Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.04.2006, Az.: L 4 KR 273/04
Anspruch auf Versorgung mit einer motorisierten Bewegungsschiene (CPM-Schiene) durch die gesetzliche Krankenversicherung; Konkludente Annahme des Vertragsangebots durch die Entgegennahme der Schiene durch den Versicherten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.04.2006
- Aktenzeichen
- L 4 KR 273/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 16298
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0426.L4KR273.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 20.07.2004 - AZ: S 62 KR 183/03
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V
- § 133 BGB
- §§ 145 ff. BGB
- § 683 BGB
- § 677 BGB
- § 678 BGB
- § 812 Abs. 1 S. 1 BGB
- § 814 BGB
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 20. Juli 2004 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die leihweise Versorgung mit einer motorisierten Bewegungsschiene (CPM-Schiene).
Bei dem im September 1980 geborenen Kläger wurde am 9. Januar 2003 eine Spiegelung (Arthroskopie) des rechten Kniegelenkes unter den Diagnosen anteromediale Komplexinstabilität rechtes Kniegelenk, Zustand nach partieller lateraler Meniskektomie und Innenmeniskus-Hinterhornläsion durchgeführt. Im Verlaufe des Eingriffs wurden eine partielle mediale Meniskektomie und ein offener vorderer Kreuzbandersatz vorgenommen. Am 17. Januar gingen bei der Beklagten ein Kostenvoranschlag der Firma F. GmbH (im Folgenden: G.) vom 15. Januar 2003 und eine Verordnung des Dr. H. vom 8. Januar 2003 ein. Dr. H. verordnete eine Motor-Bewegungsschiene leihweise für 2 Wochen bei Zustand nach Kreuzbandplastik. Die Miete für die Überlassung der Schiene für die Zeit vom 15. Januar 2003 bis 30. Januar 2003 sollte nach dem Kostenvoranschlag 207,87 EUR betragen. Die Schiene wurde dem Versicherten am 15. Januar 2003 überlassen.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) der therapeutische Nutzen der motorisierten Bewegungsschiene im häuslichen Bereich nicht nachgewiesen sei. Eine sachgerechte medizinische Behandlung könne jederzeit in Form einer krankengymnastischen aktiven oder passiven Bewegungstherapie durchgeführt werden. Am 20. Februar 2003 gingen bei der Beklagten ein Verlängerungsrezept des Dr. H. vom 27. Januar 2003, wonach noch eine weitere Überlassung der Bewegungsschiene bis zum 13. Februar 2003 medizinisch erforderlich sei, und ein Kostenvoranschlag der G. vom 18. Februar 2003 ein, wonach die Überlassung der Motor-Bewegungsschiene für den Verlängerungszeitraum für einen Mietzins von 207,87 EUR angeboten werde. Auch insoweit lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme mit Schreiben vom 25. Februar 2003 ab. Der Kläger legte dagegen am 26. Februar 2003 Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Hinweis auf Stellungnahmen des MDKN, die die medizinische Notwendigkeit der Versorgung mit der Motor-Bewegungsschiene verneinten, mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2003 zurück.
Der dagegen am 11. August erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 20. Juli 2004 dahingehend stattgegeben, dass sie die Beklagte verurteilt hat, den Kläger von einer Inanspruchnahme durch die G. für die Überlassung der motorisierten Bewegungsschiene freizustellen. Der den Kläger behandelnde Arzt Dr. H., der zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassen sei, habe die Bewegungsschiene auf Kassenrezept verordnet. Der Kläger habe unter den gegebenen Umständen davon ausgehen dürfen, die Bewegungsschiene von der Beklagten als Sachleistung zur Verfügung gestellt zu bekommen. Eine unter Umständen fehlerhafte Einschätzung über die medizinische Notwendigkeit des verordneten Hilfsmittels durch den Vertragsarzt gehe zu Lasten der Beklagten.
Gegen dieses ihr am 6. August 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. September 2004 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass im Unterschied zur Verordnung von Arzneimitteln die Verordnung von Hilfsmitteln durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt nicht unmittelbar den Anspruch des Versicherten auf die Überlassung des Hilfsmittels begründe. Vielmehr bedürfe die Überlassung des Hilfsmittels der vorherigen Genehmigung durch Verwaltungsakt. Vor diesem Hintergrund sei die Verordnung des Dr. H. rechtlich nicht so zu würdigen, wie es das SG getan habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 20. Juli 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, dass die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend sei. Die Verordnung des Hilfsmittels durch den zugelassenen Arzt belege dessen medizinische Notwendigkeit bereits. Vor diesem Hintergrund sei es auch als wirtschaftlich zu betrachten.
Der Kläger ist von der G. bisher nicht zur Zahlung des Mietzinses herangezogen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG).
Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von einer Forderung der Firma F. GmbH für die Überlassung einer motorisierten Bewegungsschiene für die Zeit vom 15. Januar 2003 bis 13. Februar 2003.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I 1046). Diese Vorschrift lautet: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Sie ist auch dann als Rechtsgrundlage heranzuziehen, wenn der Versicherte keine Kostenerstattung begehrt, sondern die Freistellung von einer Forderung für eine selbstbeschaffte Leistung (vgl Bundessozialgericht (BSG) in SozR 3-2500 § 13 Nr. 12).
Der Kläger hat bisher keine Kosten für die CPM-Schiene aufgewendet. Es besteht auch keine Forderung der Firma F. GmbH gegen ihn.
Der Kläger hat eine vertragliche Vereinbarung, auf der eine Forderung beruhen könnte, mit der G. nicht abgeschlossen. Ein Austausch entsprechender ausdrücklicher Willenserklärungen durch Angebot und Annahme im Sinne der §§ 145 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist unter Würdigung des gegebenen Sachverhaltes nicht geschehen. In der Entgegennahme der Bewegungsschiene durch den Kläger ist die Annahme eines Vertragsangebotes der G. durch konkludentes Handeln im Wege der Auslegung nicht zu erblicken. Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Der Kläger hat die Schiene entgegengenommen, weil sie ihm von einem zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassenen Arzt verordnet und von einem zugelassenen Leistungserbringer ausgehändigt wurde. Damit konnte er davon ausgehen, dass ihm das Gerät im Wege der Sachleistung von der Beklagten über die G. als Leistungserbringerin zur Verfügung gestellt wurde. Damit fehlte ihm bei Empfangnahme der Bewegungsschiene am 15. Januar 2003 gegenüber der G. der Wille, eine vertragliche Vereinbarung abzuschließen. Diese Auslegung wird im Übrigen durch die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 7. Februar 2006 bestätigt.
Ebenso wenig konnte die G. in der Entgegennahme der Schiene aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers den Schluss ziehen, der Kläger habe ihr gegenüber ein Vertragsangebot angenommen. Das folgt daraus, dass die G. dem Kläger ein ausdrückliches Vertragsangebot nicht gemacht hat. Ausdrückliche Vertragsangebote hat die G. lediglich der Beklagten gegenüber gemacht, indem sie die Kostenvoranschläge vom 15. Januar 2003 und 18. Februar 2003 bei der Beklagten eingereicht hat. Aus dieser Konstellation folgt, dass die G. als zugelassener Leistungserbringer die Überlassung der Motor-Bewegungsschiene an den Kläger und die Entgegennahme durch diesen nicht so verstehen konnte, dass der Kläger selbst ihr Vertragspartner werden sollte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz vom 30. Januar 2006. Denn für den Abschluss der erwähnten Vereinbarung fehlt es an jeglichem Beweis. Abgesehen davon wären damit die Umstände der bereits erfolgten Übergabe am 15. Januar 2003 nicht mehr zu beseitigen.
Der Kläger kann von der G. auch nicht im Wege des Aufwendungsersatzes nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 683, 677 und 678 BGB herangezogen werden, weil seine Versorgung mit Hilfsmitteln nicht dessen eigenes Geschäft im Sinne dieser Vorschriften darstellt, sondern das der Beklagten. Dementsprechend wäre Anspruchsgegnerin der G. nicht der Kläger, sondern die Beklagte.
Die Freistellung kann auch nicht auf der Grundlage eines möglichen Anspruchs der I. gegen den Kläger aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB begehrt werden. Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, diesem zur Herausgabe verpflichtet. Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete aber nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende zum Zeitpunkt der Leistungserbringung gewusst hat, dass er gegenüber dem Empfänger zur Leistung nicht verpflichtet war.
So liegt es hier. Zum Zeitpunkt der Überlassung der Motor-Bewegungsschiene an den Kläger am 15. Januar 2003 hatte die G. mit diesem keine vertragliche Vereinbarung getroffen und konnte, wie oben bereits dargelegt wurde, auch durch die Empfangnahme des Gerätes durch den Kläger nicht davon ausgehen, dass dieser mit ihr einen Vertrag schließen wollte.
Zum Zeitpunkt der Abgabe der Motor-Bewegungsschiene an den Kläger am 15. Januar 2003 bestanden auch zwischen der G. und der Beklagten keine rechtlichen Beziehungen, die die Fa G. hätten verpflichten können, die CPM-Schiene auf Kosten der Beklagten an den Kläger abzugeben. Denn die G. hatte ihren Kostenvoranschlag, der als Angebot zum Abschluss eines Mietvertrages für die Motor-Bewegungsschiene zu verstehen war, erst am gleichen Tage an die Beklagte abgesandt. Es war zum Zeitpunkt der Übergabe des Gerätes von der Beklagten nicht angenommen worden.
Andere rechtliche Vorschriften, auf deren Grundlage die G. den Kläger in Anspruch nehmen könnte, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.