Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.04.2006, Az.: L 4 KR 57/02

§ 7 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) als Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung; Persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber als Voraussetzung einer Beschäftigung; Das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit als wesentliche Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit; Anwesenheitspflicht mit entsprechender Eingliederung in den Betrieb wegen vorgegebenen Arbeitsablaufs; Vorhandener Arbeitsplatz und zeitliche Eingliederung in die Abläufe des Betriebes als starke Indizien für das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.04.2006
Aktenzeichen
L 4 KR 57/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 17941
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0426.L4KR57.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 05.02.202 - AZ: S 6 KR 163/00

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin in der Zeit vom 1. März 1994 bis 31. Dezember 2001.

2

Die Beigeladene zu 1) war auf Grund des Vertrages ohne Datum für die Rechtsvorgängerin der Klägerin, der H. (im Weiteren: I.), tätig. Der zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem I. geschlossene Vertrag lautete wie folgt:

"Der Verlag überträgt dem Berater als freien Handelsvertreter nach § 84 ff HGB für das J. folgende Aufgabenbereiche:

1.
Beratung und Betreuung von Anzeigenkunden

2.
Akquisition von Anzeigen-Sonderveröffentlichungen. In allen Arbeitsbereichen hat der Berater die Interessen des Verlages durch Verkaufsgespräche und fachliche Beratung bei Entscheidungspersonen dieser Unternehmen wahrzunehmen. Der Einsatz des Beraters wird von der Anzeigen-Verkaufsleitung des Verlages entschieden und miteinander abgestimmt.

§ 2

1.
Der Berater erklärt ausdrücklich, dass er den erforderlichen Gewerbeschein besitzt und seinen Steuerverpflichtungen dem Finanzamt gegenüber nachkommt.

2.
Der Berater hat bei seiner Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu wahren sowie die gesetzlichen Richtlinien zu beachten.

3.
Er ist verpflichtet, die Richtlinien und Geschäftsbedingungen des Verlages genau zu befolgen und Anzeigenaufträge zu den Preisen und Bedingungen der jeweils gültigen Anzeigenpreisliste abzuschließen.

4.
Der Berater sorgt weiterhin für rechtzeitige Lieferung von Druckunterlagen und Dispositionen für die durch ihn vermittelten Aufträge.

5.
Inkassoarbeiten hat der Berater nicht durchzuführen. Der Verlag behält sich vor, ihn in Ausnahmefällen damit zu betreuen.

6.
Der Berater tritt nicht als Wettbewerber der Werbeagenturen und Annoncenexpedition auf.

§ 3

Der Verlag unterstützt den Berater bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben bestmöglich. Das notwendige Werbematerial stellt der Verlag kostenlos und ausreichend zur Verfügung. Von der gesamten Korrespondenz, die der Verlag mit Interessenten und Inserenten im Aufgabenbereich des Beraters führt, erhält der Berater Kopien. Das vom Verlag zur Verfügung gestellte Material bleibt Eigentum des Verlages und ist bei Lösung des Vertrages dem Verlag zurückzugeben.

§ 4

1.
Der Berater unterliegt einer schriftlichen Berichtspflicht für alle erforderlichen Besuche, Besprechungen und sonstigen Vorfälle, wobei Form und Inhalt eine befriedigende verkäuferische Bearbeitung erkennen lassen müssen.

2.
Der Berater ist ferner verpflichtet, sich beruflich/fachlich weiterzubilden.

3.
Der Berater erklärt ausdrücklich, dass er im Besitz eines gültigen Kfz-Führerscheins Kl. III ist. Er ist verpflichtet, einen PKW auf eigene Rechnung zu unterhalten und einzusetzen.

§ 5

1.
Für die vom Berater vermittelten und vom Verlag übernommenen Aufträge von Anzeigenkunden erhält der Berater eine Umsatzprovision, die im Anhang näher beschrieben ist. Jeweils 1 x jährlich, mit Wirkung ab 01.01. eines jeden Jahres, werden die genannten Provisionssätze überprüft und neu festgesetzt.

2.
Der Berater hat Anspruch auf Provision nur, sobald und inwieweit der Verlag das Geschäft angenommen, ausgeführt und die Zahlung des Auftraggebers hierfür erhalten hat. Vorherige Provisionszahlungen gelten so lange als Vorschüsse, so lange der Verlag für seine Rechnungsbeträge Bezahlung nicht erreichen konnte. Der Verlag ist nicht verpflichtet, die zwangsweise Eintreibung der Rechnungsbeträge durchzuführen.

