Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 02.09.2021, Az.: 8 U 119/21
Eintrittspflicht einer Betriebsschließungsversicherung anlässlich der Covid-19-Pandemie
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 02.09.2021
- Aktenzeichen
- 8 U 119/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 41497
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:0902.8U119.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 19.04.2021 - AZ: 2 O 236/20
Rechtsgrundlagen
- § 6 IfSchG
- § 7 IfSchG
- § 307 Abs. 1 BGB
- § 307 Abs. 2 BGB
- VVG VVG
Fundstelle
- VK 2021, 216
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Wird in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für die Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger gewährt und heißt es im Anschluss, "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der jeweils zum Schadenszeitpunkt aktuellen Fassung in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger", dann besteht Versicherungsschutz nur bei Betriebsschließungen aufgrund solcher Krankheiten und Krankheitserreger, die zum Zeitpunkt der Anordnung in §§ 6 und 7 IfSG ausdrücklich genannt wurden.
- 2.
Eine solche Leistungsbeschreibung ist weder intransparent, noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen.
- 3.
Eine versicherte Betriebsschließung liegt nicht vor, wenn Maßnahmen nach dem IfSG die Fortführung der versicherten betrieblichen Tätigkeit als solche nicht verbieten, sondern lediglich als Reflexwirkung anderweitiger Verbote und Einschränkungen bei dem versicherten Betrieb (hier: Catering-Service) zu einer faktischen Betriebsschließung aufgrund Wegfalls der Nachfrage bzw. Umsatzeinbruchs führen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. April 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 95.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Versicherungsleistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.
Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020 unter anderem eine Betriebsschließungsversicherung. Danach gewährt die Beklagte unter anderem Versicherungsschutz, wenn von der zuständigen Behörde "der versicherte Betrieb oder eine Betriebsstätte des versicherten Betriebs zur Verhinderung oder Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern beim Menschen geschlossen wird". Die im Versicherungsfall geschuldete Leistung beträgt 75 % des Tagesnettoumsatzes des dem Schließungszeitraum des Vorjahres entsprechenden Zeitraumes als Tagesentschädigung bis zur Dauer von 30 Schließungstagen. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem als "Baustein Betriebsschließung" bezeichnete Versicherungsbedingungen (AVB) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der AVB wird auf die Anlage K 2.5 im Anlagenband Kläger Bezug genommen. Hinsichtlich des Inhalts des Versicherungsscheins vom 7. April 2020 wird auf die Anlage K 1 im Anlagenband Kläger Bezug genommen.
Die Klägerin betreibt in Berlin seit Ende 2019 unter dem Namen S. einen Catering-Service.
Am 14. März 2020 erließ der Senat von Berlin eine Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 210, 211). Unter anderem untersagte der Senat in § 1 Abs. 1 der Verordnung die Durchführung von öffentlichen und nichtöffentlichen Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern. Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 21. März 2020 (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 219) reduzierte der Senat die Teilnehmerzahl für Veranstaltungen auf 10 Personen.
Mit der Neunten Verordnung zur Änderung der SARS-Cov-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vom 28. Mai 2020 (Abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 76. Jahrgang, Seite 507 - 517) gestattete der Senat wieder sonstige Veranstaltungen und Zusammenkünfte im Innenraum ab dem 2. Juni 2020 mit bis zu 150 Personen und ab dem 30. Juni 2020 mit bis zu 300 Personen und sonstige Veranstaltungen und Zusammenkünfte unter freiem Himmel ab dem 2. Juni 2020 mit bis zu 200 Personen, ab dem 16. Juni 2020 mit bis zu 500 Personen und ab dem 30. Juni 2020 mit bis zu 1.000 Personen.
Die Klägerin stellte ihren Betrieb zunächst ein und zeigte der Beklagten den Schadensfall an. Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 (Anlage C. 5 im Anlagenband Beklagte) lehnte die Beklagte eine Regulierung des Versicherungsfalls allerdings ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass mit den Anordnungen des Berliner Senats der Cateringbetrieb der Klägerin nicht geschlossen worden sei. Die getroffenen Maßnahmen hätten für die Klägerin lediglich Einschränkungen zur Folge.
