes geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Das Rechtsmittel der Beschwerde ist nicht möglich, da der Beschwerdewert nicht erreicht wird.