3.
Der Verlag übermittelt dem Berater spätestens bis zur ersten Woche des Folgemonats erschienen Provisionsabrechnungen für alle im Vormonat erschienenen provisionspflichtigen Anzeigen. Der Berater ist verpflichtet, diese sofort zu prüfen und Beanstandungen dem Verlag innerhalb von zwei Wochen zu übermitteln.

§ 6

1.
Für die beschriebenen Aufgabenbereiche ist eine Vertretung für eine weitere Zeitung, Zeitschrift oder Fachzeitschrift grundsätzlich ausgeschlossen. Sämtliche Nebentätigkeiten für andere Unternehmen bedürfen der schriftlichen Genehmigung durch die Vertragsleitung.

2.
Der Verlag behält sich vor, ggf. das Einsatzgebiet des Beraters zu verändern.

§ 7

1.
Das Vertragsverhältnis beginnt am 01.03.1994.

2.
Es wird eine Probezeit von 6 Monaten vereinbart.

3.
Das Vertragsverhältnis kann von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Quartalsende gekündigt werden. Die Kündigung hat durch eingeschriebenen Brief zu erfolgen. Maßgebend für die Rechtzeitigkeit ist Aufgabe bei der Post.

4.
Das Vertragsverhältnis endet mit Erreichen des 65. Lebensjahres des Beraters, ohne dass es einer Kündigung bedarf.

5.
Aus schwer wiegenden Gründen - wie zum Beispiel grobe Vernachlässigung der übernommenen Verpflichtungen dieses Vertrages oder Verlust der Fahrerlaubnis - kann das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung gelöst werden.

§ 8

Jede Änderung oder Ergänzung des Vertrages bedarf zur Gültigkeit der Schriftform sowie der Gegenbestätigung des anderen Vertragspartners. Änderungen und Ergänzungen sind dann Bestandteil des Vertrages.

§ 9

Gerichtsstand ist Goslar."

3

Gleich lautende Vertragsverhältnisse waren auch Frau K. und Herr L. - Sohn der Beigeladenen zu 1) - mit dem I. eingegangen. Zusammen mit diesen beiden wandte sich die Beigeladene zu 1) Mitte 1999 an die Beklagte mit der Bitte festzustellen, dass es sich um ein abhängiges und damit sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt. In der Tätigkeitsbeschreibung der drei zuvor genannten Anzeigenverkäufer vom 28. Juni 1999 heißt es:

"TOP 1
Wir sind ausschließlich für den I. tätig.

TOP 2
Erscheinungsbild nach außen: Visitenkarten mit Angabe der Telefon-Durchwahl. Zum Verkauf stehen uns die Preislisten des Vertrages zur Verfügung (s. Anlage). Darstellung der Mitarbeiter (Fotos) im Produkt als Ansprechpartner im Außendienst. Eigener Arbeitsplatz/Schreibtisch, Telefon, technische Geräte wie Fax, Büromaterial etc.

TOP 3
Regelmäßiges Erscheinen wird automatisch erforderlich; z.B. wegen eingehender Telefonate, Faxe o.ä. Kundenanfragen die bearbeitet werden müssen. Auf diese Informationen muss von uns entsprechend reagiert werden. Es erfolgt eine komplette Auftragsbearbeitung bis zur Weitergabe an die Technik. Alle Anzeigen müssen von uns Korrektur gelesen werden. Wird dabei ein Fehler übersehen, woraus eine Nichtbezahlung des Kunden resultieren kann, wird die bezahlte Provision vom Verlag zurückverlangt. Es werden bei Neukunden Besuchsberichte verfasst. Vorgedruckte Reklamationszettel für den Vertrieb werden bei Nichtlieferung des Produktes (Reklamation des Kunden) erstellt.

TOP 4
Persönliche, mündliche Anweisungen: Anweisungen der Buchhaltung, säumige Kunden anzusprechen (s. Kopie). Teilweise Inkassogeschäfte tätigen. Nachfragen seitens des Geschäftsführers wie z.B. "Haben Sie an ... gedacht." "Was ist mit Herrn ...". "Können wir den nicht auch noch abschließen" (hier in Kopie, s. angekreuzte Anzeigen).