Die Klägerin hat gemeint, dass mit den Anordnungen des Berliner Senats Großveranstaltungen vorübergehend untersagt worden seien. Das habe zumindest faktisch eine Schließung des Klägerbetriebs zur Folge gehabt. Bei verständiger Auslegung der Versicherungsbedingungen sei die Beklagte auch in einem solchen Fall zur Leistung verpflichtet.
Weil sie ihre Tätigkeit erst Endes des Jahres 2019 aufgenommen habe, lägen der Klägerin für die Anspruchsberechnung die Umsatzzahlen für März und April 2019 nicht vor. Allerdings hätte sie vom 14. März bis zum 14. April 2020 Umsätze in Höhe von 90.472,75 € erzielen können.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 90.472,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2020 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 941,70 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Versicherungsfall sei nicht eingetreten. Die Anordnung des Berliner Senats habe den Betrieb der Klägerin nicht unmittelbar betroffen, sondern lediglich Auswirkungen auf den Umsatz der Klägerin gehabt. Darüber hinaus gewähre die Beklagte lediglich Versicherungsschutz für sog. intrinsische Betriebsschließungen.
Mit Urteil vom 19. April 2021 (Bl. 74 - 85 d. A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe bereits deshalb kein Versicherungsschutz zu, weil das in den Versicherungsbedingungen in Bezug genommene Infektionsschutzgesetz im streitgegenständlichen Zeitraum das Coronavirus SARSCoV-2 bzw. die hierauf beruhende Erkrankung COVID-19 nicht namentlich aufgeführt habe.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. die ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 19. April 2021 - 2 O 236/20 -
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 90.472,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 941,70 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler im Sinne von § 513 Abs. 1, § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit Ziffer 1.1 AVB zu.
Der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Gemäß Ziffer 1.1 und Ziffer 1.1.1 AVB leistet der Versicherer unter anderem Entschädigung, wenn von der zuständigen Behörde der versicherte Betrieb oder eine Betriebsstätte des versicherten Betriebs zur Verhinderung oder Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern beim Menschen geschlossen wird.
1. Im vorliegenden Fall scheitert ein Anspruch bereits daran, dass die zuständige Behörde den Betrieb der Klägerin nicht schloss.
Gegenstand der Tätigkeit der Klägerin sind ausweislich des Handelsregisters des Amtsgerichts Berlin Charlottenburg (HRB 206308) ein Partyservice (Produktion von Speisen und die Lieferung von Speisen und Getränken), die Durchführung von Veranstaltungen jeglicher Art und die Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen.
Zutreffend hat bereits die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Verordnung des Senats Berlin vom 14. März 2020 über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin sowie die zeitlich nachfolgenden Verordnungen zwar Auswirkungen auf die faktische Fortführung des Betriebs gehabt haben mögen. Eine Betriebsschließung war hiermit aber nicht verbunden.
Für den Publikumsverkehr wurden mit der vorstehend benannten Verordnung lediglich folgende Betriebe geschlossen:
- Tanzlustbarkeiten, Messen, Ausstellungen, Spezialmärkte, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen und ähnliche Unternehmen, § 2 Abs. 1 VO,
- Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnung, § 2 Abs. 2 VO,
- Kinos, Theater, Konzerthäuser, Museen und ähnliche Einrichtungen, § 2 Abs. 3 VO,
- Prostitutionsstätten im Sinne des Prostituiertenschutzgesetzes, § 2 Abs. 4 VO,
- Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes, § 3 Abs. 1 VO,
- sonstige Gaststätten und Gaststätten im Reiseverkehr, wenn kein Mindestabstand eingehalten werden kann, § 3 Abs. 2 und 3 VO.
Der Cateringbetrieb der Klägerin fällt nicht hierunter. Das hat die Klägerin zumindest indirekt auch eingeräumt und vorgetragen, dass die Durchführung von Großveranstaltungen untersagt worden sei und dass deshalb das Haupttätigkeitsfeld der Klägerin weggebrochen sei (Bl. 5 d. A.)
