Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.09.2021, Az.: 16 U 301/21

Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal"; Schlüssiger Sachvortrag für eine deliktische Haftung des Herstellers wegen Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren durch bewusstes Verbauen einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.09.2021
Aktenzeichen
16 U 301/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 72406
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bückeburg - 23.03.2021 - AZ: 2 O 159/20

In dem Rechtsstreit
... - pp. - ...
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. ... am 9. September 2021 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 2.Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 23. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieser Beschluss ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.

Er erwarb am 26. Mai 2015 von dem Autohaus B. einen neuen Seat Leon ST zum Kaufpreis von 31.300 €; diesen finanzierte er über ein Darlehen, wofür ihm insgesamt Kosten in Höhe von 36.167,62 € entstanden. In dem Fahrzeug ist ein VW-Dieselmotor vom Typ EA 288 EUR 6 verbaut, der nach Auffassung des Klägers unter den sog. "Diesel-Abgasskandal" fällt.

Das Landgericht hat die auf Rückabwicklung gerichtete Klage durch Urteil vom 23. März 2021 (Bl. 54 ff. Bd. II d.A.), auf das wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts, der tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen, weil der Kläger weder ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten hinsichtlich des in dem Pkw verbauten Thermofensters noch das Vorliegen einer sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung substantiiert dargetan habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 23. März 2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Bückeburg, Az. 2 O 159/20, wie folgt zu erkennen:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 32.324,62 EUR sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.08.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Seat Leon ST mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer XXX.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Seat Leon ST mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer XXX seit dem 24.08.2020 in Annahmeverzug befindet.

  3. 3.

    Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten Kosten in Höhe von 629,70 EUR (netto), zuzüglich der gesetzlich geltenden Umsatzsteuer gegenüber der ABC - Partnerschaft von Rechtsanwälten freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 1. Juli 2021 (Bl. 129 ff. Bd. II d. A.) darauf hingewiesen, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückweisen zu wollen. Dem ist der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 16. August 2021 (Bl. 162 ff. Bd. II d. A.) entgegengetreten, mit dem er seinen Vortrag zu den behaupteten Abschalteinrichtungen und einem vermeintlich sittenwidrigen Handeln der Beklagten weiter vertieft.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet und unterliegt daher der Zurückweisung durch den vorliegenden, einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.

Die Rechtssache hat unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Komplex des sog. "Diesel-Abgasskandals" keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Unter Berücksichtigung dessen erscheint auch eine mündliche Verhandlung nicht als geboten.

Zur Begründung nimmt der Senat in vollem Umfang auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 1. Juli 2021 Bezug, an denen er festhält. Die Beschlussgründe werden durch die dazu von dem Kläger abgegebene Stellungnahme mit Schriftsatz vom 16. August 2021 nicht entkräftet; vielmehr bleibt es dabei, dass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Zu den Ausführungen des Klägers in seiner Stellungnahme ist - teilweise ergänzend, teilweise wiederholend - Folgendes festzuhalten:

1. Schlüssiger Sachvortrag für eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB wegen Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren durch bewusstes Verbauen einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware setzt voraus, dass der Anspruchsteller einen Sachverhalt ("Mangelanlage"/Grundmangel) darlegt, der - gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Umständen (vor allem einer Entscheidung beziehungsweise Äußerung der zuständigen Typgenehmigungsbehörde) - dazu führen kann, dass die deutsche Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV vornimmt, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 357/20 -, juris Rn. 30 für das Kaufrecht; Urteil vom 27. Juli 2021 - VI ZR 151/20 -, juris Rn. 13 mwN für das Deliktsrecht). Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt nicht voraus, dass eine Untersagung der Betriebserlaubnis unmittelbar bevorgestanden hätte. Es genügt, dass nicht feststand, welche der rechtlich möglichen und grundsätzlich auch die Vornahme einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV umfassenden Maßnahmen die Behörden bei Aufdeckung der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik ergreifen würden (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2021 - VI ZR 151/20 -, juris Rn. 13 mwN). Diese Gefahr besteht nicht nur bei einer bereits erfolgten Umrüstungsanordnung der zuständigen Typgenehmigungsbehörde. Vielmehr liegt sie auch in den Fällen vor, in denen die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht gefordert beziehungsweise noch nicht ihr Einverständnis mit einem solchen Vorgehen erklärt hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 357/20 -, juris Rn. 30).

Ein solches Einverständnis liegt jedoch vor, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) den streitgegenständlichen betroffenen Motortyp bereits (nachträglich) überprüft hat und es hierbei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen und darüber hinaus auch keine anderweitigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im betroffenen Fahrzeug gleichwohl eine unzulässige, im EG-Typengenehmigungsverfahren verschwiegene und auch bei der nachträglichen Prüfung unentdeckt gebliebene Abschalteinrichtung vorhanden ist, aufgrund der in der - näheren oder ferneren - Zukunft eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung gem. § 5 Abs. 1 FZV drohen könnte. In einem solchen Fall muss der Kläger Anhaltspunkte darlegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, dass für sein Fahrzeug anderes gelten und das KBA unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten Anlass zu einer inhaltlich abweichenden Auskunft und Beurteilung haben könnte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 7. Juli 2021 - 7 U 532/18 -, n.v.).

Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, hat der Senat bereits in dem oben genannten Hinweisbeschluss ausführlich dargelegt. Daran ändern auch die weiteren Ausführungen in dem Schriftsatz des Klägers vom 16. August 2021 nichts.

Soweit der Kläger darin auf die vermeintliche Unmaßgeblichkeit der Beurteilung durch das KBA abstellt, verkennt er weiterhin, dass es auf das Einverständnis der zuständigen Behörde mit dem Vorgehen des Herstellers ankommt; maßgeblich für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen, ist daher allein die Sicht des KBA als der in der Bundesrepublik Deutschland dafür zuständigen Fachbehörde. Diesem obliegt die Auslegung und Anwendung der entsprechenden Rechtsvorschriften, weswegen es - jedenfalls in einem auf Leistung von Schadensersatz durch den Motorhersteller eines Kraftfahrzeugs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gerichteten Rechtsstreit wie hier - auch nicht darauf ankommt, ob die für das Typengenehmigungsverfahren zuständige Behörde die maßgeblichen europäischen Leitlinien für Emissionsstrategien immer eindeutig zutreffend ausgelegt hat.

Aus diesem Grund ist für den vorliegenden Rechtsstreit auch rechtlich irrelevant, ob das KBA erst durch die Beklagte die weiteren Informationen zu den technischen Details der Emissionsstrategien für den Motortyp EA 288 erhalten hat. Denn jedenfalls ist das mittlerweile durch den Abgasskandal vollumfänglich "sensibilisierte" KBA auch nach erfolgter Prüfung und umfänglicher Kenntnis der Einzelheiten der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motorsteuerungssoftware bei seiner Beurteilung geblieben, unzulässige Abschalteinrichtungen seien nicht vorhanden. Was eine vermeintlich andauernde fehlerhafte Information des KBA durch die Beklagte über die genaue Funktionsweise der Fahrkurve angeht, folgt eine solche zum einen aus den vom Kläger zitierten Schriftstücken nicht ohne weiteres. Zum anderen ergibt sich, dass allein eine Fahrkurvenerkennung für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und einer daraus von dem Kläger gefolgerten "Manipulation" des Abgasreinigungssystems nicht genügt, aus dem im Hinweisbeschluss auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut der amtlichen Auskunft des KBA. Denn wenn die Grenzwerte nach den Untersuchungen des KBA auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennungsfunktion nicht überschritten werden, widerlegt dies die von dem Kläger aufgestellte Behauptung einer Beeinflussung des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatz des Fahrzeugs - nämlich ob auf dem Prüfstand oder im Realbetrieb. Maßgeblich ist aus Sicht des KBA augenscheinlich nicht, ob sich die Fahrkurve überhaupt in irgendeiner Weise auf die Emissionen auswirkt, sondern ob sie dies in grenzwertkausaler Weise tut, was nach den Prüfungen des KBA gerade nicht der Fall ist.

Schließlich vermag der Senat angesichts der auch heute noch andauernden Rechtsaufassung des KBA jedenfalls kein vorsätzliches, sittenwidriges Handeln der Beklagten zu erkennen: Steht fest, dass sich das KBA selbst in Kenntnis der Fahrkurvenerkennung nicht veranlasst sieht, die betreffenden Fahrzeuge zurückzurufen, sind auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte die Fahrkurvenerkennung bei Beantragung der Typgenehmigung für illegal gehalten und für den Fall einer Aufdeckung dieser Programmierung mit einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung gerechnet hat (vgl. insofern BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 16 ff.). Denn sie musste in Bezug auf die Auslegung und Befolgung der Verordnung (EG) 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihr gegenüber gewesen wären bzw. sind.

2. Im Hinblick auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten in Bezug auf das verbaute Thermofenster hat der Kläger auch im Rahmen seiner ergänzenden Ausführungen vom 16. August 2021 keine greifbaren Anhaltspunkte für im Typengenehmigungsverfahren verschwiegene oder unzutreffend erfolgte Angaben aufgezeigt.

Insbesondere verkennt er in diesem Zusammenhang, dass detaillierte Angaben zu den Emissionsstrategien im Typengenehmigungsverfahren erst im Jahr 2016 mit der Verordnung (EU) 2016/646 und damit nach Erteilung der Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug (Erstzulassung 2015; Bl. 59 Bd. I d.A.) eingeführt wurden. Schon aus diesem Grund war daher zum hier maßgeblichen Zeitpunkt eine von dem Kläger geforderte Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters durch die Beklagte gegenüber dem KBA nicht geschuldet.

3. Nach alledem fehlt es damit mangels Täuschung des KBA bzw. Erschleichung der Typengenehmigung auch an einer Täuschung aller potentiellen Erwerber und damit an einer deliktischen Handlung der Beklagten, die als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung anzusehen wäre (vgl. OLG Celle, Urteile vom 13. November 2019 - 7 U 367/18 -, juris und vom 18. Dezember 2019 - 7 U 511/18 -, juris).

Mangels Anspruchsgrundlage stehen dem Kläger somit weder der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch noch Nebenforderungen zu. Dementsprechend befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.