TOP 5
Seitens des Verlages wird wohl wollend bzw. als Selbstverständlichkeit angenommen, dass redaktionelle Aufgaben, Fotos, Texte etc. ohne Vergütung getätigt werden.

TOP 6
Bei zwingend erforderlicher Abwesenheit durch Krankheit, Todesfall in der Familie oder andere wichtige Termine wird eine entsprechende An-Abmeldung erwünscht. Auch während des Arbeitstages erfolgt eine An- und Abmeldung über die etwaige Dauer der Abwesenheit (s. Besprechungsprotokoll). Bei hausinternen Besprechungen erfolgen Abfragen nach Verbesserungsvorschlägen. Vergleiche von Umsatzstatistiken. Mitgestaltung der neuen Preisleiste z.B. wie regeln wir kostenmäßig Farbaufschläge.

TOP 7
Die Redaktion verfügt über kein Fahrzeug, entsprechend fahren wir mit der zuständigen Redakteurin oder einem anderen Mitarbeiter zu den Terminen. Dafür gibt es keine finanzielle Regelung."

4

In einem Fragebogen der Beklagten gab die Beigeladene zu 1) an, seit 1. März 1994 ein Gewerbe angemeldet zu haben, keine eigenen Geschäfts- bzw. Büroräume zu unterhalten und keine Arbeitnehmer zu beschäftigen. Sie habe weder Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit noch Anspruch auf bezahlten Urlaub. Sie führe Umsatzsteuer ab.

5

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1999 stellte die Beklagte gegenüber dem I. und der Beigeladenen zu 1) fest, die Prüfung habe ergeben, dass die Beigeladene zu 1) abhängig beschäftigt sei. Seit 1. Januar 1999 sei sie deshalb sozialversicherungspflichtig zu allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung.

6

Hiergegen legte nur der I. Widerspruch ein. Mit weiterem Schreiben vom 12. Juli 2000 teilte ihm die Beklagte mit, dass der Bescheid vom 8. Oktober 1999 fehlerhaft sei. Die dort zu Grunde gelegte Versicherungspflicht begründe sich nicht aus dem § 7 Abs. 4 SGB IV, sondern aus Abs. 1 dieser Gesetzesvorschrift. Die Versicherungspflicht sei daher nicht erst am 1. Januar 1999, sondern bereits zum Beginn der Beschäftigung am 1. März 1994 eingetreten. Die Unterlagen lägen dem Widerspruchsausschuss vor. Die Klägerin erhalte zu gegebener Zeit von dort Nachricht.

7

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. September 2000). Im Widerspruchsbescheid stellte die Beklagte die Versicherungspflicht seit dem 1. März 1994 fest. Aus dem Vertrag der Beigeladenen zu 1) mit dem I. ergäben sich ausreichend Kriterien, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen würden.

8

Der I. hat dagegen Klage erhoben, die am 13. Oktober 2000 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig eingegangen ist. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Indizien, die die Beklagte zur Begründung ihrer Feststellung der Versicherungspflicht herangezogen habe, handelsvertretertypische Regelungen seien. Die Beigeladene zu 1) habe ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten können. Mit Schreiben vom 29. Januar 2002 hat der I. mitgeteilt, dass die Gesellschaft nun den Namen "M." führe.

9

Mit Urteil vom 5. Februar 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 1. März 1994 bis 31. Dezember 2001 sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Die Beigeladene zu 1) sei nicht als selbstständige Handelsvertreterin tätig gewesen, obwohl sie in dem Vertrag so bezeichnet sei. Bei einer Abwägung der Merkmale würden solche für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.

10

Gegen das der Klägerin am 13. März 2002 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am 2. April 2002 beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingegangen ist. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, die Beigeladene zu 1) habe ihre Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten können. Es habe auch keine Verpflichtung bestanden, den vorhandenen Arbeitsplatz im Verlag aufzusuchen. Sie hätte die Tätigkeiten auch von zu Hause verrichten können. Eine Weisungsgebundenheit habe damit nicht vorgelegen.

11

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 5. Februar 2002 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. Oktober 1999 und 12. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2000 aufzuheben.

12

Die Beklagte und die Beigeladene zu 4) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

14

Die Beigeladenen zu 1) bis 3) schließen sich dem Vorbringen der Beklagten an und stellen keinen Antrag.