Damit hat die Klägerin zugestanden, dass sie ihren Betrieb grundsätzlich weiter hätte fortführen können und aufgrund der Verordnung des Senats von Berlin lediglich die Nachfrage nach den von ihr angebotenen Leistungen teilweise einbrach. Hierauf beruhende Umsatzverluste werden von der Betriebsschließungsversicherung aber grundsätzlich nicht erfasst. Diese greift vielmehr nur ein, wenn der konkrete Betrieb entweder aufgrund einer individuell-konkreten Anordnung der zuständigen Gesundheitsbehörde oder im Wege der Allgemeinverfügung oder der Rechtsverordnung geschlossen werden muss. Allein die mit einer Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung verbundene Erschwernis der Geschäftsfortführung aufgrund eines nur noch eingeschränkten Kundenkreises, mithin ein reiner Umsatzrückgang bei im Übrigen durchaus noch möglicher Betriebsfortführung ist hingegen in der Regel kein Fall der Betriebsschließung. Hinzu kommt, dass mit der o. g. Verordnung lediglich öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen mit mehr als 50 (und später 10) Teilnehmern untersagt wurden. Die Belieferung von Veranstaltungen in einem kleineren Kreis wäre der Klägerin somit grundsätzlich durchaus möglich gewesen.
Zwar wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, dass der Versicherungsfall auch bei einer faktischen Betriebsschließung eintritt, wenn diese analog den Bindungswirkungen einer Taxe gemäß § 76 Satz 2 VVG den vom Versicherungsnehmer üblicherweise erzielten Ertrag um 10 % oder mehr reduziert (vgl. Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) (AVB BS 2002), Rn. 3).
Die Annahme eines Versicherungsfalls bereits bei einer Umsatzeinbuße von wenigstens 10 % kann allerdings mit dem Wortlaut in Ziffer 1.1.1 AVB nicht in Einklang gebracht werden. Danach schuldet der Versicherer Leistungen nur dann, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte schließt. Danach wird die behördlich angeordnete Einstellung des Betriebs versichert und nicht eine ggf. nur auf äußeren Umständen beruhende Umsatzeinbuße.
Nichts anderes ergibt sich im vorliegenden Fall aus dem Umstand, dass gemäß Ziffer 1.1.1 AVB auch die faktische Betriebsschließung für den Fall versichert ist, dass alle oder die für die Führung des Betriebs notwendigen Betriebsangehörigen mit einem Tätigkeitsverbot belegt werden und hierdurch faktisch der Betrieb geschlossen werden muss. Im Gegenteil lässt diese Ausweitung des Versicherungsschutzes erkennen, dass eine faktische Betriebsschließung auf den Fall eines Tätigkeitsverbots beschränkt werden sollte. Dass hingegen auch eine faktische Betriebsschließung aufgrund eines Umsatzeinbruchs versichert werden sollte, kann den Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden.
2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen scheitert ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aber auch daran, die Betriebsschließung nur dann versichert ist, wenn sie aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der Versicherungsbedingungen erfolgt. Gemäß Ziffer 1.3 AVB sind "meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen ... die im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der jeweils zum Schadenszeitpunkt aktuellen Fassung in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger."
Allerdings wurden im streitgegenständlichen Zeitraum vom 14. März bis zum 14. April 2020 weder COVID-19 als Krankheit noch SARS-CoV bzw. SARS-CoV-2 als Krankheitserreger in §§ 6 und 7 IfSG namentlich aufgeführt.
Namentlich genannt wurde die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erstmals in § 6 IfSG in der Fassung vom 19. Mai 2020 mit Wirkung ab dem 23. Mai 2020. Vor diesem Zeitpunkt wurden hingegen weder die Krankheit noch das die Krankheit auslösende Virus im Infektionsschutzgesetz namentlich erwähnt und zählten deshalb jedenfalls bis zum 22. Mai 2020 auch nicht zu den versicherten Risiken.
a) Entgegen der von der Klägerin im Ausgangspunkt vertretenen Auffassung kann Ziffer 1.1. AVB nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Versicherungsfall unabhängig von Ziffer 1.3 AVB aufgrund einer in §§ 6, 7 IfSG nicht namentlich genannten meldepflichtigen Erkrankung eintritt.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2020 - IV ZR 217/19; BGH, Urteil vom 8. Januar 2020 - IV ZR 240/18; BGH, Urteil vom 20. Juli 2016 - IV ZR 245/15).
