Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.04.2006, Az.: L 8 SO 121/05

Leistungsgewährung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) gegenüber einem volljährigen schwerstbehinderten Kind ohne Anrechnung des an die Mutter gezahlten Kindergeldes; An einen Elternteil gezahltes Kindergeld als einzusetzendes Einkommen des Kindes; Zweck der Förderung der Familie im Ganzen; Ausnahmefall gezielter Zuwendung des an einen Elternteil ausgezahlten Kindergeldes an sein einkommensloses und vermögensloses Kind; Anspruchsmindernde Berücksichtigung des Kindergeldes wegen Anspruchs auf Abzweigung des Kindergeldes an sich selbst; Verpflichtung auf Stellung eines Antrages auf Abzweigung des Kindergeldes im Rahmen der Selbsthilfe; Vornehmliche Gewährung von Betreuungsunterhalt

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.04.2006
Aktenzeichen
L 8 SO 121/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 17155
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0420.L8SO121.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 12.10.2005 - AZ: S 51 SO 355/05
nachfolgend
BSG - 08.02.2007 - AZ: B 9b SO 6/06 R

Fundstellen

  • FamRZ 2006, 1878-1880 (Volltext mit red. LS)
  • ZfSH/SGB 2006, 677-680
  • info also 2007, 91 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

Kindergeld ist im Grundsicherungsrecht als Einkommen desjenigen anzusehen, an welchen es ausgezahlt wird.

Lebt ein schwerbehindertes volljähriges Kind bei seinen Eltern und wird das Kindergeld an die Eltern ausgezahlt, ist das Kindergeld nicht als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz und zwar eine Leistungsgewährung ohne Anrechnung des an die Mutter der Klägerin gezahlten Kindergeldes in Höhe von 154,00 EUR monatlich.

2

Die am 27. Dezember 1982 geborene Klägerin ist dauerhaft erwerbsunfähig und lebt im Einfamilienhaus ihrer Eltern, die gleichzeitig ihre Betreuer sind. Zwischen der Klägerin und ihrem Vater, der Eigentümer des bewohnten Eigenheimes ist, besteht ein zum 1. Januar 2003 wirksamer Mietvertrag, wonach die Klägerin für die von ihr im Eigenheim genutzten Räume einen Mietzins in Höhe von monatlich 160,00 EUR zu entrichten hat. Die Mutter der Klägerin erhält für diese Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich. Ausweislich des Schwerbehindertenausweises ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung in Höhe von 100 festgestellt sowie die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" zuerkannt. Sie erhält von der Pflegeversicherung Leistungen der Pflegestufe III. Der Beklagte gewährte der Klägerin seit dem 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Sowohl im Erstantrag vom 8. Januar 2003 als auch im Folgeantrag vom 13. Mai 2004 gaben die Betreuer der Klägerin an, Unterhaltsleistungen nicht zu erbringen.

3

Mit Bescheid vom 30. Juni 2004 gewährte der Beklagte der Klägerin u.a. Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2004 in Höhe von monatlich 147,11 EUR. Dabei setzte der Beklagte in der Bedarfsberechnung Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR als Einkommen der Klägerin an. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der, soweit die Höhe der Leistungen für die hier streitige Zeit betroffen ist, mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Februar 2005 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Da die Eltern ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkämen, habe die Klägerin einen Anspruch nach § 74 Abs. 1 Satz 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) auf Abzweigung des Kindergeldes an sich selbst. Die Klägerin könne sich somit mit einem entsprechenden Abzweigungsantrag selbst behelfen und das gesetzliche Kindergeld erlangen, weshalb das Kindergeld anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei.

4

Die Klägerin hat am 16. März 2005 Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Hannover erhoben. Sie trägt u.a. vor, dass nicht sie kindergeldberechtigt sei, sondern ihre Eltern. Das Kindergeld werde ihr nicht zugewendet, wozu ihre Eltern auch nicht verpflichtet seien. Die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 EStG lägen nicht vor, da ihre Eltern Unterhaltsleistungen in Form eines erheblichen Betreuungs- und Pflegeaufwandes erbrächten, die nicht durch die Leistungen der Pflegeversicherung abgedeckt seien. Überdies habe der Beklagte eine gemeinsame Haushaltsführung anerkannt. Die Unterhaltsleistungen der Eltern können nicht als ihr Einkommen angesehen werden, da es sich nicht um Barunterhalt handele.

5

Der Rechtsstreit ist durch Beschluss des VG Hannover vom 24. März 2005, bestätigt durch Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2005 an das zuständige Sozialgericht (SG) Hannover verwiesen worden.