15

Am 21. Februar 2006 hat vor dem Berichterstatter ein Erörterungstermin stattgefunden. Der Beklagten ist darin mitgeteilt worden, dass im Ausgangsbescheid vom 8. Oktober 1999 die Versicherungspflicht ab 1. Januar 1999 festgestellt worden sei. Das Schreiben vom 12. Juli 2000 sei nicht als Anhörung aufzufassen, weil es die Klägerin nicht zur Stellungnahme aufgefordert habe. Im Widerspruchsbescheid vom 14. September 2000 hingegen sei die Versicherungspflicht bereits seit 1. März 1994 festgestellt worden. Seitens des Berichterstatters sind deshalb Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides bei der Feststellung der Versicherungspflicht für die Zeit vor dem 1. Januar 1999 geäußert worden.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) für die Beschäftigung beim I. in der Zeit vom 1. März 1994 bis 31. Dezember 2001 festgestellt.

18

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, der Pflege-, der Renten- und der Arbeitslosenversicherung der Versicherungspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - SGB VI und § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - (SGB IV).

19

Gem. § 7 Abs. 1 SGB IV (in der Fassung des Art 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 - BGBl. I S 3845 - gültig vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1997) ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

20

Seit dem 1. Januar 1999 ist § 7 Abs. 1 SGB IV ergänzt durch S 2 der Vorschrift. Dieser lautet wie folgt: Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (vgl. Art 3 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1999 in BGBl. I 2000, S 2).

21

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben Letztere den Ausschlag (vgl. BSG Urteil vom 22. Juni 2005 - Az.: B 12 KR 28/03 R - in SozR 4-2400 § 7 Nr. 5).

22

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist.

23

Im vorliegenden Verfahren kommt der Senat auf Grund der Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene zu 1) beim I. in der Zeit vom 1. März 1994 bis 31. Dezember 2001 abhängig beschäftigt war. Diese Feststellung ergibt sich zum einen aus dem zwischen dem I. und der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Vertrag und aus den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) in ihrer Tätigkeitsbeschreibung vom 28. Juni 1999 und im Erörterungstermin in Verbindung mit jenen der anderen beiden Anzeigenverkäufer im Erörterungstermin vom 21. Februar 2006.

24

Die Beigeladene zu 1) war zur Überzeugung des Senats sowohl in Bezug auf die Arbeitszeit als auch den Arbeitsort und die Art und Weise der Tätigkeit an die Weisungen des N. gebunden.

25

Der Beigeladenen zu 1) stand unstreitig ein eigener Arbeitsplatz/Schreibtisch nebst Telefon und anderen technischen Geräten wie Faxgerät und Büromaterial etc zur Verfügung. Einen Arbeitsplatz zu Hause hatte sie nach ihren eigenen Angaben nicht. Das regelmäßige Erscheinen am Arbeitsplatz im I. war bereits deshalb notwendig, weil die Beigeladene zu 1) vom I. Visitenkarten zur Verfügung gestellt bekommen hat, auf denen die Telefonnummer bzw. die Faxnummer des Verlages und nicht ihre Privatnummer angegeben war. Bei Rückrufen von Kunden kamen diese folglich am Arbeitsplatz der Beigeladenen zu 1) im Hause des O. an. Daraus resultierte automatisch eine Anwesenheitspflicht der Beigeladenen zu 1) im Hause des O ... Auf die Anfragen der Kunden musste die Beigeladene zu 1) entsprechend reagieren. Dies ging nur durch eine regelmäßige Anwesenheit am Arbeitsplatz im Hause des O ... Aus diesem Grunde sind die Angaben der Beigeladenen zu 1), die Zeiten zwischen Telefonaten zur Anzeigenbearbeitung und zum Korrekturlesen etc zu nutzen, folgerichtig und glaubhaft. Gem. § 4 des Vertrages war die Beigeladene zu 1) verpflichtet, Berichte über alle erforderlichen Besuche, Besprechungen und sonstigen Vorfälle schriftlich zu fertigen. Die Beigeladene zu 1) ist dieser Verpflichtung auch tatsächlich nachgekommen. Daraus wird deutlich, dass die Weisungen des O., wie sie im Vertrag festgelegt waren, von der Beigeladenen zu 1) eingehalten wurden. Der vorgegebene Arbeitsablauf hat daher zwangsweise zur Anwesenheitspflicht mit entsprechender Eingliederung in den Betrieb des O. geführt. Die Beigeladene zu 1) hat in ihrer Tätigkeitsbeschreibung (TOP 6) bestätigt, dass während des Arbeitstages eine An- und Abmeldung über die Dauer der Abwesenheit seitens des O. erwünscht war und auch erfolgte. Sowohl der vorhandene Arbeitsplatz als auch die zeitliche Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die Abläufe des O. sind starke Indizien für das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses.