Der somit in erster Linie maßgebliche Bedingungswortlaut macht einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer aber klar, dass der Versicherer lediglich das Risiko bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger übernehmen will. Verhielte es sich anders, hätte die Beklagte es bei der Regelung in Ziffer 1.1 AVB belassen können. Die Einschränkung in Ziffer 1.3 AVB wäre demgegenüber nicht nur sinnlos, sondern - aufgrund der Beschränkung auf die "namentlich" in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger - auch falsch gewesen. Eine um Beachtung des Sinnzusammenhangs bemühte Auslegung muss deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht alle meldepflichtigen Erkrankung den Versicherungsfall auslösen, sondern nur die in §§ 6, 7 IfSG ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.
Auch die Klägerin zeigt nicht auf, welche Bedeutung die Beschränkung in Ziffer 1.3 AVB besitzen soll, wenn doch nach ihrer Auffassung ohnehin alle meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach ihrer Lesart dem Versicherungsschutz unterfallen. Hinzu kommt, dass in Ziffer 4.1.3.3. unter der Überschrift "Ausschlüsse; Verwirkungsgründe" nochmals ausdrücklich klargestellt wird, dass der Versicherer nicht haftet für Schäden "bei Auftreten aller in der zum Schadenzeitpunkt jeweils aktuellen Fassung des IfSG nicht namentlich genannten Krankheiten und Erreger".
Auch die Bezugnahme auf die in §§ 6, 7 IfSG "namentlich" genannten Krankheiten führt nicht zu einer abweichenden Auslegung. Zwar wird das Adverb "namentlich" mit Begriffen wie "besonders", "vor allem" oder "hauptsächlich" gleichgesetzt (vgl. Duden, 7. Aufl., Stichwort "2namentlich"), was für eine nur beispielhafte Aufzählung sprechend könnte. Ein solches Wortverständnis würde der im vorliegenden Fall von der Beklagten gewählten Verwendung des Wortes allerdings nicht gerecht. Denn die Beklagte verwendete diesen Begriff nicht als Adverb, sondern als Adjektiv. Damit machte sie deutlich, lediglich die in den §§ 6 und 7 IfSG konkret mit Namen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger in den Versicherungsschutz einbeziehen zu wollen (vgl. Duden, 7. Aufl., Stichwort "1namentlich").
Dass auch im IfSG der Begriff "namentlich" an unterschiedlichen Stellen Verwendung findet (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1; Abs. 3 Satz 1, § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 IfSG), ist für die Auslegung der Versicherungsbedingungen ohne Bedeutung. Denn bei der in erster Linie maßgeblichen Wortlautauslegung von Versicherungsbedingungen ist die konkret in den Versicherungsbedingungen gewählte Form der Verwendung ausschlaggebend. Wenn dementsprechend in den Versicherungsbedingungen das Wort "namentlich" als Adjektiv verwendet wird, dann ändert eine etwaige Verwendung desselben Wortes als Adverb im IfSG hieran nichts.
Unabhängig hiervon wird aber auch im IfSG das Wort "namentlich" nicht als Adverb verwendet. Wenn es beispielsweise in § 6 Abs. 1 Satz 1 IfSG heißt, dass die nachfolgenden Krankheiten namentlich zu melden sind, dann bezieht sich das nicht auf die aufgelisteten Krankheiten. Gemeint ist damit im Unterschied zur "nichtnamentlichen" Meldung im Sinne von § 9 IfSG vielmehr, dass der Name der betroffenen Person mitanzugeben ist (vgl. Thiery in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 01.05.2021, § 6, Rn. 2; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Aufl., vor §§ 6 ff., Rn. 3). Demgegenüber wird mit der gesetzlichen Regelung nicht zum Ausdruck gebracht, dass neben den namentlich aufgeführten Krankheiten auch andere Krankheiten zu melden sind.
b) Die mit Ziffer 1.3 AVB verbundene Einschränkung des versicherten Risikos stellt auch keinen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB dar.
