Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.06.1998, Az.: XIV 587/95
Abziehbarkeit von Aufwendungen, die für mehrwöchige Selbsterfahrungsseminare entstanden sind; Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; Anforderungen an die Geltendmachung von Werbungskosten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.06.1998
- Aktenzeichen
- XIV 587/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18972
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0604.XIV587.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 EStG
- § 12 Nr. 1 S. 2 EStG
- § 135 Abs. 1 FGO
Fundstelle
- NWB DokSt 1999, 222
Verfahrensgegenstand
Aufwendungen für Selbsterfahrungsseminare keine Werbungskosten.
Einkommensteuer
In dem Rechtsstreit
hat der XIV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 4. Juni 1998,
an der mitgewirkt haben:
Richter am Finanzgericht Dr. ... als Vorsitzender
Richter am Finanzgericht Dr. ...
Richterin am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin Hausfrau ...
ehrenamtlicher Richter Dipl.-Kfm. ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten.
Tatbestand
Streitig ist der Abzug von Aufwendungen, die dem Kläger für mehrwöchige Selbsterfahrungsseminare im Streitjahr entstanden sind.
Der Kläger ist als Sozialpädagoge in der Erwachsenenbildung beim Bildungswerk ... e.V. tätig. Seit 1990 betreut er ein Projekt, in dem ehemalige Sozialhilfeempfänger qualifiziert werden. Es handelt sich hierbei um Langzeitarbeitslose, die einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag erhalten. Nach diesem Beschäftigungsjahr sollen sie in der Lage sein, einer Beschäftigung auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nachzugehen. Die Aufgabe des Klägers besteht in der Betreuung der Langzeitarbeitslosen sowie in der Leitung und Organisation des Projektes.
Im Streitjahr nahm der Kläger an 6 mehrtägigen Fortbildungsveranstaltungen des Vereins "..." in Österreich teil. Es handelt sich hierbei um ein Zentrum für Selbsterfahrung und Selbstentwicklung, das im Rahmen seines "... Projekts" ein 73-tägiges Selbsterfahrungs- und Ausbildungsjahr durchführt. Der Kläger hat hieran im Zeitraum von April 1990 bis November 1994 teilgenommen. Im Streitjahr handelt es sich um 6 einwöchige Seminare für Interaktions- und Kommunikationstraining, für die der Kläger insgesamt 12.515,20 DM (6.400,00 DM Teilnahmegebühren und 6.115,20 DM Fahrtkosten) aufgewendet hat.
Ausweislich des dem Senat vorliegenden, dem Kläger erteilten Zertifikats besteht das Jahrestraining u.a. in Kursen über Atemenergie (Grundlagen von Bioenergetik und Körperbewußtheit durch Bewegung und Berührung sowie Massage- und bestimmte Atemtechniken), Kursen über Gefühle und verhalten (Techniken von Gesprächsführung und Gestaltarbeit, Kommunikationsmodelle, Training von Kontakttechniken, Arbeit an Blockaden und Schutzhaltungen, Arbeit mit persönlichen Strategien) sowie einer Beschäftigung mit mentalen Kräften (Trancearbeit, Einführung in die Repräsentationssysteme der Sinne, Mobilisierung unbewußter Ressourcen, Kontemplation und Meditation), wegen des Seminaraufbaus im einzelnen wird auf Blatt 51 der Einkommensteuerakten sowie auf Blatt 53-56 der FG-Akte verwiesen.
Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte die vom Kläger in seiner Steuererklärung für das Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen nicht. Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, die der Kläger wie folgt begründet: Die von ihm betreuten Langzeitarbeitslosen litten unter der Situation, ihren Lebensunterhalt nicht durch ihre eigene Arbeitskraft bestreiten zu können. Ihre sozialen Kontakte seien eingeschränkt, ihr vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit sei gestört. Hinzu kämen häufig begleitende vermittlungshemmende Merkmale, wie Suchterkrankungen oder Überschuldung. Seine Arbeit bestehe im wesentlichen darin, die oben geschilderten persönlichen Defizite aufzuarbeiten. Hierzu bedürfe es einer breit gefächerten Palette von Interventionsmöglichkeiten. Während des Studiums seien ihm ausschließlich Techniken vermittelt worden, die die mentalen Ebenen der Klienten erreichen sollten. In seiner Berufspraxis habe er erfahren, daß die ausschließliche Beachtung dieser Bereiche nur zu ungenügenden Fortschritten in der sozialpädagogischen Arbeit führe. Der Verein "..." vermittele hingegen Inhalte über die Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele. Mit diesem sogenannten "ganzheitlichen Ansatz" habe er seine lückenhaften Kenntnisse über Interventionstechniken erweitern können. Zwar finde das wissen, das ihm im Rahmen der mehrjährigen Veranstaltungsreihe angeboten worden sei, bei seinem derzeitigen Einsatz als Sozialpädagoge nur teilweise Anwendung. Da das von ihm betreute Versuchsprojekt jedoch jederzeit kurzfristig abgesetzt werden könne, sei es erforderlich, sein wissen auf seinem Berufsfeld allgemein zu erweitern, um künftigen Anforderungen mit anderen Personengruppen und abweichendem Anforderungsprofil gerecht werden zu können. Der Arbeitgeber habe ihn während der Teilnahme an den Lehrgängen vom Dienst freigestellt bei gleichzeitiger Lohnfortzahlung ohne Anrechnung der Fehlzeit auf den Jahresurlaub, jedoch unter Anrechnung auf den Bildungsurlaub. Wegen der weiteren Ausführungen des Klägers wird auf Blatt 5-8, 13, 14, 50, 51 sowie 61, 62 der FG-Akte verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1994 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom ... 