26

Dasselbe gilt für die Regelung in § 6 Ziffer 2 des Vertrages. Darin hat sich der Verlag vorbehalten, gegebenenfalls das Einsatzgebiet des Beraters zu verändern und damit die Weisungsgebundenheit der Beigeladenen zu 1) in Bezug auf die Art und Weise der Ausführung der Tätigkeit zum Ausdruck gebracht. Besonders deutlich wird die Weisungsgebundenheit der Beigeladenen zu 1) in § 6 Ziffer 1 Satz 1 des Vertrages. Danach ist für den beschriebenen Aufgabenbereich eine Vertretung für eine weitere Zeitung, Zeitschrift oder Fachzeitschrift grundsätzlich ausgeschlossen. Mit dieser Regelung hat der I. die Beigeladene zu 1) ausschließlich an sich gebunden. Typisch für den Handelsvertreter gem. § 84 Abs. 1 HGB dagegen wäre, dass er auch für andere Unternehmen tätig sein kann.

27

Auch die Regelungen in § 6 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages sind typisch für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Nach der Vertragsregelung bedürfen sämtliche Nebentätigkeiten für andere Unternehmen der schriftlichen Genehmigung durch die Verlagsleitung. Die Tätigkeit eines Selbstständigen hingegen ist dadurch geprägt, dass er jederzeit Tätigkeiten für andere Unternehmen aufnehmen darf. Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses stehen die Ausführungen der Geschäftsführerin der Klägerin Frau P. im Erörterungstermin vom 21. Februar 2006 nicht entgegen, dass die Beigeladene zu 1), wie die anderen Anzeigenvermittler, auch für die Zeitschrift "Q. " tätig war. Denn die Preislisten für diese Zeitschrift wurden der Beigeladenen zu 1), wie die drei Anzeigenverkäufer übereinstimmend im Erörterungstermin erklärt haben, von der damaligen Geschäftsführung vorgelegt.

28

Die Beigeladene zu 1) hat unter TOP 4 der Tätigkeitsbeschreibung ausgeführt, die im Vertrag unter § 2 Ziffer 5. aufgeführten Inkassoarbeiten entsprechend Satz 2 der Regelung durchgeführt zu haben. Auch daraus lässt sich das Weisungsrecht des O. ableiten.

29

Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Beigeladenen zu 1). Sie werden durch die beiden anderen Anzeigenverkäufer bestätigt. Die gegenteiligen Ausführungen der Klägerin konnten den Senat demgegenüber nicht überzeugen. Das gilt insbesondere für den klägerischen Hinweis, dass der Beigeladenen zu 1) kein Anspruch auf Urlaub bzw. Entgeltfortzahlung bei Krankheit zustand. Zwar ist dieser Vortrag zutreffend. Für die Frage aber, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, fällt dieser Punkt nicht entscheidend ins Gewicht. Denn die Indizien, die für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprechen, überwiegen und geben der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) beim I. das Gepräge.

30

Mithin lag im gesamten Zeitraum vom 1. März 1994 bis zum 31. Dezember 2001 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor.

31

Die Bescheide der Beklagten vom 8. Oktober 1999 und 12. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2000 sind auch in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

32

Im angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 1999 hat die Beklagte die Versicherungspflicht ab dem 1. Januar 1999 nach § 7 Abs. 4 SGB IV festgestellt. Im Bescheid vom 12. Juli 2000 und im Widerspruchsbescheid vom 14. September 2000 hat sie die Versicherungspflicht dann auf § 7 Abs. 1 SGB IV gestützt und darüber hinaus auf die Zeit ab dem 1. März 1994 ausgedehnt. Diese Verfahrensweise ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

33

Mit Bescheid vom 12. Juli 2000 hat die Beklagte der Klägerin lediglich die neue Rechtsgrundlage für die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und den veränderten Beginn der Versicherungspflicht mitgeteilt, die Klägerin aber nicht ausdrücklich auf ihr Anhörungsrecht nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) hingewiesen. Der Senat lässt offen, ob die Beklagte der Klägerin damit hinreichend Gelegenheit zur Äußerung i.S.d. § 24 Abs. 1 SGB X gegeben hat. Denn ein etwaiger Verfahrensmangel ist geheilt worden.