- Mit der Aufzählung der versicherten Risiken verstoßen die Versicherungsbedingungen nicht gegen ein gesetzliches Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Ob eine Formularbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (hier: §§ 6, 7 IfSG) vereinbar ist oder nicht, beurteilt sich maßgeblich danach, ob die gesetzliche Regelung auf die Interessen beider Parteien berücksichtigenden Gerechtigkeitserwägungen beruht oder reinen Zweckmäßigkeitserwägungen folgt. Denn verdanken Vorschriften des dispositiven Rechts ihre Entstehung einem sich aus der Natur der Sache ergebenden Gerechtigkeitsgebot, so müssen bei einer abweichenden Regelung durch AGB regelmäßig Gründe vorliegen, die für die von ihnen zu regelnden Fälle das dem dispositiven Recht zugrundeliegende Gerechtigkeitsgebot infrage stellen und eine abweichende Regelung als mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2017 - VIII ZR 13/17).
Im vorliegenden Fall stellt Ziffer 1.3 AVB bereits deshalb keinen Verstoß gegen ein gesetzliches Leitbild dar, weil es keine gesetzlichen Vorgaben zum Deckungsschutz einer Betriebsschließungsversicherung gibt. Das VVG selbst enthält keine speziellen Vorschriften zur Betriebsschließungsversicherung. Auch die allgemeinen Bestimmungen des VVG werden von der streitgegenständlichen Klausel nicht berührt. Ebenso wenig kann ein solches Leitbild aus §§ 6, 7 IfSG abgeleitet werden. Diese Vorschriften beruhen nicht auf einem Ausfluss von Gerechtigkeitserwägungen. Es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, die ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten dient (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 - 7 U 335/20). Dementsprechend ist es der Beklagten auch nicht verwehrt, den Versicherungsschutz nur auf einen Teil der nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger zu beschränken.
- Durch die streitgegenständliche Klausel in Ziffer 1.3 AVB wird auch nicht die Erreichung des Vertragszwecks unzulässig gefährdet, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Dies ist nur dann der Fall, wenn AGB-Klauseln wesentliche Rechte oder Pflichten entgegen den vertragstypischen Erwartungen des redlichen Geschäftsverkehrs einschränken. Insoweit fehlt es aber bereits an typischen Erwartungen des Geschäftsverkehrs an eine Betriebsschließungsversicherung. Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger ist vielmehr eine von mehreren typischen Ausprägungen einer solchen Versicherung (vgl. Rixecker in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 11, Rn. 60, 61).
- Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger stellt auch im Übrigen keine unangemessene Regelung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Zwar ist auch das Leistungsversprechen des Versicherers einer Inhaltskontrolle zugänglich, sofern die Unwirksamkeit der Klausel aufgrund einer dann fehlenden Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags insgesamt führen würde (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1994 - IV ZR 107/93). Allerdings liegen die Voraussetzungen einer unangemessenen Benachteiligung nicht vor.
Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Vertragsgestaltung die Eigeninteressen des Verwenders gegenüber den Interessen des Vertragspartners ohne rechtfertigenden Grund unverhältnismäßig stark zur Geltung bringt, ohne dass dies durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2004 - III ZR 293/03).
Im vorliegenden Fall machte die Beklagte die in §§ 6, 7 IfSG jeweils namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger und eine hierdurch bedingte Betriebsschließung zum Gegenstand des Versicherungsschutzes. Dass die Interessen der Klägerin durch den Wegfall der im Übrigen meldepflichtigen Erkrankungen unverhältnismäßig eingeschränkt wurden und in keinem vernünftigen Verhältnis zur Gegenleistung der Klägerin stehen, hat die Klägerin nicht vorgetragen und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich. Welche Erwartungen die Klägerin ihrerseits mit dem Abschluss des Vertrags verknüpfte und inwieweit diese Erwartungen enttäuscht wurden, spielt für die Frage der Wirksamkeit von Ziffer 1.3 AVB hingegen keine entscheidende Rolle. Etwaige, sich aus einer enttäuschten Erwartung ergebenden Ansprüche betreffen vielmehr einen anderen Streitgegenstand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen.