Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.09.2021, Az.: 13 W 21/21

Rechtliches Interesse eines Nebenintervenienten nach § 66 Abs. 1 ZPO; Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.09.2021
Aktenzeichen
13 W 21/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 72749
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:0913.13W21.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 10.05.2021 - AZ: 13 O 24/19

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage des rechtlichen Interesses eines Nebenintervenienten nach § 66 Abs. 1 ZPO, der geltend macht, eine durch das Gericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegte Frage sei für einen von ihm selbst durchgeführten Rechtsstreit von Bedeutung.

Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO folgt, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Es ist erforderlich, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (BGH, Beschluss vom 18. November 2015 - VII ZB 2/15 -, BGHZ 207, 378-385, Rn. 11). Hierfür genügt es nicht, dass eine Frage, die das Gericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt hat, auch für einen vom Nebenintervenienten durchgeführten Rechtsstreit von Bedeutung ist.

In der Beschwerdesache
pp.
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 13. September 2021 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 gegen das Zwischenurteil des Landgerichts Hannover vom 10. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Die Nebenintervenientin zu 5 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der übrigen Nebenintervenientinnen.

Gründe

I.

Die Nebenintervenientin zu 5 richtet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihrer Nebenintervention durch Zwischenurteil des Landgerichts vom 10. Mai 2021 (Bl. 526 ff. d. A.).

Die Klägerin macht in dem vorliegenden Rechtsstreit gegen die Beklagte als Teilnehmerin an dem sog. Lkw-Kartell Schadensersatzansprüche in Bezug auf zwei Müllfahrzeuge geltend, die sie von dieser in den Jahren 2006 und 2007 erwarb.

Die Europäische Kommission stellte mit Beschluss vom 19. Juli 2016 fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Lkw-Hersteller durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6 gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen haben (AT.39824 - Lkw, Anlage K 1).

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19. Oktober 2020 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV die Frage vorgelegt, ob der vorgenannte Kommissionsbeschluss dahin auszulegen sei, dass auch Sonder-/Spezialfahrzeuge, insbesondere Müllfahrzeuge, von den Feststellungen dieser Kommissionsentscheidung erfasst seien (Bl. 262 ff. d. A.).

In dem seitdem ausgesetzten Rechtsstreit hat die Nebenintervenientin zu 5 mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 (Bl. 323 ff. d. A.) den Beitritt auf Seiten der Klägerin erklärt. Die Nebenintervenientin zu 5 macht mit einer vor dem Landgericht Düsseldorf anhängigen Klage Schadensersatzansprüche aufgrund des Lkw-Kartells gegen die Beklagte und weitere Adressaten des Kommissionsbeschlusses geltend. Die Beklagte hat dort eingewendet, dass mehrere streitgegenständliche Beschaffungsvorgänge Müllfahrzeuge bzw. sonstige "Sonder-/Spezialfahrzeuge" beträfen, die nicht vom Anwendungsbereich der Kommissionsentscheidung erfasst seien und auch nicht in anderer Weise kartellbefangen seien. Das Landgericht Düsseldorf hat das Verfahren im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Landgerichts Hannover nach § 148 ZPO ausgesetzt.

Die Nebenintervenientin zu 5 hat gemeint, sie habe ein rechtliches Interesse an dem Obsiegen der Klägerin nach § 66 Abs. 1 ZPO. Der Ausgang des hiesigen Verfahrens könne Auswirkungen auf den von ihr geführten Rechtsstreit haben, weil das Landgericht Düsseldorf an die Kommissionsentscheidung in der Auslegung gebunden sei, die der EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren vornehmen werde (Bl. 324R d. A.).