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Mit Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2005 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 monatlich weitere Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von 154,00 EUR zu bewilligen. Zur Begründung der Entscheidung hat das SG auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2004 ( 12 LC 144/04 ) Bezug genommen und ausgeführt, dass die Anrechnung des Auszahlungsanspruchs nach § 74 Abs. 1 EStG als Einkommen der Klägerin zu einer Ungleichbehandlung zwischen schwerstbehinderten Volljährigen, die im Familienhaushalt gepflegt werden und solchen, die in Heimen untergebracht sind, führen würde. Weiterhin sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) das Kindergeld dem Kindergeldberechtigten zuzurechnen. Hinzu käme, dass die Rechtsansicht des Beklagten in familiären Einsatzgemeinschaften i.S. von § 11 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu einer Doppelberücksichtigung des Kindergeldes führen würde. Bei Berücksichtigung des von der Klägerin vorgetragenen Naturalunterhaltes käme eine Anrechnung als Einkommen nicht in Betracht, da in diesem Falle die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG nicht vorlägen. Der Naturalunterhalt, den Eltern ihren volljährigen behinderten Kindern erbringen würden, könne im Rahmen der Grundsicherung nicht als eigenes Einkommen des behinderten Menschen angesehen werden. Der Gerichtsbescheid wurde dem Beklagten am 17. Oktober 2005 zugestellt.

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Der Beklagte hat am 16. November 2005 Berufung eingelegt. Er ist weiter der Auffassung, dass die Klägerin auf die Möglichkeit eines Abzweigungsanspruchs gemäß § 74 Abs. 1 EStG verwiesen werden dürfe.

8

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie macht sich die Ausführungen des angefochtenen Gerichtsbescheides zu eigen.

11

Mit Schriftsatz vom 11. April 2006 hat der Beklagte unter Beifügung des Bescheides vom 29. März 2006 mitgeteilt, dass er am 7. November 2005 einen entsprechenden Abzweigungsantrag bei der Familienkasse gestellt habe, welcher mit Bescheid vom 22. November 2005 und Einspruchsbescheid vom 29. März 2006 abgelehnt worden sei.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 monatlich weitere Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von 154,00 EUR zu gewähren sind. Der angefochtene Bescheid ist demzufolge zu Recht aufgehoben worden.

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Die Klägerin ist, insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig, leistungsberechtigt i.S. von § 1 Nr. 2 GSiG vom 26. Juni 2001 (BGBl I Seite 1310/1355). Das SG hat zutreffend festgestellt, dass das für die Klägerin an ihre Eltern - hier die Mutter - gezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich kein i.S. von § 3 Abs. 2 GSiG einzusetzendes Einkommen der Klägerin ist. Gemäß § 3 Abs. 2 GSiG gelten für den Einsatz von Einkommen und Vermögen die §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Nach § 76 Abs. 1 BSHG gehören zum Einkommen i.S. des Gesetzes alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, wozu auch das Kindergeld zählt.

15

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG (vgl BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 28/05 - m.w.N.), der sich der Senat anschließt, ist das Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird. Dementsprechend ist gemäß § 3 Abs. 2 GSiG Kindergeld im Grundsicherungsrecht auch Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird (so auch SG Gelsenkirchen, Urteil vom 9. August 2005 - S 8 SO 20/05 ). Das Kindergeld wird vorliegend zweifelsfrei nicht der Klägerin ausgezahlt. Das BVerwG hat zu diesem Problemkreis im Urteil vom 17. Dezember 2003 (5 C 25/02) dazu ausgeführt:

"Steuerrechtlich steht nach § 62 EStG der Anspruch auf Kindergeld "für Kinder im Sinne des § 63" anders als nach § 1 Abs. 2 BKGG für den dort bezeichneten Sonderfall nicht dem Kind für sich selbst zu, sondern einem mit dem Kind, für das Kindergeld gewährt wird, nicht identischen Anspruchsberechtigten ...

Aus dem Zweck des Kindergeldes folgt keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als Einkommen des Kindes. Nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 31, 62 ff. EStG fällt wegen eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuer an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie und fließt in dieser Höhe Einkommen zu ( BVerwGE 114, 339 (340) [BVerwG 21.06.2001 - 5 C 7/00]). Daraus kann aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht geschlossen werden, die Zweckbindung des Kindergeldes bestehe nach § 31 EStG darin, das Existenzminimum des Kindes abzudecken. Vielmehr ist ein Zweck des Kindergeldes, die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken ( § 31 EStG ). Mit diesem Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst (vertreten durch die Eltern) als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums gewährt, sondern es bleibt der Teil des elterlichen Einkommens steuerfrei, den diese zur Existenzsicherung ihres Kindes benötigen. Eine Steuerfreistellung kann zu einem höheren Nettoeinkommen des Anspruchsberechtigten, nicht dagegen zu Einkommen des Kindes selbst führen, für das Kindergeld gewährt wird. Zum anderen dient das Kindergeld, soweit es für den Zweck der steuerlichen Freistellung nicht erforderlich ist, "der Förderung der Familie" und nicht etwa allein oder vorrangig der Förderung des Kindes, für das Kindergeld gewährt wird.

Auch das Zivilrecht ordnet Kindergeld nicht abweichend vom Steuerrecht dem Kind als Einkommen zu. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung von Kindergeld in Bezug auf den Unterhalt für das Kind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - XII ZR 289/01 - FamRZ 2003, 445 = MDR 2003, 749 = NJW 2003, 1177 ; BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 und 1 BvR 1749/01 - FamRZ 2003, 1370 = NJW 2003, 2733 ). Im Kinder- und Jugendhilferecht erklärt § 39 Abs. 6 SGB VIII für den Fall, dass das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG bei der Pflegeperson berücksichtigt wird, nicht Teilbeträge des Kindergeldes als Einkommen des Kindes oder Jugendlichen, sondern bestimmt eigenständig eine gewisse Anrechnung solcher Beträge auf die laufenden Leistungen zum Unterhalt."

16

Eine Ausnahme von dem eben dargestellten Grundsatz, dass Kindergeld bei dem jeweils Berechtigten bzw. Zahlungsempfänger als Einkommen sozialhilferechtlich zu berücksichtigten ist, könnte allenfalls angenommen werden, wenn ein Elternteil das an ihn ausgezahlte Kindergeld seinem einkommens- und vermögenslosen Kind gezielt zuwendet (vgl Brühl in Lehr- und Praxiskommentar - BSHG , 6. Auflage 2003, § 77 Rdnr 49 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

17

Der Gesetzgeber hat für die (hier nicht streitige) Zeit ab dem 1. Januar 2005 Regelungen getroffen, die der hier vertretenen Rechtsauffassung entsprechen (§ 82 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII , § 11 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II , Art 1 Abs. 1 Nr. 8 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung). Nur in den ausdrücklich geregelten Fällen (bei minderjährigen Kindern, soweit es zur Sicherung ihres Lebensunterhalts benötigt wird, und bei volljährigen nicht im Haushalt lebenden Kindern, an die das Kindergeld von dem Elternteil nachweislich weitergeleitet wird) ist das Kindergeld nicht bei demjenigen als Einkommen zu berücksichtigen, dem es zufließt. Den hier streitigen Fall eines volljährigen im Haushalt der Eltern lebenden Kindes treffen diese Regelungen nicht.

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Dem Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ohne Anrechnung des an ihre Mutter gezahlten Kindergeldes steht kein durchsetzbarer Anspruch auf Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 Satz 1 an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Eine Verpflichtung der Klägerin auf Stellung eines solchen Antrages im Rahmen der Selbsthilfe (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GSiG) besteht nicht. Eine solche Verpflichtung könnte allenfalls dann bestehen, wenn der Abzweigungsanspruch so evident ist, dass auch bei der Entscheidung der Familienkasse eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben wäre. Ein solcher Sachverhalt liegt zur Überzeugung des Senats unzweifelhaft nicht vor. Bestätigt wurde diese Einschätzung durch die vom Beklagten zwischenzeitlich herbeigeführte Entscheidung der Familienkasse (Bescheid vom 22. November 2005, Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006).

19

Vorliegend besteht bereits deshalb kein evident durchsetzbarerer Anspruch der Klägerin auf Abzweigung des Kindergeldes, weil die Eltern zumindest Naturalunterhalt erbringen. So ist der Vortrag der Klägerin, dass die Eltern Unterhaltsleistungen z.B. durch Fahrten zu Ärzten, Urlaub, sonstige Fahrten, Unterstützung bei der Freizeitgestaltung, Hilfe bei Einkäufen, erhebliche Pflege und Betreuung erbringen, nicht in Zweifel zu ziehen. Eine andere Betrachtungsweise wäre bei der Tatsache, dass ein volljähriges schwerstbehindertes Kind im Haushalt der Eltern bzw. im gleichen Haus wohnt, lebensfremd.

20

Dieser Naturalunterhalt kann der Klägerin jedoch sozialhilferechtlich nicht als Einkommen angerechnet werden. Das SG hat dies in den Entscheidungsgründen zutreffend dargestellt. Darauf wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.

21

Soweit der Beklagte im vorliegenden Streitfall den Senatsbeschluss vom 13. Juni 2005 (L 8 AS 118/05 ER) dafür anführt, dass ein volljähriges Kind bei nicht gezahltem Barunterhalt die Abzweigung des Kindergeldes für sich beanspruchen könne, lässt er außer Acht, dass in dem dort entschiedenen Fall keine Verpflichtung zur Antragstellung auf Abzweigung gesehen wurde; zudem ist der Lebenssachverhalt zwischen einem volljährigen gesunden und einem volljährigen schwerstbehinderten Kind nicht vergleichbar. Grundsätzlich kann Unterhalt in Form von Bar- und/oder Betreuungsunterhalt gewährt werden (vgl §§ 1610, 1606 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Der Umfang des Unterhalts richtet sich u.a. nach dem Bedarf (§ 1610 BGB), wobei auch die Belange des Kindes zu berücksichtigen sind (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB). Schwerstbehinderte volljährige Kinder - wie vorliegend die Klägerin - bedürfen, im Gegensatz zu gesunden Volljährigen, der Pflege und Betreuung. Deshalb kann in diesem Fall in erster Linie Betreuungsunterhalt in Form von elterlicher Zuwendung und Pflege geleistet werden, denn hierfür besteht - ähnlich wie bei minderjährigen Kindern - ein erheblicher Bedarf . Dies entspricht dem Rechtsgedanken des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB . Auch die Regelungen des Kindergeldrechts tragen diesen Überlegungen durch die fehlende Beschränkung der Bezugsdauer des Kindergeldes bei behinderten Kindern Rechnung. Für diese ist über das 27. Lebensjahr hinaus gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG Kindergeld zu zahlen, soweit sie außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten.

22

Die hier vertretene Auffassung verhindert zudem, dass eine Doppelberücksichtigung des Kindergeldes erfolgt. Hierauf hat das SG zutreffend hingewiesen. Die Auffassung des Beklagten, nach der nur eine einzelfallbezogene Entscheidung sachgerecht sei, würde i.S. einer "Rosinentheorie" dazu führen, dass abhängig von der Leistungsfähigkeit der Eltern das dem Elternteil zufließende Kindergeld eines schwerbehinderten volljährigen Kindes mal dem Elternteil und mal dem Kind als Einkommen zugerechnet würde. Diese Betrachtungsweise ist jedoch nicht sachgerecht. Die Zurechnung als Einkommen kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob ein anderer, nämlich derjenige dem das Kindergeld tatsächlich zufließt, Sozialleistungen bezieht oder nicht.

23

Das SG hat weiterhin zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Anrechnung eines eventuell bestehenden Auszahlungsanspruchs nach § 74 Abs. 1 EStG als Einkommen der Klägerin (wobei dieser Auszahlungsanspruch nach Ansicht des Senats evident nicht besteht, was überhaupt Voraussetzung wäre) zu einer Ungleichbehandlung zwischen schwerstbehinderten Volljährigen, die im Familienhaushalt gepflegt werden und solchen, die in Heimen untergebracht sind, führen würde. Insoweit wird auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2004 - 12 LC 144/04 - und das Urteil des BVerwG vom 28. April 2005, a.a.O.) verwiesen. Dem steht das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 17. Februar 2004 (VIII R 58/03) nicht entgegen. Zwar wurde dort entschieden, dass ein behindertes volljähriges Kind, welches vollstationär untergebracht ist und dessen gesamte Kosten vom Sozialhilfeträger übernommen werden, die Abzweigung des Kindergeldes in voller Höhe für sich beanspruchen kann. In dem dortigen Fall hatte der Kindergeldberechtigte jedoch keinerlei Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes oder die Kontaktpflege mit dem Kind getragen. Das bedeutet, dass gerade der Kontaktpflege ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wurde. Nur im dort zu entscheidenden Sonderfall sah der BFH ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf Null für die Abzweigung. Wird hingegen Kontakt zu einem im Heim untergebrachten Kind gepflegt, kommt die Abzweigung des Kindergeldes wegen nicht nachgekommener Unterhaltspflicht grundsätzlich nicht in Betracht. Erst recht gilt dies im häuslichen Bereich , in dem nicht nur eine Kontaktpflege, sondern darüber hinaus Pflege und Betreuung durchgeführt wird.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Beklagte unterliegt, hat er die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

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Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.