34

Gemäß § 42 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder das Verfahren zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (Satz 1). Das gilt nicht, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt ist (Satz 2). Da keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Bescheides vom 12. Juli 2000 vorliegen, konnte die notwendige Anhörung nachgeholt werden. Das ist geschehen. Die erforderliche Anhörung ist nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X im Gerichtsverfahren geheilt worden. Die Klägerin hatte im Berufungsverfahren die ausdrückliche und konkrete Gelegenheit, ihr Anhörungsrecht nach § 24 Abs. 1 SGB X auszuüben. Macht sie von diesem Recht keinen Gebrauch, ist die Verletzung des Anhörungsrechtes gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt.

35

Der Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X steht nicht entgegen, dass die Vorschrift erst mit Wirkung zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist. Sie ist nach ihrer Zielsetzung jedenfalls auch auf Bescheide anwendbar, die zwar bis zum 1. Januar 2001 ergangen, aber noch nicht bestandskräftig gewesen sind (vgl. hierzu aber: BSG, Urteil vom 24. Juli 2001, Az: B 4 RA 2/01 R, in SozR 3-8850 § 5 Nr. 5).

36

Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X ist eine Verletzung des Anhörungsrechtes unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Dabei reicht nach Ansicht in der Literatur eine Anhörung durch das Gericht nicht aus. Es wird vielmehr verlangt, dass die beklagte Behörde dem Bürger vollwertig Gelegenheit zur Stellungnahme zum Erlass des Bescheides gibt und danach zu erkennen gibt, dass sie nach erneuter Prüfung der entscheidungserheblichen Tatsachen am Erlass des Bescheides festhält (so Wiesner in von Wulffen, SGB X, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, Kommentar, 5. Aufl. 2005, § 41 Rdnr. 8 m.w.N.). Dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat jedenfalls dann nicht anzuschließen, wenn das Gericht eine fachkundig durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin ausdrücklich auf die Verletzung ihres Anhörungsrechts hingewiesen hat und sie sich trotz dieses ausdrücklichen Hinweises weder schriftlich noch mündlich - weder im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter noch in der einige Wochen später stattfindenden mündlichen Verhandlung vor dem Senat - auf die Verletzung ihres Anhörungsrechtes berufen hat. In einem solchen Fall kennt die Klägerin ihre Rechte, sie hat ausreichend Zeit und Gelegenheit, sich zu äußern und eine neue Überprüfung seitens der Beklagten zu verlangen. Verzichtet eine Klägerin auf diese Möglichkeiten, so kann daraus nur die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sie von einer nachgeholten Anhörung durch die Beklagte keinen Gebrauch machen will. Will eine Klägerin aber keine im Prozess nachgeholte Anhörung durch die Beklagte, so ist das hinzunehmen. Ebenso wie im Verwaltungsverfahren steht es auch im Gerichtsverfahren im Belieben des Betroffenen, ob er sein Recht auf rechtliches Gehör wahrnehmen will oder nicht. Würde man gleichwohl eine Erklärung der Beklagten verlangen, dass sie dem Rechtsbehelf nicht abhilft, so wäre das reiner Formalismus und würde die Absicht des § 41 Abs. 2 SGB Xüberspannen. Das ist vorliegend der Fall.

37

Die anwaltlich vertretene Klägerin ist im Erörterungstermin vom 21. Februar 2006 durch den Berichterstatter ausdrücklich auf ihr Anhörungsrecht nach § 24 SGB X hingewiesen worden. Sie hat sich hierzu weder im Erörterungstermin noch danach schriftsätzlich geäußert. Etwa zwei Monate später hat am 26. April 2006 die mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Auch bei dieser Gelegenheit hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, nichts zum Anhörungsrecht vorgetragen. Damit hatte die Beklagte keinen Anlass, den Bescheid vom 12. Juli 2000 einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen. Das Fehlen der Anhörung ist damit geheilt.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (a.F.).

39

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (Auslegung von § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X) nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.