Das Landgericht hat die Nebenintervention der Nebenintervenientin zu 5 auf Antrag der Beklagten mit Zwischenurteil vom 10. Mai 2021 (Bl. 436 ff. d. A.) zurückgewiesen, weil die Nebenintervenientin an dem Obsiegen der Klägerin kein rechtliches Interesse gemäß § 66 Abs. 1 ZPO habe. Ihr Interesse, in dem Vorabentscheidungsverfahren beteiligt zu werden und Einfluss auf die Vorabentscheidung des EuGH nehmen zu können, genüge hierfür nicht.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 (Bl. 468 ff. d. A.). Sie habe weiterhin das Ziel, sich an dem gesamten Verfahren vor dem Landgericht Hannover aktiv und prozessfördernd zu beteiligen. Ihr rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin sei aufgrund der Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB 2005 bzw. § 33b GWB 2017 gegeben; zudem ergebe es sich aus einer grundrechts- bzw. primärrechtskonformen Auslegung.

II.

Die gemäß § 71 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin zu 5 ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht ihre Nebenintervention zurückgewiesen. An dem Obsiegen der Klägerin hat sie kein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO.

1. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO folgt, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Es ist erforderlich, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (BGH, Beschluss vom 18. November 2015 - VII ZB 2/15 -, BGHZ 207, 378-385, Rn. 11). Der bloße Wunsch eines Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihm günstigen Entscheidung gelangen, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Das genügt ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (aaO).

2. Nach dieser Maßgabe hat die Nebenintervenientin zu 5 kein rechtliches Interesse an dem Obsiegen der Klägerin gemäß § 66 Abs. 1 ZPO.

Die Nebenintervenientin zu 5 steht zu der Klägerin und deren streitgegenständlichen Ansprüchen in keinem Rechtsverhältnis. Das Interesse der Nebenintervenientin bezieht sich lediglich darauf, dass der EuGH die Vorlagefrage bejahen möge. Hiervon erhofft sich die Nebenintervenientin - auch aufgrund der Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB 2005 - Vorteile für ihre eigene Schadensersatzklage. Dies vermag ein rechtliches Interesse nach § 66 Abs. 1 ZPO jedoch nicht zu begründen.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob es wegen der Auswirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens auf den von der Nebenintervenientin zu 5 geführten Rechtsstreit europarechtlich geboten sein könnte, dass der EuGH ihr die Möglichkeit einräumt, sich an diesem Verfahren zu beteiligen. Dies ist eine Frage der Verfahrensordnung des EuGH (vgl. Art. 96 der Verfahrensordnung des EuGH i. V. m. Art. 23 der Satzung des EuGH); sie ist nicht von den nationalen Gerichten zu entscheiden.

Die in Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV beantworteten Vorlagefragen haben oftmals weitreichende Bedeutung, weil die Mitgliedsstaaten und ihre nationalen Gerichte die Entscheidungen des EuGH zu beachten haben. Die vorgenommene Auslegung von Rechtsakten der Organe der EU berührt regelmäßig die Interessen einer Vielzahl von Unionsbürgern, die nicht an dem Ausgangsverfahren des nationalen Gerichts beteiligt sind. Es steht den nationalen Gerichten gleichwohl nicht zu, allen denjenigen, deren Interessen ebenfalls von der Beantwortung einer Vorlagefrage berührt werden können, Beteiligungsrechte an dem betreffenden Vorabentscheidungsverfahren des EuGH zu verschaffen, indem sie diese - entgegen dem nationalen Prozessrecht - zu "Parteien des Ausgangsrechtsstreits" im Sinne der Verfahrensordnung des EuGH erklären.

4. Eine Vorlage an den EuGH kommt nicht in Betracht. Über seine eigene Verfahrensordnung entscheidet der EuGH, ohne dass es hierfür einer Vorlage durch ein nationales Gericht bedarf. Die Auslegung von § 66 Abs. 1 ZPO wird hingegen durch das Unionsrecht nicht berührt.

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst. Die Voraussetzungen liegen nicht vor (§ 574 Abs. 2, 3 ZPO). Der Begriff des rechtlichen Interesses im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.