11.1995 dahin zu ändern, die erklärten Aufwendungen für die Fortbildungsveranstaltungen i.H.v. 12.515,20 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Die vom Kläger geltend gemachten Kosten gehörten zu den gemäß § 12 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht als werbungskosten abziehbaren Aufwendungen der Lebensführung. Die breit gestreuten Inhalte der besuchten Seminare seien in keiner weise konkret auf die Arbeit des Klägers als sozialpädagogische Betreuungskraft mit Leitungs- und Organisationsaufgaben in einem Qualifizierungsprojekt für Langzeitarbeitslose ausgerichtet. Für den weitaus überwiegenden Teil der Veranstaltungsinhalte sei ein konkreter beruflicher Bezug weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt worden. Auch die lediglich pauschale Behauptung des Einsatzes von im Rahmen der Seminare erlernten Interventionsmöglichkeiten auf nicht-mentaler Ebene sei nicht nachvollziehbar. So erscheine zum Beispiel die Anwendung von Massagetechniken, Ausdruckstanz, Breathwork oder Trancearbeit etc. im Rahmen der Betreuung eines Arbeitslosenprojektes als zweifelhaft. Soweit der Kläger darauf verwiesen habe, daß die Seminare überwiegend von Berufsangehörigen besucht worden seien, die in helfenden bzw. vermittelnden Berufen tätig seien, deute dies zwar darauf hin, daß aus den Seminaren unter Umständen berufliche Vorteile gezogen werden könnten. Allerdings handele es sich bei den Zugehörigen zu diesen Berufsgruppen um Personen, zu deren berufsbedingten Aufgaben es gehöre, sich mit dem Seelenleben anderer Menschen zu befassen. Daraus ergebe sich ein gewisses Eigeninteresse, sich selbst und das eigene Innere kennenzulernen und zu erforschen. Durch das Seminarprogramm sei vielmehr belegt, daß durch die Teilnahme persönliche Ziele der Teilnehmer verfolgt worden seien. Beruflich verwertbare Erkenntnisse, die die Teilnehmer für den Umgang mit Menschen in besonderer weise befähigt hätten, seien grundsätzlich nicht vermittelt worden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, sei der berufliche Nutzen im Vergleich zum persönlichen Nutzen von lediglich untergeordneter Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat es das FA im Streitfall abgelehnt, die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen als werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen.
1.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 EStG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) gehören hierzu sämtliche Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind (BFH-Urteil vom 28.11.1980 VI R 193/77, BStBl II 1981, 368). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und wenn subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Berufs getätigt werden. Ein Werbungskostenabzug kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Aufwendungen zwar den Beruf fördern, daneben aber auch der Lebensführung dienen, es sei denn, daß sich der den Beruf fördernde Teil der Aufwendungen nach objektiven Maßstäben zutreffend und in leicht nachprüfbarer weise abgrenzen läßt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. November 1979 VI R 25/78, BStBl II 1980, 75, 76). Die Rechtsprechung leitet diesen Grundsatz aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG her, nach dem Kosten der Lebensführung selbst dann nicht abzugsfähig sind, wenn sie den Beruf oder die Tätigkeit des Steuerpflichtigen fördern. Diese Vorschrift verbietet zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die Aufteilung und damit den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Durch dieses Aufteilungs- und Abzugsverbot soll verhindert werden, daß Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewußt herbeigeführte Verbindung zwischen beruflichen und privaten Interessen Aufwendungen für ihre Lebensführung deshalb zum Teil in einen einkommensteuerlich relevanten Bereich verlagern können, weil sie einen Beruf haben, der ihnen das ermöglicht, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus zu versteuernden Einkünften decken müssen (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77, BStBl II 1979, 213, 216). Im Ergebnis können daher Aufwendungen für Seminarveranstaltungen nur dann als werbungskosten abgezogen werden, wenn die berufliche Veranlassung bei weitem überwiegt, private Gesichtspunkte also keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen (BFH-Urteil vom 6. März 1995 VI R 76/94, BStBl II 1995, 393).
2.
Im Streitfall steht dem Abzug der Kosten für den Besuch der streitigen Seminare § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entgegen.
a)
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Entscheidung, ob ein Lehrgang, der auch psychologische Erkenntnisse vermittelt, in nicht nur unbedeutendem Umfang die private Lebensführung berührt oder als eine berufsspezifische und damit zum Werbungskostenabzug führende Fortbildungsmaßnahme angesehen werden kann, bedeutsam, ob der Lehrgang auf die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung oder auf die Vermittlung von auf den Beruf zugeschnittenen und für den Beruf wichtigen psychologischen Erkenntnissen ausgerichtet ist. Dabei sind Feststellungen zu den Lehrinhalten und dem Ablauf des Lehrgangs sowie den teilnehmenden Personen von besonderer Bedeutung (siehe BFH-Urteil vom 20.09.1996 VI R 40/96, HFR 1997, 144; FG Münster, Urteil vom 14.11.1996, EFG 1997, 333).
b)
Im vorliegenden Fall kommt der Senat nach Aktenlage und nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, daß die streitigen Seminare vielmehr der persönlichen Weiterbildung des Klägers dienten und der berufsspezifische Inhalt Lediglich von untergeordneter Bedeutung waren. Hierfür sprechen zum einen bereits die Lehrinhalte sowie der Ablauf der Lehrgänge.
aa)
Nach der vom Kläger vorgelegten Broschüre sollen die Seminarteilnehmer nach dem Start des Trainingsjahres mit wesentlich klarerem Blick für ihre innere Wirklichkeit in den Alltag zurückkehren (vgl. Blatt 53 FG-Akte). Hierzu sind die Seminare in einzelne Projekte unterteilt, in denen die Teilnehmer mit unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Selbsterfahrungstechniken vertraut gemacht werden. So unternehmen die Teilnehmer in der Körperwoche eine Entdeckungsreise zum Körper. Im zweiten Projekt entdecken viele Teilnehmer ihr verstecktes Nein zu sich selber und zu ihren begrenzenden Lebensumständen. In der Woche der Primärarbeit steht die Arbeit mit Arger- und Abhängigkeitsstrukturen im Vordergrund. Die Atemwoche dient der Auflösung von aus dem Geburtstrauma stammenden Blockaden. Im fünften Projekt soll die fällige Integration des Neuen in den Alltag und die Vermittlung von Techniken der spirituellen Therapie erfolgen. Die restlichen Projektwochen dienen dem Eintauchen in den Raum jenseits persönlicher Grenzen, der Aufhellung der eigenen Schatten, der erweiterten Wahrnehmung und der Reinkarnationsthematik sowie der Vermittlung von grundlegenden Techniken der Kontaktaufnahme. Den Abschluß bildet eine umfassende Versöhnung der Polaritäten.
bb)
Die den Seminarteilnehmern insoweit vermittelten Lehrinhalte dienen damit nach Auffassung des Senats in erster Linie der Persönlichkeitsbildung der Teilnehmer. Demgegenüber tritt der berufsbezogene Charakter der Veranstaltungen in den Hintergrund. Der Senat vermag daher mit Ausnahme der Vermittlung von Techniken der Kontaktaufnähme und der Gesprächsführung im Streitfall keine Wissensvermittlung zu erkennen, die auf den konkreten Beruf des Klägers zugeschnitten wäre. Zwar mögen die aus den Kursen gewonnenen Erkenntnisse dem Kläger auch beruflich zugute kommen; jedoch tritt der tatsächliche berufliche Bezug insoweit hinter dem weitaus überwiegend privat motivierten Anlaß für die Teilnahme an den Seminaren zurück.
c) Auch der Teilnehmerkreis spricht nach Ansicht des Senats für die in erheblichem Umfang persönlichkeitsbildenden Elemente der Seminare. Zwar hat der Kläger vorgetragen, daß die Kursteilnehmer überwiegend aus helfenden und vermittelnden Berufen (wie zum Beispiel Krankenschwester, Arzt, Pfarrer oder Lehrer) stammen. Damit hat er jedoch nicht dargetan, daß die Seminare primär auf die spezifischen Bedürfnisse eines bestimmten Berufes ausgerichtet gewesen wären, wie es von der Rechtsprechung verlangt wird (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.1995 VI R 76/94, a.a.O.). So hat der Veranstalter mit seinen Seminaren keine bestimmte Berufsgruppe ansprechen wollen, sondern aufgrund der allgemeinen Zielsetzung und der Lehrinhalte allenfalls Aspekte des allgemeinen Berufslebens berücksichtigt. Die überwiegende Mehrzahl der in den Seminaren erworbenen Kenntnisse konnten hingegen überwiegend in Alltagssituationen angewendet werden und betreffen damit in erheblichem Umfang die allgemeine Lebensführung. Es ist gerichtsbekannt, daß an psychologischen Seminaren, wie sie der Kläger besucht hat, viele Bürger aus rein privaten Erwägungen teilnehmen.
3.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.